Der Urlaub der damaligen ADD-Vizepräsidentin Begoña Hermann Ende Juli 2021 in Kalifornien wirft immer mehr Fragen auf – und die Opposition bezweifelt immer stärker, dass man bei der Dienstaufsicht ADD tatsächlich nichts über die vorgebliche Dienstreise der Vizepräsidentin wusste. Denn der Antrag für ein Sonder-Einreisevisum in die USA wurde mit dem Briefkopf des ADD-Präsidenten Thomas Linnertz verschickt. Mehr noch: Holte man bei der ADD womöglich externen Rat bei Juristen ein, wie man einen solchen Antrag auf Dienstreise am besten formuliert? Die Opposition stellt nun bohrende Fragen.
Zur Erinnerung: Im Januar 2023 hatte Begoña Hermann bei ihrer Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal überraschend berichtet, sie sei am 31. Juli 2021, also nur zwei Wochen nach der Flutkatastrophe, zu einem Urlaub verreist – einer Privatreise zu ihrer Familie nach Kalifornien. Schon das stieß auf heftige Kritik, war Hermann doch zu dem Zeitpunkt bei der ADD zuständig für das Krisenmanagement im Ahrtal nach der Katastrophe, die rund 40.000 Menschen betraf, 9.000 Gebäude stark in Mitleidenschaft zog und 135 Menschen das Leben kostete.
Gut einen Monat später musste Innenminister Michael Ebling (SPD) einräumen: Es sei ein Disziplinarverfahren gegen die inzwischen in Ruhestand gegangene Hermann eingeleitet worden. Es stehe „der Verdacht im Raum, dass die politische Beamtin im Ruhestand im Juli 2021 einen dienstlichen Anlass konstruiert haben könnte, um für eine private Reise in die USA eine Einreisegenehmigung von den US-Behörden zu erhalten“, sagte Ebling im Innenausschuss.
Ebling verteidigt Linnertz: „Hatte von rein privater Reise auszugehen“
Ebling hatte zudem ADD-Präsident Thomas Linnertz verteidigt und betont, Hermanns Chef habe ihren Urlaub zwar im Frühjahr 2021 genehmigt – also lange vor der Flutkatastrophe -, von einer angeblichen Dienstreise seiner Stellvertreterin habe er aber nichts gewusst. „Es handelte sich ausdrücklich nicht um eine Dienstreise“, unterstrich Ebling vergangenen Donnerstag in der Aktuellen Stunde des Mainzer Landtags. Hermann habe die Reise „ausschließlich selbst finanziert.“ Linnertz sei in die Planungen „nicht eingebunden“ gewesen, sondern habe davon „erst durch die Aufklärungsbitte des Innenministers Kenntnis von dem in Rede stehenden Sachverhalt erlangt.“
Der ADD-Präsident habe zwar das Reiseziel Hermanns gekannt, „weitere Details der Reise, insbesondere Möglichkeiten zur Einreise, sind nicht Teil eines Antrags auf Erholungsurlaub“, betonte Ebling zudem: „Dass der Präsident die genauen Umstände einer möglichen Einreise nicht hinterfragte, daraus ist ihm kein Vorwurf zu machen – er hatte von einer rein privaten Reise auszugehen.“
Doch an dieser Darstellung gibt es nun erhebliche Zweifel. Im Juli 2021 galten für die USA noch strenge Einreisebestimmungen wegen der Corona-Pandemie, Einreisen zu privaten Zwecken wurden generell nicht genehmigt – lediglich für Dienstreisen gab es Möglichkeiten, Sondergenehmigungen zu bekommen: Bis November 2021 benötigte man eine sogenannte „National Interest Exception“ (NIE), mit deren Hilfe Personen eine Einreise in die USA gestattet wurde, „deren Einreise im nationalen Interesse ist“, wie es auf der Webseite von Visaexperten heißt. Und offenbar stellte Hermann genau so einen Sonderantrag auf Dienstreise, gerichtet an das US-Konsulat.
Visumsantrag wohl mit Briefkopf von Linnertz verfasst
Wie der SWR am Freitag berichtete, wurde dieser Antrag zudem auf offiziellem Dienstpapier der ADD verfasst – und zwar mit dem Briefkopf des ADD-Präsidenten Linnertz. Mainz&-Recherchen bestätigen das: Das Schreiben sollte offenbar den Eindruck erwecken, als sei es von Linnertz persönlich verfasst worden, seine Unterschrift tragen soll es nicht. Der Obmann der AfD im Untersuchungsausschuss, Michael Frisch, möchte deshalb nun von der Landesregierung wissen: Welche Dokumente legte Hermann für ihre Einreise in die USA vor?
„Wann und von wem wurden diese Dokumente jeweils ausgestellt?“, heißt es in einer Kleinen Anfrage Frischs im Landtag Rheinland-Pfalz, die Mainz& vorliegt. Ferner möchte die ADD wissen, für welchen Zeitraum die Dokumente überhaupt zur Einreise berechtigten – nach Mainz&-Informationen eine ausgesprochen wichtige Frage: Recherchen zufolge soll die Einreiseerlaubnis für Hermann für die USA das Datum vom 3. August 2021 tragen. Hermann hatte aber angegeben, bereits am 31. Juli geflogen zu sein – in einer Email von ihr schrieb sie selbst am 31. Juli, sie sei „auf dem Weg zum Flughafen.“
Die Email war unter anderem an Thomas Linnertz adressiert, ebenso wie eine zweite Email Hermanns aus ihrem Urlaub in Kalifornien. Bei der AfD fragt man sich nun: Wann genau hat sich Hermann eigentlich in den USA aufgemacht – und wie konnte sie überhaupt einreisen, bevor ihre Erlaubnis für eine Dienstreise vorlag? Ist Hermann vielleicht gar nicht am 31. Juli in die USA geflogen – sondern auf einem Umweg? Und wie hat sie überhaupt den Antrag auf Erteilung einer Sondergenehmigung für die Einreise in die USA begründet?
Externe Kanzleien mit Rechtsberatung für Dienstreise beauftragt?
Ebling hatte bislang mitgeteilt, Hermann habe wohl „einen Austausch mit einer US-amerikanischen Universität zum Wiederaufbau nach der Flutkatastrophe, und der Vorsorge für die Zukunft als Begründung für die private Reise angegeben, um eine Einreisegenehmigung erhalten zu können.“ Wie kam die ADD-Vize auf die Idee, ausgerechnet die Flutkatastrophe als Grund für ihre Reise anzugeben?
Nach Mainz&-Recherchen könnte sich Hermann dafür sogar externen Rat geholt haben: Eine Anfrage der Freien Wähler im Mainzer Landtag stellt dazu nämlich nun bohrende Fragen. In der Kleinen Anfrage, die Mainz& vorliegt, fragt FW-Obmann Stephan Wefelscheid nun nämlich nach „Kosten für die rechtliche Beratung für Dienstreisen während Corona.“
Wefelscheid will darin wissen, wie viele Auslandsreisen es im Zuständigkeitsbereichs des Innenministeriums – zu dem auch die ADD gehört – in der Zeit der Corona-Pandemie gab, für die spezielle Visa benötigt wurden. „Wurden zur Unterstützung der Beantragung von Einreisegenehmigungen externe Beraterfirmen oder Rechtsanwaltskanzleien beauftragt?“, fragt Wefelscheid weiter: „Wenn ja, fallen darunter auch Reisen der damaligen Vizepräsidentin Begoña Hermann?“
Kleine Anfragen von Freien Wählern und AfD: Bohrende Fragen
Ließ sich also womöglich die ADD-Vizepräsidentin von Juristen beraten, wie sie am besten ihren Antrag auf eine dienstliche Einreisgenehmigung in die USA aufsetzen sollte – und zahlte die ADD dafür am Ende sogar noch Honorare? Sollte dies der Fall sein: Wie kann es dann sein, dass ADD-Präsident Linnertz von diesen ganzen Vorgängen nichts wusste – obwohl der Antrag sogar mit seinem persönlichen Briefkopf verfasst wurde?
Grund und Anlass eines dienstlichen Belangs für eine Einreise in die USA hätten zu dem damaligen Zeitpunkt „dezidiert dargelegt werden“ müssen, heißt es in der Kleinen Anfrage weiter: „Einige Rechtsanwaltskanzleien und Beraterfirmen hatten sich in dieser Phase auch auf die Beratung von Behörden und Institutionen spezialisiert, deren Beamte/Angestellte im öffentlichen Auftrag Auslandstermine wahrzunehmen hatten.“
„Welche Ausnahmetatbestände waren grundsätzlich geeignet, um im Juli 2021 eine Einreiseerlaubnis für die USA zu bekommen?“, möchte deshalb nun auch die AfD in einer weiteren Kleinen Anfrage vom Mainzer Innenministerium wissen – und welche Dokumente habe Hermann „vorgelegt, um unter den damals gültigen Bestimmungen eine Einreiseerlaubnis zu erhalten?“ Seien von diesen Dokumenten auch welche von der ADD ausgestellt worden? Und: Habe Hermann während ihres Urlaubs vielleicht doch dienstliche Termine wahrgenommen, und wenn ja: welche?
„Chaotisches Sittengemäldes der ADD-Führungsspitze“
Die Antworten dürften mit Spannung erwartet werden – und sie könnten Innenminister Ebling nach seinen Aussagen vergangene Woche im Landtag erheblich unter Druck setzen. Denn entweder wusste ADD-Präsident Linnertz eben doch, dass seine Vizepräsidentin versuchte, in die USA mittels eines Dienstreiseantrags einzureisen, obwohl sie eigentlich zu einem Familienurlaub aufbrach. „Ich halte es für vollkommen unüblich, dass auf dem Briefpapier eines Präsidenten offizieller Schriftverkehr der Vizepräsidentin geführt wird, von dem er keine Kenntnis hat“, sagte Wefelscheid auf Mainz&-Anfrage.
In der Landtagsdebatte hatte der Obmann der Freien Wähler bereits von „einem Skandal im Skandal“ gesprochen und geargwöhnt: „Ich halte es für wenig glaubwürdig, anzunehmen, dass Linnertz nicht im Bilde sein sollte, was seine Abteilungsleiterin tut.“ Der ganze Vorgang zeichne das Bild eines „chaotischen Sittengemäldes der ADD-Führungsspitze“, schimpfte Wefelscheid: Dass Hermann während der größten Katastrophe des Landes Rheinland-Pfalz einfach ihren Urlaub antrete, „das ist politische Fahnenflucht“, fügte er hinzu.
Auch Frisch hatte in der Debatte gewetterte, hier zeige sich „das vollständige Versagen der Landesregierung.“ Es gehe eben nicht „nur um eine Summe von Einzelfällen“, sondern „um eine Kultur der Abgehobenheit und der Verantwortungslosigkeit, der jegliches Gespür für die Bedürfnisse der Menschen abhanden gekommen ist.“ In der Landesregierung gebe es „keine Bereitschaft, die nötigen Konsequenzen zu ziehen“, stattdessen „Inkompetenz, mangelnde Empathie, keine Einsicht in die eigenen Fehler“, schimpfte Frisch: „Man regiert nach Gutsherrenart und hält sich für unangreifbar.“
SPD: „Es geht nicht um das Ahrtal“ – CDU: nicht vorbei
Vertreter der Ampel-Koalition warfen der Opposition hingegen vor, es gehe ihnen „nur darum, zu polemisieren und vorzuverurteilen“, wie etwa Grünen-Obmann Bernhard von Heusinger schimpfte. FDP-Fraktionschef Philipp Fernis warf gar AfD-Obmann frisch vor: „Sie haben an der Aufklärung in der Sache keinerlei Interesse, Ihnen geht es nur darum, Dinge zu finden, um Verantwortliche in den Dreck zu ziehen.“ Fernis selbst ist bislang im Untersuchungsausschuss nicht durch eigene Fragen aufgefallen, der FDP-Obmann präsentierte sich die meiste Zeit stumm und lediglich körperlich anwesend.
Der SPD-Landtagsabgeordnete Michael Hüttner verstieg sich gar zu der Behauptung, das ganze Thema gehöre nicht ins Parlament, weil es ein rein „innerdienstliches Verfahren“ sei. „“Es geht nicht um das Ahrtal“, behauptete Hüttner – ungeachtet der Tatsache, dass Hermann just im Juli 2021 Leiterin des Krisenstabs im Ahrtal war. „Was für eine unrühmliche Geschichte“, entgegnete CDU-Fraktionschef Gordon Schnieder: „Immer, wenn wir geglaubt haben, wir hätten schon alles durchlebt, werden wir eines Schlechteren belehrt.“
Wenn man in die USA nicht privat einreisen dürfe, „machen wir eben eine angebliche Dienstreise draus – was nicht passt, wird passend gemacht“, kritisierte Schnieder: „So geht also die Geschichte, wie so oft bei den Sozialdemokraten in Rheinland-Pfalz: Man macht sich die Welt, wie sie einem gefällt.“ Und Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) schweige erneut zu den Vorgängen, dabei gehe es mit Hermann „um eine enge, politische Vertraute, die Sie über Jahre protegiert und gefördert haben“, betonte Schnieder. Und fügte hinzu: „Die Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt – hier sind noch Kapitel offen.“
Info& auf Mainz&: Die ganze Plenardebatte vom vergangenen Donnerstag könnt Ihr Euch – inklusive der Passagen zu ADD – hier auf Youtube ansehen, los geht’s nach ziemlich genau einer Stunde des Livestreams. Mehr zum Disziplinarverfahren und den Vorwürfen gegen die frühere ADD-Vizepräsidentin Hermann lest Ihr hier bei Mainz&. Warum es inzwischen auch eine Anzeige wegen uneidlicher Falschaussage gegen Hermann gibt, haben wir hier aufgeschrieben.