Das Weingut J. Neus in Ingelheim gehörte einst zu den berühmtesten Weingütern Deutschlands, in der Viktorianischen Zeit wurden die Weine der Ingelheimer zu Höchstpreisen gehandelt. Vor sechs Jahren stand das renommierte Gut kurz vor dem Aus: ein Wohnpark sollte aus dem wunderschönen Grundstück mit der alten Gründerzeitvilla werden, die Mainzer Unternehmerfamilie Schmitz – Besitzerin der Spedition G.L.Kayser – rettete das Weingut J. Neus in letzter Minute. Seither arbeitet ein junges, hoch engagiertes Team daran, das alte Weingut aus dem Dornröschenschlaf zu holen und zurück zu alter Stärke zu führen. Am Sonntag könnt Ihr die Ergebnisse selbst probieren: Das Weingut lädt am 13. Mai von 14.00 Uhr bis 19.00 Uhr zur großen Frühjahrsprobe. Mainz& hat das Weingut im Februar besucht und diesen Beitrag für den Blog der Great Wine Capitals mitgebracht.

Lewis Schmitt, Geschäftsführer des Weinguts J. Neus in der neuen Vinothek des Weinguts. – Foto: gik

Der Gründer hängt an der Wand. „Ja, Josef Neus schaut uns immer zu“, sagt Lewis Schmitt, und führt mich zu dem schlanken Jugendstil-Trinkbrunnen aus Stein im hinteren Raum der Victorianischen Villa, mitten im Herzen von Ober-Ingelheim. Alte Panele ziehen sich an den Wänden entlang, auch sie sind noch original, doch vorne im Gebäude erwartet uns eine hochmoderne Vinothek. Die neuen Räume, die Verbindung zwischen Alt und Neu zusammen mit dem wunderschönen Park – genau dafür erhielt das Weingut J. Neus den Best of Wine Tourism Award 2018 in der Kategorie Architektur, Parks und Gärten.

„An diesem Brunnen hat Neus Senior seine Cuvees kreiert, und auch wir arbeiten hier heute noch“, sagt Schmitt. Der elegante Trinkbrunnen wird von einer eigenen Hausquelle mit Wasser gespeist, die alte Standheizung im Flur war einmal die erste ihrer Art in ganz Ingelheim – die Neussens, sie waren einst Vorreiter der Moderne im 19. Jahrhundert. „Neus Senior war Spätburgunder-begeistert, deshalb kam er nach Ingelheim“, erzählt Schmitt.

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Die kleine Stadt im Rücken der großen Great Wine Capital Mainz ist seit Jahrhunderten eine Rotwein-Enklave. Karl der Große gründet hier einst eine seiner berühmten Kaiserpfalzen, seit dem Mittelalter wächst roter Burgunder auf den Sand- und Kalkhängen der Umgebung. „80 Prozent Spätburgunder“, sagt Schmitt prompt, nach der wichtigsten Rebsorte des Weinguts gefragt. Im Riesling- und Silvaner-Land Rheinhessen liegt die wahre Berufung der Ingelheimer beim Rotwein.

Schmitt an dem historischen Trinkbrunnen aus der Gründerzeit des Weinguts J. Neus. – Foto: gik

An der Wand berichtet eine alte Urkunde von einer Bronzemedaille, die Josef Neus auf der berühmten Weltausstellung von 1900 für einen seiner Weine einheimste. In der Viktorianischen Zeit, als deutsche Weine weltweit berühmt und begehrt waren, spielten auch die Neus’schen Kreationen ganz vorne mit. Das Weinhaus Neus hatte eigene Niederlassungen in Shanghai und London, Neus heimste Preise in Paris und den USA ein. 70 Hektar Rebflächen gab es zur Hochzeit. Die Familie gehörte zu den Gründern des Verbands der Spitzenweingüter VDP, ab 1917 gehörte ihr der berühmte Queen Victoria Weinberg in Hochheim. 1965 übergab Neus Junior beim Besuch von Queen Elizabeth in Wiesbaden drei Flaschen Hochheimer als Geschenk.

