“Es ist unfassbar, Ihr seid komplett bescheuert”, sagte ein sichtlich gerührter Andreas Bockius am Ende des Abends – da hatten “Dobbelbock” mit ihrem neuen Song “Ohne Dich” gerade zum dritten Mal den SSC Song Contest des Gonsenheimer Carneval Vereins (GCV) gewonnen. Das Brüderduo Andreas und Matthias Bockius war erneut nicht zu schlagen, allerdings wurde es dieses Mal ganz knapp. Der GCV will sich nun für 2025 Änderungen überlegen – und verneigte sich vor einer der ganz Großen: Fastnachtsikone Margit Sponheimer wurde mit dem “Goldenen Steher” ausgezeichnet.
“Let me entertain you”, spielt die Saalband “Trinkgeld”, im Mainzer Kulturzentrum KUZ tummeln sich rund 300 meist kostümierte Zuschauer zu einem besonderen Konzert der Fastnachtsklasse: Zum dritten Mal hatte der Gonsenheimer Carneval Verein (GCV) zur Kür des Kampagnensongs des Jahres geladen. 12 Bands traten an, “das ist quasi ein gesamtes Album”, staunte Teresa Betz, die erstmals gemeinsam mit GCV-Programmchef Thomas Becker den Abend moderierte.
2022 hatte der GCV aus der Corona-Not heraus und als Ersatz für die ausfallende “Stehung” den “SSC Stehung Vision Song Contest” ins Leben gerufen, per Livestream kamen die Musikstücke ins Haus, das Voting erfolgte digital. 2023 dann waren erstmals Gäste live im KUZ zugelassen, in diesem Jahr nun erlebte der SSC erstmals einen Song Contest vor vollem Haus: Gut 300 Fastnachtsbegeisterte feierten vor Ort live im KUZ, an den Bildschirmen verfolgten noch einmal rund 1.000 Zuschauer das Geschehen via Livestream.
Ausreißer aus Aulhausen, Oli Mager mit neuem Hit
Das Prinzip ist das gleiche geblieben: 12 Bands aus der Mainzer Fastnachtsszene treten gegeneinander im musikalischen Wettstreit an und vertreten dabei jeweils einen Mainzer Stadtteil – das allerdings wurde von Anfang an nicht so wirklich ernst genommen. So trat Fastnachts-Star Oliver Mager schon mal für Wiesbaden an, die Fleischworschathlete bis heute für Bischofsheim, und auch rheinhessische Orte wie Partenheim waren schon vertreten.
In diesem Jahr gemeindeten die Mainzer gleich mal schnell den Rheingau ein: Das Duo “Die Ausreißer” trat für Aulhausen im Rheingau an und hatten einen lustigen, eher Kölner Karnevals-typischen Schlager mit im Gepäck – der Saal feierte die Gäste von rechts des Rheins gut gelaunt. Oliver Mager wiederum ging mit Startnummer 1 für Mainz-Ebersheim ins Rennen, und hatte mit seinem neuen Song “Stadt unter Strom” gleich ein hitverdächiges neues Fastnachtswerk dabei.
Überhaupt bestand der GCV in diesem Jahr noch schärfer als vorher schon darauf, dass die Bands auch wirklich neue Songs zur Teilnahme mitbrachten – schließlich soll der neueste Fastnachtshit gekürt werden. Das führte indes dazu, dass eine ganze Reihe namhafter Musikakteure der Fastnachtsszene gar nicht am Start waren: Weder die “Humbas” mit Thomas Neger, noch die RotRockRapper oder die RheinMainzer waren am Samstagabend mit dabei.
No-Schoppe-Rap und satter Fastnachtssound
Dem Song Contest tat das keinen Abbruch: Die 12 Bands oder Solosänger zeigten eindrucksvoll, wie vielfältig die Mainzer Fastnachts-Musikszene inzwischen geworden ist. Da rockten “Voll auf die 11” den Saal ebenso wie die “Fleischworschtathlete” mit einem eher klassischen Fastnachtssong. Der Neu-SSC-ler Michi Hay aus der Mainzer Neustadt brachte einen frischen Rap-Song “Es muss nit immer Schoppe soi” auf die Bühne, und “die Moritze” begeisterten erneut mit einem ihrer typisch-gefühlvollen Rocksongs die Zuschauer. “Wo seht Ihr Euch heute in fünf Jahren?” fragt der Moderator vorab, die klare Antwort der drei Moritze: “Wieder hier, beim SSC.”
Die Fahne der weiblichen Starter hielten in diesem Jahr zwei Damen hoch: Laura Heinz hatte ihren Fastnachts-Schlager “Ein Hoch auf Mainz am Rhein” mitgebracht, und Lea Hieronymus intonierte ein munteres “Es ist unglaublich geil, Mainzer zu sein, schalalalala.” Die Tochter von Comedian Sven Hieronymus, bekannt als Frontmann der Kultband “Se Bummtschaks” hatte vollmundig vor dem SSC verkündet, es gebe so wenig neue Songs in der Fastnacht, das wolle sie nun ändern, nun trat die Jung-Comedian mit einer Ballermann-Nummer an – für einen der vorderen Plätze reichte das nicht.
Die Nase vorn hatten die Bands mit den echten Fastnachtstiteln: Die Überraschungsband vom Vorjahr, “Amigos del Sol”, kam in diesem Jahr mit einem etwas kurios-schwungvollen “Uff die LU, ich und du” am Ende auf Platz vier – 12 Prozent stimmten für die Marienborner. Platz drei fuhren mit 15 Prozent der Stimmen die Gonsenheimer Kultformation ein: Die Schnorreswackler, die Gesangstruppe des GCV, rockten mit Schwung, sattem Sound und Charme den Saal, begleitet von einem Musikzug der Füsiliergarde – Fastnachtsfeeling pur.
Dobbelbock räumen erneut mit “Ohne Dich” ab
Und dann wurde es spannend, denn die Startnummer 12 hatte einen echten Knaller im Gepäck: Die Band “Handkäs und sei Musigg”, angetreten für Mainz-Drais, begeisterten mit ihrem Hit “Zu 111 Prozent” die Narren im Saal und an den Bildschirmen – und sorgten um ein Haar für eine Sensation. Ganze 40 Stimmen fehlten am Ende zu Platz 1, wie Mainz& erfuhr, doch die Spitzenreiter waren einfach nicht zu schlagen: Die Brüder Andreas und Matthias Bockius alias “Dobbelbock” elektrisierten einfach die Menge auch wieder mit ihrem neuen Hit “Ohne Dich”, schwungvoll begleitet von einem weiblichen Ballett-Team.
“Wir haben gesagt, das schaffen wir nicht noch ein drittes Mal”, staunte Matthias Bockius – “jetzt haben wir es doch geschafft: Da ist das Triple!” Sichtlich gerührt nahmen die beiden Brüder die Siegestrophäe, den “Gläsernen Steher”, entgegen. “Es ist unfassbar, Ihr seid komplett bescheuert”, gestand Andreas Bockius: “Vielen, vielen Dank!” Sein Hauptdank aber gehe “an jeden von Euch, der Meenzer Mucke macht”, rief Andreas noch in den Saal: “Wir haben musiktechnisch so viel Potenzial in dieser Stadt! Dieses Event der SSC zeigt, wie viel geile Mucke es in dieser Stadt gibt und wie abwechslungsreich die ist.”
Beim GCV hieß es im Anschluss, man müsse sich fürs kommende Jahr etwas überlegen – drei Siege in Folge seien dann auch mal genug. “Vielleicht moderiert Ihr ja 2024 denn SSC”, sagte GCV-Programmchef Thomas Becker, denn eines ist klar: In dieser Form, mit dieser Energie und Bühnenpräsenz sind die Brüder Bockius einfach Spitze in Sachen musikalische Fastnacht: Nach der Corona-Hymne “Alles wieder gut” und “Du bist mein Schobbe” im Vorjahr, war auch der neue Hit “Ohne Dich” nicht zu schlagen – und das trotz der wachsenden Vielfalt und Kreativität der Mainzer Musikszene.
“Derf mer aach singe…?” – Margit Sponheimer für Lebenswerk geehrt
Da passte es auch durchaus, dass sich der SSC vor einer ganz Großen der ersten Stunde verneigte: Niemand geringeres als Fastnachtsikone Margit Sponheimer wurde mit dem “Goldenen Steher” ausgezeichnet. Die Grande Dame der musikalischen Fastnacht, Ehrenbürgerin der Stadt Mainz, war die erste Frau, die auf einer Fastnachtsbühne in Mainz singen durfte – als “es Margittche” wurde die junge Sängerin ab Mitte der 1960er Jahre mit berühmt.
Was folgt ist Geschichte, Fastnachts-Geschichte: Mit Liedern wie „Wähle 06131, dann hast Du Mainz an der Strippe“ machte Margit Sponheimer ihre Heimatstadt Mainz und sich selbst weit über die Grenzen hinaus bekannt. 1969 singt sie erstmals ihren größten Hit: „Am Rosenmontag bin ich geboren“, er wird ihr Markenzeichen und eine Legende. Am 7. Februar feierte “la Sponheimer” ihren 80. Geburtstag, am Samstagabend stand die 80-Jährige auf der Bühne – und riss ihre Zuschauer mit, als wäre sie Jahrzehnte jünger.
Mit Charme und Witz ließ die Sponheimer ihren Weg zur Fastnachtsbühne Revue passieren, und bekannte: Bereits als 12-Jährige habe sie die Idee gehabt, in der Schule eine Sitzung für die Eltern aus die Beine zu stellen. “Die allerscheensten Mädchen waren im Ballett, da war ich nicht dabei”, erinnerte sich Margit – also machte sie Musik: Tusch und Narhallamarsch. “Das war mir zu wenig”, berichtet die Sponheimer, also habe sie gefragt: “Derf mer aaach singe? Und ich hab gederft.”
Was ein Glück – für Margit Sponheimer, Mainz und die Fastnacht. Letztere bekam Evergreens, die heute jedes Kind in Mainz kennt, und die Mainz weit über seine Grenzen hinaus berühmt machten. Für “außergewöhnliche musikalische Leistungen in der Mainzer Fastnacht” zeichnete der GCV Margit Sponheimer am Samstagabend mit dem “Goldenen Steher” aus, und die “Humbas” performten dazu ihren Hit: “Wenn Margit singt”.
“Es ist für mich eine außergewöhnliche Ehre”, bekannte Margit Sponheimer, “dass ich dazu ausgesucht wurde, habe ich mir gar nicht vorstellen können.” Auch den SSC habe sie beobachtet, “wie viel Musikalität hier geboten wird – das ist doch Zukunft”, staunte sie. Und dann durfte der Saal samt Zuschauern am Livestream die Magie der Margit Sponheimer gleich noch einmal live erleben, mit “Wähle 06131”, und natürlich dem “Rosenmontag” – eine unglaubliche Sternstunde mit riesigem Gänsehaut-Faktor.
Der SSC 2024 erlebt und schreibt Fastnachtsgeschichte und trägt zugleich die Mainzer Musikszene in die Zukunft: Der Song Contest, sagte Matthias Bockius noch, “ist für alle, die mitmachen, eine Unterstützung, egal ob man gewinnt oder nicht. Wir können zeigen, dass wir auch hier in Mainz tolle Songs haben.”
Info& auf Mainz&: Unser Porträt von Margit Sponheimer zum 80. Geburtstag findet ihr hier auf Mainz&. Videos von ihrem Auftritt folgen – das von “Dobbelbock” mit ihrem Siegerhit könnt Ihr hier auf dem Mainz&-Facebook-Kanal sehen. Und natürlich darf unsere (leider dieses Mal etwas eingeschränkte) Fotogalerie nicht fehlen – viel Spaß dabei: