Welche Konsequenzen zieht das Land Rheinland-Pfalz aus der Flutkatastrophe im Ahrtal für seinen Katastrophenschutz im Land? Drei Jahre lang mussten die Rheinland-Pfälzer auf eine grundlegende Weichenstellung warten, nun liegt ein neues Brand- und Katastrophenschutzgesetz auf dem Tisch. Und das stellt tatsächlich viele Weichen neu: Hauptamtliche Brandschutzinspekteure in den Kommunen, verpflichtende Übungen, Katastrophenschutzpläne und Verwaltungsstäbe sowie ein neues Landesamt samt Lagenzentrum sollen künftig den Katastrophenschutz besser aufstellen. Rote Telefone gibt es aber immer noch nicht – und die Frage, wann das Land bei Katastrophen eingreift, wird nicht klar geregelt.
Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal waren in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 insgesamt 136 Menschen in den Fluten gestorben, das Katastrophenmanagement von Kreisen und Land Rheinland-Pfalz geriet danach massiv in die Kritik – vor allem, weil die Bevölkerung an der Ahr nicht gewarnt und und effektive Evakuierungen durch den zuständigen Kreis Ahrweiler nicht angeordnet wurden. Bei der Aufarbeitung im Untersuchungsausschuss des Landtags stellte sich schnell heraus: Zuständigkeiten waren unklar geregelt, der zuständige Landrat hatte nie eine Übung besucht – und die Ausrufung eines Katastrophenfalls war in Rheinland-Pfalz gar nicht vorgesehen.
Die Katastrophenstäbe müssten gezielter eingreifen, Evakuierungen beherzt angeordnet und die Bevölkerung viel besser auf Katastrophen vorbereitet werden, hatte bereits im August 2021 der langjährige Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk und versierte Katastrophenschutz-Experte Albrecht Broemme in Mainz kritisiert. Broemme schrieb danach ein Grundsatzpapier für das Land Rheinland-Pfalz, seine “Strategien für Rheinland-Pfalz zur Vorbeugung, Vorbereitung, Koordinierung, Nachbereitung und zur verbesserten Resilienz” bei Unwetterereignissen verschwand aber für fast zwei Jahre im Innenministerium.
“Wollen Neuaufstellung des Katastrophenschutzes intensiv anpacken”
Im August 2022 warfen dann die Oppositions-Fraktionen von CDU und Freien Wählern dem Land vor, seine Hausaufgaben in Sachen Katastrophenschutz nicht zu machen., kurz danach kündigte der damalige Innenminister Roger Lewentz (SPD) grundlegende Änderungen beim Katastrophenschutz, die Anschaffung neuer Polizeihubschrauber sowie die Schaffung eines neuen Landesamtes für Katastrophenschutz an – genau ein solches hatte Broemme in seinem Strategiepapier vorgeschlagen.
Zwei Jahre danach ist es nun endlich so weit: Vorige Woche legte Lewentz’ Nachfolger Michael Ebling (SPD) nun gemeinsam mit Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) ein runderneuerter Brand- und Katastrophenschutzgesetz vor, damit sollen nun endlich grundlegende Konsequenzen aus der Ahrflut gezogen werden. Schweitzer sprach bei der Vorstellung in der Mainzer Staatskanzlei von “einem Meilenstein”: Man wolle die Neuaufstellung des Katastrophenschutzes “sehr intensiv anpacken”, sagte Schweitzer – und dankt dabei ausdrücklich Broemme und seinen Analysen.
“Mit der Neuaufstellung geben wir eine Antwort auf die Frage, wie wir den Herausforderungen des Katastrophenschutzes begegnen wollen”, betonte Schweitzer berichtete, dabei seien auch die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses berücksichtigt worden. Der hatte in mehr als zwei Jahren Arbeit schonungslos aufgezeigt, wie sehr die staatlichen Stellen beim Erkennen der Gefahr und beim Warnen der Bevölkerung versagt hatten. Erste Konsequenzen waren die Anschaffung von acht Tanklöschfahrzeugen sowie von zwei Polizeihubschraubern mit Seilwinden zur Personenrettung aus der Luft.
BKIs hauptamtlich, “Katastrophenfall” wird eingeführt
Nun aber geht es auch an die Strukturen: Das neue Gesetz belasse grundsätzlich die Zuständigkeit für den Katastrophenschutz bei den Kommunen, “stärken und ergänzen sie aber”, sagte Schweitzer. So wird nun in Zukunft die Hauptamtlichkeit für die Brandschutzinspekteure in allen Städten und Kreisen vorgeschrieben – bisher waren viele der BKIs nur Ehrenamtler, die für eine Katastrophe wie im Ahrtal gar nicht ausgebildet sind. Künftig werde die das Vorhalten einer leistungsfähigen Führungsorganisation mit Zweistabsmodell zwingend vorgeschrieben, ebenso das Absolvieren von Kursen und Übungen, kündigte Schweitzer an.
