Die Fraktion der Freien Wähler im Mainzer Landtag ist am Montag implodiert: Gleich zwei Landtagsabgeordnete erklärten völlig überraschend ihren Austritt aus der Fraktion. Der Abgeordnete Herbert Drumm trat mit sofortiger Wirkung am Montag aus, Bernhard Alscher will diesen Schritt zum 6. Oktober 2024 vollziehen. Damit verlieren die Freien Wähler ihren Fraktionsstatus im Landtag, und zehn Mitarbeiter wohl ihren Job. Bei den Freien Wählern in Mainz herrscht Entsetzen: „Es ist eine Schande, dass Politiker in den eigenen Reihen der Freien Wähler so wenig Anstand besitzen“, schimpfte Kreischef Christian Weiskopf.
Der Krach ist eine Folge der Europawahl und wohl auch eines innerparteilichen Machtkampfes, der schon länger schwelte: 2021 waren die Freien Wähler bei der Landtagswahl im März erstmals in ihrer Geschichte in den rheinland-pfälzischen Landtag eingezogen, ihr Wahlergebnis von 5,4 Prozent galt als Riesenerfolg. Einfach war das nie: Die Freien Wähler bestehen traditionell eher aus Freien Wählergemeinschaften, erst 2010 schloss man sich nach langen Debatten zu einem Landesverband zusammen.
Als Väter des Erfolges gelten zwei Männer: Der frühere Bitburger Landrat Joachim Streit sorgte mit einem pfiffigen Wahlkampf, in dem er mit seinem „Streit-Wagen“ über die Lande zog, für das freundliche Gesicht und den Schwung in der Kampagne, zudem brachte Streit den Rückenwind als erfolgreicher Landrat im Norden von Rheinland-Pfalz mit. Als „Mastermind“ im Hintergrund aber galt Stephan Wefelscheid, seit 2014 Landesvorsitzender der Freien Wähler. In der neuen Landtagsfraktion wurde Streit Fraktionschef und Wefelscheid Parlamentarischer Geschäftsführer, die Fraktion erarbeitete sich bemerkenswert schnell einen guten Ruf im Parlamentsgeschäft.
Drumm und Alscher erklären Austritt aus Fraktion der Freien Wähler
Damit dürfte es nun erst einmal vorbei sein: Am Montag erklärten binnen Stunden erst der Bad Kreuznacher Abgeordnete Herbert Drumm, und dann der Birkenfelder Abgeordnete Bernhard Alscher ihren Austritt aus der Landtagsfraktion – ein Paukenschlag. Denn die sechsköpfige Fraktion fällt damit auf nur noch vier Mitglieder zurück, und sie verliert damit ihren Fraktionsstatus im Mainzer Landtag, für den es mindestens fünf Abgeordnete braucht. Das hat gravierende Folgen für die Finanzierung sowie für Rederechte und Ausschusssitze – die Fraktionsarbeit dürfte damit weitestgehend zum Erliegen kommen.
Beide Abgeordnete aber begründeten ihren Schritt mit dem zerrütteten persönlichen Klima in der Fraktion, sowie mit Egoismus und Machtstreben von Seiten der führenden Köpfe. Er gehe, weil in der Fraktion eine ordentliche Arbeit nicht mehr möglich sei, sagte Drumm am Abend der Sendung SWR Aktuell. „In dieser Situation kann die Fraktion das, was sie eigentlich soll, nicht wirklich erfüllen“, sagte Drumm im SWR: „Nämlich zum Wohle des Landes und der Bürger und ohne allzu große persönliche Befindlichkeiten arbeiten.“
Drumm ist nicht irgendwer: 2021 war er mit der Gründungsmannschaft in den Landtag eingezogen, dazu ist der Bad Kreuznacher stellvertretender Landesvorsitzender. Der Diplom-Physiker ist Studiendirektor im Ruhestand, in der Fraktion der Freien Wähler kümmerte er sich vorwiegend um die Themen Umwelt, Wissenschaft und Kultur. Bernhard Alscher wiederum war erst am 5. September 2024 in den Mainzer Landtag eingezogen – als Nachrücker für Joachim Streit.
Alscher: Persönliches und Machtstreben stehen im Vordergrund
Auch der Tierarzt und bisherige Bürgermeister der Verbandsgemeinde Birkenfeld, Alscher, gilt als höchst streitbarer Charakter, im Landtag wollte er seine kommunalpolitische Erfahrung einbringen und wurde aus dem Stand heraus innenpolitischer Sprecher – ein wichtiges Amt in einer Fraktion. Nun sagte er gegenüber dem SWR, er sei entsetzt, „dass das Persönliche so im Vordergrund steht, und Macht so eine große Rolle spielt – das hätte ich nicht gedacht.“ Verbunden sei das für ihn mit „dem Verlust der Fachlichkeit“, der Grundsatz der Freien Wähler aus sachorientierte Arbeit „ist momentan in meinen Augen zerstört.“
Das ist eine Breitseite gegen den neuen Fraktionschef der Freien Wähler: Helge Schwab war erst Ende Juni 2024 völlig überraschend zum Nachfolger von Fraktionschef Joachim Streit gewählt worden – und hier liegen offenbar die Gründe für die derzeitigen Zerwürfnisse. Denn Joachim Streit war für viele überraschend als Kandidat zur Europawahl im Juni angetreten, und zog tatsächlich ins Brüsseler Parlament ein. Nach Mainz&-Informationen tat sich der Eifeler jedoch schwer damit, seinen Platz in der Landtagsfraktion in Mainz zu räumen.
Mit der Wahl seines Nachfolgers als Fraktionschef wartete die Fraktion dann auch nicht, bis Streit seinen Stuhl geräumt, und sein Nachrücker im Landtag die Arbeit aufgenommen hatte: Bei der Wahl Ende Juni stimmte Streit noch mit. Und dabei eskalierte ein offenbar im Hintergrund schon länger schwelender Machtkampf: Denn der eigentlich designierte Nachfolger als Fraktionschef – Landeschef Stephan Wefelscheid – fiel bei der Wahl völlig überraschend durch, stattdessen wurde der bisher sehr blasse Pfälzer Helge Schwab gewählt.
Landeschef Wefelscheid: „Man will meinen Stuhl“
Wefelscheid trat daraufhin auch als Parlamentarischer Geschäftsführer zurück, und musste sich fortan mit einem Platz in der letzten Reihe des Landtags zufrieden geben – neben dem Landtagsneuling Alscher. Vergangene Woche posteten beide noch vergnügt ein Foto ihrer Sitzgemeinschaft: „Ich bin wirklich froh, den Kollegen Bernhard Alscher in der Fraktion zu haben“, schrieb Wefelscheid dazu – er habe mit ihm bisher gut zusammenarbeiten können.
Gleichzeitig aber mehrten sich diffuse Vorwürfe gegen Wefelscheid, er habe einen „autoritären Führungsstil“ – wegen dieser Kritik scheiterte Wefelscheid vergangenen Samstag beim Landesparteitag der Freien Wähler in Kordel bei der Wahl zum Tagungspräsidenten. Wefelscheid hält die Vorwürfe für vorgeschoben: „Man will eigentlich etwas ganz anderes: man will auf meinen Stuhl“, sagte Wefelscheid dem SWR – der Landesvorsitzende steht massiv unter Druck. Er finde die Debatte „fadenscheinig, damit jetzt zu kommen, ist vorgeschoben“, sagte der Landeschef, denn „man wusste, man hat mit mir Erfolg.“
Für Diskussionen hatte im Vorfeld des Parteitags vor allem ein Antrag gesorgt, der das Hissen der Regenbogenfahne vor öffentlichen Gebäuden ablehnte, aber auch das Selbstbestimmungsgesetz zur Änderung des eigenen Geschlechts – und auch das Wort „divers“ wollten die Antragsteller zunächst aus öffentlichen Papieren streichen. Selbst der Bundesvorsitzende BAG Queer bei den Freien Wählern, Daniel Meincke, zeigte sich Medienberichten zufolge „schockiert“ und sprach von einer queer-feindlichen Initiative – der Antrag wurde entschärft und verschwand auf dem Parteitag in einem Ausschuss.
Queer-feindliche Strömungen bei den Freien Wählern?
Der Generalsekretär der Freien Wähler, Christian Zöpfchen, hatte zuvor die Vorwürfe, es gäbe queer-feindliche Anträge zur Abstimmung als „haltlos“ zurückgeworfen, doch Beobachter nicht nur aus der queeren Szene sahen den Antrag in großer Nähe zu den Positionen der rechtsextremen AfD. Tatsächlich gab es in den vergangenen Monaten schon mehrfach Auseinandersetzungen im Landesverband um die Frage einer Abgrenzung nach Rechtsaußen: Im Februar hatte Wefelscheid einen Antrag für den Bundesparteitag der Freien Wähler für eine schärferer Abgrenzung gegen die AfD auf den Weg gebracht.
Zuvor hatte Wefelscheid bereits mit seiner Kritik an Bundeschef Hubert Aiwanger nach dessen Affäre um ein Flugblatt mit rechtsextremen Parolen aus seiner Schulzeit in seinem eigenen Landesverband für Kritik gesorgt, nun musste sich Aiwanger persönlich für den Antrag stark machen, der schließlich eine überwältigende Mehrheit von 92 Prozent fand. Die Freien Wähler hatten damit ein Kooperationsverbot mit der AfD beschlossen – mit Nein stimmten ausgerechnet die vier Mitglieder der Landtagsfraktion in Mainz außer Streit und Wefelscheid.
Es gebe im Landesverband derzeit „eine liberale und eine sehr konservative“ Strömung, sagte Wefelscheid denn zuletzt auch – der Kampf um die inhaltliche Ausrichtung der Freien Wähler ist offenbar auch ein Hintergrund für den Knall in der Fraktion. Drumm lobte gar am Montag noch, die Fraktion der Freien Wähler habe lange Zeit gute Arbeit geleistet, „insbesondere in ihrer Oppositionsrolle und ganz besonders durch Herrn Wefelscheid“. Das habe sich mit dem Weggang Streits nach Brüssel grundlegend geändert, sagte Drumm in einer Mitteilung – und kritisierte auch: Es sei Streits Stimme gewesen, die den Ausschlag bei der Vorstandswahl in der Fraktion gegeben habe. „Ich halte Dr. Streits Vorgehensweise für äußerst bedenklich, sie ist die Hauptursache für die jetzige katastrophale Situation“, erklärte Drumm.
Schwab keilt zurück: Egoismus, Wortbruch, Rücktrittsultimatum
Dazu aber schaffte es der neue Fraktionschef Schwab offenbar nicht, die Wogen in der Fraktion zu glätten und ein vertrauensvolles Arbeitsklima herzustellen: Drumm habe nach der Fraktionssitzung am Montag den Fraktionsvorstand aufgefordert, geschlossen zurücktreten – er gebe dem Vorstand dazu fünf Minuten Zeit“, klagte Schwab in einer Pressemitteilung: Nur so könne der Vorstand Drumms Austritt aus der Fraktion noch verhindern.
„Selbstverständlich lässt sich der Vorstand der Freien Wähler-Landtagsfraktion weder nötigen noch erpressen“, schimpfte Schwab daraufhin, und legte zwei Stunden später in Sachen Alscher noch nach: Alscher habe seinen Kollegen „zu Unrecht eine Bereicherungsabsicht und Egoismus vorgeworfen“, kritisierte Schwab, und warf seinerseits Alscher Wortbruch vor: Alscher habe als Nachrücker die „erarbeitetet Position“ der Landtagsfraktion übernommen, und sei „in den fast drei Monaten seiner Fraktionsmitgliedschaft insgesamt drei Wochen anwesend“ gewesen, schimpfte Schwab – in diesen drei Monaten war allerdings auch die sechswöchige parlamentarische Sommerpause enthalten.
