Das Problem ist ein altes: Der Hund ist ein geliebtes Familienmitglied, doch dann wird der Job zeitaufreibend, es kommt eine Krankheit dazu oder Alter – und der vierbeinige Liebling ist viel zu viele Stunden allein. Wer geht jetzt mit ihm Gassi? Wer spielt mit dem Hund, wer kann ihn versorgen? Seit 2016 gibt es dafür in Mainz eine wahrlich innovative Lösung: Beim „Hundetraum“ gehen professionelle Hundebetreuer mit den Kunden Gassi, versorgen sie, spielen mit ihnen. Das Besondere dabei: Das Projekt der „Mission Leben“ hilft Langzeitarbeitslosen und ehemaligen Obdachlosen zurück in eine geregeltes Leben – ein Projekt, das allen hilft. 14 Hunde versorgen die Gassigeher bereits, der Bedarf ist indes viel größer. Und genau deswegen sammelt der „Hundetraum“ derzeit beim Deutschen Integrationspreis mittels einer Crowdfunding-Kampagne Spenden – es winkt sogar einer der Hauptpreise.
Milo ist ein lebhafter Staffordshire Bullterrier, ein schöner Kerl mit sanftem Blick und viel Power. „Das war unser Gassigeh-Hund im Tierheim“, erzählt Stefan Illing, im Dezember 2017 wurde Milo dauerhaft Teil seines Lebens. „Ich hätte ihn gerne schon früher genommen, aber das ging einfach nicht – wegen der Arbeit“, sagt Illing. Acht Stunden am Tag wäre Milo allein zuhause, gäbe es da nicht die treuen Helfer des „Hundetraums“: „Die kommen mittags vorbei, holen den Hund ab, gehen Gassi und bringen ihn wieder zurück“, sagt Illing, „wir sind echt froh, dass es das gibt.“
Der Mainzer „Hundetraum“ bietet einen bislang einmaligen Service: Die Mitarbeiter betreuen tagsüber Hunde, deren Besitzer selbst keine Zeit zum Gassigehen haben. Zur vereinbarten Zeit wird der vierbeinige Liebling abgeholt und bekommt Streicheleinheiten und Auslauf. „Ich beschäftige, spiele, streichele, kraule“, sagt Michel Meinhardt, „mache auch ein bisschen Grunderziehung wie Leinenführung, das muss auch sein.“
Das Besondere am „Hundetraum“: Die Gassigeher sind alles ehemalige Langzeitarbeitslose, am Anfang waren es sogar ehemalige Wohnsitzlose, die Tanja Scherer von der „Mission Leben“ einspannte. „Ich hatte selbst bis vor vier Jahren einen Hund, Perro“, erzählt Scherer, „den hatte ich immer mit hier auf Arbeit.“ Seit 2000 arbeitet die Diplom-Pädagogin in der psychosozialen Beratungsstelle der Wohnungslosenhilfe Mainz, Mitte 2005 übernahm sie die Bereichsleitung.
„Immer wenn ich mal keine Zeit hatte, hab ich den Hund meinen wohnungslosen Menschen mitgegeben“, erzählt Scherer, „meinem Hund ging es richtig prima – und die Obdachlosen waren stolz, dass ich ihn den anvertraute.“ Dann forderte „Mission Leben“ seine Mitarbeiter auf, eine innovative Geschäftsidee einzubringen – Scherer dachte sofort an das Thema Hundeausgeher. „Hunde sind eine tolle Geschichte, um Menschen zusammenzubringen“, sagt sie. Also schlug sie einen „Hundeausgehservice“ vor, um ehemalige Obdachlose oder Langzeitarbeitslose wieder an eine regelmäßige Tätigkeit zu gewöhnen.
Die Vorteile lägen auf der Hand, sagt Scherer: Wer länger aus dem Beruf heraus sei, habe zwar Fähigkeiten, aber oft eine schlechte Wertschätzung, sagt sie: „Durch das Vertrauen, das er erfährt, wird Selbstvertrauen aufgebaut.“ Mit Hunden ausgehen sei „eine anspruchsvolle Tätigkeit“, betont sie: „Man muss sich auf Neues einstellen, auf neue Hunde, neue Situationen.“ Der Ausgehservice bringe Struktur in den Tag – und Verantwortung.
Drei Hunde führt Natalie Becker am Tag aus, die 36-Jährige war lange arbeitslos, fiel in Depressionen. Dann machte sie ein Praktikum im Tierpark in Mainz-Kastel, da fand sie heraus, dass sie unheimlich gerne mit Tieren arbeitet. „Da rief das Jobcenter an: wir hätten da was für Sie“, erzählt Becker, „ich war so was von glücklich, bin es immer noch.“ Seit März hat sie nun eine Teilzeitstelle beim „Hundetraum“, zwischen 9.40 und 10.00 Uhr muss ei bei ihrem ersten Klienten sein, zwei weitere folgen.
„Es ist wunderschön, ich lerne auch viel“, schwärmt sie, „das tut richtig gut, draußen zu sein, und mit den Hunden ist es ein unheimlich tolles Miteinander.“ Man zerstöre sich selbst in so einem, Depressions-Tief, sagt sie leise, jetzt aber, durch die Hunde und den Job, „kann ich wieder positiv denken, das Selbstwertgefühl steigert sich.“
Auch Meinhardt hat eine lange Arbeits-Odyssee hinter sich, machte eine Ausbildung auf einem Autoschrottplatz in Regensburg. Der Schrottplatz schloss, Meinhardt kam zurück nach Mainz und hielt sich mit Jobs über Wasser, mal Kurierfahrer, mal Umzugshelfer. Im Tierheim lernte er eine Frau kennen, die ihn zum „Hundetraum“ schickte – ein Volltreffer. „Ich bin ein Hundemensch durch und durch“, sagt Meinhardt, und strahlt, „da hat man eine gemeinsame Basis, man versteht sich gleich, babbelt gleich miteinander.“
2016 startete das Projekt versuchsweise mit drei ehemaligen Wohnungslosen, im Oktober 2017 gab es die erste Förderung über das Jobcenter. Heute hat der „Hundetraum“ vier geförderte Stellen, die Hundebetreuer arbeiten in der Regel Teilzeit, richtig mit Arbeitsvertrag. Einen Vertrag gibt es auch mit dem Hundebesitzer, jeder Gassigeher hat zudem einen Erste-Hilfe-Kurs für Hunde bei einer Tierärztin absolviert.
„Aktuell betreuen wir fest 14 Hunde“, sagt Scherer, „und ich würde das gerne ausbauen – der Bedarf ist da.“ Hundehalter würden ja „viel lieber selbst mit dem Hund gehen“, weiß sie, „aber es ist die Notlage, der Job oder eine Krankheit.“ Für viele ist der „Hundetraum“ die Rettung – für die Hundebesitzer, die Hunde und die Gassigeher ebenso.
Gerade hat sich Scherer mit ihrem Projekt beim Deutschen Integrationspreis beworben, bis zum 5. Juni läuft noch die Crowdfunding-Kampagne: Werden dort 10.000 Euro eingeworben, darf das Projekt das Geld behalten, bei einem höheren Spendenaufkommen winken den besten 20 Projekten weitere Bonuszahlungen. 44 Projekt treten an, der „Hundetraum“ hat bereits knapp 11.000 Euro zusammen. Die Zielmarke heißt aktuell aber 15.000 Euro – „vielleicht reicht es doch noch, uns auf einen der Preisträger-Plätze zu bringen“, hofft Scherer. Aktuell liege der „Hundetraum“ auf Platz 23, ausgezeichnet werden aber nur die Projekte bis Platz 20. Die Hundeträumer könnten mit dem Geld wetterfeste Regenjacken und Schuhe anschaffen und noch einen weiteren Hundeträumer ausbilden. Also auf geht’s zum Endspurt!
Info& auf Mainz&: Wenn Ihr helfen wollt: Die Crowdfunding-Kampagne mit dem Button zum Geldspenden findet Ihr hier auf der Crowdfunding-Plattform Startnext, nur hier könnt Ihr die aktuelle Aktion unterstützen. Noch zwei Tage bleiben bis zum Ziel 15.000 Euro, alle eingehenden Spenden bis zum 5. Juni, 14.00 Uhr werden gewertet. Mehr zum Projekt Hundetraum findet Ihr auch auf dieser Internetseite oder hier bei Facebook.