Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Corona-Impfung für Kinder zwischen 5 und 11 Jahren – aber wieder erst einmal nur eingeschränkt: Man empfehle die Impfung zunächst nur für Kinder mit Vorerkrankungen sowie für Kinder mit Risikopatienten in ihrem Umfeld, teilte die Stiko am Donnerstag mit. Damit bleibt die Stiko bei ihren zögerlichen Empfehlungen, die regelmäßig wieder nachgebessert werden mussten – daran gab es bereits mehrfach scharfe Kritik. Virologen empfehlen eindringlich, auch Kinder zu impfen – der Impfstoff sei sicher, betont auch die Stiko. Der Corona-Modellierer Dirk Brockmann warnte gar am Abend: Eine „Durchseuchung“ der Bevölkerung sei „fahrlässig.“
Am Donnerstag hatte die Ständige Impfkommission (Stiko) fast schon ungewöhnlich schnell ihre Empfehlung zu Impfungen bei jüngeren Kindern vorgelegt, es handelt sich allerdings erst einmal um eine Beschlussempfehlung – der endgültige Beschluss muss noch gefällt werden. Danach empfiehlt die Stiko die Impfung für Kinder zwischen 5 und 12 Jahren, allerdings erst einmal wieder nur für Kinder mit Vorerkrankungen. Zusätzlich wird die Impfung Kindern empfohlen, in deren Umfeld sich Kontaktpersonen mit hohem Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf befinden, die selbst nicht oder nur unzureichend durch eine Impfung geschützt werden können – etwa Hochbetagte sowie Immunsupprimierte.
Bei individuellem Wunsch könnten aber auch Kinder ohne Vorerkrankung nach vorheriger ärztlicher Aufklärung geimpft werden, betont die Stiko ausdrücklich. Damit bleibt sich die Kommission allerdings ihrer zögerlichen Linie in Sachen Corona-Impfempfehlungen treu: Auch bei Kindern ab 12 Jahren hatte die Stiko zunächst nur die eingeschränkte Impfung und erst Wochen später die allgemeine Impfung empfohlen. Das sorgte für erhebliche Verunsicherung bei Eltern und Ärzten, für scharfe Kritik sowie für große Verzögerungen beim Impffortschritt, weil sich viele Ärzte streng an die Stiko-Empfehlung halten. Das Ergebnis: Das neue Schuljahr startetet Ende des Sommers, ohne dass eine ausreichende zahl von Jugendlichen geimpft waren – inzwischen explodieren seit dem Herbst die Infektionszahlen in den Schulen und Kitas.
Die Stiko ficht das nicht an: Es lägen noch nicht ausreichend Daten vor, um eine allgemeine Impfempfehlung abzugeben, argumentiert die Stiko – wieder einmal. Dabei hatte die Europäische Arzneimittelagentur den Biontech-Impfstoff bereits Ende November als sicher freigegeben, in Israel und den USA sind bereits Millionen jüngere Kinder erfolgreich und ohne Komplikationen geimpft worden. Die Stiko aber will lieber wieder noch einmal abwarten – und nimmt erneut Verunsicherung bei den Eltern und eine weitere Beschädigung der Impfstoffe in Kauf.
Bei der Stiko argumentiert man hingegen, die Zulassungsstudie für den geringer dosierten Kinder-Impfstoff sei viel zu klein gewesen, um das Risiko seltener Nebenwirkungen derzeit seriös einzuschätzen. Für Fünf- bis Elfjährige wird derselbe Corona-Impfstoff des Mainzer Unternehmens Biontech verwendet wie für Erwachsene, das Vaccin ist aber deutlich niedriger dosiert. Generell empfiehlt die Stiko auch für Kinder zwei Impfungen, und zwar im Abstand von drei bis sechs Wochen.
