UPDATE& — Wenige Minuten nach Beginn seiner Rede musste CDU-Chef Friederich Merz am Donnerstag in Mainz unterbrechen: Zwei Klima-Aktivistinnen der sogenannten „Letzten Generation“ stürmten in den Saal, versuchten ein Transparent zu entfalten – und eine der Aktivistinnen klebte sich an dem Podium unmittelbar vor dem Rednerpult fest. Was die Demonstrantinnen riefen, war nicht zu verstehen, nach wenigen Minuten war der Spuk bereits wieder vorbei. Merz reagierte mit einem „Danke, schön, dass Sie da waren“ – und mit Spitze gegen die „Klima-Kleber“.
Die Mainzer CDU hatte am Donnerstagnachmittag zum Neujahrsempfang in den Erbacher Hof geladen, es ging natürlich um den Oberbürgermeister-Wahlkampf, und um die Unterstützung der CDU-OB-Kandidatin Manuela Matz. „Wir stehen in Mainz vor einer Jahrhundertentscheidung“, rief der Mainzer CDU-Chef Thomas Gerster in den überfüllten Saal: „Wir haben die Riesenchance, erstmalig in 70 Jahren eine CDU-Oberbürgermeisterin zu stellen!“
Matz werfe sich „mit unglaublichem Fleiß und Kompetenz“ in den Wahlkampf, betont Gerster: „Sie ist ein Beispiel dafür, wie wir die nächste Kommunalwahl gewinnen können.“ Die CDU habe die richtigen Konzepte, „sie dienen den Menschen, und sind im Gegensatz zu denen der Konkurrenzen auch machbar“, sagte Gerster, und forderte die anwesenden CDU-Mitglieder auf: „Zeigen Sie den Menschen: die CDU ist wieder da.“ Und Gerster schloss mit einem Bonmot: „Machen wir es wie Martin Luther: Aus einem verzagten Arsch kann kein fröhlicher Pfurz kommen.“
Merz: Noch immer keine einzige Patrone bestellt
Gekommen waren tatsächlich einige Hundert Gäste, erleben wollten sie vor allem einen: CDU-Bundeschef Friedrich Merz. Der war eigens nach Rheinland-Pfalz gekommen, um sich in Mainz und in Kaiserslautern in den OB-Wahlkampf zu werfen. Merz präsentierte sich gut gelaunt, angriffslustig, aber durchaus auch nachdenklich: Die CDU habe in den vergangenen Regierungsjahren durchaus auch Fehler gemacht, räumte Merz gerade mit Blick auf das Verhältnis zu Russland, die Abhängigkeit von russischem Gas und die Ausstattung der Bundeswehr: „Da haben wir die eine oder andere Lage nicht richtig eingeschätzt“, räumte Merz offen ein.
Doch dafür sei die CDU nicht alleine zuständig, betonte der CDU-Chef zugleich: „Der letzte Finanzminister hieß Olaf Scholz – und dessen Finanzplan für die Bundeswehr zeigte steil nach unten“, monierte Merz in Richtung des heutigen SPD-Bundeskanzlers. Die CDU halte das Sonderprogramm für die Bundeswehr für richtig und habe dem zugestimmt, „aber wir erwarten jetzt auch, dass die Bundeswehr liefert“, forderte Merz.
Die Ampel-Koalition in Berlin habe die Opposition Ende 2022 unter hohen Zeitdruck gesetzt zuzustimmen, „auch mit dem Argument, man müsse Munition bestellen“, sagte Merz weiter: „Jetzt haben wir den 2. Februar – und es ist nicht eine einzige Patrone bestellt. Wir fühlen uns da ein Stück hinters Licht geführt.“ Die Bundesregierung müsse jetzt „Liefern, Bestellen, Ausrüsten“, und sie müsse einen Plan für diplomatische Verhandlungen sowie für einen europäischen Umgang mit Russland für die Zeit nach dem Krieg entwickeln.
Klima-Aktivistin klebt sich am Podium fest
Kurz nach Beginns einer Rede allerdings wurde der CDU-Chef unterbrochen: Zwei Klima-Aktivistinnen stürmten in den Saal, versuchten ein Transparent zu entwickeln, und störten mit lautem Rufen von Parolen die Rede. Eine der beiden Aktivistinnen wurde umgehend von Sicherheitsleuten abgeführt, die zweite aber klebte sich mit der rechten Hand am Boden der Bühnen-Empore fest, und rief ununterbrochen: „Wir sind die 99 Prozent“ – was sie damit meinte, blieb unklar.
Merz reagierte ruhig, aber durchaus genervt: „Vielen Dank, schön dass Sie da waren – und jetzt gehen Sie bitte“, sagte er, und versuchte zunächst, mit seiner Rede fortzufahren. Doch das gelang wegen der lauten Rufe der Aktivistin nicht. „Es ist doch schön, dass Sie noch da sind – Ihre Kollegen sind ja zurzeit auf Bali“, reagierte Merz mit Sarkasmus – und spielte damit auf eine Reise von Vertretern der „Letzten Generation“ an, die statt bei einem Gerichtstermin zu erscheinen, nach Bali gereist waren. Merz postete den Vorfall auch auf seinem Twitter-Account, Video inklusive.
CDU-Mitarbeiter versuchten dann noch kurz, die Aktivistin hinter einem Wahlkampfplakat von Matz zu verbergen, kurz danach gelang es dann, die Hand der Frau mit Olivenöl zu lösen und sie aus dem Saal zu führen. „Vielleicht wenden Sie sich jetzt mal wieder Ihrer Ausbildung und Ihrem Studium zu“, schickte Merz den Aktivistinnen noch hinterher, und rief unter dem Beifall der Anwesenden: „Anders als die, die sich festkleben, geben wir eine Antwort, wie man das Thema wirklich lösen kann – und da lassen wir uns auch gar nicht irritieren von denen, die sich festkleben und dazwischenrufen.“
Merz: Technologie gegen Klimawandel
Als Lösungsweg skizzierte der CDU-Chef danach vor allem den Weg technischer Lösungen: „Wir haben in 70 Jahren mit Mut, Modernisierung und Technik unser Land dahingebracht, wo wir stehen“, betonte Merz, „und wir trauen uns zu, mit dieser Technik auch die Aufgabe des Klimawandels in der Griff zu bekommen.“ Das sei eine enorme Aufgabe, die es zu bewältigen gelte, aber er wolle zeigen, „dass Technologie aus Deutschland heraus auch in der Lage ist, diese Aufgabe zu bewältigen.“
Als Beispiel nannte er auch das Speichern von CO2 aus der Luft, aber auch die Entwicklung von synthetischen Kraftstoffen. Den Grünen warf Merz dabei vor, nur auf Verbote zu setzen: „Erstens Verbrenner verbieten, zweitens synthetische Kraftstoffe verbieten – wenn nach denen geht, schalten wir alles ab, dann sind wir klimaneutral, aber auf der Welt merkt es keiner.“ Deutschland sei „so bekloppt, wir verbieten was wir haben, anstatt unsere Lösungen auf der ganzen Welt anzubieten, damit das Problem Schritt für Schritt gelöst wird“, kritisierte Merz.
Zum Thema Zuwanderung betonte Merz, die Ampel wolle eine Zuwanderung von 200.000 oder gar 400.000 pro Jahr, doch schon jetzt lägen 45.000 unbearbeitete Einwanderungsanträge bei den Behörden – und die schafften ohnehin nur 25.000 pro Jahr. „Da stimmt doch was nicht“, kritisierte Merz und forderte „eine ganz neue Willkommenskultur“ für Fachkräfte, die in Deutschland arbeiten wollten.
Von seiner eigenen Partei forderte Merz mehr Mut – und mehr Programmatik: „Immer nur sagen, wo wir dagegen sind, das reicht nicht aus“, betonte Merz: „Ich will jetzt nur noch hören, wo wir dafür sind.“ Die Entwicklung des neuen Grundsatzprogramms schreite gut voran. „Ich möchte, dass wir eine diskutierende, offenen und notfalls auch streitende Partei sind“, betonte Merz, und stichelte: „Bei den Grünen fanden das immer alle interessant, bei uns heißt es: die CDU streitet. Ja, wir ringen, und ich möchte, dass Sie mit dabei sind.“
Denn von Rheinland-Pfalz aus, sagte der CDU-Chef noch mit Blick auf die Ära von Helmut Kohl, „ist schon einmal eine Erneuerung der CDU gelungen“, und das „wünsche ich mir und hoffe es.“ Auch OB-Kandidatin Matz sprach von einer „historischen Chance“, skizzierte Themen ihres Wahlprogramms und zitierte den früheren amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson: Der habe gesagt, man brauche Visionen, denn „ohne Visionen kann man keine großen Vorhaben verwirklichen“, betonte Matz, und fügte hinzu: „Und wir müssen große Vorhaben verwirklichen in Mainz.“
Polizei: Aktivistinnen geflüchtet, Ermittlung wegen diverser Straftaten
Update&: Die Mainzer Polizei teilte am Nachmittag mit, die beiden Klimaaktivistinnen hätten gegen 15.30 Uhr die Veranstaltung gestört, seien aber noch vor Eintreffen der Polizei „unter Zuhilfenahme von Olivenöl vom Boden gelöst und aus dem Saal geführt“ worden. Danach seien die Aktivistinnen geflüchtet, hätten zuvor aber noch einen Feueralarm im Erbacher Hof ausgelöst. „Die alarmierten Funkstreifen des Mainzer Altstadtreviers konnten die beiden Frauen nicht mehr antreffen“, hieß es weiter.
Die Polizeiinspektion Mainz 1 habe die Ermittlungen aufgenommen und gehe ersten Hinweisen auf die Identität der Aktivistinnen nach, so die Polizei weiter. Derzeit stehe der Anfangsverdacht von Straftaten wie Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Missbrauch von Notrufen sowie Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln im Raum.
„Letzte Generation“ fordert Gesellschaftsrat
Der ermittelnden Polizei kann geholfen werden: Die Klimaaktivisten meldeten sich am späten Nachmittag per Pressemitteilung selbst zu Wort. Zwei Aktivistinnen im Alter von 21 und 49 Jahren der sogenannten „Letzten Generation“ hätten sich auf der Bühne festgeklebt, um Merz „Verantwortungs- und Tatenlosigkeit im Angesicht der Klimakatastrophe“ vorzuwerfen, so die Pressemitteilung.
„Sie wussten Bescheid und haben die Krise dennoch befeuert! Was ist Ihre Klimapolitik, Herr Merz? Sie haben keinen Plan! Wir sind die 99 Prozent! Wir brauchen einen Gesellschaftsrat”, hätten die beiden Frauen lautstark gerufen, so eine Pressemitteilung der „Letzten Generation“.
Mit dem „Gesellschaftsrat“ fordern die Klima-Aktivisten neuerdings einen per Los aus Bürgern des Landes zusammengestellten Rat, der die Entscheidungen für die Gesellschaft treffen soll. Kritiker werfen der „Letzten Generation“ vor, damit nichts weniger als die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie zu fordern. Mit der Störung sollten „Politik und auch die Gesellschaft angesichts des akuten Klimanotfalls“ wachgerüttelt werden.
Das Banner mit der Aufschrift „Art. 20A GG = Leben schützen“ benenne „den Bruch der Verfassung, den die Regierung durch Untätigkeit seit Jahrzehnten bis heute täglich begeht“, behaupten die Aktivisten. Auch diese Aussage ist ausgesprochen fragwürdig: Der Artikel 20a des Grundgesetzes besagt, dass der Staat „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere“ schützen muss – dass die Bundesregierung diesen Verfassungsparagraphen „bricht“, dürfte ausgesprochen fraglich sein.
Die Aktivistinnen teilten übrigens ganz freimütig mit, wer sie denn waren: Anna Fassbender (21), Soziologiestudentin aus Mainz bekannte sich offen zu der Aktion. „99 Prozent der Bevölkerung“ litten unter dem Klima-Kollaps, „der von einem einflussreichen Prozent finanziert wird: Erkrankungen, Kriege, Hunger, Flucht und Tod sind die Folge“, klagte Fassbender: „Wir als Gesellschaft müssen jetzt aufstehen und etwas gegen diese Ungerechtigkeit tun. Wir alle sind die letzte Generation, die dazu noch in der Lage ist!” So lange werde man „bundesweit den Alltag stören und die Menschen friedlich und entschlossen mit der herannahenden Katastrophe konfrontieren.“
Info& auf Mainz&: Alle Artikel, Hintergründe und Berichte zur Mainzer OB-Wahl im Vorfeld des ersten Wahlgangs am 12. Februar 2023 findet Ihr hier in unserem Mainz&-Wahldossier.