Zum zweiten Mal ist Mainz nun schon beim Regionalranking der Firma IW Consult zur dynamischsten Stadt Deutschlands gekürt worden. Bei der Wirtschaftsentwicklung allgemein liegt Mainz gar auf dem zweiten Platz dicht hinter München. Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) und Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU) freuten sich über den Erfolg, die Analysten der Studie warnen indes: Der Erfolg hänge zum Großteil an dem Erfolg des Pharmaunternehmens BionTech – Mainz müsse jetzt beweisen, dass es eine „Jahrhundertchance“ aus dem Erfolg einer einzelnen Firma zu nutzen wisse.

Grafik: Die zehn wirtschaftsstärksten Regionen in Deutschland. - Grafik: IW Consult
Grafik: Die zehn wirtschaftsstärksten Regionen in Deutschland. – Grafik: IW Consult

Alle zwei Jahre untersucht die IW Consult, eine Tochter des Instituts der deutschen Wirtschaft, welche Regionen in Deutschland besonders lebenswert sind, einen guten Arbeitsmarkt und eine stabile Wirtschaftsstruktur haben. Für das IW-Regionalranking 2024 untersuchten die Experten 400 Landkreise und kreisfreie Städte, ihr Ergebnis: Der Landkreis München bleibt mit 59,9 Punkten Spitzenreiter, dicht gefolgt aber von Mainz mit 59,2 Punkten. Dahinter folgen Coburg vor der Stadt München, dem Landkreis Starnberg, der Stadt Erlangen und dem Main-Taunus-Kreis (Platz 7). Frankfurt am Main folgt auf Platz 9.

Mehr noch: Mainz ist sogar Spitzenreiter im Dynamikranking der Firma IW Consult. „Die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt weist die beste wirtschaftliche Entwicklung in den letzten zwei Jahren auf und punktet vor allem bei der Wirtschaftsstruktur“, urteilen die Analysten. Mainz sei beim IW Regionalranking 2024 einer der großen Gewinner, freuten sich denn auch Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) und Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU): „Einmal mehr bestätigt sich die Attraktivität der Stadt Mainz und des Wirtschaftsstandorts.“ Das zeige, „dass unsere vielfältigen Investitionen und Bemühungen der letzten Jahre Früchte tragen und positiv wahrgenommen werden.“

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BionTech-Effekt Hauptursache für Sprung nach vorne

Allerdings hat das Ganze einen Haken: Die Landeshauptstadt Mainz sei zwar in der Tat „beim IW Regionalranking 2024 einer der großen Gewinner“ und weise die beste wirtschaftliche Entwicklung in den vergangenen zwei Jahren auf – Mainz sei der Überraschungssieger des Rankings, staunten die Analysten. Doch die IW-Analyse bezieht gleich zwei Jahre ein – in diesem Jahr Fall die Jahre 2022 und 2023.

Der Firmensitz des Pharmaunternehmens BionTech an der "Goldgrube" in Mainz. - Foto: gik
Der Firmensitz des Pharmaunternehmens BionTech an der „Goldgrube“ in Mainz. – Foto: gik

„Vor dem Hintergrund des betrachteten Zeitraums ist der ‚BioNTech-Effekt‘ ursächlich für den Sprung nach vorn“, konstatieren die Analysten denn auch. Der Erfolg des Pharmaunternehmens mit der Entwicklung des Impfstoffs gegen das SARS-CoV-2-Virus habe „zu einer deutlichen Steigerung der Gewerbesteuereinnahmen“ geführt – die gemeindliche Steuerkraft sei deshalb im Jahr 2022 sprunghaft um mehr als 360 Prozent angestiegen. Gleichzeitig sei aber auch der Gewerbesteuerhebesatz zum 1. Januar 2022 um 130 Prozentpunkte gesenkt worden.

Tatsächlich hatte der märchenhafte Erfolg von BionTech Ende 2021 mehr als eine Milliarde Euro Steuereinnahmen über Nacht in die Mainzer Kassen gespült, die Landeshauptstadt war quasi mit einem Schlag schuldenfrei – ein wichtiger Faktor bei der Beurteilung der Wirtschaftskraft. Die Stärken von Mainz lägen „in der Wirtschaftsstruktur und im Arbeitsmarkt“, urteilten die Prüfe, auch das ist keine Überraschung: BionTech hat in Mainz in den vergangenen zwei Jahren mehrere Tausend Arbeitsplätze geschaffen.

Mainz punktet bei Beschäftigung von Akademikern und Frauen

Dass die Senkung des Gewerbesteuer-Hebesatzes eine direkte Ursache des BionTech-Erfolgs war, und als Fördermaßnahme diente, um das Pharmaunternehmen in Mainz zu halten – das erwähnen die Prüfer indes nicht. Mainz punkte aber auch „bei der lokalen Gewerbeentwicklung und bei der Integration von Akademikern und Akademikerinnen auf dem Arbeitsmarkt“, lobt die Studie. Damit einher gehe ein Anstieg des Anteils wissensintensiver Dienstleistungsbeschäftigter und Akademiker, eine bessere Integration von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, eine deutliche Erhöhung des Gewerbesaldos sowie Investitionen in Infrastruktur, Schulen, Mobilität und Klimaschutz.

Biontech-Produktion im Labor: Gerade auf diesen Arbeitsplätzen arbeiten besonders viele Frauen, das hebt den Frauen- und Akademikerinnen-Anteil. - Foto: BionTech
Biontech-Produktion im Labor: Gerade auf diesen Arbeitsplätzen arbeiten besonders viele Frauen, das hebt den Frauen- und Akademikerinnen-Anteil. – Foto: BionTech

Der gestiegene Akademikeranteil dürfte ebenfalls mit dem BionTech-Boom direkt zusammenhängen, dazu zieht der Erfolg weitere Pharmaunternehmen nach Mainz – im September 2023 etwa eröffnete der dänische Pharmahersteller Novo Nordisk seine neue Deutschlandzentrale im Gewerbepark am Kisselberg. In Mainz war das Unternehmen allerdings schon vorher ansässig. Eine sichtbare Wirtschaftsdynamik auszumachen, fällt deshalb auch vielen Mainzern schwer: Im Wirtschaftspark in Hechtsheim sind zwar viele Flächen reserviert und verkauft, sichtbare Aktivitäten aber lassen auf sich warten.

„Erfahrungen zeigen, dass einzelne starke Unternehmen sowohl Chancen als auch Risiken für die regionale Entwicklung bergen, wenn diese besonders hohe Gewinne oder auch Verluste verzeichnen“, heißt es denn auch in der Studie mit Blick nach Idar-Oberstein: Auch die kleine Stadt in Rheinland-Pfalz profitierte 2022 überproportional stark von BionTech-Gewinnen. „In Zeiten von besonders hohen Gewinnen besteht die  Herausforderung, Finanzspritzen so einzusetzen, dass daraus weiteres Momentum für eine zukünftige positive Entwicklung entsteht“, so die Analysten weiter.

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Analysten mahnen: Mainz muss „Jahrhundertchance“ nutzen

Auch in Mainz werde es „die Aufgabe sein, die sich aus der Jahrhundertchance BioNTech in den Jahren 2021 und 2022 ergebenden kommunalen Handlungsspielräume zu nutzen, um die Rahmenbedingungen am Standort strategisch zu verbessern, und die Weichen für weitere günstige Unternehmensentwicklungen in der Stadt zu stellen“, mahnen die Studien-Autoren, und loben zugleich: Erste Investitionen in Klimaschutz, Mobilität, Umwelt, Grün- und Erholungsflächen, Infrastrukturen und Schulen, Jugendhilfe und Kulturen seien „bereits im Jahr 2022 anvisiert“ worden.

Mainz-Fahnen am Höfchen: Der Stadt Mainz bläst der Wind wieder schärfer ins Gesicht. - Foto: gik
Mainz-Fahnen am Höfchen: Der Stadt Mainz bläst der Wind wieder schärfer ins Gesicht. – Foto: gik

Kurios dabei: Als Beleg dient ausgerechnet ein Artikel der Internetzeitung Mainz& aus dem Jahr 2022. Unter dem Titel „Milliardensegen für Mainz: Stadt investiert in E-Busse, mehr Grün und Schülerticket“ hatten wir im Mai 2022 berichtet, was die Stadt denn nun mit dem plötzlichen Einnahmeüberschuss durch BionTech anstellen wolle. Der Plan damals: Neben einer großen Schuldentilgung sollten Millionen „für den Ausbau des Straßenbahnnetzes sowie für die Anschaffung von E-Bussen fließen“, das Taubertsbergbad solle ebenso profitieren wie das Mainzer Unterhaus.

