Sie haben es erneut getan: Um 19.56 Uhr schallte „Freude, schöner Götterfunken“ lauthals über den Platz vor dem Bürgerhaus Mainz-Finthen. Die Ode an die Freude wird langsam zur Anti-AfD-Hymne. Im Bürgerhaus nämlich feierte die Alternative für Deutschland (AfD) ihren Wahlkampfauftakt zur Landtagswahl am 13. März, rund 250 Menschen wollten AfD-Bundesvize Alexander Gauland sehen. Vor der Tür protestierten gegen rechte Parolen rund 300 Menschen, lautstark und friedlich. Dabei erfuhr Mainz&: AfD-Mitglieder zeigten inzwischen auch den Mainzer Polizeichef Achim Zahn an – wegen Nötigung.

Demo gegen AfD vor dem Bürgerhaus Finthen
Demo gegenndie AfD vor dem Bürgerhaus in Finthen – Foto: gik

Zahn berichtete am Dienstagabend Mainz& empört, er habe jetzt mehrere Anzeigen gegen sich – erstattet von AfD-Mitgliedern. Der Vorwurf: Nötigung, der Grund: Zahn habe den Zugang zur AfD-Demo vor dem Staatstheater im November 2015 verhindert. Zahn konnte darüber nur den Kopf schütteln: „Ich musste ja beide Seiten voneinander trennen“, sagte der Leiter der Polizeidirektion Mainz. Gleichzeitig werde er „in die rechte Ecke gestellt“, weil seine Leute die Anzeige gegen das Mainzer Staatstheater gestellt hatten – weil deren Mitglieder mit lautstarkem Singen der „Ode an die Freude“ die AfD-Kundgebung kurzzeitig störte. „Wir hatten keine Wahl“, bekräftigte Zahn noch einmal.

Beethovens Hymne an die Freiheit und die Brüderlichkeit der Völker hatten die Demonstranten auch diesen Dienstag wieder mit im Gepäck dieses Mal allerdings als Aufnahme. Vor dem Bürgerhaus Finthen hatte eine Menge Demonstranten schon früh Aufstellung bezogen, um trotz Regen, ekliger Kälte und der Entfernung zur Innenstadt gegen die rechten Parolen der AfD Flagge zu zeigen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Polizei sprachen von rund 300 Gegendemonstranten, die Zahl war schwer zu schätzen.

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Friedlicher Protest gegen Rassismus und rechte Parolen

Ralph Erbar mit Plakat gegen AfD
Unidozent Ralph Erbar mit Plakat gegen die AfD vor dem Bürgerhaus Finthen – Foto: gik

„Es sind noch viel zu wenige“, meinte Ralph Erbar, Dozent für Geschichtsdidaktik an der Uni Mainz. Erbar hatte eigens ein Schild gemalt für den Anlass, „Flüchtlinge Willkommen, Brandstifter nicht!“ stand darauf. „Ich bin gegen den autoritären Charakter bei der AfD, die rassistischen Tendenzen, die erkennbar werden, und vor allem gegen die Hetze gegen Flüchtlinge“, begründete Erbar, warum er vor dem Bürgerhaus sein Plakat hoch hielt. „Dagegen muss man rechtzeitig ein Zeichen setzen“, betonte der Hochschuldozent, „und heute Abend ist so eine Gelegenheit.“

Es war eine bunte Mischung da auf dem Platz vor dem Bürgerhaus: Etabliertes Bürgertum, SPD-Stadträte, Gewerkschafter, junge Leute, Antifa. Mit lauter Rockmusik und absolut friedlich protestierten sie dagegen, dass die AfD erneut Mainz zum Pflaster für ihre Veranstaltung machte. Übrigens: Es kam jeder problemlos durch die Menge, der durch wollte.

Update: Passanten teils massiv beleidigt und behindert

UPDATE: Inzwischen erreichen uns Berichte, wonach das mit dem problemlosen Durchkommen offenbar doch nicht so ganz stimmt. Zwar erlebte Mainz& das freidliche Passierenlassen tatsächlich genau so, an anderen Stellen der Protestkundgebung war das aber offenbar anders: In Höhe des Musik-Trucks, so berichten mehrere Augenzeugen, seien Passanten Richtung Bürgerhaus massiv behindert worden, beleidigt, beschimpft und auch geschubst worden. Das natürlich ist weder friedlich noch demokratisch – weswegen wir diese Berichte selbstverständlich ergänzen. Es geht ja hier nicht um Schönfärberei, sondern um die tatsächliche Darstellung dessen, was gewesen ist.

Unser Kommentar dazu: Solche Vorkommnisse erweisen dem demokratischen Protest einen Bärendienst und erlauben es Kritikern, die Demonstranten in die Ecke Gewalttätiger zu stellen – was dem Protest vieler friedlicher Bürger völlig Unrecht tut und ihn diskreditiert. Ganz zu schweigen davon, dass diese angeblichen Verteidiger sich alles andere als demokratisch verhalten…

Gewalttätige AfD-Sympathisanten: Randale und Plakat anzuzünden

Gewalt ging aber durchaus auch von AfD-Sympathisanten aus, wie Mainz& persönlich miterlebte: Ein junger Mann wollte das Plakat von Ralph Erbar mit dem Feuerzeug anzünden, konnte aber mit höflicher Ansprache abgehalten werden. Dagegen ging ein großer, älterer Mann völlig unvermittelt und ohne Anlass auf die Demonstranten los, schlug um sich und brüllte: „Sonst gibt’s was auf die Fresse!“ Der Mann war zuvor nicht angegriffen oder gar angefasst worden.

Voller Saal im Bürgerhaus Finthen bei AfD
Voller Saal im Bürgerhaus Finthen bei AfD – Foto: gik

Trotzdem sprach der Landesvorsitzende der Jungen Alternative, der Jugendorganisation der AfD, Damian Lohr, im Saal von einer „Drohkulisse“ vor der Tür und behauptete, auf das Bürgerhaus sei im Vorfeld der Veranstaltung „geschossen worden.“ Tatsächlich waren am Montag und Dienstag am Bürgerhaus und vor dem Bürgerhaus Schmierereien aufgetaucht: Fenster, Wände und der Boden vor dem Haus seien mit Parolen gegen die AfD beschmiert worden, sagte Nicole Scheuring von der Polizei Lerchenberg Mainz&.

Bürgerhaus beschmiert, aber nicht beschossen, sagt Polizei

Die Schriftzüge waren am Abend bereits wieder beseitigt worden, zum Teil waren sie auch nur mit Kreide auf den Boden gemalt worden. Allerdings wurden auch Schlösser des Bürgerhauses mit Sekundenkleber oder Ähnlichem verschlossen, das betraf offenbar auch die Ortsverwaltung im Erdgeschoss. Dazu gebe es ein kleines Loch in einer Außenscheibe, sagte Scheuring, das wahrscheinlich von einem Steinwurf stamme. „Eine klassische Schusswaffe war das eher nicht“, betonte die Polizistin, „dann wäre die Scheibe nämlich durch, und das ist sie nicht.“ So viel zur Mythenbildung Schuss aufs Bürgerhaus.

Junge: „Millionen illegaler Einwanderer“ bilden jetzt Ghettos

AfD Junge Rede Bürgerhaus Finthen
AfD-Landeschef Uwe Junge bei seiner Rede im Bürgerhaus Mainz-Finthen – Foto: gik

Auch sonst hielt es die AfD an diesem Abend nicht so genau mit der Wahrheit: AfD-Landeschef sprach in seiner markigen Rede von „Millionen illegaler Einwanderer“, deren Integration „angesichts der hohen Zahlen überhaupt nicht zu schaffen ist.“ Woher Junge die Millionen (!) erst recht illegaler (!) Menschen nahm, sagte er nicht – tatsächlich kamen 2014 rund eine Million Flüchtlinge nach Deutschland, legal und registriert, zumindest in Rheinland-Pfalz.

Dennoch sprach Junge vom „Asylchaos“, in dem er „Ordnung nicht erkennen“ könne und kündigte an: „Jetzt beginnt die Ghettoisierung!“ Die rot-grüne Regierung in Rheinland-Pfalz hingegen verschließe die Augen vor der Realität, wetterte Junge, und es reiche auch nicht aus, wenn CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner „einen Integrationsguide aufs Kopfkissen legen will.“ Mit den Flüchtlingen werde „ein völlig anderes Rechtsverständnis importiert“, drohte der AfD-Spitzenkandidat, und fügte mit Blick auf die Ausschreitungen in Köln an Neujahr hinzu „Köln war vielleicht nur der Anfang.“

AfD hat in Rheinland-Pfalz derzeit 1.200 Mitglieder

Die AfD, behauptete Junge weiter, wolle „mit sachlichen Argumentationen“ im Wahlkampf punkten und habe inzwischen „sehr viel Zuwachs.“ Seinen Angaben zufolge hat die Partei inzwischen 1.200 Mitglieder und reichte für ihre Bewerbung zur Landtagswahl 3.500 Unterschriften ein – etwas mehr als 2.000 sind nötig.

Tatsächlich war der Saal im Finther Bürgerhaus dicht besetzt mit rund 250 Menschen, nicht alle davon waren aber Mainzer. „Das ist eine demokratische Partei“, sagte ein anwesender Mainzer, der kein Interview geben wollte. Nach Mainz&-Informationen hatte die AfD im Vorfeld massiv mit Flugblättern für ihren Wahlkampfauftakt geworben.

Junge: Solarfelder „unsozial“, Windräder „rücksichtslos“ und nutzlos

„Hier in Mainz ist der Hotspot, hier muss man eröffnen“, sagte Junge Mainz&. Die AfD biete den Menschen „endlich eine Alternative zum Alt-Parteien-Kartell“. Und Junge zählte in seiner Rede auf, wofür die AfD im Wahlkampf steht: Förderung nur der Kernfamilie von Vater, Mutter, Kind, keine Gleichstellung anderer Familienformen, mehr Polizei und Sicherheit, Betonung der Leistungsgesellschaft.

AfD Bundesvize Gauland Rede Bürgerhaus Finthen
AfD-Bundesvize Gauland langweilte mit seiner Rede im Finther Bürgerhaus eher – Foto: gik

Auch mit der Energiewende fremdelt die AfD offenbar: Solarfelder verschandelten die Landschaft und seien „unsozial“, weil der Stromkunde für sie zahlen müsse, es drohe ein weiterer  „rücksichtsloser Ausbau der Windkraft ohne Nutzen“, behauptete Junge – die finanziellen Nutzen für die zahllosen Gemeinden in Rheinland-Pfalz, die sich geradezu um Windräder reißen, erwähnte er nicht. Das Erneuerbare Energien Gesetz müsse weg, forderte Junge und prophezeite selbstbewusst den Einzug seiner Partei in den Landtag Rheinland-Pfalz am 13. März – angesichts von Umfragwerten von derzeit 7 Prozent ist das nicht auszuschließen, aber keineswegs sicher.

Gauland referiert länglich über Bismarck und verteidigt Höcke

Völlig unspektakulär geriet danach die Rede Gaulands: Der Bundesvize referierte ausführlich über die „Demütigung von Versailles“ gegen Deutschland am Ende des 1. Weltkriegs, über Reichskanzler von Bismarck und die Ausgrenzung Russlands – den Saal riss er damit eher weniger mit.Am Ende allerdings verteidigte Gauland ausdrücklich den wegen seiner rechten Reden stark in die Kritik geratenen Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke.

„Ich schätze Herrn Höcke sehr und habe ihn im Bundesvorstand verteidigt“, sagte Gauland wörtlich, und fügte hinzu: „Keine Sorge, Herr Höcke wird nicht ausgeschlossen und nicht die AfD verlassen.“ Der Bundesvorstand werde in seiner Zusammensetzung bleiben. Bis zu den anstehenden Landtagswahlen „müssen wir aber vorsichtig argumentieren“, fügte Gauland hinzu.

Vor der Tür hielten die Demonstranten derweil mit lauter Rockmusik dagegen. „AfD, Ihr seid hier nicht Willkommen“, rief die Menge just während Gaulands Rede: „Haut ab!“ Das aber hat die AfD nicht vor: Man werde im Wahlkampf präsent sein, mit Infoständen nahe an den Bürgern sein und noch mehrere Großkundgebungen in Mainz abhalten, sagte Junge. Bleibt festzustellen: Die AfD konnte erneut völlig ungehindert ihre Veranstaltung in aller Ruhe abhalten. Warum trotzdem Redner behaupteten, sie dürften „ihre Meinung nicht sagen“, blieb rätselhaft. Junge selbst behauptete in seiner Rede gar, die Meinungsfreiheit in Deutschland sei am Ende: „Das sind die klassischen Methoden totalitärer Staaten.“

Polizei sichert AfD Veranstaltugn Bürgerhaus Finthen
Friedlicher Protest, die AfD von Polizei geschützt – Foto: gik

Meinung& auf Mainz&: Das ist wirklich unsäglich: Deutschland mit einem totalitären Staat zu vergleichen, geht gar nicht. Ein solcher Vergleich schürt Ängste und zeichnet ein völlig unangemessenes Bild eines Staates, der in die Rechte seiner Bürger eingreift. Welche Fehler auch immer Deutschland hat – die Meinungsfreiheit gilt. Die AfD hat genau diese am Dienstagabend ja ausführlich ausgeübt – und zwar völlig ungehindert. Sie musste sich nicht in einem Hinterzimmer treffen, ihre Versammlung wurde nicht von der Polizei aufgelöst, das Bürgerhaus nicht gestürmt.

Ungestört war die AfD nicht – aber, liebe Leute, genau das ist Teil unserer Demokratie und Meinungsfreiheit. Wer Thesen äußert, muss mit Widerspruch rechnen – und genau das taten die Demonstranten vor der Tür. Gewalt im Dunkeln ging dabei nicht von den Demonstranten aus – sondern von den AfD-Sympathisanten. Die fühlten sich schon bedroht, weil da Menschen standen – das aber wirft ein bezeichnendes Licht auf deren Demokratieverständnis.

Dazu passt, dass ausgerechnet ein Polizeichef von diesen Rechten angezeigt wird, weil er seinen Job macht – es entlarvt die angeblich so demokratischen Aktivisten der rechten Seite: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns und wird rücksichtslos bekämpft. Das gabe es zuletzt unter den Nationalsozialisten, genauer: im NS-Staat.

Plakat gegen Rassismus AfD Demo Finthen
Plakat gegen Rassismus vor dem Bürgerhaus Finthen bei der AfD-Veranstaltung – Foto: gik

Sobald die AfD Widerstand spürt, spielt sie die Beleidigten und Verfolgten. Das sind typische Verfolgungswahn-Mechanismen rechter Parteien – die damit Ängste von Menschen schüren, die meinen, es könne Tendenzen von Meinungsunterdrückung geben. Und siehe, da sagt ein seriöser Politiker einer offiziellen Partei, seine Meinung werde unterdrückt, seine Partei verfolgt – das ist Wasser auf die Mühen aller Misstrauischen. Dann auch noch von „totalitärem Staat“ zu reden schürt den Eindruck, es gäbe so etwas tatsächlich.

Der Verfassungsschutz nannte früher so etwas übrigens „staatszersetzende Reden“ – bleibt zu hoffen, dass die Schlapphüte das auch mitbekommen. Wer solche Reden führt, der zerstört die Demokratie von innen, in dem er den Eindruck erweckt, sie sei bereits tot. Gaulands Aussagen zeigen zudem deutlich: die rechtsextreme Gesinnung ist in der AfD ausdrücklich gewollt und Programm – bis zur Wahl will man das aber lieber noch ein bisschen verstecken. Also schaut hin, was Ihr wählt.

Dass eine solche Partei tatsächlich am 13. März in den rheinland-pfälzischen Landtag einzieht – Glauben tun wir das noch nicht. Abgerechnet wird am 13.3.2016 um 18.00 Uhr.

 

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