„Disneyworld“, „Sandmännchen“, ja sogar „Notausstieg“ – die Reaktionen auf die Nachricht über die Kostenexplosion bei der Rathaussanierung fielen heftig aus: CDU und Linke warfen Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) am Dienstagabend nichts weniger als Wählertäuschung vor. Ebling habe den Wählern vor der Kommunal- und OB-Wahl Sand in die Augen gestreut, wetterte die Linke, die CDU-Opposition stellt gar den Sanierungsbeschluss des Stadtrats in Frage. „Man hat mit dem Bürgerforum und der Dachterrasse die Leute vor dem Wahlkampf geködert“, schimpfte die Mainzer CDU-Chefin Sabine Flegel, dass diese Elemente nun einfach wegfallen sollten, sei überhaupt nicht akzeptabel.

Das Mainzer Rathaus ohne Fassadengitter von der Rheinallee aus gesehen. - Foto: gik
Das Mainzer Rathaus ohne Fassadengitter von der Rheinallee aus gesehen. – Foto: gik

Am Dienstag hatte Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) einräumen müssen, dass die Sanierung des denkmalgeschützten Arne Jacobsen-Baus erheblich teurer wird als geplant. 2018 hatte der Stadtrat die Sanierung des fast 50 Jahre alten Bauwerks am Mainzer Rheinufer mit rund 71 Millionen Euro Baukosten genehmigt, Ebling sagte am Dienstag: Das Sanierungskonzept mit dem geplanten Kostenrahmen seien nicht mehr zu halten. Statt 71 Millionen Euro würde das Bauvorhaben samt geplanter Komponenten 114 Millionen Euro kosten, er werde dem Stadtrat deshalb einen neuen Kostenplan von rund 97,1 Millionen Euro vorschlagen.

Dafür sollen wesentliche Neuerungen wie eine Dachterrasse für die Bürger sowie ein zweigeschossiges, transparentes Bürgerfoyer im Eingangsbereich wegfallen, die Natursteinfassade durch eine Keramikfassade ersetzt werden, die mit Hilfe von 3D-Druck Struktur und Aussehen des ursprünglichen Porsgrunn-Marmors simulieren soll. Ebling machte für die Kostenexplosion um mehr als ein Drittel der ursprünglichen Kosten Baukostensteigerungen von rund 16 Prozent geltend, aber auch Anforderungen der Denkmalpflege, die sich auf rund 21 Millionen Euro summierten.

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Skizze des geplanten Bürgerdachs für das Mainzer Rathaus. - Grafik: agn / Nixdorf
Skizze des geplanten Bürgerdachs für das Mainzer Rathaus. – Grafik: agn / Nixdorf

„Nun ist die Katze aus dem Sack“, kritisierte Linken-Stadtrat Martin Malcherek, die Verantwortlichen hätten die Kosten „im Vorhinein kleingeredet werden, um politische Beschlüsse zu bekommen.“ Die Kostenexplosion von einem Drittel Mehrkosten weise „auf schwere handwerkliche Mängel der Verantwortlichen hin“, sagte er, auch wenn Baukostensteigerungen nichts Neues sein. Das sei nicht zu stemmen, „ohne den haushaltspolitischen Sparkurs der Ampel komplett aufzugeben“, betonte Malcherek, die Verwaltung müsse nun schnell Handlungsalternativen und einen transparenten Prozess zur Entscheidungsfindung aufzeigen. „Eine Sanierung um jeden Preis wird es mit der LINKEN jedenfalls nicht geben“, betonte der Linke.

„Der eigentliche Skandal liegt aber nicht darin, dass die Summe von 97,4 Millionen Euro auf dem Tisch ist, sondern dass sie erst jetzt genannt wird“, kritisierte Malcherek weiter: „Die 100-Millionengrenze wird bereits seit mehr als eineinhalb Jahren hinter vorgehaltener Hand weitergegeben und war deshalb der Verwaltung wohl bereits vor Kommunal- und OB-Wahl bekannt.“ Ebling habe offenbar „den Sandmann gegeben und den  Wählerm bewusst Sand in die Augen gestreut.“

Seit 2019 wird das Mainzer Rathaus bereits für die Sanierung vorbereitet, die Fassadengitter sind bereits abgebaut. - Foto: gik
Seit 2019 wird das Mainzer Rathaus bereits für die Sanierung vorbereitet, die Fassadengitter sind bereits abgebaut. – Foto: gik

Auch die CDU-Opposition reagierte entsetzt: „Ich bin stinksauer, das war doch vorhersehbar“, sagte am Dienstagabend die Mainzer CDU-Chefin Sabine Flegel gegenüber Mainz&. Die Kostensteigerung sei doch keine Überraschung, die CDU habe schon früh gewarnt, dass die Sanierung des maroden Baus 100 Millionen Euro und mehr kosten könne, betonte auch CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig. Dass der OB erst jetzt die Dimensionen eingestehe, zeige doch „deutlich, dass Michael Ebling in der Frage der Rathaussanierung von Anfang an nicht mit sauberen Zahlen gearbeitet hat und dies offenbar auch weiterhin nicht zu tun gedenkt“, schimpfte Schönig.

Tatsächlich hatte die CDU im Oberbürgermeister-Wahlkampf 2019 eindringlich gewarnt, die Kostenschätzung zur Rathaussanierung sei „aus der Luft gegriffen“, im Raum stünden längst 90 bis 100 Millionen Euro – doch die Stadtverwaltung weigere sich, eine aktualisierte Kostenschätzung vorzulegen. Viele Kosten seien „von Anfang an unter den Teppich gekehrt worden“, kritisierte am Dienstag auch CDU-Bauexperte Thomas Gerster. Die neue Kostenschätzung werde auch nur deswegen erreicht, weil Ebling den Sanierungsauftrag um wesentliche Leistungen kürzen wolle: Etwa das Bürgerforum, das begehbare Dach und die Multispacenutzungen sowie die Natursteinfassade.

Das Mainzer Rathaus mit seinem Ratssaal, Stühlen und Mobiliar wurde komplett vom dänischen Architekten Arne Jacobsen designed. - Foto: gik
Das Mainzer Rathaus mit seinem Ratssaal, Stühlen und Mobiliar wurde komplett vom dänischen Architekten Arne Jacobsen designed. – Foto: gik

„Dass das Rathaus durch die Sanierung weitestgehend erhalten bleiben wird, ist nur eine Illusion, am Ende werden alle Parteien enttäuscht“, kritisierte Gerster. Und dabei sei zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einmal mit dem Rückbau begonnen worden, der noch einige böse Überraschungen bergen könne. „Jetzt gebe es noch die Chance, den Notausstieg zu wählen“, forderte auch Gerster, „diese Chance sollte der Stadtvorstand wahrnehmen.“

Auch Flegel schimpfte, mit einer Sanierung im Denkmalschutz hätten die neuen Pläne doch nichts mehr zu tun: „Die Keramikfassade ist ein Witz“, sagte sie, eine Simulation von Optik und Maserung, das sei doch „Disneyworld.“ Das jetzt wichtige Elemente wie Bürgerdach und Forum herausgezogen werden sollten, sei „nicht in Ordnung“, betonte Flegel: „Man hat mit dem Forum und der Terrasse die Leute vor dem Wahlkampf geködert, das jetzt zu streichen, ist für mich nicht akzeptabel.“

Der Arne Jacobsen-Bau am Rheinufer ist bei den Mainzern umstritten, immer wieder wird deshalb über einen Abriss diskutiert. - Foto: gik
Der Arne Jacobsen-Bau am Rheinufer ist bei den Mainzern umstritten, immer wieder wird deshalb über einen Abriss diskutiert. – Foto: gik

Flegel forderte deshalb, das Projekt Rathaussanierung generell auf den Prüfstand zu stellen: „Ich stelle den Beschluss pro Sanierung in Frage“, sagte sie gegenüber Mainz&: „Man muss jetzt alles noch mal prüfen, ob das der richtige Weg ist.“ Mainz habe mit dem neuen Stadthaus derzeit „ein echtes Zentrum“ in der Stadt, das auch noch die Große Bleiche aufwerte. Es sei zudem „nicht haltbar“, erst mit einer Summe an die Öffentlichkeit zu gehen, „die behaglich und nachvollziehbar ist, und dann im Nachgang die Kosten zu verdoppeln“, schimpfte Flegel. Genau so sei die Stadtspitze auch bei der Mainzelbahn vorgegangen, auch hier seien erst Kosten von 50 Millionen angesetzt worden, „und jetzt stehen wir dort bei 100 Millionen Euro“, prognostizierte Flegel: „Das hat doch fast schon System.“

Auch die Stadtratsfraktion der AfD kritisierte die Verdoppelung der Kosten von ursprünglich 50 Millionen auf nunmehr 97,4 Millionen Euro als „unverantwortlich und skandalös.“ Die Konsequenz müsse jetzt ein Notbremse mit einem sofortigen Baustopp sein, die Aufhebung des Denkmalschutzes intensiv geprüft werden. Auch ein Abriss des Rathausgebäudes dürfe kein Tabu mehr sein und müsse einer Prüfung unterzogen werden, forderte AfD-Fraktionschef Lothar Mehlhose.

Info& auf Mainz&: Den ausführlichen Bericht zur Kostensteigerung der Rathaussanierung samt aller Fakten, Quellen und Hintergründe lest Ihr hier bei Mainz&.

 

 

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