–Artikel vom 27. April 2023 — Der Vorwurf klingt ungeheuerlich: Wurde eine wegen Betruges vorbestrafte Akteurin bezahlt, um eine umfassende Hetz- und Schmutzkampagne gegen unliebsame Helfer im Ahrtal anzuzetteln – bezahlt womöglich auch noch mit Geldern des Landes Rheinland-Pfalz? Was klingt, wie ein Verschwörungsroman könnte dennoch wahr sein: Mainz& liegen umfassende Aussagen von mehr als zehn Zeugen, sowie multiple Screenshots und Belege vor, die eindeutig zeigen, wie „Helfer der ersten Stunde“ über Monate hinweg massiv beleidigt, verfolgt und angegriffen wurden. Man diffamierte sie bei Geschäftspartnern und schickte ihnen Kontrolleure auf den Hals, man schüchterte ein und bedrohte. Mehr noch: Mainz& liegen exklusiv Belege vor, die eine finanzielle Verbindung zwischen der Firma „m2a artitude GmbH“ von Missy Motown und der Hauptakteurin der Kampagne aus Hass und Hetze nahe legen. Update&: Dieser Artikel erschien auf Mainz& am 27. April 2023, aus aktuellem Anlass wiederholen wir ihn heute noch einmal. Aktuelle Berichterstattung folgt.25
Es ist der 18. April 2023, und vor dem Amtsgericht Weilheim bei München geht es an diesem Dienstag um versuchte Nötigung, um Beleidigung und schwere Körperverletzung in mindestens vier Fällen. Am Ende wird die Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Der Richter mahnt: Die Angeklagte habe „sich in ihren verschiedenen Internetkanälen wohl angegriffen gefühlt, und mit ihrer Reaktion den rechtsstaatlichen Boden verlassen“. Genau so bestätigt es das Amtsgericht Weilheim wörtlich auf Mainz&-Anfrage, demnach sagte der Richter weiter: „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, auch dort werden Beleidigungen geahndet.“
Auf der Anklagebank: Roswitha K., wohnhaft in Bayern – der vollständige Name ist Mainz& bekannt. Verhandelt wird eine Zusammenstellung von rund einem Dutzend Beschuldigungen von mehreren Klägern, es geht unter anderem um Cyberstalking – und es geht um das Ahrtal: Die Beschuldigte betrieb den „Faktencheck Ahrtal“, eine Facebookseite, die kurz nach der Flutkatastrophe im Ahrtal ins Leben gerufen wurde. Die offizielle Lesart: Man will Missstände anprangern, und nennt sich stolz „die einzige kritische Stimme des Ahrtals“ – doch die „Kritik“ an Missständen schlägt rasend schnell um in Hass und Hetze. Einzelne Helfer im Ahrtal werden angegriffen, ja beleidigt und massiv beschimpft, auf der Seite des „Faktenchecks Ahrtal“, aber auch auf anderen Seiten – die Follower des Faktenchecks tun sich da besonders hervor, auch K. persönlich.
Hass & Hetze: „Wir sind sicher: Da steckt ein System hinter“
Im Fokus der Angriffe: Der Pulheimer Landwirt Markus Wipperfürth. „Wir haben uns gefragt, was die Motivation für diese Angriffe ist“, sagt Wipperfürths Anwalt Niklas Haberkamm von der Kanzlei LHR in Köln im Gespräch mit Mainz&. Zu Anfang sei das alles sehr diffus gewesen, dann seien die Angriffe heftiger geworden. „Inzwischen sind wir sicher, dass da ein System dahintersteckt“, sagt Haberkamm. Als Urheberin macht der Anwalt vor allem eine Quelle aus: den „Faktencheck Ahrtal“ und seine Gründerin K. „Das Ziel war offensichtlich, dass sich Herr Wipperfürth aus dem Ahrtal zurückzieht“, sagt Haberkamm.
Inzwischen hat Wipperfürth in mehreren Verfahren rechtliche Schritte gegen K. eingeleitet, das Strafverfahren in Weilheim war eines davon. Im Juli folgt eine zivilrechtliche Verhandlung in München wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Wipperfürth klagt insbesondere auf Unterlassung wegen Verleumdung und Beleidigung, Nachstellung beziehungsweise Cyberstalking. In der Gerichtsverhandlung in Weilheim wurden gut ein Dutzend Klagepunkte verschiedener Klagen gegen K. verhandelt, verurteilt wurde sie unter anderem auch wegen Beleidigung in Sachen Wipperfürth. Die Beklagte selbst sagte auf Mainz&-Nachfrage lediglich, sie habe Berufung eingelegt, weitere Fragen wollte sie nicht beantworten. Das Urteil ist deshalb auch noch nicht rechtskräftig.
„Wir werfen Frau K. vor, dass sie systematisch unseren Mandanten in seinen Persönlichkeitsrechten angreift, dass er als Person diffamiert wird, dass versucht wird, seine soziale Reputation und seine Glaubwürdigkeit zu erschüttern“, zählt Haberkamm auf: „Die Angriffe gehen stark in den persönlichen Bereich.“
Hass und Hetze gegen Unternehmer, „die unentwegt Videos drehen“
In der Tat: In Posts, die Mainz& vorliegen, wird kein Blatt vor den Mund genommen: Wipperfürth verbreite „falsche Tatsachen“, er lüge, und er „manipuliere“ seine Follower, um über Kritiker herzufallen. „Das ist Psychoterror, und der Herr aus Pulheim ist der Urheber“, schäumen Follower, K. selbst schreibt: Der Landwirt aus Pulheim sei „lost“ und solle sich „mal durchchecken“ lassen, „ich sorge mich um Ihren gegenwärtigen mentalen Zustand.“
Es gibt Dutzende oder gar Hunderte solcher Posts und Kommentare, und sie sind an Drastik nicht zu überbieten. In einem Youtube-Video des „Faktenchecks Ahrtal“, das bis heute online ist, heißt es in aller Ausführlichkeit, Wipperfürth erzähle Lügen zur eigenen Selbstüberhöhung. „Sie drehen unentwegt Videos von sich, damit man sich selbst vermarktet“, klagt eine „Esther“: „Sie nutzen die Menschen aus, um ihren eigenen Profit daraus zu ziehen, das ist eine hochpolitische, zersetzende Vorgehensweise – es sind nicht Helfer, sondern Unternehmer, die da unten viel Geld verdienen.“
Im Fokus der Beschimpfungen stehen vor allem zwei Personen: Markus Wipperfürth, Landwirt aus Pulheim, der Reitanlagen baut und als Auftragsunternehmer mit einem ganzen Fuhrpark ein landwirtschaftliches Großunternehmen leitet. Und Wilhelm Hartmann, Gartenbauunternehmer aus Fulda, der mit einem rund 100 Mann starken Betrieb im Landschaftsbau aktiv und hessenweit im Winterdienst im Einsatz ist.
Helfer der ersten Stunde stehen vor Bergen aus Trümmern
Als Wilhelm Hartmann und Markus Wipperfürth am Mittag des 15. Juli 2021 im Ahrtal ankommen, stehen sie fassungslos vor unglaublichen Verwüstungen: In den Straßen des idyllischen Tals im Norden von Rheinland-Pfalz türmen sich Berge von Schutt, Öltanks, Autos und Unmengen von Holz. Weinfässer thronen auf Müllwänden, Autos hängen in Bäumen, Straßen sind wegen meterhoher Trümmer unpassierbar. Und über allem liegt ein Geruchsmix aus Wein, Öl und Fäkalien.
Die gewaltige, bis zu zehn Meter hohe Flutwelle hatte in der Nacht zuvor gesamte Ahrtal verwüstet. Rund 9.000 Häuser sind beschädigt oder zerstört, dazu die gesamte Infrastruktur: Straße, Schienen, Brücken, Strom, Telefon – nichts ist mehr intakt. Totenstille liegt über den Orten, die Menschen trauen sich nur langsam aus ihren Häusern – zutiefst traumatisiert von einer Horrornacht. 135 Menschen verlieren in dieser Nacht ihr Leben in den Fluten, eine Person wird noch immer vermisst.
Am Abend des 14. Juli verfolgt Wilhelm Hartmann in Fulda, wie in Hagen in Nordrhein-Westfalen die erste Überflutung ihren Lauf nimmt. Hartmann ist alarmiert: „Mein Helfersyndrom kann ich nicht leugnen“, sagt der 50-Jährige – auch bei den großen Elbehochwassern von 2002 und 2013 war er schon im Einsatz als freiwilliger Helfer, unterstützte beim Barrierenbau und transportierte Hunderte Tonnen von Sandsäcken mit seinen Fahrzeugen. 2003 bekommt er vom Freistaat Sachsen einen Fluthelfer-Orden für seinen Einsatz verliehen.
Anruf in Ahrweiler: „Kommen Sie schnell zu Haribo“
Am Morgen des 15. Juli 2021 hört Hartmann dann von Toten im Ahrtal, von Menschen auf Dächern. Er ruft einfach in Ahrweiler an, bietet an: Wir können helfen, mit Baggern und Lkw. „Der Mann am Telefon sagte nur: Kommen Sie schnell, zu Haribo – und legte auf“, so schildert es Hartmann im Gespräch mit Mainz&.
Hartmann kommt mit seinem Team gegen 12.00 Uhr mittags in Ahrweiler an, dort trifft er auf Rolf Seeliger, den stellvertretenden Feuerwehrchef von Bad Neuenahr. Der schickt den Helfer nach Walporzheim, dorthin kommt auch Markus Wipperfürth. Die beiden Männer sind eng befreundet, gemeinsam organisieren sie nun hier die Aufräumarbeiten – mit allem Schlimmen, was dazugehört. „Rolf hatte uns gewarnt: ‚Ihr werdet da alles finden‘, und das haben wir dann auch, ganz und in Stücken…“, berichtet Hartmann: „Einer meiner Leute hat gesagt, die erträglichsten Leichen waren die, die im Keller ertrunken sind, die sind wenigstens noch komplett.“
Hartmann ist der erste in Walporzheim, und danach der erste in Dernau und Marienthal. Er räumt auf, organisiert Hilfen in Kreuzberg, stellt am ersten Wochenende ein Versorgungszelt in Dernau auf – immer in Absprache mit der Feuerwehr und den lokalen Bürgermeistern, versichert er. Auf Facebook veröffentlicht er einen Hilfe-Aufruf, am nächsten Tag – dem 16. Juli – rollen 50 Landwirte aus dem Westerwald im Ahrtal vor, „mit allem Gerät, was die hatten, da war ich fassungslos“, berichtet Hartmann stolz.
„Wippi TV“: Videos mit 27 Millionen Aufrufe – Problem fürs Land?
Die noch größere Reichweite aber hat ein anderer: Markus Wipperfürth wird zur Stimme aus dem Ahrtal, seine Videos von Hunderttausenden geteilt. 27 Millionen Mal werden seine Videos aufgerufen, seine Reichweite ist zu dem Zeitpunkt größer als ARD, ZDF, WDR und SWR zusammen. „Wippi TV“ gab es schon vor der Flut, geboren wurden die Livestreams im Zuge der großen Demonstrationen der Landwirte im Jahr 2019 in Berlin und anderen Städten. Sie drehen sich um den Alltag in der Landwirtschaft, um politische Themen im Bereich Umwelt, Landwirtschaft und Wolfsmanagements. Weil Hartmann bei einer Demo für ihn „einspringt“, lautet sein Spitzname fortan: „Azubi Wilhelm Hartmann“.
Nun nimmt Wipperfürth seine Handykamera auch im Ahrtal überall mit hin. Ungeschminkt und ungefiltert transportiert er die volle Wucht der Katastrophe in die Welt, spricht mit Anwohnern und Überlebenden, beschreibt Probleme – und die ganze Dramatik der Lage. Und immer wieder wirft Wipperfürth dabei die Frage auf: Wo ist eigentlich „der Staat“, wo sind „die Offiziellen“ – wo ist das Krisenmanagement des Landes? Erst fünf Tage nach der Katastrophe sei er dem ersten „Offiziellen“, wie er sie nennt, begegnet, sagt Wipperfürth, in Videos spricht er vom „totalen Versagen des Staates“.
Die Dienstaufsichtsbehörde ADD hat am 17. Juli die Leitung des Katastrophenstabes im Ahrtal übernommen, doch die Behörde ist mit der Bewältigung dieser Katastrophe schlichtweg überfordert. Im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal im Mainzer Landtag erzählen Zeugen reihenweise, von der ADD sei tage-, ja wochenlang nichts zu sehen gewesen. „Wir haben fünf bis sechs Wochen nichts von der ADD gehört“, klagte etwa der damalige Bürgermeister von Mayschoß, Hubertus Kunz (CDU). Vom „Hügel der Ahnungslosen“ ist die Rede, die ADD sitzt mit ihrem Krisenstab oben auf einem Hügelkamm über dem Tal.
ADD auf dem „Hügel der Ahnungslosen“, Hilfe auf Videoaufrufe hin
Der Krisenplan sei nicht „auf so eine Katastrophe ausgerichtet“ gewesen, räumt ADD-Präsident Thomas Linnertz im Untersuchungsausschuss ein. Helfer aus anderen Bundesländern, etwa der Branddirektion München, berichten im Ausschuss, bei der ADD habe man nicht einmal die Grundlagen einer Arbeit im Krisenstab gekannt, ein Verwaltungsstab habe erst einmal gebildet werden müssen – der Verwaltungsstab ist das zentrale Steuerungsinstrument für die Organisation von Aufräumarbeiten und der Versorgung der Bevölkerung im Tal.
Während die ADD ihre Strukturen sortiert, streamt Wipperfürth live aus dem Tal. Er stellt Helferhelden vor und berichtet vom Fortschritt der Aufräumarbeiten – und zeigt ganz nebenbei schonungslos auf, wo es hakt. Und es hakt vieles in diesen ersten Tagen nach der Katastrophe, im Ahrtal fehlt es an einfach allem: sauberes Wasser, Dixie-Klos, Duschen, Ausrüstung zum Räumen, feste Arbeitsschuhe. Und was immer gebraucht wird: Wipperfürth macht einen Aufruf über Facebook – und Stunden später rollt jemand mit den gebrauchten Materialien auf den Hof.
Eine Firma spendet Arbeitsschuhe, Gastronome kommen und kochen Essen. Als Wipperfürth berichtet, dass reihenweise Reifen in dem ganzen Schutt kaputtgehen, stehen am nächsten Tag gleich mehrere Reifenreparaturdienste aus dem ganzen Bundesgebiet im Tal – insgesamt kommen 70 von ihnen. Für die Behörden ist das höchst unbequem: Der Landwirt aus NRW legt eins ums andere Mal offen, wie die Behörden die Organisation nicht auf die Reihe bekommen, die Landwirte, Unternehmer und freiwilligen Helfer hingegen schon – und das binnen Stunden. „Unser größter Fehler war: wir waren zu schnell“, sagt Hartmann heute in der Rückschau: „Wir wollten den Leuten einfach nur helfen.“
Dann beginnen die Angriffe.
Persönliche Angriffe, anonyme Anzeigen, Verleumdungen
„Es begann mit dem ‚Faktencheck Ahrtal‘ auf Facebook“, berichtet auch Hartmann. Die Beschimpfungen seien nicht einmal das Schlimmste gewesen, sagt er, viel schlimmer seien die persönlichen Angriffe gewesen – bis in den privaten Bereich hinein, bis zu seiner Lebenspartnerin hin, auch auf sein Geschäft. Auf seinem Hof steht auf einmal das Gesundheitsamt wegen einer anonymen Anzeige, es geht um falsch gelagerte Kartoffeln – Hartmann kann nachweisen, dass er die Kartoffeln nicht nur richtig lagert, sondern selbst anbaut, Bio-Anbau inklusive.
Es habe mehrere solche anonymen Anzeigen gegeben, sagt Hartmann, „mit so viel Energie und List und Tücke hat man noch nie versucht, mich anzugehen.“ Im Ahrtal wird der Unternehmer angefeindet wegen des Baustoffzelts, das er im Ahrtal aufzieht, dann wegen des Umzugs des Baustoffzelts. Ein Landwirt aus Bayern bietet ihm Container für Unterkünfte an, die Container habe er mit Zustimmung der örtlichen Gremien errichtet, betont Hartmann, doch schon da wird er „von Pontius zu Pilatus“ geschickt.
155.000 Euro legt Hartmann für mehr als 40 Container inklusive Heizzentrale mit rund 150 Schlafplätzen vor, „Wilhelmshafen“ wird das Containerdorf inzwischen getauft. Kritiker werfen Hartmann vor, öffentlich massiven Druck durch seine Follower auf Gemeindeverwaltungen aufzubauen, damit Gelder dafür fließen. Tatsächlich droht Hartmann öffentlich auf Facebook mit dem Aus seines Dorfes: „Ich gebe auf“, schreibt er – es folgt ein Empörungssturm, plötzlich präsentiert die Politik eine Lösung.
„Ich habe für mich nie was genommen“, betont Hartmann auf Anfrage von Mainz&, „ich wollte immer nur einen Ausgleich für das, was ich ausgelegt hatte, aber weder für meine Zeit, noch meine Privatfahrzeuge wollte ich Geld.“ Bis heute fehlen ihm rund 40.000 Euro an zugesagten Auslagen, sagt Hartmann, „alles lückenlos belegt.“
Appell an Bundespräsident Steinmeier: Gelder kommen nicht an!
Als Bundespräsident Frank Walter Steinmeier das Ahrtal am 10. Oktober 2021 besucht, bekommen Wipperfürth und Hartmann ein exklusives Gespräch mit dem Bundespräsidenten. In einem Container schildern sie ihm ihre Probleme mit der Abwicklung zugesagter Leistungen. „Die Gelder des Bundes kommen hier nicht an“, sagt Hartmann zu Steinmeier. Der Bundespräsident regiert erschreckt, trägt der anwesenden Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) auf, sich darum schnellstmöglich zu kümmern – so erinnert es Hartmann.
Danach hätten „die Angriffe von offizieller Seite“ begonnen, sagt Hartmann: „Jetzt wurde eine Argumentation gesucht, uns zu vertreiben – und zu diesem Zeitpunkt gab es schon den Helferstab mit der Verbindung zum Land.“
Tatsächlich hatte die ADD auf einer Pressekonferenz am 24. August überraschend die Gründung eines Helfer-Stabs verkündet: Zentrale Aufgabe des Helfer-Stabs solle es sein, „als Brücke zwischen freiwilliger Hilfe, großen Hilfsorganisationen und öffentlichen Behörden zu fungieren, um so Hilfsaktionen zu koordinieren.“ So heißt es auf der Homepage der gemeinnützigen Organisation, die im September 2021 offiziell gegründet wurde, und so sagte es die designierte Geschäftsführerin auf der Pressekonferenz: Missy Motown.
Der Name ist ein Künstlername der Frankfurter Konzertveranstalterin Nicole Schober, Geschäftsführerin eines Frankfurter Live Musik Clubs mit dem Namen „Das Bett“. Schober lebte seit kurz vor der Flut in Krälingen oberhalb des Ahrtals auf einer alten, denkmalgeschützten Hofreite, hier gibt es Café „Alte Krähe“, das sich vor der Corona-Pandemie großer Beliebtheit erfreut. Am Tag nach der Flut beginnt auch sie zu helfen, organisiert Spenden für das Ahrtal.
Missy Motown: Lukrativer Vertrag zu Personal für Infopoints
Den meisten Helfern im Tal ist Missy Motown eher unbekannt, auch sie selbst bekennt in einem Video auf der Seite des Helfer-Stabs offen, mit Krisenstäben, Kippladern oder dem Management von Katastrophen zuvor keine Berührungspunkte gehabt zu haben: „Ich hatte von der Katastrophenhilfe so wenig Ahnung, wie die Kuh vom Fliegen, das hat sich ergeben“, sagt Motown in dem Video.
Trotzdem vergab die ADD am 7. September 2021 einen Dienstleistungsauftrag an die „m2a artitude Betriebs GmbH“ mit Sitz in Frankfurt – Inhaberin: Nicole Schober. Inhalt des Vertrags: eine „Personalgestellung von bis zu 15 Mitarbeitenden zur Besetzung der Infopoints“ – Mainz& berichtete. Die Freien Wähler sprechen von „einem lukrativen Vertrag“ von rund 730.000 Euro, inklusive einer Verwaltungspauschale von 15 Prozent, und kritisieren: Ein solcher Vertrag wäre auch für weitere Interessenten interessant gewesen. Im Ahrtal seien zu jener Zeit sehr viele freiwillige Fluthelfer im Einsatz gewesen, die teils über hohe Expertise und viele Kontakte verfügten, sagte Stephan Wefelscheid, Obmann der Freien Wähler im Untersuchungsausschuss: Es hätte „sicher auch weitere gute Angebote gegeben, wenn wenigstens die lokalen Akteure von der Vergabe gewusst hätten.“
Danach nehmen die Angriffe gegen freiwillige Helfer erst richtig Fahrt auf. Anfang Februar 2022 erscheint ein großer Artikel im Nachrichtenportal t-online, hier ist jetzt auf einmal von „Fluthelden auf Besatzerkurs“ die Rede. Als Beleg dafür, wie Hartmann und Wipperfürth angeblich versuchten, Kritiker mundtot zu machen, muss ausgerechnet ein Beispiel herhalten: der „Faktencheck Ahrtal“.
System K.: Leute angeheuert, unter Druck gesetzt, manipuliert
Anfang Februar hatten Helfer es geschafft, die Seite „Faktencheck Ahrtal“ durch einen Anwalt von Facebook sperren zu lassen – wegen nachhaltiger Verbreitung von Hass und Hetze gegen Personen wie Wipperfürth und Hartmann. Die Angriffe gehen dennoch weiter, Gründerin K. betreibt inzwischen weitere Facebookseiten und Foren, darunter das „FCA Redaktionsnetzwerk“.
„Wir wissen, sie hat ein großes Netzwerk und handelt offensichtlich sehr manipulativ“, sagt Anwalt Haberkamm: „Sie stellt sich gerne selbst als Opfer dar und setzt andere ein, um für sich zu arbeiten.“ Nach den der Kanzlei LHR vorliegenden Informationen „werden auch Leute im System K. unter Druck gesetzt, beispielsweise wenn sie aussteigen wollen“, berichtet Haberkamm. Im aktuellen Strafverfahren in Weilheim habe das Gericht zudem auf verschiedene Vorstrafen hingewiesen.
Wipperfürth selbst wird deutlicher: „Sie hat ein ellenlanges Vorstrafenregister“, sagt er in einem Live-Video kurz nach der Gerichtsverhandlung, das habe der vom Richter öffentlich verlesene Auszug aus dem Bundesregister deutlich gezeigt. Tatsächlich bestätigt das Gericht in Weilheim auf Anfrage von Mainz&, zum Gang der Hauptverhandlung gehöre es, dass ein Auszug aus dem Bundeszentralregister verlesen werde, „das war auch in diesem Verfahren der Fall“. Enthalten gewesen sei „unter anderem eine Verurteilung wegen Betruges“, bestätigt eine Gerichtssprecherin.
Screenshots gesammelt, verfolgt, verleumderische Emails
Eine frühere Mitläuferin von K. bestätigt gegenüber Mainz& das Vorgehen: „Wir haben für sie Screenshots gesammelt, alle Videos von Wipperfürth geguckt“, berichtet die Frau, deren Name Mainz& bekannt ist – nennen will sie ihn nicht. K. habe „in den Videos immer ‚irgendetwas‘ gesehen – Betrug und so. Wenn du fünf Mal am Tag hörst, das ist Betrug, dann glaubst du das irgendwann.“
„Man hat gar kein Misstrauen gehabt, da waren so viele, die haben der geglaubt“, berichtet die Mitläuferin gegenüber Mainz&. K. habe immer suggeriert, es gehe um „das Gute“, der Zusammenhalt sei enorm gewesen, „man hatte eine Aufgabe – man war da richtig süchtig nach“, berichtet sie: „Erst war es Neugier, dann wurde es Sucht.“ Erst im Nachhinein habe sie sich selbst Fragen gestellt und verstanden, was wirklich vor sich ging: „Ich war so erschrocken, ich bezweifle inzwischen vieles, was sie uns erzählt hat“, sagt sie: „Das ist echt der Horror.“ Auch sie sagt, ja, es sei mit Druck gearbeitet worden.
„Man hat Whattsapp-Gruppen auf mich angesetzt, die haben alles durchleuchtet, was ich gemacht habe“, berichtet Wipperfürth gegenüber Mainz&. Seine Videos seien intensiv ausgewertet, jeder seiner Schritte verfolgt worden. Sogar Lieferanten von ihm seien angeschrieben worden: „Wenn ich morgens in einem Video gesagt habe, wo ich hinfahre, bekamen die umgehend eine Email mit kruden und verleumderischen Vorwürfen“, berichtet er: „Man hat probiert, mich komplett kaputt zu machen – um mich in Glaubwürdigkeit und Ansehen zu schädigen.“ Das Geld für diese Kampagne aber komme von höherer Stelle, mutmaßt Wipperfürth – ein ungeheuerlicher Vorwurf.
Überweisungen von „m2a“ an Frau K: Drei Monate „Gehalt“?
Doch Mainz& liegen inzwischen Belege vor, die erhebliche Fragen aufwerfen. Es sind Ausschnitte von Kontoauszügen, die drei Gutschriften jeweils in Höhe von 3.235,- Euro belegen. Absender der Überweisungen: die „m2a artitude Betriebs GmbH“, Empfänger: die Frau K. Beide Namen sind auf den Kontoauszügen klar ausgewiesen, als Verwendungszweck wird unter anderem angegeben: „Gehalt“. Die erste Überweisung betrifft den Februar 2022, die letzte den Mai 2022. Auch dazu wollte K. auf Anfrage keine Fragen beantworten. Missy Motown verweigerte in einem Telefonat ebenfalls jede Antwort auf Fragen, eine schriftliche Anfrage blieb bis Donnerstagmittag unbeantwortet.
Im Sommer 2022, kurz vor dem ersten Jahrestag der Flutkatastrophe, ist die Stimmung im Ahrtal komplett vergiftet. Was einst als sensationelle Hilfswelle der freien Helferszene begann und mit der „SolidAHRität“ eine regelrechte Magie entfaltete, das hat nun tiefe Risse bekommen. Zwischen verfeindeten Gruppen verlaufen tiefe Gräben von Hass und Beschuldigungen, es geht bis hin zu Gerichtsverfahren. Wipperfürth und Hartmann sind inzwischen kaum noch aktiv im Tal, sie haben sich zurückgezogen.
„Ich bin kein dummer Jung“, sagt Hartmann heute, „aber die haben meine Gutmütigkeit und Gutgläubigkeit schamlos ausgenutzt.“ Offenbar könne man „nicht annehmen, dass es noch ehrliche und glaubhafte Menschen gibt“, sagt Hartmann: „Die können das gar nicht akzeptieren, dass es Menschen gibt, die einfach helfen wollen.“
Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema Finanzierung Helferstab haben wir ausführlich hier auf Mainz& berichtet. Alle unsere Berichte aus dem Ahrtal sowie zur Aufarbeitung im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal findet Ihr hier in unserem großen Mainz&-Dossier.