Die Frage der Rad-Piktogramme auf Mainzer Straßen sorgt weiter für heftige Debatten, am Mittwoch erreichten die auch den Mainzer Stadtrat. Die CDU Mainz forderte nichts weniger als den Rücktritt der Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) – für den Fall, dass sie sich weiter der Anordnung des Landesbetriebes Mobilität widersetzt, die Piktogramme zu entfernen. SPD und Grüne sowie die Linke wiesen das entrüstet zurück: Mainz solle an den Piktogrammen festhalten. Tatsache ist: Die Symbole verstoßen gegen die Straßenverkehrsordnung – und das FDP-geführte Verkehrsministerium denkt nicht über eine Legalisierung nach. Die Mainzer FDP fordert deshalb die Entfernung der Piktogramme – und greift die Verkehrsdezernentin an.
Die Stadt Mainz hatte 2016 damit begonnen, weiße Piktogramme von Fahrrädern auf Straßen in Mainz anzubringen und sogar ganze Piktogramm-Ketten ins Leben gerufen. Die Piktogramme sollen darauf hinweisen, dass Fahrradfahrer ebenso wie Autos an diesen Stellen die Fahrbahn benutzen dürfen, und werden vor allem an Straßen genutzt, an denen die Radwegepflicht aufgehoben ist. Das Problem dabei: Die Piktogramme sind in der Straßenverkehrsordnung (StVO) schlicht nicht vorgesehen.
Der Landesbetrieb Mobilität (LBM) hatte nun am 19. Januar per Anordnung alle Verkehrsbehörden in den Städten und Kommunen von Rheinland-Pfalz aufgefordert, diese Piktogramme wieder zu entfernen. Die Piktogramme seien „klar rechtswidrig und müssen weg“, betonte man beim LBM, es bestehe die Gefahr, dass die Piktogramme mit anderen Verkehrszeichen verwechselt würden. Tatsächlich sind die Farben Weiß und Gelb für offizielle Markierungen der StVO reserviert, die Piktogramme sind aber in Weiß gehalten – das Land sieht hierdurch offensichtlich eine Verwechslungsgefahr und Verwirrungsgefahr gegeben: Radfahrer und Autofahrer könnten meinen, es handele sich um einen offiziellen Radweg.
Steinkrüger verweigert Abbau der Piktogramme, CDU fordert Rücktritt
Das Problem: Die Mainzer Dezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) weigerte sich prompt, der Anordnung des Landes Folge zu leisten. Sie beabsichtige, auch weiterhin auf Straßen Piktogrammketten aufzubringen, sogar zusätzliche, teilte Steinkrüger auf Anfrage mit. Die CDU kritisierte daraufhin, die Dezernentin hätte „diese Maßnahme nie durchführen dürfen, da eine Entsprechung in der StVO fehlt.“ Zudem sei die Maßnahme „als gescheitert anzusehen“, da laut der entsprechenden Studie „die Unfallhäufigkeit gestiegen und nicht gesunken ist“, betonte CDU-Kreischef Thomas Gerster weiter.
Am Mittwoch fragte zum einen die SPD-Fraktion nach den Piktogrammen, die CDU machte sie sogar zum Thema einer Aktuellen Stunde im Mainzer Stadtrat. CDU-Kreischef und Verkehrsexperte Thomas Gerster betonte dabei erneut: Die Studie habe klar gezeigt, dass durch die Piktogramme die Sicherheit von Fahrradfahrenden eben nicht gewährleistet werden könnten. Die Piktogramme suggerierten hingegen „ein Sicherheitsgefühl, das so nicht vorhanden ist“, kritisierte Gerster – damit nehme die Maßnahme „die verletzung von Radfahrern billigend in Kauf.“
Gerster berief sich dabei auf eine Studie der Hochschulen Dresden und Wuppertal, die in einem fünf Jahre währenden Modellversuch untersucht hatten, ob eben diese Rad-Piktogramme eine positive oder eine negative Wirkung haben. Dabei sah die Studie zum einen umfassende positive Wirkungen: So nutzten nach Einführung der Piktogramme tatsächlich mehr Radfahrer die Fahrbahn als vorher, auch sorgten die Piktogramme offenbar für mehr Klarheit im Verkehr, wer welche Route nutzen darf. Das subjektive Sicherheitsgefühl sei dabei angestiegen, konstatierte die Studie – allerdings vor allem bei Autofahrern und Fußgängern, deren Gehwege jetzt weniger von Radlern benutzt wurden.
Studie: Zahl der Unfälle stieg teilweise nach Piktogramm-Start an
Gleichzeitig mussten die Studienmacher aber auch einräumen: Die Zahl der Unfälle mit Radfahrern stieg nach Einführung der Piktogrammketten an, und zwar sowohl auf freien Strecken, als auch an Kreuzungen. Überraschend ist das nicht: Wo sich mehr Radfahrer und Autos treffen, stiegt naturgemäß auch die Gefahr von Unfällen zwischen den beiden Teilnehmern. Allerdings: „Der Anteil der Unfälle im Längsverkehr (an der freien Strecke von allen Untersuchungsstrecken) und von Überschreiten-Unfällen (an Knotenpunkten von Strecken mit Radwegen) nahm mit der Maßnahmenumsetzung hingegen zu“, heißt es in der Studie wörtlich.
20 Strecken in 15 Kommunen waren für die Studie für Vorher-/Nachher-Untersuchungen sowie für Erhebungen im Bestand ausgewählt worden – darunter auch die Göttelmannstraße in Mainz. Nach Angaben des Landesbetriebs Mobilität war das Ergebnis der teilweise gestiegenen Unfallzahlen offenbar ein Grund für den Bund, die Piktogramme nach Ende des Modellprojektes eben nicht in die Straßenverkehrsordnung als Möglichkeit zur Kennzeichnung von Radverkehr aufzunehmen – weswegen der LBM jetzt die Entfernung der Piktogramme fordert.
Im Stadtrat bekräftigte Steinkrüger am Mittwoch, sie halte an den Piktogrammen fest: Die Verwendung der Piktogramme sei für Mainz „weiterhin vorgesehen“, auch wenn Radschutzstreifen an der Seite vorlägen, sagte Steinkrüger, auch eine Kombination sei vorliegen, Kombi nicht ausgeschlossen. In Mainz gebe es noch Schutzstreifen, die der heutigen Regelbreite nicht entsprächen, zudem sei der Schutzstreifen „nur eine Behelfssituation“, behauptete Steinkrüger.
SPD und Grüne: positive Wirkung, keine erhöhte Unfallgefahr
Gerster kritisierte hingegen, es könne doch nicht sein, dass die Dezernentin einfach eine klare Anordnung der Oberen Verkehrsbehörde ignoriere: Ob dann in Zukunft auch jeder Parksünder einfach die Zahlung seiner Strafe verweigern könne? „Frau Steinkühler, wir fordern sie auf, endlich wieder rechtmäßige Verhältnisse in Mainz einzuführen“, sagte Gerster, “ oder – falls Sie sich dazu nicht in der Lage sehen – Ihren Stuhl zu räumen.“
Das stieß erwartungsgemäß auf Empörung bei den Grünen: „Mit billigem Framing versuchen Sie hier, eine funktionierende Maßnahme schlecht zu machen“, schäumte Grünen-Verkehrsexperte Niehoff und forderte, die Piktogramme per Ministererlass aus dem Mainzer Verkehrsministerium zu erlauben. Die Ergebnisse der Studie ließen „insgesamt auf einen positiven Einfluss der Maßnahme schließen“ und „deuten auf eine Verringerung des individuellen Unfallrisikos“, behauptete Nierhoff weiter.
Aus der Studie „geht hervor: Es gibt keine erhöhte Unfallgefahr“, behauptete auch der SPD-Verkehrsexperte Erik Donner, und forderte die Dezernentin auf, „sich nicht vom Gegenwind beirren zu lassen und die Piktogrammketten nicht zu entfernen.“ Die Piktogramme sorgten dafür, dass man als Radfahrer besser von Autofahrern wahrgenommen werde. „Ich hoffe, dass die Stadt eine Einigung mit dem LBM erzielt, und dass der OB nicht des Amtes enthoben wird“, fügte Donner noch hinzu.
Steinkrüger: Wird Gespräch mit LBM geben
Damit bezog sich der SPD-Stadtrat auf die Berichterstattung von Mainz&, hatte doch der Landesbetrieb Mobilität in einer ersten Reaktion gegenüber unserer Zeitung gesagt: Man gehe doch davon aus, dass die untergeordneten Verkehrsbehörden wie etwa die Stadt Mainz der Anordnung zur Entfernung Folge leisten würden. Andernfalls könnten Sanktionen drohen, die bis hin zur Absetzung des Bürgermeisters reichen könnten. Steinkrüger betonte nun im Stadtrat, sie sei per Telefon und Brief „im Austausch“ mit dem LBM, man werde sich demnächst auch zu einem persönlichen Gespräch treffen.
Auch die Linke forderte derweil ungeachtet der Tatsache eines Rechtsverstoßes, die Piktogramme müssten bleiben, „der vorauseilende Gehorsam sei doch lächerlich und nichts als Klientelpolitik“, schimpfte Linken-Stadträtin Carmen Maurer. Die Stadt müsse sich vielmehr „weiter dafür engagieren, dass die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen in die Straßenverkehrsordnung aufgenommen werden“, forderte sie.
Doch das zuständige Ministerium von Verkehrsministerin Daniela Schmitt (FDP) winkte bereits gegenüber dem SWR ab: Man plane keine Änderung der Straßenverkehrsordnung. Auf Mainz&-Anfrage mochte das Ministerium nicht mehr antworten, und verwies die Anfrage erneut an den LBM – obwohl die Anfrage dezidiert an das Verkehrsministerium gerichtet war.
LBM: Anwendung von Piktogrammen in der StVO klar geregelt
Stattdessen antwortet der LBM: „Für Piktogramme gibt es klare Anwendungsfelder. Sie kommen bei der Kennzeichnung von Radfahrstreifen, nichtbenutzungspflichtigen Geh- und Radwegen und Schutzstreifen zur Anwendung.“ Im Modellversuch seien sie hingegen in einem Zusammenhang verwendet worden, der in der StVO eben gerade nicht vorgesehen sei. Die Ergebnisse der Piktogramm-Studie seien zudem „nicht eindeutig“, betont man beim LBM: Zwar habe sich im Versuchszeitraum „das objektive und subjektive Sicherheitsempfinden auf den entsprechenden Strecken erhöht“, es seien jedoch keine Unterschiede zu Bereichen ohne Piktogrammketten näher untersucht worden.
„Unabhängig davon, wie man die Studie interpretiert, obliegt es jedoch allein dem Bund, daraus Schlüsse zu ziehen und Maßnahmen zu ergreifen“, heißt es beim LBM weiter. Die Zuständigkeit für das Straßenverkehrsrecht liege beim Bund, eine Ausnahme erlaube bislang nur Nordrhein-Westfalen. „Den Kommunen stehen darüber hinaus eine Vielzahl von rechtssicheren Möglichkeiten zur Verfügung, Radfahrern ein attraktives Angebot zu unterbreiten“, betont der Landesbetrieb weiter – das sei nicht zuletzt die Ausweisung von Fahrradstraßen wie etwa der Hindenburgstraße in Mainz.
Die Mainzer FDP stärkte denn auch ihrer Ministerin den Rücken – und kritisierte die grüne Verkehrsdezernentin deutlich: Man nehme „mit Verwunderung zur Kenntnis, dass die Verkehrsdezernentin ohne jeden Zweifel in den Fahrradpiktogrammen keine Verkehrszeichen sieht“, sagte FDP-Kreischefin Susanne Glahn: „Die Verkehrsdezernentin müsste dringend einmal schlüssig darlegen, auf welcher Rechtsgrundlage sie Fahrrad-Piktogramme auf die Straße bringt.“
Mainzer FDP: Weigerung der Dezernentin „besorgniserregend“
Das sei im Übrigen „auch in ihrem eigenen Interesse“, betonte Glahn weiter: „Es möchte doch sicher niemand den Eindruck entstehen lassen, dass hoheitliche Entscheidungen unter Missachtung von Recht und Gesetz getroffen werden, nur der Ideologie wegen.“ Eine fachliche Begründung für die Piktogramme gab Steinkrüger indes nicht. Rechtlich sei die Sachlage klar, betonte FDP-Mann Marc Engelmann, der selbst als Anwalt im Bereich Straßenverkehrsrecht tätig ist: „Die Auffassung des LBM, dass Fahrrad-Piktogramme keine Grundlage in der StVO finden, ist fachlich zutreffend.“
Die Ankündigung der Verkehrsdezernentin, Anordnungen der oberen Verkehrsbehörde nicht Folge leisten und die Piktogramme sogar ausweiten zu wollen, sei „besorgniserregend“, kritisierte Glahn zudem: „Wenn eine aktuelle Studie eine steigende Zahl von Radunfällen bei Mischverkehr feststellt, muss es unser aller Anliegen sein, solche Gefahren zu beseitigen und sie nicht noch zu fördern.“ Die FDP forderte die Dezernentin deshalb auf, die Piktogramme zu entfernen.
Das führte im Stadtrat prompt zu Verwerfungen: FDP-Stadtrat Wolfgang Klee nämlich zog seinen Redebeitrag in der Aktuellen Stunde zurück, „weil er der Meinung meiner Fraktion widerspricht“ – und schloss sich den Koalitionspartnern von SPD und Grünen an, die Piktogramme sollten bleiben. Dabei hatte der FDP-Vertreter im Verkehrsausschuss, Wolfgang Rehn, zuvor noch gefordert: „Die Instandhaltung der Radwege und die weitere Einrichtung von Fahrradstraßen wäre die bessere und sinnvolleren Alternativen als rechtswidrige Piktogramme auf der Straße.“
ÖDP: „Problem ist doch – wir haben keine guten Radwege“
Diese Richtung schlug auch die ÖDP im Stadtrat ein: „Warum haben wir denn die Piktogramme“, fragte ÖDP-Fraktionschef Claudius Moseler, und lieferte die Antwort gleich mit: „Weil wir kein Geld hatten, gute Fahrradwege zu bauen – hier ist doch das Defizit.“ Deshalb wichen Radfahrer „tagtäglich auf Fußwege aus und gefährden Fußgänger“, klagte Moseler, es brauche doch endlich eine Debatte, „wie wir den Radwegeausbau voranbringen und Radfahren sicherer machen.“
Und schließlich müsse sich die Stadt „am Ende an Recht und Gesetz halten“, mahnte Moseler – und wollte wissen: „Warum wurden denn die Piktogramme an einer gefährlichen Engstelle in Marienborn entfernt? Warum, weiß kein Mensch – es gibt dazu keine Information vom Verkehrsdezernat.“ Womöglich könnte eine Aussage des LBM hier einen Hinweis liefern: Man habe als oberste Landesbehörde die Kommunen auf das geltende Bundesrecht hingewiesen, hieß es dort: „Ziel der Beratung ist eine rechtssichere Beschilderung, die Haftungsrisiken für die Kommunen ausschließt.“
Info& auf Mainz&: Mehr zu den Rad-Piktogrammen, der Argumentation des Landesbetriebs Mobilität sowie der genannten Studie findet Ihr hier bei Mainz& – auch einen Download-Link zur Studie selbst. Mehr zur Argumentation von Verkehrsdezernentin Steinkrüger könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen.