Gut eine Woche nach der Flutkatastrophe an der Ahr wird das Ausmaß der Schäden immer deutlicher. 132 Tote sind allein in Rheinland-Pfalz bislang bestätigt, 766 Personen wurden verletzt, rund 150 Personen werden noch immer vermisst. Das gesamte Ahrtal bis zur Mündung hinunter ist verwüstet, Strom, Wasser, Brücken, Straßen, Schienen und Kläranlagen – die Infrastruktur im Tal ist über weite Strecken vollständig zerstört. Nach den Landwirten und Bauunternehmern, so wie den unzähligen Ersthelfern, kommen nun auch so langsam die Strukturen der staatlichen Stellen wieder in Gang. Die Landesregierung verspricht großzügige Hilfen – und steht doch vor einer Jahre dauernden Herkulesarbeit.

Eine gigantische Flutwelle zerstörte am späten Abend des 14. Juli praktisch das gesamte Ahrtal, hier ein Screenshot von einem Bericht des SWR. - Foto: gik
Eine gigantische Flutwelle zerstörte am späten Abend des 14. Juli praktisch das gesamte Ahrtal, hier ein Screenshot von einem Bericht des SWR. – Foto: gik

„Die deutsche Sprache kennt kaum Worte für die Verwüstung, die angerichtet worden ist“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrem Besuch im Tal. Es sind wahre Worte: Das Ausmaß der Schäden ist nicht zu fassen, es wird Wochen dauern, alles auch nur zu finden. Noch immer sind Orte im Ahrtal von der Außenwelt abgeschnitten, weil Straßen und Wege zerstört wurden und Brücken von der Flut schlicht hinweggefegt wurden. Die Flutwelle, die in der Nacht des 14. Juli über das Ahrtal hereinbrach, türmte sich über weite Strecken bis zu acht, neun Meter hoch – normalerweise plätschert die Ahr bei etwa 80 Zentimeter Wasserstand dahin.

„Vor einer Woche hat eine brachiale Naturgewalt Trauer und Leid über unser Land gebracht“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) am Donnerstag in einer Sondersitzung der Landtagsausschüsse: „Kein Damm konnte die Flutwelle aufhalten.“ Die Bilder der Zerstörung dieser Nacht „gehen mir nicht mehr aus dem Kopf, und die Trauer aus dem Herzen“, sagte Dreyer, „die Verluste und das Leid sind unermesslich.“ Nun trauere man „mit denen, die ihre Liebsten verloren haben“, sagte Dreyer, und versprach: „Ich kann Ihnen versichern: wir werden Sie nicht vergessen.“

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Schlammwüste nach der Flut: Dernau an der Ahr vergangenen Dienstag. - Foto: gik
Schlammwüste nach der Flut: Dernau an der Ahr vergangenen Dienstag. – Foto: gik

„Die Dimension dieser Zerstörung und dieser Katastrophe sind völlig neu“, sagte Innenminister Roger Lewentz (SPD) in der Landtagssitzung, die Bilder und Filme vermittelten „nicht das ganze Bild, sie können nicht in vollem Umfang das Leid und die Trauer vermitteln.“ Alleine die Zahlen der Zerstörung sind atemberaubend: 62 Brücken entlang des Ahrtals wurden von der Flutwelle komplett zerstört, 13 weitere stark beschädigt, sagte Lewentz. „Sehr sehr viele Straßen“ seien beschädigt, viele Straßen und Schienen existierten gar nicht mehr. 42.000 Menschen sind von den Folgen der Überflutung getroffen, die in der Nacht zum 15. Juli verheerend über das Tal hereinbrach.

Die Stromversorgung im gesamten Tal war in den ersten Tagen nicht mehr existent,  zerstört auch: die Wasserversorgung, Abwasserkanäle und Kanalisation, Gasleitungen sind geborsten, Mobilfunkmasten sind zerstört Die Technik der Kläranlage in Sinzig ist zerstört, über den Zustand zwei weiterer Kläranlagen weiß das Land noch so gut wie nichts – funktionsfähig sind sie in jedem Fall nicht. Die Experten warnen nun vor Seuchengefahr im Tal: Das Wasser der Ahr ist hochbelastet mit Schweröl, Chemikalien, Pestiziden und Fäkalien, auch Tierkadaver werden weiter in größeren Mengen gefunden – auch sie sowie menschliche Leichen vergiften Tal und Umwelt und gefährden die Gesundheit der Menschen.

Zerstörter Bahnhof in Dernau. - Foto: gik
Zerstörter Bahnhof in Dernau. – Foto: gik

Zerstört sind auch zahllose Geschäfte, Handwerksunternehmen und Betriebe, zahlreiche Weingüter wurden zerstört, Keller und Lagerbestände vernichtet. Die meisten Straßen waren von einer teilweise meterdicken Schlammschicht überzogen, mit dem Auto war in den ersten Tage kaum ein Durchkommen Busse fahren hier sowieso nicht mehr. Auch die Bahnstrecken existieren nicht mehr: „Die Ahrtalbahn ist derzeit auf nahezu voller Länge unbrauchbar und abschnittsweise gesperrt“, sagte Klimaschutzministerin Anne Spiegel (Grüne). Bahnhöfe sind zerstört, Gleise herausgerissen – die Bahn schätzte in einer ersten Mitteilung die Schäden auf 1,3 Milliarden Euro.

Eine Schätzung der Gesamtschäden gibt es bislang nicht, das finanzielle Ausmaß der Katastrophe sei überhaupt nicht abzusehen, sagte Finanzministerin Doris Ahnen (SPD): „Diese Katastrophe wird den Landeshaushalt auf Jahre hinaus belasten und beschäftigen.“ Die Bundesregierung stellte in einer ersten Soforthilfe 200 Millionen Euro für Rheinland-Pfalz zur Verfügung, die Landesregierung stellt ebenfalls 200 Millionen Euro bereit – es ist ein erster Tropfen auf einem sehr heißen Stein. Die Soforthilfen sollten „zur unmittelbaren Beseitigung von Schäden an Gebäuden und Infrastruktur sowie zur Überbrückung von Umsatzausfällen und Notlagen“ dienen, kündigte Dreyer an.

Zerstörte Brücke in Dernau über die Ahr. - Foto: gik
Zerstörte Brücke in Dernau über die Ahr. – Foto: gik

Das Klimaschutzministerium stellt zusätzlich 20 Millionen Euro für ein Sonderförderprogramm für die Schadensbeseitigung in den Kommunen zur Verfügung. Die Kommunen könnten die Mittel „ohne förmliches Vergabeverfahren verausgaben“, betonte Ministerin Spiegel. Auch für öffentliche Aufträge oberhalb der EU-Schwellenwerte könnten Leistungen schnell und effizient ohne Teilnahmewettbewerb beschafft werden. Ihre Hilfe bot die Architektenkammer Rheinland-Pfalz an: Betroffen seien ja auch Gebäude und Büroausstattungen, Baustellen seien überflutet oder zerstört worden. Die Kammer rief ihre Mitglieder, insbesondere Experten mit Katastrophen- und Hochwassererfahrung zum Helfen auf und kündigte die Bereitstellung von Listen von Sachverständigen im Bereich Bauschäden an – zu finden hier im Internet.

Einen normalen Alltag wird es im Ahrtal sehr lange nicht geben, das zeigen auch diese Zahlen: 19 Kitas sind beschädigt oder nicht mehr erreichbar, sagte Ministerin Spiegel, 14 von 16 Schulen können derzeit nicht genutzt werden – betroffen sind allein 7.000 Schüler. Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) hofft nun auf die Hilfe aus benachbarten Gemeinden. Gemeinsam mit Schulträgern, Schulaufsicht, dem Landesamt für Soziales sowie den Beteiligten „suchen wir für die Zeit nach den Sommerferien nach flexiblen und unbürokratischen Lösungen“, sagte Hubig.

Schutt und Zerstörung am Weingut Schlosshof in Dernau. - Foto: gik
Schutt und Zerstörung am Weingut Schlosshof in Dernau. – Foto: gik

Viele Menschen im Tal haben aber nicht nur ihr gesamtes Hab und Gut verloren – sondern auch ihre Arbeit und ihre Existenzgrundlage, Arztpraxen und Apotheken sind zerstört. Betroffene, die einen Schaden an Wohnraum, Hausrat oder Kleidung erlitten haben, erhalten nun eine erste Soforthilfe von 1.500 Euro pro Haushalt als Sockelbetrag, dazu kommen 500 Euro für jede weitere zusätzliche Person im Haushalt. Maximal können 3.500 Euro pro Haushalt ausgezahlt werden, teilte das Land mit. Eine Vermögensprüfung sei nicht notwendig, Spenden würden nicht angerechnet.

Für Unternehmen gibt es eine Soforthilfe-Pauschale in Höhe von 5.000 Euro pro Unternehmen, auch diese „Soforthilfe Unternehmen“ soll ohne umfangreiche Prüfung gewährt werden, verspricht das Land. Es genüge „der glaubhafte Nachweis, dass die Betriebsstätte im unmittelbaren Hochwasserschadensgebiet liegt und dass dem Antragsteller oder der Antragstellerin ein Schaden von mindestens 5.000 Euro an dieser Betriebsstätte entstanden ist.“ Antragsberechtigt sind Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft einschließlich der Angehörigen Freier Berufe und selbstständig Tätigen sowie Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft – genau Details findet Ihr unter

Helfer werden auch weiterhin in der Region beim Anpacken dringend gesucht. - Foto: gik
Helfer werden auch weiterhin in der Region beim Anpacken dringend gesucht. – Foto: gik

Eine Woche nach der Katastrophe startete die Landesregierung Rheinland-Pfalz nun auch eine eigene Plattform, auf der Hilfsangebote und Hilfegesuche gepostet und vernetzt werden können – allerdings muss man erst ein eigenes Login dafür anlegen. 731 Hilfsangebote seien auf der Plattform „Fluthilfe“ bereits eingegangen, hieß es am Donnerstag von Seiten des Landes. Auf den verschiedenen Spendenkonten fließen zudem Hilfsgelder: Allein beim Land gingen bis Donnerstag schon mehr als 8,5 Millionen Euro ein, der Fernsehsender ZDF sammelte bereits 20 Millionen ein – in der ARD wurden am Freitagabend bei einer großen Spendengala weitere Gelder für die Opfer in der Region gesammelt.

Beim Land versichert man, steuerliche Erleichterungen gebe es für Spenden und Spendenaktionen, so genüge unter anderem als Nachweis für Zuwendungen, die bis zum 31. Oktober 2021 zur Hilfe in Katastrophenfällen auf ein für den Katastrophenfall eingerichtetes Sonderkonto eingezahlt würden, der Bareinzahlungsbeleg oder die Buchungsbestätigung eines Kreditinstitutes.

Das Wasser der Ahr ist hochgradig verseucht. - Foto: gik
Das Wasser der Ahr ist hochgradig verseucht. – Foto: gik

Inzwischen kehrt so langsam wenigstens das Mobilfunknetz im Tal zurück, an manchen Stellen auch der Strom – das aber geht nur dort, wo es keine großflächigen Überschwemmungen gab. Ansonsten droht Brandgefahr, wie überhaupt die Zeit nach der Flut ihre eigenen Gefahren birgt: Nun droht der Ahr-Region eine Katastrophe für Umwelt und Gesundheit. Denn nicht nur das Wasser der Ahr ist hochbelastet mit Schadstoffen aller Art, auch der Schlamm, der Keller, Straßen und Häuser flutete, ist gefährlich – auch in getrocknetem Zustand.

„Wir müssen davor dringend davor warnen, das Wasser der Ahr zu nutzen“, warnt Nikolai Zaplatynski vom Lagezentrum Hochwasser Ahr. In die Ahr seien „alle möglichen Verunreinigungen“ aus Häusern, Autos, Tankstellen und Betrieben geschwemmt worden. Dazu gehörten Kraftstoffe, Reinigungsmittel, Pestizide sowie die Abwässer der Kläranlagen und damit Fäkalien aller Art. „Die größten Mengen stammen von Ölheizungen, die sind da weit verbreitet“, sagte Zaplatynski gegenüber Mainz&. Das Wasser der Ahr sei weder zum Waschen und auch nicht als Brauchwasser geeignet, nicht einmal im abgekochten Zustand.

Ein zähflüssiger Schlamm überzieht alles, was von den Fluten bedeckt oder mitgerissen wurde. - Foto: gik
Ein zähflüssiger Schlamm überzieht alles, was von den Fluten bedeckt oder mitgerissen wurde. – Foto: gik

Die Kanalisation ist mit Schlamm verstopft, der nicht abfließen kann, die Behörden bitten darum, nicht auch nicht Toilettenanlagen zu nutzen, die noch vorhanden sind – inzwischen werden in den orten versorgungspunkte mit Dixieklos und Duschen eingerichtet. Hochgradig belastet mit Schadstoffen ist aber auch der zähflüssige Schlamm, der alles bedeckt: „Auch der Schlamm an sich ist infektiös“, warnt Zaplatynski, Helfer sollten unbedingt dichte Handschuhe und Gummistiefel tragen undichte Haut vor Kontakt schützen.

Und auch in dem feinen Staub des getrockneten Schlamms seien „die Schadstoffe gebunden, die in der Ahr waren“, betont Zaplatynski: „Man sollte vermeiden, den Staub einzuatmen.“ Den Helfern werde deshalb dringend empfohlen, Schutzmasken zu tragen, gerade beim Ausräumen von Kellern. Das wiederum hilft auch gegen eine andere Pandemie, die angesichts der Mega-Katastrophe völlig aus dem Blick gerät: Die Corona-Pandemie. Die Behörden befürchten eine neue Corona-Infektionswelle im Tal, weil dort Menschen dicht an dicht und ohne jeden Schutz nebeneinander und miteinander arbeiten.

Auch der allgegenwärtige Staub des getrockneten Schlamms ist mit Giftstoffen belastet. - Foto: gik
Auch der allgegenwärtige Staub des getrockneten Schlamms ist mit Giftstoffen belastet. – Foto: gik

Ein Impfbus und mobile Impfteams hätten diese Woche ihre Arbeit im Hochwassergebiet begonnen und böten Corona-Erst- und Zweitimpfungen sowie Corona-Schnelltests an, teilte das Land am Freitag mit. Betroffen von der Katastrophe ist auch das Impfzentrums des Landkreises Ahrweiler, das Land stellte 350.000 Testkits für die Region zur Verfügung. Arztpraxen, Krankenhäuser und Apotheken hätten sich vor Ort zusammengefunden, um die medizinische Versorgung in dieser kritischen Situation sicherzustellen, teilte Dreyer mit.

Es gehe zudem eine erhebliche Infektionsgefahr von menschlichen Leichen sowie von Tierkadavern aus, warnt Zaplatynski: „Auf keinen Fall anfassen!“ Die Behörden rechnen nun mit einem verstärkten Auftreten von Infektionskrankheiten wie Magen-Darm-Krankheiten oder auch Noroviren, in der feuchten und heißen Luft können sich Bakterien und Viren rasant vermehren. Gründliches Händewaschen sei deshalb wichtig Gründliches Händewasser, raten die Behörden – und abgepacktes Wasser zu nutzen.

Info& auf Mainz&: Das zentrale Infoportal des Landes Rheinland-Pfalz rund um die Flutkatastrophe findet Ihr hier im Internet, Informationen rund um das Thema Soforthilfe, wie man sie beantragen kann, wo es sie gibt, das findet Ihr hier im Internet beim Land Rheinland-Pfalz. Unsere Reportage aus dem zerstörten Ahrtal sowie die Frage danach, wie die Menschen gewarnt wurden, lest Ihr hier bei Mainz&. Eine ganz persönliche Kolumne mit vielen Eindrücken und Gedanken zu dieser unglaublichen Flutkatastrophe lest Ihr hier bei Mainz&.  Viele Menschen wollen vor Ort mit anpacken, die Hilfskräfte bitten eindringlich darum, nicht einfach mit dem Auto ins Tal zu fahren. Es gibt inzwischen mehrere Helfer-Shuttles, eine Plattform dazu findet Ihr hier im Internet, sowie in den sozialen Netzwerken.

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