Na, habt Ihr schon mal bei 30 Grad Eure Skischuhe aus dem Keller geholt, habt die Skier untergeschnallt und seid eine Piste runtergebraust? Nein? Dann aber los – genau das haben wir nämlich am Montag getan: Wir sind Skifahren gegangen. Möglich macht das in dieser Woche eine Aktion des Rheinhessischen Skiverbandes: Zum 200. Geburtstag von Rheinhessen nämlich hat der Skiverband im Binger Wald eine kleine Skipiste aufgebaut, Lift und Schanze inklusive. Möglich macht es eine Erfindung aus Chemnitz – und verrückte Rheinhessen, die einfach „ganz schön anders“ sind. Unsere Reportage:

Skifahren Binger Wald - Sprung über Schanze
Spaß auf der Piste bei 30 Grad – Verrückte Aktion des Skiverbands Rheinhessen im Binger Wald – Foto: gik

Es sieht aus wie Schnee, es glitzert wie Schnee und es ist echt glatt, sobald man einen Ski unter den Füßen hat. Die Sonne brennt vom Himmel, das Thermometer zeigt 27 Grad – und im Binger Wald schnallen sich Menschen Skier an die Füße. Ein kleiner Skilift führt die sehr sanfte Steigung hinauf, die Gespräche drehen sich um Skiwachs, Carving und Stemmbogen. Am Freitagabend ist große Après Ski Party.

„Man muss schon ein bisschen verrückt sein“, sagt Peter Schmieg vom USC Mainz schmunzelnd, „skiverrückt vor allem.“ Und das sind sie hier: An der Lauschhütte im Binger Wald ist der Parkplatz am Forsthaus für eine Woche zur Skipiste geworden. Möglich macht es eine Erfindung aus Chemnitz: Weiße Matten aus speziellem Kunststoff sorgen für ein Gleiten, das an eine Eisfläche erinnert.

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„Wir hatten hier heute schon zehn Leute, die noch nie auf Skiern gestanden haben“, berichtet Schmieg, „am Ende sind die alle den Hang runter.“ Wobei Hang etwas übertrieben ist: Ganze vier Grad Hangneigung hat der Parkplatz, 1.000 Quadratmeter Kunststoffmatten haben eine Länge von 70 Metern zu einer Rutschbahn werden lassen. Die Rampe am oberen Ende sorgt für den nötigen Schwung, sogar eine kleine Sprungschanze gibt es auf halber Strecke. Die Kids sausen jauchzend mit großen Gummireifen herunter.

Skifahren Binger Wald - Reindl beim Sprung über die Schanze
Jens Reindl beim flotten Sprung über die Schanze seiner Skipiste – Foto: gik

„Es macht ja so einen Spaß“, strahlt Mr. Snow persönlich. Jens Reindl ist selbst passionierter Snowboarder und Snowboardlehrer, 2009 sah der Wirtschaftsingenieur aus Chemnitz eine Sommer-Skistrecke in England. „Die Matten hatten mehr so Bürstenstruktur, die musste bewässert werden und war total schwergängig „, erinnert er sich. Das muss besser gehen, sagte sich Reindl – und begann mit einem befreundeten Kunststoff-Wissenschaftler an der TU Chemnitz zu forschen.

Drei Jahre dauerte die Entwicklungsarbeit, dann hatten Reindl und sein Team „textile Skipisten“ entwickelt. Das Besondere: Die Matten brauchen keinen Schnee und nicht einmal Wasser, sie werden einfach ausgelegt und mit Erdschrauben im Boden verankert. Die Tausenden von Noppen mit Luft dazwischen wirken wie ein Polster. Der Ski rutscht – und wie. Kurven sind nicht so einfach, beim Kanteneinsatz ist Schluss – es folgt eine unsanfte Landung. Ein Problem ist das nicht: Mit dem Skipass gibt es ein langärmeliges T-Shirt, gegen jedwede Verletzungsgefahr. Lange Hosen sind außerdem sinnvoll.

„Es ist natürlich kein Schnee“, räumt Reindl ein, der gebe schließlich nach und erlaube dem Ski, sich einzudrücken. Der Kunststoff ist dagegen unnachgiebig, die Piste schlägt sozusagen zurück. „Wir arbeiten mit Hochdruck an weiteren Entwicklungen“, verspricht Reindl, „damit auch die Carver unter den Skifahrern zufrieden sind.“ Und eigentlich empfehle er auch eine Mindesthangneigung von acht Grad für die Abfahrt, der Parkplatz an der Lauschhütte ist schon sehr flach. Ende des Jahres soll es aber auch Matten für Langlauf geben. Das Gleiten klappe schon super, nur der Abstoß für den Skifahrer sei noch ein Problem, räumt Reindl ein.

