Wart Ihr schon mal auf Wiesbadens Hausberg, dem Neroberg? Nein? Solltet Ihr unbedingt tun – und Ihr solltet nicht zu Fuß gehen. Denn bergan zuckelt man nostalgisch, schräg und kultig mit einem ganz besonderen Gefährt: Der Nerobergbahn. Seit 130 Jahren rollt die Standseilbahn aus dem 19. Jahrhundert bereits den Neroberg hinauf und natürlich auch wieder hinunter. Das Besondere an der Nerobergbahn: Sie die älteste mit Wasserballast betriebene Standseilbahn in Deutschland. Eine echte Zeitreise. Am 24. März startet die einzigartige Bahn in die Saison 2018, 270.000 Fahrgäste genossen das Vergnügen einer Fahrt mit Wiesbaden „schrägstem Wahrzeichen“. Mainz& hat die Nerobergbahn 2015 schon mal besucht – und damals diese Reportage mitgebracht. Viel Spaß! Details zur Saisoneröffnung gibt’s am Ende noch einmal.
Die Fahrt führt mitten durch den Wald, mehr als 400 Meter lang ist die Strecke, 83 Höhenmeter überwindet die Bahn und schafft damit am steilsten Stück eine Steigung von 26 Prozent. Am Ende der dreieinhalb Minuten Fahrzeit steht der Fahrgast auf dem 245 Meter hohen Neroberg – und kann die wunderschöne Aussicht auf Wiesbaden genießen. Als Touristenbahn wurde die Nerobergbahn denn auch gebaut, 1888 war das, der Erbauer: der Baden-Badener Unternehmer Carl Rudolph.
Kaiser Wilhelm II. traute der Standseilbahn nicht so recht
Es war die Zeit, als der Tourismus so richtig zum Zeitvertreib der adligen Eliten geworden war – auch die Seilbahn Rüdesheim samt dem Niederwald-Denkmal wurden in dieser Zeit errichtet. 1888, da war die Weltkurstadt Wiesbaden bereits der Treffpunkt von Adel und Kaiser, im „Nizza des Nordens“ traf sich die Elite Europas, gerade auch aus Russland. Auch der deutsche Kaiser Wilhelm II. weilte regelmäßig in Wiesbaden, da kam die Bahn auf den Neroberg gerade recht.
„Man sagt, Kaiser Wilhelm ist immer mit dem Pferd hochgeritten, weil er der Bahn nicht getraut hat“, weiß Sabine Füll zu erzählen – nun, der Kaiser war nicht der modernste aller Monarchen. Füll ist seit Januar 2015 die Betriebsleiterin der Nerobergbahn, und einfach so durfte die Betriebswirtin das nicht werden: „Ich musste einen Betriebsleiter-Lehrgang machen und saß dann in einem Lehrgang über Seilbahnen“, berichtet Füll. Dreieinhalb Wochen lang büffelte sie als einzige Frau zwischen lauter Ingenieuren Grundlagen des Maschinenbaus und technische Systeme wie die Notbremse.
Betriebsleiterin Füll könnte auch die Zugspitz-Seilbahn leiten
„Ich könnte jetzt auch die Seilbahn auf die Zugspitze leiten“, sagt Füll, und lacht, doch der Lehrgang, sagt sie, sei schon wichtig gewesen: „Der Betriebsleiter ist für den sicheren und ordnungsgemäßen Bahnbetrieb verantwortlich“, betont sie, „da gehört auch dazu, jede Schraube an der Bahn zu kennen.“ Denn schließlich ist die Nerobergbahn nicht irgendeine Standseilbahn: Sie ist die einzige mit Wasserballast betriebene Standseilbahn in Deutschland – und eine der letzten ihrer Art weltweit.
Das Prinzip ist eigentlich ganz simpel: Zwei Wagen hat die Bahn, der obere wird mit Wasser befüllt, rollt zu Tal und zieht dabei durch sein Gewicht den unteren Wagen nach oben. Mindestens 3.500 Liter müssen in der Bahn sein, allein um das Gewicht des Wagens zu bewegen. Für jede Person muss mehr Wasser gefüllt werden, maximal kann die Bahn 40 Personen in einem Wagen befördern – dafür braucht es dann 7.000 Liter.
Einzigartiges Antriebssystem mit Wasser
„Unser Antriebssystem ist einzigartig, das macht den Reiz aus“, berichtet Füll, „gerade Kinder stehen da mit offenem Mündern.“ Zusehen, wie das Wasser aus dem Tank rauscht oder hinein – eine echte Attraktion der Nerobergbahn. Weltweit gibt es nur drei andere solche Bahnen, erzählt Füll: in England, in Portugal und in der Schweiz. Die zweite Besonderheit ist die Weiche in der Mitte der Strecke, dort rauschen dann die beiden Wagen aneinander vorbei, bevor sie wieder auf die Hauptschiene einschwenken.
Und dann ist da natürlich noch der steinerne Viadukt, der in vier großen Bögen das Nerotal überspannt. Heute kaum zu glauben, aber das Bauwerk war bei seinem Bau heftig umstritten – es wurde als unpassender technischer Eingriff in die Natur empfunden.
Revision im Winter, Finanzprobleme zu Anfang
Natürlich braucht die alte Bahn in den nassauischen Farben blau und gelb liebevolle Pflege: Der Oberbau der Wagen wurde 1962 erneuert, der Unterbau aber mit Wassertanks und Achsen stammt noch original aus 1888. Alle Ersatzteile müssen heute extra angefertigt werden. „Wir machen unserer Revision selbst, immer zwischen November und März“, berichtet Füll. Jeder Wagen werde dann auseinander genommen, die Teile gepflegt und anschließend wieder zusammen gesetzt. „Das dauert den ganzen Winter“, sagt Füll.
Die Winterpause hat Tradition: Von Anbeginn an erzwang der Frost im Winter die Pause der Nerobergbahn. Die Wiesbadener liebten das Ausflugsziel, nur in den 1920er Jahren wurde der Betrieb ein Mal eingestellt – zu teuer. Schon ihr Erbauer Rudolph musste die Bahn nach nur zwei Jahren 1890 wieder verkaufen – man munkelte, er war in Geldnöten. An mangelnden Fahrgästen kann es nicht gelegen haben: 1888 bis 1889 wurden knapp 115.000 Personen befördert und Einnahmen von 27.500 Mark erzielt – bei Betriebskosten von 11.000 Mark.
Ausländische Filmteams, Selbstmord vom Viadukt in deutschem Krimi
Heute wird die Nerobergbahn von den Wiesbadener Verkehrsbetrieben ESWE betrieben und befördert mehr als 300.000 Personen im Jahr, das sei „fast kostendeckend“, sagt Füll. Im Zweiten Weltkrieg waren die Gleise der Bahn schwer getroffen worden, 75 Meter fehlten, ein Betriebsleiter stellte nach dem Krieg die Gleise wieder her. Doch da beschlagnahmten zunächst die Amerikaner die Bahn für ihre Offiziere, erst ab April 1948 durften auch die Wiesbadener wieder mitfahren.
Auch heute noch sind viele Gäste ausländische Touristen. Das japanische und das amerikanische Fernsehen seien regelmäßig zu Gast, berichtet Füll, der russische Präsident Putin fuhr allerdings nur winkend an der Bahn vorbei. Auch deutsche Krimiserien wurden schon entlang der Bahn in Szene gesetzt. So stürzte sich in der Serie „Der Staatsanwalt“ mit Rainer Hunold jemand von der Brücke des Viadukts über das Nerotal. In der Realität hatte die Nerobergbahn in ihren 127 Jahren aber noch nie einen einzigen Unfall.
Golden Retriever Fan der Nerobergbahn
Und selbst bei Tieren hat die Bahn Fans: „2014 saß auf einmal ein Golden Retriever auf der Plattform und wollte, ganz allein, hochfahren“, berichtet Füll. Der Hund durfte. „Die Bahn“, sagt Füll, „ist nicht nur ein Job, sie ist Einstellungssache.“ An der Talstation erinnert im ehemaligen Toilettenhäuschen heute ein kleines Museum an die alten Zeiten, alte Zahnräder, Fahrkarten und Fahrkartenautomaten sind hier zu sehen – und die erste Fahrkarte, Preis: 20 Pfennig.
Heute kostet eine Fahrt mit der Nerobergbahn 4,- Euro, wer Berg- und Talfahrt zusammen bucht, zahlt 5,- Euro. Oben auf dem Neroberg lockt aber nicht nur die tolle Aussicht über Wiesbaden und das Rheintal bis nach Mainz: Hier steht auch die russische Kirche, die 1847 bis 1855 von Herzog Adolf von Nassau zu Ehren seiner früh verstorbenen Gemahlin gebaut wurde, der russischen Prinzessin Jelisaweta Michailowna, Großfürstin von Russland und Herzogin von Nassau. Außerdem stehen hier der Kletterwald Neroberg und natürlich das herrliche Opelbad.
Saisonstart für 2018 ist am 24. März um genau 10.00 Uhr, am Eröffnungstag dürfen alle Geburtstagskinder mit einer Begleitperson kostenlos mit der Bahn fahren (bitte ein Ausweisdokument vorzeigen). Am langen Osterwochenende – von Karfreitag, 30. März, bis Ostermontag, 2. April – warten weitere Attraktionen auf die Besucher wie eine kostenlose Führung auf dem Walderlebnispfad und ein Osterrätsel-Gewinnspiel. Die offizielle Geburtstagsparty zum 130. Geburtstag findet am 26. August 2018 von 12.00 bis 18.00 Uhr mit einem Nerobergbahn-Fest auf dem Plateau des Berges statt.
Info& auf Mainz&: Alles über die Nerobergbahn findet Ihr auf dieser Internetseite der Stadt Wiesbaden. Die Bahn fährt von Mai bis August täglich von 9.00 Uhr bis 20.00 Uhr im 15-Minuten-Takt. Im April, September und Oktober lauten die Fahrzeiten 10.00 Uhr bis 19.00 Uhr. Erwachsene zahlen 4,- Euro für die einfache Fahrt, hin und zurück 5,- Euro, Kinder von 6 bis 14 Jahren zahlen einfach 2,50 Euro, hin und zurück 3,- Euro. Es gibt Familien- und Gruppenkarten. Noch mehr Einzelheiten zu Geschichte und Technik findet Ihr in diesem Wikipedia-Artikel.
Die Nerobergbahn ist auch eines von 80 Glücksorten, beschrieben in meinem gleichnamigen Buch „Glücksorte in Wiesbaden“ vom DROSTE Verlag. Übrigens, die zweite Auflage ist derzeit im Druck und gerne verabreden wir für uns für ein Interview zur Buchvorstellung.
Haben Sie Lust?
Viele Grüße
Bärbel Klein