Der überraschende Abgang von Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) ins rheinland-pfälzische Innenministerium reißt eine enorme Lücke in Mainz: Die Landeshauptstadt ist seit Donnerstagnachmittag ohne Oberbürgermeister. In den Parteien hat nun eine hektische Suche nach geeigneten Kandidaten begonnen für einen Wahlkampf, der in Krisenzeiten und dazu noch besonders kurz stattfindet: Gerade einmal drei Monate bleiben bis zum Wahltermin. Mainz& hat gefragt und gehorcht: Wer könnte ins Rennen gehen um den OB-Sessel in Mainz?
Vergangenen Donnerstag überraschte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) die rheinland-pfälzische Landespolitik, als sie nur einen Tag nach dem Rücktritt von Innenminister Roger Lewentz (SPD) einen Nachfolger präsentierte: Michael Ebling. Nach zehn Jahren als Oberbürgermeister von Mainz wechselte der Jurist aus Mainz-Mombach aus dem Stadthaus an der Großen Bleiche ins Innenministerium am Schillerplatz – und hinterließ damit ein Vakuum.
Ebling war seit 2012 Oberbürgermeister von Mainz, erst im November 2019 war Ebling als OB für eine zweite Amtszeit wiedergewählt worden – die hätte eigentlich noch weitere fünf Jahre gedauert. Entsprechend unvorbereitet sind nun die Parteien in Mainz: Mit einer so schnellen erneuten OB-Wahl hatte wohl keiner gerechnet. Besonders groß sind die Schwierigkeiten nun bei Eblings eigener SPD: Bei den Sozialdemokraten gab es jüngst viele Wechsel hin zu jüngeren Nachwuchskräften – nur: Gerade für sie kommt die OB-Wahl viel zu früh.
Die SPD: Großes Kandidaten-Vakuum
Tatsächlich könnte Ministerpräsidentin Dreyer ihrer Partei in Mainz einen Bärendienst erwiesen haben: Bei der SPD in Mainz ist schlicht kein profilierter und bekannter Nachfolger für Michael Ebling in Sicht. Unter dem übermächtig nach außen strahlenden OB kommt derzeit lange nichts mehr, seitdem Ebling 2017 den Vorsitz der SPD Mainz-Bingen abgab, wechselten die Chefs des Kreisverbandes schneller, als es die meisten Wähler nachhalten konnten.
Bleicher gab den Vorsitz schon nach zwei Jahren an den als Ortsvorsteher in der Mainzer Neustadt abgewählten Johannes Klomann ab, der wiederum im März 2022 den Staffelstab an Christian Kanka weitergab. Klomann wiederum hatte bei der Landtagswahl im März 2021 sein Landtagsmandat an die Mainzer Grüne Katharina Binz verloren, seither war von dem Politikwissenschaftler, der inzwischen für die Landeszentrale für politische Bildung arbeitet, nicht mehr viel zu sehen.
Eine logischer Kandidat für die OB-Nachfolge wäre nun Parteichef Kanka, der sich als Ortsvorsteher in Mainz-Mombach bereits als bürgernaher und pragmatischer Kämpfer für die Bürger zeigen konnte – doch Kanka ist mit 30 Jahren sehr jung, dazu hat der Referent in der Mainzer Staatskanzlei keinerlei Erfahrung in der Führung einer Verwaltung oder anderer größerer Unternehmenseinheiten. Auch Ko-Vorsitzende Mareike von Jungenfeld ist deutlich zu kurz im Amt – und dazu in der Bevölkerung von Mainz nahezu komplett unbekannt.
Auch im Stadtrat hat die SPD jüngst einen Generationswechsel vollzogen, das Ergebnis: Mit Jana Schneiß sitzt nun auch hier eine ausgesprochen junge und noch weitgehend unbekannte Nachwuchspolitikerin in der ersten Reihe. Gestandene Sozialdemokraten sucht man derweil vergeblich – aus der Riege der städtischen Dezernenten blieben Sozialdezernent Eckart Lensch und Baudezernentin Marianne Grosse – Letztere erklärte aber bereits gegenüber der „Allgemeinen Zeitung“, sie wolle lieber Baudezernentin bleiben.
Kanka selbst sagte gegenüber Mainz&, die SPD Mainz habe „viele talentierte Personen“, man werde jetzt „mit klarem Kopf“ sondieren und mit möglichen Kandidaten sprechen. „Wir können viele Leute fragen, und das werden wir auch machen“, sagte Kanka, der auf die Frage, ob er selbst antreten würde, erst einmal nicht antworten wollte. Die Partei sei „zwar überrascht von dem Schritt, aber die steht in den Startlöchern, um Wahlkampf zu machen“, sagte Kanka weiter: „Wir sehen es nicht als Problem, sondern als Herausforderung.“
Die Grünen: Tritt Ex-Umweltdezernentin Katrin Eder an?
Das Vakuum in der SPD könnte so zu einem geradezu historischen Moment führen: Nach 70 Jahren könnte die SPD erstmals den OB-Sessel der Landeshauptstadt Mainz verlieren – das wäre ein Paukenschlag, der ein Signal durch das ganze Land senden würde. Profitieren könnten die Grünen: Sie haben sich in den vergangenen Jahren eine Hausmacht in der Landeshauptstadt aufgebaut, die vor allem in einer großstädtischen, umweltbewussten und Fahrrad-affinen Klientel besteht.
Es wäre nicht die erste bundesdeutsche Großstadt, die von Grünen erobert wird: Stuttgart, Freiburg und Tübingen folgten inzwischen Städte wie Darmstadt, Bonn und Hannover – schon 2019 wollte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner erste grüne Oberbürgermeisterin von Mainz werden, scheiterte aber an Unstimmigkeiten mit der eigenen Partei. 2021 machten es die Grünen besser: Mit Katharina Binz holte erstmals eine Grüne bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz den Innenstadt-Wahlkreis Mainz direkt.
Dass Binz nun bei der OB-Wahl antritt, dürfte unwahrscheinlich sein: Die Mainzerin ist inzwischen Ministerin für Familie, Frauen, Kultur und Integration und dazu Stellvertretende Ministerpräsidentin – Binz gilt als aussichtsreiche Kandidatin für die nächste Spitzenkandidatur der Grünen. In ihrem Amt fühlt sie sich sichtlich wohl – im Gegensatz zu ihrer grünen Kollegin: Katrin Eder, seit dem Abgang von Anne Spiegel nach Berlin seit Dezember 2021 Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität im Kabinett Dreyer.
Die ehemalige Mainzer Umweltdezernentin tut sich bisher schwer mit ihrem neuen Ministeramt, bei ihrem Abgang aus der Mainzer Stadtpolitik machte sie kein Geheimnis daraus, wie wohl sie sich in ihrem Mainzer Dezernat gefühlt hatte. Gut möglich, dass Eder nun die Gelegenheit beim Schopf ergreift, in die Mainzer Stadtpolitik zurückzukehren – zumal die 46-Jährige bereits 2019 gerne als OB-Kandidatin angetreten wäre. Damals war Eder gerade junge Mutter von Zwillingen geworden, eine Kandidatur deshalb nicht zu stemmen – dennoch ließ Eder erkennen, dass sie selbst gerne ins Rennen gegangen wäre.
Mit Eder würden die Grünen zudem eine Persönlichkeit aufbieten, die in Mainz weithin bekannt ist – ein großer Vorteil in einem Turbo-Wahlkampf. Laut Gemeindeordnung muss binnen 90 Tagen ein neuer Oberbürgermeister gewählt werden, und zwar von den Bürgern direkt, für einen unbekannten Kandidaten kaum genug Zeit, um sich und sein Programm den Mainzern bekannt zu machen. Geklärt werden muss allerdings, ob Eder als Ministerin in einen OB-Wahlkampf ziehen dürfte, ihr Abgang würde ein neues Problem für die Grünen auf Landesebene aufreißen. Doch einen Vorteil bringt Eder mit, der den Grünen ungemein wichtig ist: sie ist eine Frau.
Ausgedünnte Personaldecke, wenig profilierte Köpfe
Auch die Grünen leiden unter einer erheblich ausgedünnten Personaldecke in Mainz, seit viele Köpfe in die Landespolitik abgewandert sind. Profilierte grüne Nachwuchspolitiker, die auch einem breiten Publikum bekannt sind, sind rar – am ehesten fällt da noch der Name des grünen Oberstadt-Ortsvorstehers Daniel Köbler. Doch Köbler hat in der eigenen Partei seit dem verkorksten Landtagswahlkampf 2016 keine große Hausmacht mehr, in den Landtag zog er 2021 nur als Nachrücker für Katharina Binz wieder ein.
Mit Eder hätten die Mainzer Grünen hingegen eine gestandene, profilierte und erfolgreiche Politikerin mit hohem Bekanntheitsgrad aufzuweisen, die aber mit einem Problem kämpfen würde: Als Verkehrsdezernentin polarisierte Eder mit ihrer Politik gewaltig, für ein breites bürgerliches Spektrum ist sie geradezu ein rotes Tuch. Dass ihre Nachfolgerin im Mainzer Dezernentenamt, Janina Steinkrüger, als OB-Kandidatin antritt, gilt derweil als ausgeschlossen: Die Frankfurterin ist auf dem Mainzer Parkett bisher nicht wirklich angekommen. Grünen-Bürgermeister Günter Beck hingegen ist mit 66 Jahren zu alt für eine Kandidatur.
Die CDU: Profilierte Wirtschaftsdezernentin als Kandidatin?
All das eröffnet Chancen für die Opposition – doch auch für sie kommt die neuerliche OB-Wahl zur Unzeit. Gerade erst gab der langjährige und höchst bekannte Hannsgeorg Schönig den Staffelstab als Fraktionschef im Stadtrat an seinen Nachfolger Ludwig Holle weiter, auch er ist deutlich zu kurz im Amt, um einer breiten Bevölkerung bekannt zu sein. Schönig wiederum wurde gerade erst zum Präsidenten des Mainzer Carneval Vereins (MCV) gewählt, unwahrscheinlich, es käme gar nicht gut an, wenn er den Verein nun gleich wieder verlassen würde.
CDU-Kreischef Thomas Gerster wiederum ist ebenfalls erst seit November 2021 im Amt, zu kurz, um sich als Kommunalpolitiker einem breiten Publikum als vertraute Größe empfohlen zu haben. Gerster trat allerdings schon als Kandidat für das Amt des Mainzer Verkehrsdezernenten an und kann mit dem bekannten Namen der Gerster-Dynastie punkten, doch mit einem ungeschickten Tweet zur Regenbogen-Flagge brachte er jüngst große Teile der linken und grünen Gesellschaft gegen sich auf – keine gute Ausgangsposition im liberalen und großstädtischen Mainzer Milieu.
So könnte auch die CDU am Ende auf eine Frau setzen: Manuela Matz. Die Wirtschaftsjuristin ist seit Dezember 2018 Wirtschaftsdezernentin von Mainz und muss sich seither gegen eine Übermacht von Grünen und SPD im Stadtvorstand behaupten – Matz kam nur ins Amt, weil FDP-Wirtschaftsdezernent Christopher Sitte im Dezember 2018 überraschend hinschmiss. Die CDU-Politikerin hat sich seither ein gutes Standing gerade in Wirtschaftskreisen erarbeitet, sie gehört fraglos zu den bekanntesten Köpfen in Mainz – und zu den profiliertesten Politikern der Mainzer CDU.
Doch als CDU-Frau müsste sie einen Stadtvorstand aus SPD- und Grünen-Dezernenten leiten und hätte die Ampel-Koalition im Stadtrat gegen sich – das wäre ein „Allein gegen alle“- Himmelfahrtskommando. Und bisher ließen die Ampel-Akteure äußerst wenig Bereitschaft zu Kooperation erkennen – die Ausgrenzung der ungeliebten Mit-Dezernentin im Stadtvorstand grenzt schon hart an Mobbing. Dennoch: Die Lücke bei der SPD öffnet ungeahnte Chancen für das bürgerliche Lager – und Matz hat schon einmal überraschend gepunktet. Gegenüber Mainz& äußerte sich Matz diplomatisch: „Man soll nie nie sagen“, sagte die Dezernentin – die Entscheidung liege aber bei der Partei.
Was ist eigentlich mit Nino Haase?
Doch da gibt es ja noch einen aus dem bürgerlichen Lager, der schon 2019 OB von Mainz werden wollte, und einen Überraschungs-Erfolg einfuhr: Nino Haase. Der inzwischen 39-Jährige Chemiker trat 2019 überraschend als parteiloser Kandidat im OB-Wahlkampf mit Unterstützung der CDU an und mischte die kommunalpolitische Szene mit frischen Ideen und unkonventionellen Aktionen gewaltig auf.
Der smarte Unternehmertyp, der als Stefan Raab-Bezwinger bekannt und zum Millionär wurde, konnte mit seiner Art bei einem breiten und jüngeren Publikum punkten: Haase schmiss erst die Grünen-Kandidatin Rößner aus dem Rennen, und holte dann in der Stichwahl gegen Ebling satte 44,8 Prozent – für Ebling war der Sieg mit 55,2 Prozent überraschend knapp.
Seither ist Haase allerdings kommunalpolitisch nicht mehr in Erscheinung getreten, sondern arbeitet als Geschäftsführer der Reiniger-Hersteller-Firma Hygreen GmbH und als Projektleiter Innovation der damit verknüpften Speyer & Grund GmbH in Mainz, der Herstellerfirma der Surig-Essigsäure. Vielen Mainzern sind aber Haases unkonventionellen Aktionen wie etwa die 50 Bäume vor dem Staatstheater noch in lebhafter Erinnerung, auch sein Programm und sein Image als Macher waren für viele junge Großstädter durchaus attraktiv – würde er nun noch einmal antreten?
„Mainz liegt mir immer noch am Herzen“, sagte Haase auf Mainz&-Anfrage, er fühle sich in seinem derzeitigen Job aber auch sehr wohl. „Dass man jetzt die Landeshauptstadt einfach so liegen lässt, finde ich schon schade“, sagte Haase mit Blick auf Eblings plötzlichen Abgang – eine erneute Kandidatur scheint nicht ausgeschlossen. Bleibt die Frage, für wen Haase antreten würde: Die Freien Wähler und die ÖDP unterstützten ihn schon beim letzten Mal, doch ob sich die CDU erneut vorstellen könnte mit ihm ins Rennen zu gehen, ist eine ganz andere Frage.
Die kleinen Parteien: Wird es weitere Kandidaten geben?
Angesichts des bevorstehenden Turbo-Wahlkampfes ist das eher unwahrscheinlich. Die FDP stellte schon 2019 keinen iegen4en OB-Kandidaten auf, die Linke trat mit dem Rechtsanwalt und Stadtrat Martin Malcherek an – er hätte Programm und Kampagne noch in der Schublade. Ob sich die Linke aber den Stress und die Kosten antut, ist unklar – für kleine Parteien lohnt sich womöglich der Aufwand nicht.
Wie es nun weitergeht? Stadt Mainz und Kommunalaufsicht ADD werden gemeinsam den Wahltermin festlegen, als wahrscheinlicher Termin kommt Sonntag, der 8. Januar in Frage: Später geht nicht, und in der Weihnachtszeit wird wahrscheinlich niemand den Mainzern einen Wahltermin zumuten. Vorerst führt nun Bürgermeister Günter Beck (Grüne) kommissarisch das Amt des Stadtchefs – die Parteien müssen nun sehr schnell entscheiden, wen sie ins Rennen schicken.
Bei der CDU tagen die Gremien kommenden Montag, womöglich entscheidet sich schon da, wer für die Konservativen ins Rennen geht. Die SPD will voraussichtlich Ende kommender Woche über ihren Kandidaten entscheiden – die Grünen haben sich bislang überhaupt nicht geäußert. Ministerin Eder sagte am Donnerstag in der Staatskanzlei gegenüber Mainz& lediglich zwei Worte: „Kein Kommentar.“
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