Am Tag nach der Ankündigung der rheinland-pfälzischen Landesregierung, die Kitas im Regelbetrieb offen zu halten, war die Wut bei vielen Erzieherinnen und Verbandsvertretern groß: Eine „kalte Dusche“ sei das für die Erzieherinnen in den Kitas gewesen, schimpfte am Montag die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, Eltern, Erzieherinnen und Kinder würden von der Politik allein gelassen. Auch der Verband der Kita-Fachkräfte protestierte, eine Petition im Internet gegen den Regelbetrieb fand binnen Stunden mehr als 8.800 Unterzeichner. „Wir werden verheizt das finde ich nicht in Ordnung, auch wir haben Familie“, kritisierte eine Erzieherin: „Ich bin gesundheitlich auch vorbelastet und möchte nicht meine Gesundheit aufs Spiel setzen müssen.“
Am Sonntag verkündete die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) die Regelungen im Land für den Lockdown der kommenden Wochen, doch was sie zum Thema Kindertagesstätten sagte, führte umgehend zu ungläubigem Erstaunen bei den Erzieherinnen im Land: „Die Kitas bleiben im Regelbetrieb geöffnet, an die Eltern wird aber appelliert, möglichst eine Betreuung zu Hause sicher zu stellen“, verkündete Dreyer.
Für viele Erzieherinnen sei das ein Schlag ins Gesicht gewesen, berichtet der Verband der Kita-Fachkräfte: „Am Sonntag war die Erleichterung bei unseren Leuten erst einmal groß, weil vom Bund angesagt wurde, Schulen und Kitas werden geschlossen“, berichtete die Landesvorsitzende Claudia Theobald am Montag: „Viele haben da gedacht: endlich mal Klarheit!“ Zwei Stunden später sei dann aber die Ansage aus der Staatskanzlei gekommen, die Kitas blieben im Regelbetrieb geöffnet. „Dann ist unsere Community auf Facebook erst mal explodiert“, sagte Theobald. Die Wut sei groß, die Haltung laute: „Wieder und wieder lässt man uns alleine.“
Eine wahre Empörungswelle schwappte ab Sonntagabend durch die sozialen Netzwerke, eine spontan gestartete Petition auf Openpetition.de fordert, den Regelbetrieb in den Kitas einzuschränken, die Öffnungszeiten zu reduzieren, Kinder in festen Gruppen zu betreuen und den Erzieherinnen Schnelltests zur Verfügung zu stellen. Bis zum späten Montagabend hatten bereits mehr als 10.000 Menschen die Petition unterzeichnet. 4.185 Kommentare finden sich inzwischen unter der Petition, die meisten kritisieren die Haltung des Landes wütend: „Das ist eine Frechheit, wie hier mit den Erziehern umgegangen wird“, schimpft etwa eine Unterzeichnerin. „Ich bin als Erzieherin und Kitaleitung nicht mehr bereit, weiter den Kopf hinzuhalten“, kritisiert eine andere.
Es sei „unerhört, dass das KiTa Personal tagtäglich ungeschützt mit vielen Kindern arbeiten“ müsse, kritisiert ein weiterer Unterzeichner: Viele Eltern ließen ihre Kinder eben nicht zu Hause, obwohl es Betreuungsmöglichkeit zu Hause gäbe. Genau das kritisierte am Montag auch der Verband der Kita-Fachkräfte: An die Eltern von KiTa-Kindern werde „lediglich appelliert, die Kinder zu Hause zu lassen“, die Kitas befürchteten, das werde wenig Wirkung zeigen.
„Bei einem Appell haben die Eltern gegenüber den Arbeitgebern eher schlechte Karten, freigestellt zu werden“, sagte Theobald. Werde hingegen eine Reduzierung mit Notbetreuungsregeln angeordnet, sei es „leichter, sich mit dem Arbeitgeber zu einigen.“ Die Kitas liefen jetzt schon am Limit, „wir brauchen JETZT angepasste Konzepte, um das Personal, die Kinder und die Eltern zu schützen“, forderte Theobald. In ihrer Not stellten jetzt schon Kitas eigenmächtig auf feste Gruppen um und reduzierten Öffnungszeiten – entgegen den Vorgaben des Landes, weil sie sich nicht mehr anders zu helfen wüssten.
Die Erzieherinnen verstünden nicht, „dass in Rheinland-Pfalz der Regelbetrieb mit der Brechstange aufrecht gehalten wird“, kritisierte auch Ver.di-Bereichsleiter Volker Euskirchen am Montag, und schimpfte: „Bei welcher Konferenz war unsere Landesregierung am Sonntag, warum wird der Regelbetrieb über die Vernunft gestellt?“ Virologen warnten bereits seit dem Frühjahr, dass sich auch kleine Kinder mit dem Coronavirus infizieren könnten, betonte Euskirchen weiter – und derzeit würden „immer mehr Fälle bekannt, in denen die Kinder das Virus weitergegeben haben.“
Da die Kinder oft keine Symptome zeigten, stehe zu vermuten, dass die Dunkelziffer der Infektionen viel höher sei als derzeit erkannt. „Es steht zu vermuten, dass viele nicht nachvollziehbare Infektionen genau aus diesem Grund auftreten“, sagte Euskirchen, doch „in unserem Bundesland wollte man von einer Gefährdung nichts wissen.“ Die Mitarbeiterinnen seien inzwischen aber „mental und körperlich am Limit“, manche auch schon darüber hinaus. „Da unsere Landesregierung davon ausgeht, dass Appelle helfen, bleibt uns nur an die Verantwortlichen im Land zu appellieren, den Regelbetrieb durch einen Notbetrieb – ähnlich wie im Frühjahr bereits praktiziert – zu ersetzen“, sagte Euskirchen mit ungewohntem Sarkasmus weiter.
Das forderte auch die CDU-Opposition, die der Regierung Konzeptlosigkeit vorwarf: „Man duckt sich weg und überlässt es den Einrichtungen vor Ort“, kritisierte CDU-Spitzenkandidat Christian Baldauf. In anderen Bundesländern sei die Situation vorbereitet worden, in Rheinland-Pfalz spiele die Regierung die Eltern gegen Schulen und Kitas aus. „Wir hatten ein gutes Modell beim letzten Lockdown: Notbetreuung und eingeschränkte Regelbetreuung“, sagte Baldauf, das sei der richtige Weg. Vor mehr als drei Wochen sei beim Treffen der Kita-Spitzen mit dem Land vereinbart worden, Leitlinien zur Betreuung in der Pandemie anzupassen, geschehen sei seitdem aber nichts, kritisierte CDU-Generalsekretär Gerd Schreiner. Auch das Verfahren zur Teststrategie sei nicht umgesetzt worden, die Kita-Mitarbeiterinnen warteten seit Mitte November auf die Ausführungsbestimmungen.
Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) betonte hingegen am Abend, man halte an der Offenhaltung der Kitas fest. Die Situation für Familien und auch für Alleinerziehende sei „seit neun Monaten eine riesige Herausforderung“, die Kitas sollten deshalb für die Kinder, deren Eltern eine Betreuung zuhause nicht sicherstellen könnten, geöffnet bleiben. Ein Nachweis für den Bedarf sei nicht erforderlich. Im Frühjahr habe es bei der Notbetreuung sehr viele Fragen und Auseinandersetzungen gegeben, ob nur systemrelevante Berufsgruppen ihre Kinder zur Notbetreuung bringen dürften, so etwas wolle man jetzt vermeiden.
„Wir gehen davon aus, dass die Eltern sehr verantwortungsvoll von diesem Angebot Gebrauch machen“, sagte Hubig weiter: „Wir appellieren an alle: Betreuen Sie, wenn möglich, Ihre Kinder zuhause.“ Diesen Aufruf werde man auch noch einmal gemeinsam mit dem Landeselternausschuss herausgeben.
Info& auf Mainz&: Mehr zu den Sorgen der Kitas in der Corona-Pandemie lest Ihr auch hier auf Mainz&, die Petition gegen einen Regelbetrieb in den Kitas findet ihr hier im Internet. Bildungsministerin Hubig geriet zuletzt scharf in die Kritik, weil sie Aussagen von Wissenschaftlern zur Ansteckungsgefahr in Schulen verfälscht darstellen ließ – die Wissenschaftler stützten da auf einmal den Kurs der Ministerin, während sie ihn eigentlich kritisiert hatten. Mehr dazu lest Ihr hier bei Mainz&. Wir haben übrigens in diesem Text durchgehend die weibliche Form „Erzieherin“ gewählt, weil die weit überwiegende Mehrheit der Erzieher in den Kitas Frauen sind – die Männer sind selbstverständlich mit gemeint.