Als die Dienstaufsichtsbehörde ADD im August 2021 die Gründung des Helfer-Stabs im Ahrtal verkündete, rieben sich manche erstaunt die Augen: Denn auf dem Podium der Pressekonferenz saßen nicht die bisher bekannten Helfer der ersten Stunde – sondern eine Konzertveranstalterin aus Frankfurt mit dem Namen Missy Motown. Und die bekam im September 2021 einen Dienstleistungsauftrag für Mitarbeiter der Infopoints im Ahrtal zur Beratung der Bevölkerung. Die Freien Wähler stellen dazu nun kritische Fragen und kritisieren erneut das Krisenmanagement der ADD. Die vergab tatsächlich freihändig den Auftrag von überschlägig rund 730.000 Euro – an Motowns eigene Betriebsfirma.

Eventmanagerin Missy Motown im August 2021 auf der Pressekonferenz der ADD. - Screenshot: gik
Eventmanagerin Missy Motown im August 2021 auf der Pressekonferenz der ADD. – Screenshot: gik

„Zentrale Aufgabe des Helfer-Stabs ist es, als Brücke zwischen freiwilliger Hilfe, großen Hilfsorganisationen und öffentlichen Behörden zu fungieren, um so Hilfsaktionen zu koordinieren“, so heißt es auf der Homepage der gemeinnützigen Organisation, die im September 2021 gegründet wurde, und so sagte es Missy Motown in der Pressekonferenz von ADD und Polizei Rheinland-Pfalz im August 2021.

Als Gründerin und Organisatorin wurde auf der Pressekonferenz am 24. August „Missy Motown“ präsentiert, eine Konzertveranstalterin aus Frankfurt, die in Krälingen oberhalb des Ahrtals lebt. „Missy, die im Hintergrund sehr viel organisiert hat, hat einen Helfer-Stab gegründet“, sagte ADD-Präsident Thomas Linnertz damals, Motown selbst ergänzte selbstbewusst: „Wir koordinieren die kompletten Ehrenamtler und die Verwaltung der aktuellen Ressourcenlager.“

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Vertrag für Helferstab-Personal mit Missy Motowns eigener Firma

Seither betreibt der Helfer-Stab eigenen Angaben zufolge zusammen mit der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) und der Architektenkammer die sogenannten „Info-Points“ im Ahrtal: Anlaufstellen für Flutbetroffene, wo es Hilfe und Informationen zum Wiederaufbau gibt. Und um diesen Helfer-Stab und seine Infopoints gibt es nun Ärger, genauer gesagt: Um die Finanzierung. Denn das Mainzer Innenministerium teilte nun mit, für das Personal dieser Infopoints wurde ein Auftrag in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro an eben die Frankfurter Eventmanagerin vergeben – aber nicht an den Helfer-Stab selbst, sondern an die Frankfurter Firma von Missy Motown.

Die damalige ADD-Vizepräsidentin Begona Hermanns (ganz rechts) mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) bei einem Termin im Ahrtal zur "Aufsuchenden Hilfe" des Helferstabs. - Foto: rlp
Die damalige ADD-Vizepräsidentin Begona Hermanns (ganz rechts) mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) bei einem Termin im Ahrtal zur „Aufsuchenden Hilfe“ des Helferstabs. – Foto: rlp

Laut der Antwort von Innen-Staatssekretärin Nicole Steingaß auf eine Anfrage der Freien Wähler vergab die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) am 7. September 2021 einen Dienstleistungsauftrag an die „m2a artitude Betriebs GmbH“ mit Sitz in Frankfurt. Inhalt des Vertrags: eine „Personalgestellung von bis zu 15 Mitarbeitenden zur Besetzung der Infopoints.“ Vereinbart wurde dafür eine Besoldung in der Besoldungsgruppe E6 pro Mitarbeiter sowie zusätzlich eine Verwaltungskostenpauschale von 15 Prozent je eingestelltem Helfer pro Monat.

Damit sei es bei diesem Auftrag „um einen stolzen Betrag von 45.737 Euro im Monat“ gegangen, rechnete nun der Obmann der Freien Wähler im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal, Stephan Wefelscheid, vor. Dabei gehe er von 15 Stellen der Besoldungsgruppe E6 nach dem Tarifvertrag der Länder aus – das entspreche einer Besoldung von 2.651,42 Euro pro Monat und Stelle.

Rund 730.000 Euro für Personal der Info-Points im Ahrtal

„Legt man die Dauer des gesamten Projektes von September 2021 bis Dezember 2022, also 16 Monate zugrunde, kommt unter dem Strich ein stolzer Betrag von 731.792 Euro inklusive einer Verwaltungspauschale von 95.451,20 Euro“ zusammen“, rechnete Wefelscheid weiter vor. Das sei ein durchaus lukrativer Vertrag, der auch für weitere Interessenten interessant gewesen wäre, sagte Wefelscheid, und fragt nun: „Welche weiteren Firmen wurden denn noch angefragt, außer der Firma von ‚Missy Motown‘?“

Missy Motown in einem Video-.Gespräch mit Adrian Waschow vom Helfer-Stab, zu finden auf der Homepage des helfer-Stabs. - Screenshot: gik
Missy Motown in einem Video-.Gespräch mit Adrian Waschow vom helfer-Stab, zu finden auf der Homepage des Helfer-Stabs. – Screenshot: gik

Missy Motown, die eigentlich Nicole Schober heißt, hatte bis kurz vor der Flutkatastrophe als Geschäftsführerin den Frankfurter Live Musik Club „Das Bett“ geleitet, der in der Corona-Pandemie wie so viele andere Clubs auch in finanzielle Turbulenzen geriet. Gleichzeitig lebte Motown aber auch mit ihrer Lebenspartnerin auf einem alten Hof in Krälingen oberhalb des Ahrtals – und kam just in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 nachhause zurück.

Im Angesicht der Katastrophe begann auch Motown zu helfen, von Krisenstäben oder Katastrophenhilfe oder gar Kippladern aber hatte sie selbst zu diesem Zeitpunkt eher weniger Ahnung, wie Motown selbst in einem Video auf der Seite des Helfer-Stabs bekannte: „Ich hatte von der Katastrophenhilfe so wenig Ahnung, wie die Kuh vom Fliegen, das hat sich ergeben.“ Der Helfer-Stab habe Jobs ins Ahrtal gebracht, betont Motown in dem Video weiter, ein Großteil der inzwischen 70 Helfer des Stabs seien Flutbetroffene, die hier lebten. „Ich sehe bis heute nichts schlimmes dran, Jobs als Helfer anzubieten.“

Freie Wähler: Warum Auftrag ausgerechnet an m2a vergeben?

Die Freien Wähler kritisieren derweil die fehlende Transparenz bei der Vergabe des Auftrags: „Bei einem derart großen Auftragsvolumen wäre es sicherlich ratsam gewesen, das Verfahren so transparent und öffentlich wie möglich zu gestalten“, sagte Wefelscheid: „Welche Leistungsmerkmale führten letzten Endes dazu, den Auftrag gerade an diese Eventfirma aus Frankfurt am Main zu vergeben?“

FW-Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, vor dem Mainzer Landtag. - Foto: FW
FW-Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, vor dem Mainzer Landtag. – Foto: FW

An der Ahr seien damals sehr viele freiwillige Fluthelfer im Einsatz gewesen, „die sicherlich auch über Kontakte verfügen“, sagte Wefelscheid weiter: „Ich bin mir sicher, dass es auch weitere gute Angebote gegeben hätte, wenn wenigstens die lokalen Akteure von der Vergabe gewusst hätten. Mehr Transparenz hätte sicherlich gutgetan.“

Im  Innenministerium rechtfertigt man sich, die Infopoints seien damals, im August 2021, „unverzichtbare Einrichtungen zur Information und Betreuung der betroffenen Bevölkerung und auch der Helferinnen und Helfer“ gewesen. „Nach ausführlicher Prüfung“ und nach Rücksprache mit den zuständigen Verwaltungen hätten aber werde die ADD noch die meisten Kommunen „ausreichende Personalressourcen stellen können, um die Infopoints langfristig zu personalisieren“, heißt es in der Antwort weiter.

Vertrag von der ADD geschlossen, mit Soforthilfe finanziert

Geschlossen wurde der Vertrag vom Verwaltungsstab der ADD, der damals von der ADD-Vizepräsidentin Begona Hermann geleitet wurde – Hermann ist inzwischen massiv in die Kritik geraten wegen eines USA-Urlaubs kurz nach der Flut Anfang August 2021. Hermann, die Ende Dezember 2022 in Ruhestand ging, konnte den Urlaub trotz massivem Personalmangels in der heißen Phase der Krisenbewältigung nach der Flut antreten, inzwischen hat das Innenministerium gegen die Ex-Vizepräsidentin ein Disziplinarverfahren eingeleitet: Das Innenministerium wirft Hermann vor, eine Dienstreise in die USA fingiert zu haben, um ein Einreisevisum zu erhalten – wegen der Corona-Pandemie wurden damals Einreisen zu privaten Zwecken nicht gestattet.

Im Chaos nach der Flut im Juli 2021 kämpften Helfer mit Trümmern und Schlammmassen. - Foto: gik
Im Chaos nach der Flut im Juli 2021 kämpften Helfer mit Trümmern und Schlammmassen. – Foto: gik

Auch der Vertrag für das Personal des Helfer-Stabs soll nach Mainz&-Informationen maßgeblich auf Begoña Hermann zurückgehen. Nach Beendigung der Einsatzleitung durch die ADD sei der Vertrag dann am 1. Oktober 2021 auf die Kreisverwaltung Ahrweiler übergegangen, die den Vertrag zum 31. Dezember 2022 gekündigt habe, so das Ministerium weiter. Die Kosten habe nach dem Brand und Katastrophenschutzgesetz der Landkreis tragen müssen, dem aber hätten Bund und Land dafür Mittel zur Verfügung gestellt – und zwar aus Soforthilfemitteln für die Flutkatastrophe.

„Heute wird die Bürgerberatung wieder von den Stadt- und Gemeindeverwaltungen durchgeführt, und in den InfoPoints finden die Betroffenen der Flutkatastrophe Hilfe beim Ausfüllen der Anträge der ISB sowie eine Bauberatung durch Architektinnen und Architekten“, heißt es nun auf der Internetseite des Helfer-Stabs – der aber dennoch weiter aktiv ist, unter anderem mit dem Projekt „Aufsuchende Hilfe“. Doch wie finanzieren sich diese Projekte nach dem Auslaufen des Vertrags mit dem Kreis Ahrweiler?

Neue Verträge der ISB mit m2a für 2023

Seit dem 1. Januar 2023 gebe es nun „zwei vertragliche Vereinbarungen zwischen der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) und der „m2a artitude Betriebs GmbH“, teilte das Innenministerium des Landes nun auf Mainz&-Anfrage mit. Um welche Beträge es sich hierbei handelt, sagte das Ministerium nicht, inhaltlich gehe es dabei um die Organisation und den Betrieb der „Aufsuchenden Hilfe“, aber auch weiter um die „personelle Betreuung und Organisation der Info-Points“, und zwar „insbesondere zu den Förderprogrammen der Aufbauhilfe RLP 2021.“ Die Finanzierung „erfolgt bei beiden Verträgen über Mittel des Landes“, so die Antwort weiter.

Trümmerberge in der Innenstadt von Ahrweiler am 20. Juli 2021. - Foto: gik
Trümmerberge in der Innenstadt von Ahrweiler am 20. Juli 2021. – Foto: gik

„Aus meiner Sicht ergeben sich wieder einmal mehr Fragen als Antworten“, kritisierte Wefelscheid: „Man müsste ja erwarten, dass solche Anlaufstellen durch erfahrene Verwaltungsmenschen geführt werden.“ Der gesamte Vorgang müsse „schonungslos aufgeklärt werden“, insbesondere weil die Gelder unter anderem aus den Leistungen an Kommunen im Zuge der Flutkatastrophe stammten.

Die Freien Wähler wollen nun wissen, ob die Überlassung von Arbeitnehmern überhaupt korrekt gelaufen ist: Dafür bedürfe es nämlich der Genehmigung der Agentur für Arbeit, er wolle wissen, ob eine solche vorgelegen habe, sagte Wefelscheid weiter: „Sollte das nicht der Fall sein, handeln sowohl Verleiher als auch Entleiher ordnungswidrig, das kann ein Ordnungsgeld von bis zu 30.000 Euro nach sich ziehen.“

„Diskreditierung von Helfern weisen wir als Land klar zurück“

Die Landesregierung fühlte sich derweil am Freitag genötigt, den Helfer-Stab vehement gegen Kritik zu verteidigen: „Initiativen wie der Helfer-Stab haben ab dem Zeitpunkt der Katastrophe Großes geleistet: Beim Aufräumen wurde angepackt, Betroffene wurden betreut und bis heute werden wichtige Beratungen angeboten“, sagte die für den Wiederaufbau im Ahrtal zuständige Innen-Staatssekretärin Nicole Steingaß, und klagte: „Mich erschreckt die Schärfe, mit der diese Menschen und ihr Engagement derzeit angegangen werden. Die Diskreditierung von Helferinnen und Helfern weisen wir als Landesregierung klar zurück.“

Fahne eines "Infopoint Hochwasser" in Ahrtal.- Foto: ADD
Fahne eines „Infopoint Hochwasser“ in Ahrtal.- Foto: ADD

Die ISB arbeite mit dem Helfer-Stab im Rahmen der Umsetzung der Aufbauhilfe RLP 2021 „sehr gut zusammen“, sagte Steingaß weiter. Die Mitarbeiter in den Infopoints unterstützten „im Auftrag der ISB die von der Flut betroffenen Menschen bei der Antragstellung und den weiteren Bearbeitungsprozessen wie beispielsweise der Abschlagszahlung und dem Mittelabruf“, bekräftigte auch ISB-Vorstandsmitglied Ulrich Link persönlich. Alle in den Infopoints beschäftigten Personen seien „in den Programmen der Aufbauhilfe durch uns geschult“ worden, man stehe in digitalen Meetings und durch Besuche vor Ort „im regelmäßigen Austausch und können die kompetente Betreuung in den Infopoints sicherstellen.“

Steingaß betonte zudem, es sei „auch richtig gewesen“, dass Landesbehörden und Kommunen Aufträge an die Helfer-Initiativen vergeben hätten. „In den ersten Wochen nach der Flut war zügige und unkomplizierte Hilfe das A und O“, betonte die Staatssekretärin: „Gerade deshalb hat die Landesregierung es ermöglicht, dass Aufträge schnell und ohne langwierige Ausschreibungen vergeben werden konnten.“ Die privaten Helfer „waren vor Ort, kannten die Situation und waren gewillt, weiter anzupacken – deshalb war es folgerichtig, diese auch zu beauftragten“, so Steingaß weiter. Das gelte im Übrigen „nicht nur für den Helfer-Stab, sondern auch für viele andere Helfer“, fügte sie hinzu.

FW: „Es geht um die Methodik der ADD beim Krisenmanagement“

Auch die heutige Landrätin des Kreises Ahrweiler, Cornelia Weigand (parteilos) fühlte sich aufgerufen, den Helfer-Stab in Schutz zu nehmen: „Wir als Kreis Ahrweiler betonen ausdrücklich, dass die Arbeit von Initiativen wie dem Helfer-Stab maßgeblicher Bestandteil der Hilfe im Ahrtal nach der Flutkatastrophe war und immer noch ist. Umso unverständlicher sind persönliche Angriffe, die auf die Diffamierung einzelner Helferinnen und Helfer abzielen.“ Welche Angriffe die Landrätin damit meinte, sagte sie indes nicht.

Weigand betonte lediglich, es sei in den Tagen nach der Flut darauf angekommen, unter extremen Voraussetzungen akute logistische Probleme zu lösen, und – wie etwa bei der Beschaffung von dringend benötigtem Equipment und Material – „professionell und gut strukturiert zu agieren“, betonte sie weiter: „Das ist einigen Initiativen wie dem Helfer-Stab glücklicherweise in vielerlei Hinsicht gelungen.“

Tausende Helfer kamen in den Tagen nach der Flut ins Ahrtal und halfen beim Schlamm schaufeln und auch bei der Organisation. - Foto: gik
Tausende Helfer kamen in den Tagen nach der Flut ins Ahrtal und halfen beim Schlamm schaufeln und auch bei der Organisation. – Foto: gik

„Hier geht es nicht um die gute Arbeit der Fluthelfer, das stellt ja niemand in Abrede“, sagte Wefelscheid gegenüber Mainz&: „Es geht darum, mit welcher Methodik die ADD bei der Krisenbewältigung vorgegangen ist.“ Seine Kritik gelte nicht den Mitarbeitern, sondern dem Krisenmanagement der ADD und ihres Präsidenten Linnertz – Wefelscheid hat bereits mehrfach den Rücktritt des ADD-Präsidenten wegen des katastrophalen Krisenmanagements nach der Flut gefordert.

„Wenn Mitarbeiter einer Eventagentur übers Knie gebrochen eingesetzt werden, zeigt das einmal mehr, dass die ADD auf Großschadenslagen nicht vorbereitet war“, kritisierte Wefelscheid. In Krisen-Einsatzplänen „steht ja nicht drin: man beauftragt freihändig eine Eventagentur“, fügte er hinzu.

Info& auf Mainz&: Mehr zur Kritik von Bürgermeistern und freiwilligen Helfern an dem Krisenmanagement der ADD nach der Flut lest Ihr auch hier bei Mainz&.