„Neus war der Sohn einer gut betuchten Küferfamilie von der Mosel“, erzählt Schmitt, 1881 gründete er ein Weinhandelshaus in Ingelheim. Die ersten Weinberge stellten sich ein, also gründete Neus 1894 auch noch ein Weingut dazu. Wir haben den alten Neus-Klon teilweise noch in den Weinbergen stehen, das sind heute 50-60 Jahre alte Reben“, erzählt Schmitt. Die wunderschöne Jugendstil-Villa samt Park, Weinberg und Nebengebäude erbaute der Gründer bereits 1883, ebenso die riesigen unterirdischen Kelleranlagen. „Man kann hier im Viereck laufen“, sagt Schmitt, während wir durch das große Untergrundreich streifen.

Eine uralte Kellerflora bedeckt die Gewölbedecke in den weiten Räumen, Holzfass an Holzfass zieht sich die Wände entlang – die Bandbreite reicht vom modernen französischen Barriquefass bis hin zu den uralten Eichenfässern von der Mosel. In einem Gang stapeln sich uralte Champagnerflaschen in einer Nische an der Wand, dick bedeckt mit Staub und Spinnweben. „Das ist Rosé Sekt, Jahrzehnte alt und nicht mehr zum Verzehr erlaubt“, sagt Schmitt. Es ist eine der vielen Hinterlassenschaften der alten Besitzer, ebenso wie die alten Eisenregale, voll mit uralten Flaschen.

Die riesigen alten Keller unter dem Weingut J. Neus in Ingelheim. – Foto: gik

1968 verstarb Neus Junior, mit ihm ging der Familienname verloren. Das Weingut übernahm der Mann von Neus‘ Tochter Ursula, Rüdiger Burchards, ein Kapitänleutnant zur See. Wirklich glücklich war die Ära der Burchards nicht, das Projekt etwas zu groß, das Weingut fiel in einen Dornröschenschlaf. 2012 übernahm die Mainzer Unternehmerfamilie Schmitz, Besitzer der Spedition G.L.Kayser, das Weingut J. Neus – und das in letzter Minute. Ulrich Burchards, der letzte Nachfahre des alten Neus, hatte selbst keine Erben für das Weingut und wollte verkaufen. „Das sollte hier ein Wohnpark mit 26 Wohneinheiten werden, der Keller eine Tiefgarage“, sagt Schmitt, „es war schon alles genehmigt.“ Buchstäblich in letzter Minute retteten die Schmitz‘ das Weingut – und starteten die Wiedererweckung des Kleinods.

„Wir wollen uns mit den Topbetrieben in Deutschland messen“, sagt Schmitt selbstbewusst, der 27 Jahre alte Bachelor der Internationalen Weinwirtschaft kam vor zwei Jahren als Betriebsleiter ins Weingut J. Neus. Seine Eltern haben ein kleines Weingut an der Ahr, „ich lebe Spätburgunder“, sagt Schmitt. Im Team mit Kellermeister Julian Meißner wollen sie nun die Neus’schen Weine zurück zu alter Größe und Strahlkraft bringen. Schon jetzt sind die Spätburgunder tiefrote Tropfen mit intensivem Beerenaroma, Holznoten und der reichen Mineralik der Muschelkalkböden. „Wir wollen die Spätburgunder wieder ins alte, glänzende Licht bringen“, sagt Schmitt.

Im November 2015 wurde die neue Vinothek in der alten Villa eingeweiht, neue Etiketten sollen den Imagewechsel verdeutlichen. „Wir arbeiten ökologisch, die Weichen sind alle auf Qualität gestellt“, sagt Schmitt: „Das Weingut soll wieder nach vorne kommen, das hat es einfach verdient – dafür leben die Wände hier viel zu sehr Geschichte.“

Info& auf Mainz&: Mehr zum Weingut J. Neus in Ingelheim findet Ihr auf dieser Internetseite des Weinguts. Und an diesem Sonntag laden die Macher gleich im Anschluss an das Weinhöfefest zur großen Frühjahrsprobe: Von 14.00 bis 19.00 Uhr könnt Ihr am 13. Mai 2018 den neuen Jahrgang 2017 bei den Weißweinen sowie die aktuellen Rotweine sowie spannende Fassproben aus dem Gewölbekeller verkosten. Den original Blogbeitrag zum Weingut J. Neus bei den Great Wine Capitals auf Englisch findet Ihr genau hier. Warum Mainz& für die GWC bloggt, steht genau hier.

 

 

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