Am 1. Februar 2017 hatten wir bei Mainz& diesen Artikel veröffentlicht – angesichts der Diskussion im August 2017 ist er so aktuell wie nie, deshalb heben wir ihn für Euch noch einmal auf die Startseite von Mainz&: Schon vor sieben Monaten ging es um das Stickoxid-Problem, die Diesel-Busse in Mainz, Forderungen nach Umrüstung und die Frage, wo das Geld herkommen soll. Auch über die Vorwürfe gegen die Geschäftspraktiken der Deutschen Umwelthilfe berichteten wir damals schon. Derzeit behaupten Politiker gerne, die Diesel-Stickoxid-Problematik wäre erst in diesem Sommer so richtig bekannt geworden – das ist grundfalsch: Die Deutsche Umwelthilfe katapultierte mit der Wiederaufnahme ihrer Klage gegen die Stadt Mainz (und andere) Ende 2016 das Problem Diesel und Fahrverbote zurück auf die politische Agenda. Im Bundestagswahlkampf nun reagiert die Politik endlich – die Infos dazu:
Die Stickoxide in Mainz bewegen sich weiter auf hohem Niveau: Am Dienstag legte das Umweltbundesamt die Messwerte für das Jahr 2016 vor, für Mainz gab es keine guten Nachrichten. An zwei Stellen im Stadtgebiet wird der Grenzwert von 40 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter weiter deutlich gerissen, zwei weitere Stellen sind nur knapp darunter. Auch die Feinstaubwerte in der Parcusstraße wurden 2017 bereits an neun Tagen überschritten – erlaubt sind 35 Tage im ganzen Jahr. Grund war hier die lange Inversionswetterlage am Jahresanfang. Als Hauptverursacher bei den Stickoxiden macht das Umweltbundesamt private Diesel-Pkw aus – und zwar zu 67 Prozent. Die übrigen Pkw machten dagegen nur vier Prozent der gefährlichen Stoffe in der Luft aus, Nutzfahrzeuge in der Grafik 22 Prozent.
Damit dürfte die Debatte um Diesel-Fahrverbote in Städten durch die Werte neue Nahrung erhalten. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat ja Ende 2016 ihre Klage gegen die Stadt Mainz wegen der dauerhaften Überschreitungen der Luftwerte reaktiviert, ein Termin vor Gericht steht noch nicht fest. Nach sieben Jahren Überschreitungen „ist jetzt einfach Schluss“, sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch Mainz& – und forderte, Mainz müsse mehr tun. Andere Städte wie Oslo oder das Tessin der Schweiz reagierten mit Dieselfahrverboten und kostenlosem Nahverkehr, in Deutschland würden die Bürger hingegen allein gelassen. Die DUH rät, bei Bussen umgehend auf emissionsarme Antriebsarten wie Elektrobusse umzustellen, schließlich machten Dieselbusse in Mainz rund ein Viertel der Schadstoffemissionen aus.
140 Busse der Mainzer Stadtwerke, alles Diesel
Doch das ist leichter gesagt als getan: Rund 140 Busse besitzen die Mainzer Stadtwerke – alles Dieselfahrzeuge. Mehr noch: Mainz beschloss 2012, eine Anschaffung von 34 neuen Busse auf 2013 vorzuziehen, um teils 16 Jahre alte Fahrzeuge zu ersetzen. Grund: Die Einführung der Umweltzone in Mainz und Wiesbaden. Dumm nur: Die neuen Busse erfüllen nur die Euro-Norm 5, auch diese Busse wären von Fahrverboten betroffen. Man habe damals „entsprechende Fahrzeuge angeschafft, die moderne Standards einhalten“, sagt dazu Stadtwerke-Sprecher Michael Theurer, der Fuhrpark werde „kontinuierlich erneuert.“
Doch das ist ein langwieriger Prozess: Rund 250.000 Euro kostet ein Diesel-Bus in der Neuanschaffung, ein Gelenkbus sogar 350.000 Euro, wie es in einer Antwort der Stadtverwaltung im Stadtrat im November 2016 hieß. Die ÖDP hatte damals nachgefragt, ob denn eine schrittweise Umstellung der Busflotte komplett auf schadstoffarme Antriebsformen in den kommenden 10 bis 15 Jahren denkbar sei, die Antwort: Nein – unmöglich.
Zukunftsprojekt Brennstoffzellenbusse, Zeitpunkt der Umsetzung noch unklar
Bei der Anfrage ging es um das Zukunftsprojekt der Mainzer Verkehrsgesellschaft (MVG): die Anschaffung von Brennstoffzellenbussen. Mainz will gemeinsam mit Wiesbaden und Frankfurt zehn Brennstoffzellenbusse anschaffen, die umweltfreundlich mit Wasserstoff fahren würden. Die Busse sind lärm- und abgasfrei und gewinnen aus Wasserstoff und Luft-Sauerstoff elektrische Energie. Die Praxistauglichkeit der Busse sein inzwischen gegeben, der Wasserstoff könnte zudem umweltfreundlich im neuen Energiepark Mainz aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. Weil aber ein solcher Bus rund 650.000 Euro kostet, ein Gelenkbus sogar 900.000 Euro, will man gemeinsam als Projekt „H2Bus Rhein-Main – emissionsfreier Nahverkehr in der Metropolregion“ bei der EU Fördergelder beantragen. Doch dafür brauchen die Verkehrsträger die Unterstützung der Länder – und Hessen lehnte eine Förderung erst mal ab.
Wann es mit dem Modellprojekt weiter geht, wann die ersten Brennstoffzellenbusse in Mainz rollen, konnten deshalb am Mittwoch auf Mainz&-Nachfrage weder Stadtwerke noch Stadt Mainz sagen. Die ÖDP kritisierte bereits im November, das Projekt würde Mainz lediglich vier Busse bescheren, das sei angesichts der anhaltend hohen Schadstoffwerte zu wenig. „Die Klage der DUH gegen Mainz zeigt klar, wo Mainz steht: Unsere Luft ist schlecht, die Grenzwerte für Stickstoffdioxid werden immer wieder überschritten. Die Diesel-Bus-Flotte der MVG spielt dabei auch eine Rolle“, sagte ÖDP-Fraktionschef Claudius Moseler.
Stickoxidwerte: Parcusstraße, Langgasse und Rheinallee hoch belastet
Denn das Hauptproblem der Städte ist inzwischen die Belastung mit Stickoxiden aus den Diesel-Fahrzeugen. Beim ebenfalls gefährlichen Feinstaub gibt es inzwischen Entwarnung, 2016 war das Jahr mit den geringsten Belastungen seit 2000, heißt es vom Bundesumweltamt. Tatsächlich wurde im ganzen Jahr 2016 der Grenzwert von 50 Mikrogramm Feinstaub in der Parcusstraße in Mainz nur sieben Mal überschritten.
Die Stickstoffdioxid-Werte lagen hingegen 2016 in Mainz weiter auf zu hohem Niveau: So wurden nach den neuen Werten des Bundesumweltamtes in der Parcusstraße 53 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gemessen, und das im Jahresmittel. Einzelwerte konnten sogar bis zu 200 Mikrogramm pro Kubikmeter ausmachen – das ist dann richtig dicke Luft. Auch in der Großen Langgasse wurde der NO2-Grenzwert mit 42 Mikrogramm gerissen, die Rheinallee blieb mit 39 Mikrogramm nur knapp darunter, ebenso die Werte auf der Zitadelle mit 36 Mikrogramm. Nur Mainz-Mombach blieb mit 24 Mikrogramm entspannt – ausgerechnet.
Umweltbundesamt fordert Blaue Plakette für Diesel, Rheinland-Pfalz lehnt ab
„Seit Jahrzehnten gefährdet Stickstoffdioxid unsere Gesundheit“, klagte deshalb Bundesumweltamtschefin Maria Krautzberger. Schuld seien vor allem alte Diesel-Autos. „Es kann aus Sicht des Gesundheitsschutzes nicht akzeptiert werden, dass die Kommunen keine Handhabe haben, um beispielsweise Dieselautos mit hohem Ausstoß aus den belasteten Innenstädten auszuschließen“, kritisierte Krautzberger – und forderte die Einführung der Blauen Plakette. Die könne „einen wichtigen Beitrag leisten“, die Kommunen bräuchten aber eine bundeseinheitliche Regelung, die festlege, wer die Blaue Plakette bekomme und wer nicht.
Die Blaue Plakette soll als zusätzliche Umweltauflage nur für Autos ausgegeben werden, die die neueste Schadstoffnorm Euro 6 erfüllen. Das wären zwar wohl alle Benziner und Elektroautos, allerdings könnten Millionen von Dieselautos die Plakette verwehrt bleiben – und damit Fahrverbot in Städten drohen. Die Meinungen dazu sind gespalten: Während etwa das hessische Umweltministerium – geführt von der Grünen Priska Hinz – die Einführung einer Blauen Plakette als „wirksames Mittel“ stark befürwortet, lehnt der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) die Blaue Plakette strikt ab. Der Nutzen von Fahrverboten sei gering, argumentiert Wissing, auch weil Ausnahmen für Busse und Lieferfahrzeuge gemacht werden müssten. Zuletzt lehnte die Verkehrsministerkonferenz der Länder im Oktober 2016 die Einführung ab, das Projekt liegt derzeit auf Eis.
Stadt Mainz: DUH muss Bund verklagen, Städte falscher Adressat
Bei der MVG und der Stadt Mainz verweist man weiter auf die Einführung der Mainzelbahn als zentrales Projekt: Rund 30 bis 40 Prozent des öffentlichen Nahverkehrs werde nun per Straßenbahnen abgewickelt, sagte Theurer. Die Mainzelbahn habe ja erst im Dezember ihren Betrieb aufgenommen, man erwarte deshalb im Laufe des Jahres 2017 „entsprechende Verbesserungen“, sagte Stadtsprecher Marc-André Glöckner. Auch setze der neue Subunternehmer der Stadtwerke 20 neue Busse der Euro-Norm 6 ein, auch das werde „sicher in diesem Jahr erste Früchte tragen.“
Ansonsten hält die Stadt aber an ihrer Kritik gegenüber der Deutschen Umwelthilfe fest: „Die Kommunen sind der völlig falsche Adressat für die Klage“, betonte Glöckner, die Stadt werde „ohne Grund in Sippenhaft dafür genommen, dass die Automobilhersteller Schindluder bei den Abgasen betrieben haben.“ Das Argument, dass man über die Klagen eine Rückrufaktion des Bundes für Diesel-Fahrzeuge mit Nachrüstung auf Kosten der Automobilindustrie erreichen wolle, sei übrigens neu, sagte Glöckner: „Das hat die DUH erst vor wenigen Wochen aufgegriffen.“ Wolle die DUH wirklich die Automobilindustrie in Haftung nehmen, „wäre der richtige Weg, dass die Bundesregierung die Automobilindustrie zwingt, die Grenzwerte einzuhalten“, fügte er hinzu.
ÖDP: Stadt muss Diesel nachrüsten und Schadensersatzklage gegen Autoindustrie prüfen
„Wenn die Stadt berechtigterweise die Autoindustrie an den Pranger stellen will, dann ist es Zeit, dies auch zu tun“, sagte dazu ÖDP-Chef Moseler: „Warum leiten wir nicht selbst als leidtragende Kommune rechtliche Schritte gegen die Automobilindustrie ein?“ Die ÖDP werde daher bei der kommenden Stadtratssitzung am 8. Februar den Antrag stellen, dass die Stadt sämtliche Dieselfahrzeuge der öffentlichen Verwaltung nachbessere und rechtliche Möglichkeiten prüfe, um den Schaden durch die Umrüstung ihres Fuhrparks gegenüber der Autoindustrie geltend zu machen.
Es sei übrigens „das gute Recht der DUH“, eine Klage anzustrengen, sagte Moseler weiter. Die Entscheidung über diese Klage liege noch immer bei den Gerichten – und würden die entscheiden, dass die Anstrengungen in Mainz zur Luftreinhaltung nicht ausreichend seien, „dann liegt die Verantwortung nicht bei der DUH, sondern bei der Stadt“, fügte er hinzu.
FDP: DUH-Ideen nur Placebo – Vorwürfe gegen DUH-Geschäftspraktiken
Unterdessen forderte die FDP die DUH auf, sich „zu besinnen“ und von der Klage Abstand zu nehmen. „Die Deutsche Umwelthilfe schüttet mal wieder das Kind mit dem Bade aus“, kritisierte FDP-Kreischef David Dietz. Die Vorstellung, Dieselfahrzeugen den Zugang zur Landeshauptstadt zu verwehren, sei „abwegiger Irrsinn“ und gehe „komplett an der Lebenswirklichkeit vorbei.“ Und man sei ja schon in der Vergangenheit „mit den Ideen der Umwelthilfe baden gegangen“, sagte Dietz in Anspielung auf die von der DUH eingeklagte Einführung der Umweltzone in Mainz. Die habe für Kommune und Autofahrer lediglich Kosten heraufbeschworen, aber „nicht im Ansatz“ ein positives Ergebnis hervorgebracht. „Kostenintensive Placeboeffekte bringen diese Stadt nicht weiter“, fügte Dietz hinzu.
Die DUH steht zudem aktuell wieder einmal in der Kritik, weil sie Spenden des Automobilherstellers Toyota erhält und für Fahrzeuge dieser Marke Werbung macht – allerdings für umweltfreundliche Hybridfahrzeuge. Zudem attackieren Kritiker derzeit die Abmahnpraxis des Unternehmens, die sich nach einem Bericht der Zeitschrift Motor-Talk allerdings wohl vorwiegend gegen Autohäuser richtet, die in ihren Prospekten fehlerhafte Angaben zu Fahrzeugen machen. „Die Zusammenarbeit zwischen der DUH und Toyota lässt sich allerdings kaum als eine Art „abgekartetes Spiel“ gegen den Dieselmotor interpretieren. Sie besteht bereits seit 18 Jahren“, heißt es in dem Branchenmagazin. Zudem habe die DUH Toyota bei den Diesel-Werten nie geschont. Wir gehen dem derzeit nach und werden berichten, sobald wir klarer sehen, wer hier welche von welchen Interessen geleiteten Aussagen trifft…
Info& auf Mainz&: Die ganze Mitteilung des Umweltbundesamtes zu den Grenzwerten 2016 findet Ihr hier im Internet. Den ganzen Bericht von Motor-Talk über die DUH und ihre Geschäftspraktiken findet Ihr hier. Wir empfehlen ihn deshalb, weil er uns ausgewogen erschien und interessante Hintergründe vermittelt. Unseren Bericht über die Klage der DUH gegen die Stadt Mainz samt Reaktionen findet Ihr hier bei Mainz&.