Trotzdem will die Stiko erst noch weitere Daten abwarten, um gegebenenfalls ihre Empfehlung für Kinder-Impfungen erneut anzupassen. Zugleich räumt die Stiko ein, die 7-Tagesinzidenz sei derzeit in der Altersgruppe sehr hoch. Tatsächlich liegt die Infektions-Inzidenz gerade in der Altersgruppe von unter 20-Jährigen seit Wochen auch in Rheinland-Pfalz auf Rekordniveau: Im Landesschnitt lag die Inzidenz am Donnerstag in dieser Altersgruppe bei 467, das war die höchste Inzidenz aller Altersgruppen. Dabei gibt es erhebliche regionale Unterschiede: Während in Mainz die Inzidenz bei den unter 20-Jöährigen bei 385,9 lag, und im Landkreis Mainz-Bingen bei 204,9, verzeichneten Regionen in der Pfalz wie Speyer eine Inzidenz von 669 der Unter-20-Jährigen, Alzey-Worms von 836 und Worms sogar von 1164.
Es sei deshalb davon auszugehen, „dass ohne Impfung ein Großteil der 5- bis 11-Jährigen mittelfristig infiziert werden wird“, heißt es bei der Stiko – schlimm findet man das indes nicht: Für Kinder ohne Vorerkrankungen bestehe derzeit „aber nur ein geringes Risiko für eine schwere Covid-19-Erkrankung oder gar eine Krankenhausbehandlung“, heißt es in der Mitteilung weiter, die Ihr in vollem Wortlaut hier im Internet findet. Über das Risiko einer Long Covid-Erkrankung schweigt die Stiko allerdings komplett, dabei weiß man längst, dass gerade Long Covid-Erkrankungen bei Kindern nicht mehr selten sind, und erhebliche Beeinträchtigungen bedeuten.
Experten sehen diese Argumentation mit großer Skepsis: „Wir haben mit einem Virus zu tun, über das wir sehr viel wissen – aber noch nicht alles“, sagte der Corona-Modellierer Professor Dirk Brockmann am Donnerstagabend in der Sendung ZDF Heute live, und warnte: Besonders Langzeitschäden durch eine Corona-Infektion und Long Covid-Schäden seien noch „im Kern unverstanden“. „Eine Durchseuchung einer Bevölkerung mit etwas, das ich noch nicht verstanden habe, ist fahrlässig“, betonte Brockmann.
Auch die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Professor Christine Falk, plädierte eindringlich für eine Impfung und für ein Ernstnehmen des Virus: „Ich würde diesem Virus keine Sekunde trauen“, sagte Falk am Abend ebenfalls bei ZDF heute live. Es gebe derzeit ein sehr hohes Infektionsgeschehen gerade in der Altersgruppe zwischen 5 und 20 Jahren, gerade auch, weil die Delta-Variante für Kinder deutlich ansteckender sei.
„Wir sehen ziemliche Immunveränderungen bei den jungen Erwachsenen, die sich infiziert haben“, betonte Falk, und warnte: „Da wir nicht wissen, wie es bei den Kindern aussieht, habe ich ein hohes Misstrauen auch mit Blick auf Kinder.“ Es sei einfach noch viel zu unklar, was es langfristig bedeute, wenn sich Kinder infizierten. Tatsache sei schon jetzt, dass 0,4 Prozent der Kinder eben doch einen Krankenhausaufenthalt brauchten, zudem gebe es erste Hinweise aus Südafrika, dass sich Kinder tendenziell mehr mit Omikron ansteckten – und dann im Krankenhaus behandelt werden müssten.
Das bestätigte auch der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach: „Wir müssen davon ausgehen, dass gerade die Omikron-Variante für Kinder besonders bedrohlich ist“, sagte Lauterbach am Mittwochabend im Heute Journal. Falk betonte zudem, der neueste Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts zeige wieder, wie gut die Impfungen gegen das Coronavirus wirkten, auch unterscheide sich das Risikoprofil bei der Impfungen für die jüngeren Kinder in keiner Weise zu der von Kindern über 12 Jahren. „Wenn ich Kinder ab 5 Jahre hätte“, sagte Falk noch, „würde ich sie mit voller Überzeugung impfen.“
Info& auf Mainz&: Die ganze Sendung ZDF Heute live findet Ihr hier im Internet – wir empfehlen sie ganz nachdrücklich wegen der vielen hervorragenden Informationen. Die volle Mitteilung der Stiko findet Ihr hier im Internet beim RKI.