Textilpiste - Quelle Mr. Snow
Textilpiste aus Kunststoffnoppen statt Naturschnee – Foto: Mr. Snow

Seit 2013 ist „Mr. Snow“ eine Firma, 15 Skischulen und 30 Rodelbahnen haben sie inzwischen ausgestattet. In Norwegen kleideten sie eine Liftspur aus, gerade haben Koreaner angefragt, der Deutsche Skiverband hat eine Skicross-Trainingsstrecke in München mit den textilen Gleitbahnen ausgelegt. „Wir wollen zeigen, dass es Alternativen zu Kunstschnee gibt“, sagte Reindl, dass man auch im Sommer Skifahren könne – und das auch noch umweltverträglich.

Denn den Bergen geht zunehmend der Schnee aus, gerade die Mittelgebirge leiden unter massiv schwindenden Skikunden. „Es geht auch um ein Zeichen, dass man klimaneutral Skifahren kann“, sagt Frank Heilemann, Vorsitzender des Skiverbandes Rheinhessen und Initiator der Aktion. Und natürlich gehe es auch darum, für den Skiport zu werben, den Spaß am Outdoor-Sport. 40 Skiclubs hat Rheinhessen insgesamt, mehr als 20.000 Aktive frönen dabei dem Skisport.

Skifahren Binger Wald - Spaß mit der Tube 2
Spaß kann man auf der Textilpiste auch mit den großen Tubes haben – Foto: gik

Doch die Skiorte in den Alpen leiden immer mehr unter Schneearmut im Winter, in den Mittelgebirgen lohnen sich viele Lifte nicht mehr – und sportlich gibt es auch immer mehr Alternativen zum Skifahren. Also müssen sie sich etwas einfallen lassen in den Skiclubs – Reindls textile Skimatten könnten da eine Antwort sein. „Warum in eine Skihalle investieren?“, sagt Heilemann, wenn es doch auch so geht.

Der Vorteil der Matten sei auch, dass man sie alle paar Wochen umziehen könne, so leide die Natur nicht und die Skipiste variiert auch noch. „Die Leute sollen auch sehen, dass wir mit der Natur arbeiten, nicht gegen sie“, sagt Heilemann. Und, sagt der Verbandschef noch, er könne sich schon vorstellen, so eine Anlage ganzjährig zu betreiben. Dann, sagt er noch, müssten die Leute auch nicht mit dem Auto Hunderte von Kilometern weit fahren – Skifahren vor der Haustür kommt auf einmal wieder in Reichweite.

Skifahren Binger Wald - gik auf der Piste kleiner
Beweisfoto: Die Autorin auf der Skipiste – Foto: Kollegin von gik

Die Aktion Skifahren im Sommer aber findet erst einmal nur diese Woche statt. Jeden Tag betreut ein anderer rheinhessischer Skiclub die Strecke, vormittags gibt es kostenlose Skikurse, das Material kann man vor Ort leihen oder auch selbst mitbringen. Der Kunststoff verkratze die Skier nicht, versichert Reindl.

Am Freitag feiert der Skiverband Rheinhessen an der Skipiste 15 Jahre Verband mit Skifahren, Präsentation und Rollski-Vorführungen. Und am Freitagabend gibt es eine zünftige Après Ski Party, Almdorf, Livemusik und Trachten inklusive. Die Aktion hat sich Heilemann zum 200. Jubiläum Rheinhessens ausgedacht. Dessen Motto sei doch „ganz schön anders“, sagt er noch, „und das hier ist ganz schön anders.“

Info& auf Mainz&: Die Aktion Sommerski im Binger Wald geht noch bis einschließlich Sonntag, 24. Juli 2016. Ort ist der Parkplatz am Forsthaus Lauschhütte nördlich von Bingen. Täglich von 9.00-18.00 Uhr. Tagesskipass inklusive Longshirt 15,- Euro Erwachsene, 12,- Euro für Kinder. Ausrüstung mitbringen oder vor Ort mieten: Erwachsene 8,- Euro für 2 Stunden, Kinder 7,- Euro. Freitag 15 Jahre Skiverband Rheinhessen, ab 20.00 Uhr Après Ski Party. Wer in Tracht kommt, erhält verbilligten Eintritt. Infos unter www.svrhh.de.

Anfahrt: Navi-Adresse: Weiler bei Bingen und dann Forsthaus Lauschhütte eingeben. Von der Autobahn 61 Richtung Koblenz fahrt Ihr in Stromberg ab und dann Richtung Daxweiler, von dort den Schildern zum Forsthaus folgen. Wer übrigens keine Lust zum Skifahren hat: Dort oben gibt es auch einen Kletterwald, eine Bogenschießstrecke und viel Wald. Außerdem ist am Forsthaus ein Restaurant.

 

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