Die konkreten Details nannte dann Innenminister Ebling: “Das Brand und Katastrophenschutzgesetz wird grundlegend neu geordnet”, es werde in vorbeugende und abwehrende Bereiche unterteilt. Erstmals wird es in Rheinland-Pfalz auch die Kategorien “Großschadensereignis” und “Katastrophenfall” geben, “diese Begriffe gab es bisher hier nicht”, räumte Ebling ein. Katastrophenfälle seien “anders als bisher, bekannt zu machen, auch die Ausrufung eines Vor-Katastrophenfalles möglich”, erläuterte der Minister weiter.
Die Zuständigkeit im Katastrophenfall wird auch in Zukunft weiter beim Landrat oder Bürgermeister einer Kommune liegen, jedoch soll das neu geschaffene Landesamt für Katastrophenschutz als obere Behörde Weisungen erteilen und die Einsatzleitung an sich ziehen können. Die Einrichtung des neuen Landesamtes war bereits im August 2022 beschlossen worden, es soll zum 1. Januar 2025 an den Start gehen und das zentrale Kompetenz- und Dienstleistungszentrum für das ganze Land Rheinland-Pfalz sein.
24/7 besetztes Lagezentrum im neuen Landesamt in Koblenz
Seine wichtigste Aufgabe: Ein 24 Stunden/7 Tage besetztes Lagezentrum, dass Gefahrenlagen von Terror bis Unwetterkatastrophen jederzeit im Blick behalten und so sicher stellen soll, dass relevante Entwicklungen jederzeit erkannt werden können. Das Landesamt werde im Ereignisfall betroffenen Kommunen auch Unterstützung und Experten anbieten und zusätzlich als Fachaufsichtsbehörde tätig werden, kündigte Ebling an: Die Zentralstelle solle kommunale Aufgabenträger durch Beratung, Vorlagen und Konzepte zu den unterschiedlichsten Themen unterstützen und beraten.
13,8 Millionen Euro nimmt das Land für den Neuaufbau in die Hand, geplant sind in der ersten Stufe 37,6 Vollzeitstellen, die bis 2026 auf 160 Stellen steigen sollen. Alleine im Lagezentrum werden elf Mitarbeiter rund um die Uhr Schichten schieben, für das neue Landesamt in Koblenz auch Personal von der bisher für Katastrophenschutz zuständigen Dienstaufsichtsbehörde ADD in Trier zum Landesamt wechseln. Zusätzlich sollen perspektivisch drei Regionalstellen im Land verteilt als Ansprechpartner für die Kommunen fungieren.
“Mit dem Gesetzentwurf sorgen wir an vielen Stellen für Klarheit”, sagte Ebling weiter. So werden erstmals in Rheinland-Pfalz genau die Aufgaben der Katastrophenschutzstäbe samt Verwaltungsstäben definiert und gesetzlich beschrieben, vorgeschrieben werden zudem Bedarfs- und Entwicklungspläne sowie normierte Alarm- und Einsatzpläne für die Kommunen, die dem Land vorzulegen seien, betonte der Minister – im Zuge der Ahrkatastrophe war herausgekommen, dass zahlreiche Kommunen solche Pläne nie aufgestellt, und das Land dies nie kontrolliert hatte.
Übungen, Stäbe und Einsatzpläne künftig verpflichtend
Jetzt muss jede Kommune mögliche Potenziale als Gefahren definieren und ihre Abwehr vorbereiten, auch Katastrophenschutzübungen sollen konkretisiert und ihre Übungsintervalle vorgeschrieben werden – verpflichtende Teilnahme inklusive. Auch das hatte sich als eine Lücke im Ahrtal erwiesen: Landrat Jürgen Pföhler (CDU) hatte den Katastrophenschutz an seinen BKI delegiert und war nie auf einer Übung gewesen. “Wir wollen die Bewältigung von Lagen geübt sehen”, betonte Ebling nun, auch das Land werde eigene Übungen veranstalten.
“Wir schaffen damit die Basis, sowohl in Bezug auf Vorbereitung wie auch auf Schadensereignisse”, sagte Ebling: “Wir haben mit Augenmaß, aber auch unter Nutzung von Expertenwissen ein ganzes Paket geschnürt und liefern Antwort auf notwendige Fragen und Aufgaben.” Dem Ministerium sei “klar gewesen, dass wir bei der Architektur die Hauptamtlichkeit brauchen”, räumte Ebling ein – bislang hatte Rheinland-Pfalz dies stets abgelehnt. Dem Land sei klar, “dass wir damit eine Mehrbelastung der Kommunen auslösen, das haben wir im Haushalt aber auch vorbereitet”, sagte der Minister zudem.
Unscharf ist derweil noch die Frage, wann genau denn das Land künftig eine Einsatzlage an sich ziehen wird – auch das war einer der Knackpunkte im Ahrtal: Trotz der massiven Überforderung der Kreisebene, hatten weder die ADD noch das Innenministerium die Koordinierung der Einsätze an sich gezogen. Auch dadurch kamen Hilfeleistungen etwa durch die Bundeswehr viel zu spät, unterblieben großflächige Warnungen der Bevölkerung über Medien ganz.
Wann übernimmt das Land die Einsatzleitung?
Ebling verwies hingegen auf die Rolle des künftigen Lagezentrums: Das sei “unser Fernglas, unser Seismograph, das rechtzeitig erkennen lässt, was passiert”, betonte er, es werde künftig ein viel stärker ineinander aufwachsendes System geben, bei der sich Lagebeobachtung des Landes und Unterstützung für die Kreise ergänzten. Dazu wolle das Land auch in der Bevölkerung ein stärkeres Bewusstsein für Krisen und Katastrophen schaffen, kündigte Ebling an: Man habe bereits eine Kampagne gestartet, die unter dem Hashtag #bleibbereit über Risiken durch Klimawandel und Krisen aufkläre, und Vorsorgemaßnahmen erkläre.
Die Opposition im Mainzer Landtags zeigte sich von dem Maßnahmenpaket indes nicht überzeugt: “Dass die Landesregierung bald dreieinhalb Jahre für ihren Regierungsentwurf zum Brand- und Katastrophenschutzgesetz gebraucht hat, ist einfach zu lange”, kritisierte der Katastrophenschutz-Experte der CDU-Landtagsfraktion, Dennis Junk. Einige Vorschläge lägen bereits seit Ende 2022 auf dem Tisch, die jetzigen Vorschläge reichten “bei Weitem nicht aus.” So fordert die CDU bereits seit Längerem eine komplette Überarbeitung des Förderwesen für Feuerwehrfahrzeuge, es brauche eine breite Förderung von geländegängigen und wattfähigen Fahrzeugen.
Der Obmann der Freien Wähler im Untersuchungsausschuss, Stephan Wefelscheid, kritisierte vor allem die vagen Regelungen zur Übernahme des Landes im Großschadensfall: “Das Land sollte die Einsatzleitung bei Großschadensereignissen oder großen Katastrophen-Szenarien immer übernehmen müssen, wenn zentrale Abwehrmaßnahmen notwendig sind.”, betonte Wefelscheid: “Mit der vorgesehenen Regelung, dass das Land die Leitung übernehmen kann, aber nicht muss”, vermeide die Landesregierung es, Verantwortung zu übernehmen sowie den kommunalen Brand- und Katastrophenschutz zu entlasten und abzusichern. “Also genau das Gegenteil von dem, was eigentlich notwendig wäre”, kritisierte er.
Landtag debattiert am Freitag Abschlussbericht des UA Ahrtal
Wefelscheid begrüßte aber auch, dass die Ampel-Regierung viele Vorschläge auch der Opposition aufgenommen habe – so etwa eine echte Staatsaufsicht als Fachaufsicht über den kommunalen Katastrophenschutz, Überprüfung der Alarm- und Einsatzpläne, Hauptamtlichkeit der BKIs und die Einführung der Begriffe “Katastrophenfall” und “Großschadensereignis” inklusive deren Definitionen. “Auch wenn es mehr als drei Jahre seit der Jahrhundertflut gedauert hat, notwendige gesetzliche Änderungen anzustoßen, bin ich doch froh, dass sich endlich etwas tut”, fügte Wefelscheid hinzu.
Das neue Gesetz wird nun wohl Ende September, Anfang Oktober in den Landtag Rheinland-Pfalz eingebracht werden – in dieser Woche steht es nicht auf der Tagesordnung des Plenums. Dafür wird mit Spannung die erste Regierungserklärung von Ministerpräsident Schweitzer erwartet, und was er zum Thema Ahrtal sagen wird – am Mittwoch ab 14.00 Uhr. Am Freitag dann nimmt sich der Landtag fast fünf Stunden Zeit, um über den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe zu debattieren – mehr über den Bericht lest Ihr hier bei Mainz&.
Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema Konsequenzen im Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz lest Ihr auch hier bei Mainz&. Mainz& hat über das Thema Katastrophenschutz und Flutkatastrophe Ahrtal seit Juli 2021 ausführlichst berichtet, unser ganzes Dossier mit allen Berichten findet Ihr hier. Und statt dem 2100 Seiten starken Abschlussbericht des UA empfehlen wir unser Buch – spannend wie ein Krimi, aber mit denselben Inhalten: