Nach dem Rücktritt von Innenminister Roger Lewentz (SPD vergangene Woche wächst nun der Druck auch auf Malu Dreyer (SPD): Die CDU schickte nun einen Brief an die Staatskanzlei in Mainz, das Schreiben, das Mainz& vorliegt, enthält 15 bohrende Fragen an die Ministerpräsidentin. „Als Ministerpräsidentin tragen Sie (…) die Gesamtverantwortung für das Regierungshandeln“, schreibt CDU-Landeschef Christian Baldauf – die MP müsse erklären, was sie in der Flutnacht des 14. Juli 2021 gewusst und was sie getan habe.

Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Innenminister Roger Lewentz (beide SPD) im Juli 2021 bei einer Pressekonferenz im Ahrtal. - Screenshot: gik
Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Innenminister Roger Lewentz (beide SPD) im Juli 2021 bei einer Pressekonferenz im Ahrtal. – Screenshot: gik

Vor gut einer Woche trat Innenminister Roger Lewentz (SPD) von seinem Amt zurück, nachdem der Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags zur Aufklärung der Flutkatastrophe im Ahrtal gleich mehrere Dokumente, Emails sowie die Videos aus einem Polizeihubschrauber zutage gefördert hatte, die alle eines belegen: Das Mainzer Innenministerium und auch der Innenminister persönlich hatten in der Flutnacht sehr wohl einen umfassenden Lageüberblick über die dramatische Situation im Ahrtal.

Nach Lewentz Rücktritt richten sich nun die Blicke auf die Ministerpräsidentin, zu viele Fragen aus der Flutnacht sind weiter offen. Gleich 15 solcher Fragen richtet die CDU-Opposition nun in einem Brief an Dreyer persönlich, das Schreiben ging bereits am Donnerstag an die Staatskanzlei und wurde am Freitag veröffentlicht.

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„Nicht nur gegenüber den Opfern, ihren Hinterbliebenen, den vielen Verletzten und Geschädigten, sondern auch der Öffentlichkeit besteht die Verpflichtung zur Aufklärung“, schreibt CDU-Landeschef Baldauf in dem Brief, der Mainz& vorliegt. Schließlich sei dies „die Voraussetzung dafür, Fehler künftig zu vermeiden, Strukturen zu verbessern und damit eine vergleichbare Tragödie, soweit es möglich ist, zu verhindern.“

Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Innenminister Roger Lewentz (beide SPD) mit Bundeskanzlerin Angela Merkl (CDU) im Ahrtal. - Foto: RLP.de
Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Innenminister Roger Lewentz (beide SPD) mit Bundeskanzlerin Angela Merkl (CDU) im Ahrtal. – Foto: RLP.de

Auf insgesamt drei Seiten folgen danach bohrende Fragen: Sei Dreyer weiterhin der Auffassung, dass der Landesregierung in der Flutnacht „kein vollständiges Lagebild“ vorgelegen habe, und sei die Regierungschefin wirklich der Auffassung, sie sei von ihrem Innenminister „ausreichend informiert“ worden? Nach bisherigem Kenntnisstand hatten Dreyer und Lewentz um 21.45 Uhr letztmals direkten Kontakt in der Flutnacht.

Zwischen 21.36 Uhr und 21.44 Uhr schreiben sie sich eine Reihe von SMS-Nachrichten, in einer schreibt Dreyer: „Ich höre, der Höchststand ist erst morgen Mittag erreicht, ist ja wirklich schlimm.“ Woher Sie denn diese Information gehabt habe, wird Dreyer bei ihrer ersten Vernehmung im Untersuchungsausschuss im April dieses Jahres gefragt. „Ich weiß es nicht mehr, ich kann mich einfach nicht mehr erinnern”, antwortet sie.

 

Bereits gegen 21.23 Uhr weiß das Lagezentrum im Innenministerium von eingestürzten Häusern in Schuld. Um 21.44 Uhr verabschiedet sich Dreyer von Lewentz mit der Nachricht: „Ok. Schönen Abend.“ Es ist nach bisherigem Kenntnisstand der letzte Kontakt zwischen den beiden in dieser Nacht. Dabei liegen spätestens ab 23.00 Uhr mehrere Augenzeugenberichte aus dem Ahrtal von verheerenden Szenen vor, darunter auch der Bericht der Piloten des Polizeihubschraubers, die ab 22.00 Uhr das gesamte Tal überflogen und zahllose Menschen auf Hausdächern und Balkonen filmten, die verzweifelt um Hilfe riefen.

Überflutung im oberen Ahrtal in der Flutnacht des 14. Juli 2021, aufgenommen von einem Hubschrauber der Polizei RLP. – Screenshot: gik
Überflutung im oberen Ahrtal in der Flutnacht des 14. Juli 2021, aufgenommen von einem Hubschrauber der Polizei RLP. – Screenshot: gik

Erreichten diese Meldungen die Ministerpräsidentin tatsächlich nicht? Warum wurde Dreyer nicht umgehend informiert, wo sie doch selbst vor dem Ausschuss angab, sie sei bis spät in der Nacht noch auf gewesen, und ohnehin in Notfällen ständig über ihren Personenschutz erreichbar? Warum habe die Ministerpräsidentin nicht selbst überlegt, Warnungen zu veranlassen oder den Krisenstab einzuberufen, will die CDU nun wissen – und warum habe sie nicht bei ihrer damaligen Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) nachgehakt, welche Informationen diese habe?

Tatsache ist: Zwischen Umwelt- und Innenministerium herrschte in der Nacht Funkstille, auch Dreyer kommunizierte mit ihrer Stellvertretenden Ministerpräsidentin nicht. Sie sei „von einem Hochwasser“ ausgegangen, und dass alle Stellen gut vorbereitet und gerüstet seien, sagte Dreyer seit der Flutnacht immer wieder: „Es gab für mich zu diesem Zeitpunkt keinen Hinweis, dass es zu so einer Flutkatstrophe kommen würde, und dass die Stellen nicht in gebotener Weise tätig werden würden.“

 

Die Ministerpräsidentin hätte sich vergewissern müssen, dass das auch in der Flutnacht noch galt, kritisiert inzwischen die Opposition. Stattdessen sei „die Generalität schlafen gegangen und das Krisenmanagement kollabiert“, klagt Baldauf. Noch nicht einmal eine Lagebesprechung habe es in der Flutnacht gegeben. Dreyer versuche derweil „krampfhaft den Eindruck zu erwecken, als ob sie mit alledem nichts zu schaffen hätte“, schimpft Baldauf – dabei trage sie als Regierungschefin die Verantwortung für ihr Kabinett.

Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) bei ihrer Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal im April 2022. - Foto: gik
Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) bei ihrer Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal im April 2022. – Foto: gik

Dreyer trage damit auch die Verantwortung dafür, dass Innen- und Umweltweltministerium am 14. Juli nicht ausreichend kommunizierten, sagt Baldauf: „So verstrichen Chancen, Menschen frühzeitig zu warnen und zu retten.“ Auch dafür trage Dreyer letztlich die Verantwortung, schließlich habe die Landesregierung ein sogenanntes „Verlautbarungsrecht“, das vorsehe, dass bei Krisen und Katastrophen Warn-Meldungen direkt in Rundfunk- und Fernsehsendungen eingespeist werden.

Doch das passierte nicht, weder Rundfunksender noch Online-Medien oder Zeitungen wurden in der Flutnacht informiert – nicht einmal von den steigenden Wassermassen. Erst am 15. Juli 2021 meldet die Polizei Ahrweiler vier Tote auf dem Campingplatz in Dorsel, bei der Feuerwehr Ahrweiler wurde immerhin auf Facebook vor Überflutungen, Stromausfall und Verkehrsbehinderungen gewarnt. „Informieren Sie sich über die Medien“, heißt es weiter – doch wer informierte die Medien über die Katastrophe im Ahrtal?

 

Die Landesregierung tat es jedenfalls nicht: Um 16.43 Uhr gab das Umweltministerium in Mainz am 14. Juli eine Pressemitteilung heraus, in der es zur drohenden Hochwasserlage hieß: “Wir nehmen die Lage ernst, auch wenn kein Extremhochwasser droht.” Die Ahr wird nicht erwähnt. Dabei erfährt Umwelt-Staatssekretär Erwin Manz nur zwei Stunden später von exorbitant hohen Pegelprognosen für die Ahr, die ein Hochwasser weit über dem von 2016 voraussagen – fast sechs Meter werden prognostiziert.

Fragen an Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) - die hat nun auch die Opposition. - Foto: gik
Fragen an Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) – die hat nun auch die Opposition. – Foto: gik

Als Manz daraufhin um 18.37 Uhr von seiner eigenen Pressesprecherin gefragt wird, ob man jetzt nicht eine Korrektur verschicken müsse, antwortet Manz fast 20 Minuten später: „Heute nicht. Bei Fragen zu Pegelständen bitte ans LfU verweisen.“ Eine Pressemitteilung habe einen „ganz allgemeinen Charakter“ und seien kein Baustein in der Warnung der Bevölkerung – als würden Pressemitteilungen nicht an die Presse gehen, die daraufhin berichtet.

Es sei „einfach nicht unser Zuständigkeitsbereich, Warnungen an die Bevölkerung zu geben” , verteidigt sich Manz später. Kontakt mit den Medien habe er ebenfalls nicht aufgenommen – niemand in der Landesregierung tut das in dieser Nacht. Und offenbar vergewisserte sich auch niemand in der Landesregierung, ob die Menschen im Ahrtal gewarnt wurden – genau dieser Frage wird der U-Ausschuss weiter nachgehen: Die CDU hat bereits angekündigt, Malu Dreyer erneut vor den Ausschuss zu laden.

Info& auf Mainz&: Was die Ministerpräsidentin bei ihrer ersten Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss im April 2022 sagte, könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen. Mehr zum Rücktritt von Roger Lewentz findet Ihr hier.