So sollten 23 Elektrobusse angeschafft und Rasengleise eingebaut werden, Straßenbahnstrecken ertüchtigt und ein 365 EUR-Ticket für Schüler und Auszubildende ab September 2022 eingeführt werden. Nicht so genau lasen die Prüfer wohl unseren Bericht in Punkto Schulen: „Eher leer gehen die Schulen aus: Sie können mit rund 1,6 Millionen Euro rechnen“, schrieb Mainz& damals. Tatsache ist aber: Kitaplätze wurden in Mainz deutlich ausgebaut, das 365-Euro-Ticket derweil vom Deutschlandticket überholt.

Steuereinnahmen brechen derzeit massiv ein: Bleibt der Erfolg?

Die Ausstattung von Dächern mit Photovoltaikanlagen sowie Maßnahmen zur Entsiegelung und Begrünung der Stadt sind indes heute ebenso rar gesät wie Dach- und Fassadenbegrünungen – auch das stand 2022 auf der Förderliste. Und der weitere große Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs wurde kürzlich gerade auf Eis gelegt: 2023 und 2024 brechen die Gewerbesteuereinnahmen nämlich gerade drastisch wieder weg.

Mainz - die dynamischste Stadt in Deutschland? Wohl nur beim Wirtschaftsranking. - Foto: gik
Mainz – die dynamischste Stadt in Deutschland? Wohl nur beim Wirtschaftsranking. – Foto: gik

Das IW-Regionalranking verwendet nach eigenen Angaben „ökonometrische Verfahren, um Schlüsselfaktoren für erfolgreiche regionale Entwicklungen zu identifizieren“, wie es auf der Homepage von IW Consult heißt: „Durch dieses datenbasierte Vorgehen können räumliche Entwicklungen bundesweit verglichen werden.“ Insgesamt habe man 55 Einzelindikatoren „auf ihren Einfluss auf den Erfolgsindex untersucht, wobei die Aspekte Lebensqualität, Wirtschaftsstruktur und Arbeitsmarkt besonders beleuchtet wurden.“

14 signifikante „und den regionalen Erfolg erklärende Indikatoren“ seien schließlich in den drei Clustern Wirtschaftsstruktur, Arbeitsmarkt und Lebensqualität analysiert worden, darunter Steuerkraft, Ärztedichte, Anteil hochqualifizierter Beschäftigter, Kriminalitätsraten, Verschuldung sowie Zu- und Abwanderung. Wichtigste Indikatoren sind dabei die gemeindliche Steuerkraft, die allein mit 14,9 Prozent in den Gesamtindex einfließt, sowie das Maß der privaten Überschuldung, das die Autoren als Hauptindex für Lebensqualität heranziehen.

Haase und Matz: Neuer Schwerpunkt in der Ökotechnologie

Die Bilanz deutschlandweit fiel weniger positiv aus: Jede vierte Region in Deutschland sei schwach aufgestellt. „Oft sind in diesen Regionen die Steuern zu hoch, es fehlen qualifizierte Fachkräfte und die Bedingungen für Unternehmen sind nicht attraktiv, um sich dort anzusiedeln“, sagte IW-Experte Hanno Kempermann. Mainz profitiert demnach auch vom Rhein-Main-Gebiet als Großregion: „Der Großraum Frankfurt überzeugt mit einem starken Arbeitsmarkt und einer leistungsfähigen Wirtschaft“, heißt es in der Studie. Lediglich im Bereich Lebensqualität offenbarten sich Schwächen – etwa  in einem geringen Anteil naturnaher Flächen.

Haase und Matz betonten derweil, die „hervorragenden Ergebnisse“ seien „Auszeichnung und gleichzeitig Ansporn, jetzt weiter Gas zu geben und den Wirtschaftsstandort Mainz weiter voranzubringen, auch durch den weiteren gezielten Ausbau der Wirtschaftsförderung.“ Man wolle diesen Schwung mitnehmen und weiter investieren, etwa im Bereich der Biotechnologie. „Daneben wollen wir aber noch neue Schwerpunkte setzen, zum Beispiel in der Ökotechnologie“, kündigten Haase und Matz an.

Info& auf Mainz&: Unseren Bericht zum Investitionsplan der Stadt Mainz nach der BionTech-Milliarde könnt Ihr noch einmal hier nachlesen. Mehr zu der Studie von IW-Consult samt pdf mit allen Details zum Download findet Ihr hier im Internet.