Alschers Austritt aus der Fraktion bedeute „einen Vertragsbruch gegenüber den Fraktionskollegen“, schimpfte Schwab nun, und forderte sowohl Alscher als auch Drumm auf, ihre Landtagsmandate niederzulegen. Zudem sei Drumm auch als Landesvize „nicht mehr haltbar“, legte Schwab nach, und kritisierte vor allem: Drumm und Alscher gefährdeten die Existenz und somit den Arbeitsplatz von zehn sowie die Arbeitsfähigkeit der Fraktion.
Freie Wähler verlieren Räume, Mitarbeiter und Rechte im Landtag
Tatsächlich ist dieser Einschnitt für die Freien Wähler gravierend: Die Fraktion verliert damit wohl ihren gesamten Unterbau samt Fachreferenten und Pressestelle. Wie der SWR berichtet, müssen die Freien Wähler durch den Verlust des Fraktionsstatus monatlich auf mehr als 86.000 Euro verzichten, dazu kommen nur noch eingeschränkte Rederechte im Parlament und der Verlust des Stimmrechts in den Parlamentsausschüssen. Auch eigene Gesetze können die fraktionslosen Freien Wähler künftig nicht mehr in den Landtag einbringen. Damit steigt die Zahl der fraktionslosen Abgeordneten im Landtag Rheinland-Pfalz auf mittlerweile sechs: Neben den beiden Freien Wählern sitzen dort bereits drei ehemalige AfD-Abgeordnete als Fraktionslose sowie der Ex-Grüne Andreas Hartenfels, der mittlerweile dem Bündnis Sahra Wagenknecht beigetreten ist.
Entsetzt äußerte sich denn auch der Kreisverband der Freien Wähler: „Die beiden Herren, die im Rentenalter stehen, sollten ihr Mandat zurückgeben, anstatt den Erfolg vieler ehrenamtlicher Freier Wähler aus reinem Egoismus zu zerstören“, kritisierten Kreischef Christian Weiskopf und Stadtrat Erwin Stufler. Drumm und Alscher seien „selbst mit ihren Pensionen gut abgesichert“, setzten aber ohne Weiteres die Zukunft der Angestellten der Fraktion „durch ihr Handeln aufs Spiel“, schimpfte Weiskopf: „Es ist eine Schande, dass Politiker in den eigenen Reihen der Freien Wähler so wenig Anstand besitzen, und nur an ihre eigenen Interessen denken, statt an die Partei – egal, wer an der Situation schuld ist.“
SPD-Fraktionschefin Sabine Bätzing-Lichtenthäler sprach denn auch von „einem jämmerlichen Schauspiel, das nur Verlierer produziert.“ Die größten Verlierer seien dabei die Wähler: „Es zeigt sich nun sehr deutlich, was schon seit einiger Zeit zu spüren war“, sagte Bätzing-Lichtenthäler weiter: „Die Fraktion Freie Wähler eint kein politischer Gedanke oder kein gemeinsames Ziel, stattdessen haben wir es mit einem bunt zusammengewürfelten Haufen von Einzelkämpfenden zu tun.“ So lasse sich keine ernsthafte Politik im Parlament zum Wohle der Rheinland-Pfälzer machen, „das ist eine Tiefpunkt“, fügte sie hinzu.
Info& auf Mainz&: Mehr zum Streit der Freien Wähler um die inhaltliche Ausrichtung findet Ihr hier beim SWR, mehr über den heutigen Knall in der Fraktion samt der Statements, die wir zitiert haben, hier.