Heute ist es so weit: Um 8.00 Uhr öffnen die Wahllokale ihre Türen, bis 18.00 Uhr hat Mainz die Wahl. 34 Parteien für das Europaparlament und 10 Listen für den Stadtrat, dazu Ortsvorsteher und Ortsbeiräte in allen 15 Stadtteilen – es ist eine wahre Mammutwahl. 60 Stimmen sind allein für den Stadtrat zu vergeben, wer will, kann sich so sein ganz persönliches Stadtparlament zusammenstellen. Bis die Ergebnisse feststehen, wird es dauern – und es wird spannend wie selten: Wählt Mainz den Neustart – oder am Ende doch noch einmal ein “Weiter so” mit der Ampel? Derzeit stehen die Zeichen eher auf Wechsel, womöglich mit der CDU als stärkste Kraft. So oder so: Mainz braucht endlich kluge Lösungen und konstruktives Miteinander – der Mainz&-Leitartikel zur Wahl.
162.185 Menschen sind heute in Mainz aufgerufen, ein neues Stadtparlament zu wählen, 161.307 Wähler dürfen ihre Stimme dazu bei den Wahlen für die Ortsbeiräte und die Ortsvorsteher abgeben, und 152.824 Menschen zudem bei der Europawahl abstimmen. Zwei große Wahlen bestimmen heute das Geschehen in der Landeshauptstadt, die deutlich spannendere Wahl aber wird für die Mainzer die vor ihrer Haustür sein: Wie werden die Weichen im Mainzer Stadtrat neu gestellt?
Es könnte eine wegweisende Wahl werden: Seit 15 Jahren bestimmt eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP die Richtung der Mainzer Stadtpolitik, doch das könnte sich heute gründlich ändern: Allen Prognosen und Umfragen zufolge darf die CDU mit deutlichen Zuwächsen rechnen, die Ampel-Parteien dagegen mit teils erheblichen Einbußen – wie genau sich dieses Bild in Mainz ausgestaltet, das ist die spannende Frage dieses Wahltags.
Ampel in Ungnade und Grünen-Müdigkeit: Was kommt danach?
Seit die Ampel-Parteien auch im Bund regieren, hat sich die Stimmung im Land stark gedreht: Das Debakel mit dem Heizungsgesetz von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), das Lavieren und Nicht-Kommunizieren von Kanzler Olaf Scholz (SPD) und die rückständige Finanzpolitik von Christian Lindner (FDP) und dazu der ständige Streit auf offener Bühne zwischen den drei Koalitionspartnern haben dazu geführt, dass sich die Wähler geradezu in Scharen von der Bundesregierung abgewandt haben.
Noch nie wurde ein Bundeskanzler so schlecht beurteilt, noch nie waren die Spitzenpolitiker derart in Ungnaden beim Volk – der einzige Politiker mit positiven Zustimmungswerten im ZDF-Politbarometer ist seit Monaten Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). An Ostern begegnete mir in Winningen an der Mosel ein älterer Mann mit seiner Frau auf der Straße, wir kannten uns nicht und passierten einander schlicht in den engen Gassen im Moselort. Und dabei schnappte ich einen Satz auf: “Diese Grünen müssen weg, überall”, schimpfte der Mann lautstark und vehement – was immer sein Beweggrund war: Er trifft die Stimmung vieler Menschen im Land.
In Mainz ist die Grünen-Müdigkeit besonders groß, besetzt die Oköpartei hier doch wichtige Schaltstellen der Macht – allen voran die Themen Finanzen, Umwelt und Verkehr. Doch die Bilanz gerade in Sachen Umwelt und Verkehrt fällt eben gerade nicht positiv aus: Nach 15 Jahren grüner Umweltdezernentinnen in Mainz hat die Stadt weniger Bäume anstatt mehr, dafür mehr Betonwüsten auf Plätzen, zugebaute Frischluftschneisen – der eherne Riegel Zollhafen lässt grüßen -, aber nicht einen einzigen Park oder grüne Oase mehr in der Stadt.
Problemzone Verkehr: Autos raus, aber wie kommt der Bürger rein?
Auch beim Verkehrs sieht es nicht besser aus: Nach 15 Jahren grüner Verkehrspolitik besitzt Mainz keine gut ausgebauten Radwege und kein durchdachtes Radwegenetz, der ÖPNV ist teuer, das Netz hat große Lücken und die Verlässlichkeit ließ zuletzt massiv zu wünschen übrig – im Frühjahr mussten die Mainzer Stadtwerke gar wegen eines drohenden Finanzlochs alle Ausbaupläne vorerst auf Eis legen.
Dafür aber werden Autofahrer systematisch drangsaliert, Baustellen werden nicht aufeinander abgestimmt, der Verkehr mit Tempo 30 sogar auf Hauptverkehrsstraßen ausgebremst – die versprochene “Grüne Welle” auf Rheinschiene und Kaiserstraße gibt es bis heute nicht. Das Konzept scheint zu sein: Der Individualverkehr soll aus der Stadt gedrängt werden – koste es, was es wolle. Dafür werden Parkplätze gestrichen, wo immer es nur geht – doch Alternativ-Angebote werden den Anwohnern bis heute nicht gemacht. Quartiersgaragen? Fehlanzeige. Park & Ride Plätze am Stadtrand? Bis heute nicht umgesetzt.
Wie sich Einkaufende, Pendler, Geschäftsleute oder Handwerker durch die Stadt bewegen sollen, wie die Innenstadt erreichbar bleiben soll – ein stringenter Plan ist dafür nicht in Sicht. Da rief die Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) vergangenen Sommer einfach mal eine Busspur auf der Rheinallee ins Leben, aus heiterem Himmel und ohne Ankündigung – nach einem Sturm der Entrüstung, musste die Dezernentin zurückrudern. In diesem Jahr wiederum stellte der Landesbetrieb Mobilität fest: Die Rad-Piktogramme, einfach auf die Straße gepinselt, sind rechtswidrig und müssen weg – die Verkehrsdezernentin weigert sich bis heute, das umzusetzen.
Chaos, Wurschteleien und kein Plan bei der Stadtentwicklung
Das Thema Verkehr sorgte auch beim Mainz&-Kommunalwahlforum am 4. Juni für heftige Debatten und teilweise gar Turbulenzen. “Wir haben in der Stadtentwicklung keinen Masterplan, wir wissen nicht, wo wir hin wollen”, bilanzierte der Mainzer ÖDP-Chef Claudius Moseler, und kritisierte: “Wir stehen vor einem Chaos bei der Entwicklung, es wird vor sich hingewurschtelt, anstatt eine klare, langfristige Entwicklung für einzelne Stadtbereiche zu definieren.”
Die Grünen-Spitzenkandidatin bei der Kommunalwahl, Christin Sauer, reagierte darauf geradezu allergisch: “Und wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann gründe ich einen Arbeitskreis, und der macht erst einmal ein Konzept”, sagte Sauer, reichlich schnippisch: “Ich finde es schwierig, immer erst mal Planungen zu fordern, aber nie in die Umsetzung zu kommen.” Mit der Busspur auf der Rheinallee habe die Verkehrsdezernentin “eine saubere Lösung gefunden, kurzfristig, pragmatisch”, meinte Sauer – und erntete für ihre Ausführungen glatt Buhrufe, vor allem wegen einer unfairen Spitze gegen Ordnungsdezernentin Manuela Matz (CDU).
“Briefmarke Busspur, Briefmarke Innenstadt – wir brauchen hier ein Konzept, sonst wird das nix”, konterte Moseler, und fand breite Unterstützung: “Jeder, der in der freien Wirtschaft arbeitet, hat einen Masterplan”, sagte Christian Weiskopf, Kreischef der Freien Wähler. Bei den Freien Wählern habe man selbst mal überlegt, wie könnten gute Radrouten von Ingelheim oder Nieder Olm in die Stadt und durch diese hindurch aussehen. “Man nehme eine Karte und schaue: Wo geht das?” Binnen 15 Jahren hätte man dann Stück für Stück eines solchen Plans umsetzen können, argumentierte Weiskopf: “Piktogramme auf der Straße sind kein Verkehrskonzept.”
Verkehr: Tempo 30 & Parkplatzabbau – “Ihr löst keine Probleme”
“Ihr macht, aber es löst ja keine Probleme”, sagte auch Linken-Stadtrat Malcherek trocken: “Warum macht Ihr es dann nicht? Genau das erfordert eben ein Konzept, sonst geht’s nicht. Wir haben in der Großen Bleiche dieselbe bekloppte Fahrradsituation, wie vor 40 Jahren, als ich in die Schule gefahren bin.” Und CDU-Fraktionschef Ludwig Holle konstatierte: “Ich glaube, gute Politik ist nur eine Politik, die die Menschen verstehen, und momentan ist es in dieser Stadt schwierig zu verstehen, was in der Verkehrspolitik gewollt ist”, sagte er unter dem Beifall des Publikums. Es brauche ein Gesamtkonzept UND schnell umsetzbare Maßnahmen – und dazu vor allem eine gute Kommunikation, plädierte Holle.
Die Episode zeigt: Es ist vor allem das Thema Verkehr, bei dem die Ampel-Parteien den Bezug zu den Menschen in der Stadt weitgehend verloren haben. Viele Menschen fühlen sich in ihrer Mobilität nur noch behindert und ausgebremst und reagieren hochgradig genervt auf Themen wie Tempo 30 oder neuerliche Straßensperrungen.
Die Grünen machten Politik, “als würde der Mensch als Fahrradfahrer auf die Welt kommen”, kritisierte Linken-Stadtrat Martin Malcherek, das sei aber ein Trugschluss: “Wir brauchen Konzepte, die für alle funktionieren”, betonte der Linke – und das schließe Autofahrer ausdrücklich ein.
Doch von dieser pragmatischen Verkehrspolitik, die für jedes Verkehrsmittel eigene, sichere Trassen schafft, und ein flüssiges Vorankommen in der Stadt ermöglicht – davon haben sich zumindest Grüne und SPD derzeit völlig verabschiedet. Und so war es nur ehrlich, als SPD-Kreischefin Jana Schmöller mit voller Überzeugung sagte: “Die Wahrheit ist doch: Es gibt Menschen, die haben ein Auto und brauchen es nicht, und es gibt Menschen, die haben ein Auto, und sind darauf angewiesen. Und um denen gegenüber fair zu sein, müssen die, die ihr Auto nicht brauchen, es abgeben.”
SPD: Wer sein Auto nicht braucht, “muss es abgeben”
Was Schmöller meinte: Wer nicht aufs Auto angewiesen sei, der können es “am Stadtrand parken”, gleichzeitig brauche es dann “einen ÖPNV, der das innerstädtisch regelt” – doch weder ein Nahverkehr mit dichtem Takt, noch die großen Parkplätze am Stadtrand sind in Sicht. Den Verdrängungskampf gegen das Auto aber empfinden die Bürger als einen Verdrängungskampf gegen die eigenen Bürger – gut möglich, dass SPD und vor allem die Grünen dafür an diesem Sonntag die Quittung bekommen.
Und so könnte am Ende dieser Wahl ein Stadtrat stehen, in dem sich die Karten völlig neu mischen: Wenn die Ampel ihre Mehrheit verliert, die CDU aber stärkste Kraft wird – wer bestimmt dann künftig, wohin Mainz gesteuert wird? CDU-Fraktionschef Ludwig Holle gab sich beim Mainz&-Kommunalwahlforum geheimnisvoll: Das Steuerrad habe sechs Griffe, “da können wir relativ viel Leute drankriegen”, sagte Holle nur – die CDU werde im Fall der Fälle mit allen reden, “die bei dem mitmachen, was wir tun wollen: Die Stadt muss besser geführt werden – und wer Veränderung will, muss die Ampel erst einmal abwählen.”
Mainz& hatte jedem Podiumsteilnehmer ein Steuerrad anvertraut, und die Frage gestellt: Wohin steuern Sie Mainz? Tatsache ist: Politik muss die Probleme der Menschen lösen, sonst verfehlt sie ihren Auftrag – und gerade bei Themen wie Verkehr, aber auch Grün in der Stadt, saubere Straßen oder eine attraktive Innenstadt hat die Ampel zu wenige Probleme gelöst, und zu viele neu geschaffen. Wer Bürger gegeneinander aufbringt, muss sich überlegen, ob das wirklich im Sinne der Demokratie ist – oder ihr nicht am Ende schadet, weil sie die Gesellschaft spalten und Hass und Aggressionen säen.
Mainz hat es in der Hand: 60 Kreuze für einen neuen Stadtrat
Die Mainzer wiederum haben es in der Hand: 60 Kreuze kann jeder Mainzer an diesem Sonntag auf dem Stimmzettel für den Stadtrat machen, und sich so genau den Stadtrat zusammenstellen, den er oder sie gerne hätte. Das Schöne daran: Das kann man querbeet durch die Parteien tun, und so die Politiker stärken, die die eigenen Werte und Ansätze vertreten. “Wir brauchen neue politische Kräfte für neue Ideen im Stadtrat”, konstatierte ÖDP-Chef Moseler – es könnten gerade die sogenannten “kleinen Parteien” wie ÖDP oder auch Freie Wähler sein, die von dieser Stimmung profitieren.
Das wiederum – so zeigte es das Mainz&-Kommunalwahlforum – kann endlich wieder zu einem neuen, konstruktiven Miteinander im Mainzer Stadtrat führen: Weniger Häme und Abwertung gegenüber dem politischen Gegner, dafür mehr konstruktive Arbeit an Lösungen für die Stadt. Nötig wäre es, zu viele Baustellen sind in den vergangenen fünf Jahren liegen geblieben. Harte Debatten, an der Sache orientiert, sind dabei nicht das Schlechteste: Dann werden für den Bürger auch endlich wieder Unterschiede sichtbar und das Ringen der politisch verantwortlichen um Lösungen verständlich und nachvollziehbar – genau das stärkt die Demokratie.
Auszählung der Kommunalwahl noch den gesamten Montag
Auf das Ergebnis werden die Mainzer allerdings noch mehr als 24 Stunden warten müssen: Nach dem Schließen der Wahllokale um 18.00 Uhr wird zunächst die Europawahl ausgezählt, dann folgen die Wahlen zu den Ortsbeiräten und den Ortsvorstehern. Erst danach gehen die Wahlhelfer an die Auszählung der Kommunalwahl, am Sonntag werden dafür zunächst nur die Stimmzettel ausgezählt, bei denen die Wähler nur eine einzige Liste angekreuzt, nicht aber kumuliert oder panaschiert haben.
Am Sonntagabend wird es so deshalb zunächst erst einmal nur einen vorläufigen Trend vom Ausgang der Kommunalwahl in Mainz geben – der SWR wird auf Basis einer Wählerbefragung vor den Wahllokalen zudem einen eigenen Mainz-Trend herausgeben. Den ganzen Montag über läuft dann die Auszählung der Kommunalwahl weiter, das Stadthaus an der Großen Bleiche ist deshalb an diesem Tag für den Publikumsverkehr geschlossen. Mit dem vorläufigen Endergebnis der Kommunalwahl wird am Montagabend gerechnet – die Stadt hat eine Pressekonferenz für 18.30 Uhr angesetzt.
Und für die, die noch keine Briefwahl gemacht haben – was allerdings bis Donnerstag vor der Wahl bereits 36,7 Prozent getan hatten – gilt natürlich: Geht wählen! Eure Stimme zählt – und Ihr beeinflusst damit ganz unmittelbar, was vor Eurer Haustür geschieht. Alle Infos zur Europawahl haben wir hier bei Mainz& zusammengetragen.
Info& auf Mainz&: Das gesamte Video zum Mainz&-Kommunalwahlforum am 4. Juni 2024 im “The Pier” in Mainz könnt Ihr Euch noch einmal hier auf Youtube ansehen. Eine Bilanz der Ampel 3.0 findet Ihr hier auf Mainz&, alle unsere Berichte zur Kommunalwahl 2024 findet Ihr hier in unserem Mainz&-Dossier. Alle Ergebnisse der Kommunalwahl in Mainz werden quasi in Echtzeit auf der Homepage der Stadt Mainz veröffentlicht – zum Link geht es hier entlang.
Und damit Ihr nicht glaubt, dass wir alleine waren: Publikum war auch da. Und hatte viel Spaß: