Windräder gelten als Schlüsseltechnologie für die Umsetzung der Energiewende, doch die großen Windturbinen sind nicht unumstritten: Schon lange gibt es immer wieder Berichte von Anwohnern, nach denen die tiefen brummtonartigen Schallwellen gesundheitliche Beschwerden auslösen sollen. Anwohner klagen etwa über Kopfschmerzen oder Konzentrationsprobleme, nun hat eine Mainzer Studie herausgefunden: Infraschall von Windrädern kann tatsächlich die Herzleistung des Menschen deutlich schädigen. Bereits nach einer Stunde Einwirkungsdauer mit 100 Dezibel führte der stille Lärm in Experimenten zu einer Einschränkung der Herzleistung von bis zu 20 Prozent, ergab die Studie, die nun im renommierten Fachmagazin Noise & Heath erschienen ist.
Als Infraschall bezeichnet die Wissenschaft tiefe Tongeräusche von unter 20 Hertz, der Mensch nimmt sie meist als tiefe Brummtöne wahr – wenn überhaupt. „Nur 30 Prozent der Menschen sind überhaupt in der Lage, Infraschall zu hören“, sagt Professor Christian-Friedrich Vahl, Direktor der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie der Mainzer Universitätsmedizin. Die meisten Menschen nehmen die tiefen Schallfrequenzen als Grummeln im Bauch wahr, am bekanntesten sind die tiefen Basstöne von Soundanlagen auf großen Rockkonzerten.
Infraschall wird aber auch von großen Gasturbinen, Kompressoren oder Pumpen und sogar von Heizungs- und Klimaanlagen emittiert, in der Natur sind Erdbeben, Vulkanausbrüche, Gewitter oder auch Meeresrauschen Quellen von Infraschall. „Infraschall ist eine messbare physikalische Kraft, die im Körper etwas auslöst“, erklärt Vahl im Gespräch mit Mainz&: „Elefanten unterhalten sich mit Infraschall, auch Delfine über großen Entfernungen.“
Beim Menschen reagierten Vibrationssensoren in der Haut auf die tiefen Schallwellen und lösten ein unterschwelliges Alarmsignal aus: „Das ist eigentlich ein Katastrophenzeichen“, erklärt Vahl, das habe Menschen in Vorzeiten geholfen, vor Unwettern oder Vulkanausbrüchen zu fliehen. Ist der Mensch den tiefen Schallwellen aber längere Zeit in hoher Frequenz ausgesetzt, kann das offenbar schwerwiegende Folgen haben: „Infraschall entfacht eindeutige messbare physikalische Wirkung am Herzen – und zwar ohne dass man ihn hören kann“, betont Vahl.
Vor 3,5 Jahren gründete der Herzchirurg eine Arbeitsgruppe an der Mainzer Universitätsmedizin, der Auslöser: Berichte von Anwohnern von Windrädern über schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen. Schlaflosigkeit, Leistungsschwäche, Konzentrationsstörungen und Abgeschlagenheit, darüber hätten die Anwohner geklagt, berichtet Vahl – der Kardiologe wollte es genauer wissen. Seine Arbeitsgruppe nahm Material von Herzoperationen ihrer Patienten und gewannen daraus zwei Muskelscheiben, die jeweils von demselben Patienten stammten.
Die eine Probe wurde dann Infraschall ausgesetzt, und zwar mit einer Frequenz von 100 Dezibel, die andere Herzmuskelprobe wurde das nicht. „Bei Proben, die eine Stunde lang Infraschall ausgesetzt waren, war eine deutlich verringerte Kraftentwicklung im Herzmuskel zu beobachten“, sagt Vahl. Die Herzleistung habe sich um mehr als 20 Prozent verringert, und das bereits nach nur einer Stunde.
Dass Windräder Infraschall erzeugen, ist bekannt, Anwohner klagen oft über einen tiefen Brummton. Der entstehe dadurch, dass die Flügel des Windrads beim Drehen Luft gegen den Mast drückten, erklärt Vahl. Dadurch entstehe nachgewiesenermaßen ein Schalldruckpegel von bis zu 100 Dezibel, schon bei einem einzigen Windrad – das sei lauter als Fluglärm, der meist zwischen 60 und 70 Dezibel als gravierende Störung wahrgenommen werde. Im Gegensatz zum Fluglärm aber hört der Mensch Infraschall aber eben nicht, Vahl wollte nun wissen, ob es bei den 100 Dezibel-Schallwellen zu gesundheitlichen Problemen kommen kann.
Das Ergebnis der Experimente: Der Infraschall habe zu einem biophysikalisch messbaren Effekt auf den Herzmuskel geführt, sagt Vahl: „Infraschall ist kein esoterisches Phänomen, sondern ein biophysikalisch messbarer Effekt, den man ernst nehmen muss.“ Die Experimente der Arbeitsgruppe seien im Übrigen wiederholbar und brächten jedes mal das gleiche Ergebnis, betonte der Herzchirurg, zudem bestätigten sie die Ergebnisse früherer Studien: Bereits in den 1980er Jahren habe es erste Studien zu den Auswirkungen von Infraschall mit jungen U-Boot-Soldaten gegeben. „Das waren junge Männer, topfit, die wurden in einen langen Flur gesetzt“, berichtet Vahl. Dann sei eine Membran mit Infraschall zum Schwingen gebracht, und zwar mit 100 Dezibel Schalldruckpegel.
Das Ergebnis sei ganz ähnlich gewesen wie in der Mainzer Untersuchungen: Auch in den USA sei es zu deutlichen Veränderungen des Hautwiderstands gekommen, die Probanden hätten zu schwitzen begonnen – und ihre Herzfrequenz sei gesunken, berichtet Vahl. Diese Arbeit habe seine Gruppe aufgegriffen, die Ergebnisse seien eindeutig: „Infraschall ist eine physikalische Kraft, und die löst etwas aus“, betont Vahl – schädlich werde Infraschall aber erst ab einer gewissen Dezibelstärke.
Das Fazit der Mainzer Forscher lautet deshalb: Abstand halten. „Die Daten unserer Auswertungen sind von enormer Bedeutung und sollten bei der Diskussion von Abstandsregelungen zu Windkraftanlagen beachtet werden“, fordert Vahl. Er gehe davon aus, der Schalldruckpegel reduziere sich mit zunehmender Entfernung exponentiell, zwei Kilometer Entfernung von einem Windrad sei deshalb wohl eine sichere Entfernung. Die Aussage ist brisant, stößt sie doch mitten in eine heftig geführte Debatte um Abstandsregeln von Windkraftanlagen.
In Rheinland-Pfalz wurde 2017 mit der neuen Ampel-Koalition ein Mindestabstand von einem Kilometer zwischen einer Windkraftanlage und Wohnbebauung festgelegt, der Bund will das nun ebenfalls einführen – und stößt auf heftigen Widerstand der Windkraftbranche: Dann könne ein Großteil von Windrädern nicht mehr gebaut werden, warnen Lobbyisten der Branche, das werde erhebliche negative Auswirkungen auf die Energiewende haben.
Vahl warnt hingegen, gerade für Menschen mit Herzschwäche könne der dauerhafte, nahe Aufenthalt im Umfeld eines Windparks zu einer Gefahr für ihre Gesundheit werden. „Unsere Arbeiten zeigen, man muss das Phänomen ernst nehmen und die Sorgen der Anwohner auch“, betont Vahl: „Man muss aufpassen, dass man aus Deutschland nicht eine Nation von Schlaflosen macht.“ Windräder sollten etwa entlang von Autobahnen gebaut werden, wo sie weniger störten, so seine Empfehlung, ein Dorf, eingekreist von Windrädern sei dagegen ungut. „Ich bin wirklich gegen Atomkraft und sehr für Windkraft“, betont der Herzchirurg, „aber ich möchte, dass die Anlagen so gebaut werden, dass sie nicht herzschwache Menschen umbringen oder Schäden hervorrufen.“
Info& auf Mainz&: Die Mainzer Studie „Negative Effect of High-Level Infrasound on Human Myocardial Contractility“ ist im Modus „Ahead of Print“ im renommierten Noise & Health Journal erschienen und wird gedruckt in der Juni-Ausgabe vorliegen. „Ahead of Print“-erschienene Studien haben bereits den kompletten Verifizierungsprozess der Wissenschaft durchlaufen, die Studie könnt Ihr Euch im englischen Original hier im Internet herunterladen. Welche Regeln zur Zeit in Rheinland-Pfalz für den Bau von Windkraftanlagen gelten, könnt Ihr hier beim Land Rheinland-Pfalz nachlesen.
Wegen Platzmangel sollen und werden Windräder immer näher an Wohnhäuser gebaut.Auf Einwände der Anwohner wird keine Rücksicht genommen!