Vor einer Woche wurde sie feierlich eröffnet, sei sechs Tagen rollt der Verkehr: Die Schiersteiner Rheinbrücke ist fertig. Eigentlich sind es ja zwei Brücken, vergangenes Wochenende wurde nun auch die zweite Rheinbrücke fertig. Zur Eröffnung traf sich viel Prominenz auf dem neuen Bauwerk, es wurden Bändchen durchschnitten und Reden gehalten. Klar wurde dabei auch: Der Bund hält am sechsspurigen Ausbau der A643 auf Mainzer Seite fest – dagegen protestierten einige Hundert Demonstranten. Der Mainzer Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) sprach sich klar für die „4+2“-Variante aus.
„Bridge over troubled Water“, Sieben Brücken, über die man gehen muss“ – der rheinland-pfälzische Verkehrs-Staatssekretär Andy Becht wurde geradezu literarisch: „Eine Brücke bedeutet den Menschen was, den Pendelnden und den Liebenden“, betonte der Vertreter der Mainzer Landesregierung vergangenen Sonntag bei der feierlichen Einweihung der neuen Schiersteiner Brücke. Tatsächlich hatten die Menschen in der Region, die Wirtschaft und auch die Politik zehn Jahre lang auf diesen Tag warten müssen.
Im September 2013 waren die ersten Gründungsarbeiten für den ersten Teil der neuen Rheinbrücke auf Wiesbadener Seite gestartet worden, zehn Jahre später konnte nun die Fertigstellung auch des zweiten Brückenteils begangen werden: Die Schiersteiner Brücke ist endlich fertig. Gebaut worden war sie einst für täglich 20.000 Fahrzeuge, heute wird sie pro Tag nach Angaben der Autobahn GmbH des Bundes von bis zu 90.000 Fahrzeugen überquert, die zudem deutlich schwerer seien als seinerzeit prognostiziert, wie die Behörde betont.
Schiersteiner Brückengau: „Wehe, die Brücke versagt mal“
Ein Gutachten kam deshalb auch vor gut zehn Jahren zu dem Ergebnis, dass ein hoher Erhaltungsaufwand notwendig sei, um die Brücke befahrbar zu halten – verbunden mit regelmäßigen Verkehrseinschränkungen. Basierend auf dem Gutachten begannen die Straßenbaubehörden deshalb 2006 mit der Planung für einen 1,28 Kilometer langen Ersatzneubau, bestehend aus faktisch zwei Brücken: einem Bau auf nördlicher Seite, der bereits Ende 2017 eingeweiht wurde, und einem zweiten Bauwerk direkt südlich daneben, das nun fertig wurde.
„Ich bin ja nicht mehr zuständig“, scherzte denn auch der Hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne), unter dessen Federführung der Bau noch geplant und gestartet wurde – erst seit der Gründung der Autobahn GmbH des Bundes im Jahr 2018 übernahm der Bund die Federführung. Doch der Grüne aus Hessen machte aus seiner Bewunderung und Unterstützung für das Brückenbauprojekt keinen Hehl: „Es ist ein Riesenprojekt, das verdient Bewunderung, Wertschätzung, Respekt“, betonte Al-Wazir.
Denn Brücken seien nun einmal besondere Orte, insbesondere diese, die schließlich die Landeshauptstädte Mainz und Wiesbaden miteinander verbinde. Und da gebe es zwar den alten Fastnachts-Scherz, „was der Herrgott getrennt hat, soll der Mensch nicht durch Brücken verbinden“, zitierte Al-Wazir schmunzelnd, „aber wehe, die Brücke versagt mal: Wie wichtig die Schiersteiner war, merkte man erst, als sie weg war.“
„Brücken verbinden Menschen – symbolisch und buchstäblich“
Der hessische Vize-Ministerpräsident spielte damit natürlich auf den Crash der Schiersteiner Rheinbrücke ausgerechnet an Fastnacht des Jahres 2015 an, als durch einen Baufehler ein Brückenpfeiler unter der Mainzer Vorlandbrücke wegsackte – und die Schiersteiner Brücke daraufhin wochenlang voll gesperrt bleiben musste. Das dadurch ausgelöste Verkehrschaos ist bis heute legendär und hat den Begriff des „Brückengaus“ geprägt. „Wir müssen bei Sanierung und Erhalt der Infrastruktur schneller werden“, forderte nun sogar Al-Wazir. Denn egal, wie man zu einem Ausbau von Autobahnen stehe: „Wenn die Brücke dazwischen nicht da ist, ist das alles nichts.“
Unter diesem Motto stand denn auch die Feier zur Verkehrsfreigabe der neuen Schiersteiner Brücke, wie das am Sonntag offiziell hieß. „Brücken verbinden Menschen – symbolisch und buchstäblich“, hatte denn auch der Bund schon im Vorfeld betont: „Erst der Brückenschlag ermöglicht Handel über natürliche Grenzen hinweg.“
In diese Kerbe stieß denn auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), gegen dessen Ausbaupläne von Autobahnen auch am Sonntag wieder vehement protestiert wurde: Einige Hundert Protestanten hatten sich am Rande der Feier in Schierstein eingefunden, um Wissings Ausbaupläne zu kritisieren, und vor allem auch gegen den sechsspurigen Ausbau der A643 durch den Mainzer Sand und den Lennebergwald zu protestieren.
„Straßen und Brücken sind die Lebensadern einer Gesellschaft“
Rund 252 Millionen Euro habe die neue Rheinbrücke gekostet, und das sei „gut angelegtes Geld“, betonte Wissing derweil oben auf der Brücke: „Wir stärken damit die gesamte Region im Wettbewerb mit anderen Top-Standorten.“ Ein leistungsstarkes Straßennetz sei ein entscheidender Standortfaktor, gerade für den gesamtwirtschaftlichen Wohlstand des Rhein-Main-Gebietes. „Leistungsfähige Straßen und Brücken halten eine Wirtschaft und Gesellschaft vital, sie sind die Lebensadern, die wir dringend brauchen“, unterstrich Wissing. Und diejenigen, die meinten, „Straßen seien aus der Mode gekommen, lassen sich ganz schnell eines Besseren belehren – wenn sie sie selber brauchen.“
Leistungsfähige Straßen und Brücken seien für eine Gesellschaft „von unverzichtbarem Wert: für Menschen, die zur Arbeit fahren, zum Einkaufen oder auch zu Freunden oder in den Urlaub“, betonte Wissing weiter. Über Straßen und Autobahnen würden Güter und Waren, Rohstoffe und Fertigteile transportiert – und im Übrigen auch die Bauteile für Windkraftanlagen oder andere Elemente der Transformation hin zu Regenerativen Energien. „Die Güterverkehre auf der Straße werden auf der Straße noch einmal deutlich zunehmen, viel mehr noch als gedacht“, prognostizierte Wissing zudem.
Die alten Prognosen seien nämlich noch von einer schrumpfenden Bevölkerung in Deutschland ausgegangen, tatsächlich aber gebe es einen deutlichen Zuwachs: Deutschland zähle bereits mehrere Millionen Menschen mehr, auch und gerade durch Zuwanderung. „Für ein Mehr an Bevölkerung brauchen wir natürlich auch einen Ausbau der Verkehrsinfrastruktur“, unterstrich der Minister. Und auch für Rettungskräfte, Feuerwehr, Polizei oder Krankenwagen, die im Notfall helfen sollten, komme es eben auf Minuten – und damit auch auf gute Straßen an.
4.000 marode Autobahnbrücken in Deutschland
Er selbst habe bei seinem Antritt als Bundesverkehrsminister jedoch rund 4.000 marode Autobahnbrücken in Deutschland übernommen, sagte Wissing, deren Erneuerung oder Sanierung sei eine ganz wichtige Aufgabe. „Wir packen das jetzt an, und wollen für mehr Tempo sorgen“, versprach der Minister: Einfachere Planungen, effizientere Verfahren, weniger Bürokratie und 2,1 Milliarden Euro pro Jahr für die Sanierung von Brücken sollen helfen, „den enormen Nachholbedarf abbauen zu können.“
Und so hält der Bund denn auch unbeirrt weiter an dem sechsspurigen Ausbau der an die Schiersteiner Brücke anschließenden A643 fest – trotz anhaltender Proteste. Das Bündnis „Nix in den (Mainzer) Sand setzen“ protestierte auch am Sonntag erneut gegen den sechsspurigen Ausbau durch das europaweit geschützte Naturschutzgebiet „Mainzer Sand“ sowie durch den angrenzenden Lennebergwald. Der Ausbau sei unnötig, der Schaden für die Natur enorm, argumentierten die Vertreter, darunter auch mehrere Stadträte von ÖDP über SPD bis hin zu Freien Wählern.
Der Bund argumentiert hingegen, für den Ausbau werde kaum zusätzliches Gelände benötigt, gleiches rechneten im Vorfeld der Eröffnung auch CDU und FDP aus Mainz-Gonsenheim vor: Ein vierspuriger Ausbau samt befahrbarem Seitenstreifen – die sogenannte „4+2“-Lösung – werde ohnehin schon 2,8 Hektar Gelände benötigen. „Für einen weiteren sechsspurigen Ausbau würden lediglich zusätzliche 0,3 Hektar in Anspruch genommen“, rechnete Wolfgang Oepen, FDP- Ortschef von Mainz-Gonsenheim vor.
Haase spricht sich klar für „4+2“-Ausbau der A643 aus
Mit dem Ausbau werde aber die Leistungsfähigkeit der Strecke deutlich erhöht – und das sei dringend notwendig, stünden doch „die absehbare und umfassende Sanierungsarbeiten der Weisenauer Brücke“ bevor. Nur ein leistungsfähiger Autobahnring um Mainz herum könne auch bei Störungen wie Unfällen oder einer Fehlmeldung im Hechtsheimer Tunnel für Aufrechterhaltung des Alltagsverkehrs sorgen.
Doch die Meinungen zum Ausbau gehen in Mainz weiter auseinander: Der neue Mainzer Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) sprach sich am Rande des Termins am Sonntag ausdrücklich für die „4+2“-Lösung aus: „Ich stehe voll und ganz hinter der Mehrheit der Meinung des Mainzer Stadtrats, dass wir hier mit einer 4+2-Lösung arbeiten müssen“, sagte Haase im Gespräch mit Journalisten. „Das Gebiet Mainzer Sand, genauso wie der Lennebergwald, und gerade der empfindliche Waldrand, das müssen wir unter allen Umständen schützen“, betonte Haase.
„Wenn wir uns auf die beschleunigten Baumaßnahmen Salzbachtalbrücke und Fertigstellung des Autobahnkreuzes Mainz-Süd konzentrieren“, werde man neue Kapazitäten hinzugewinnen, sagte Haase weiter, dann werde man den Verkehr „mit einer intelligenten 4+2-Lösung bewältigt bekommen.“ Haase forderte deshalb Verkehrsminister Wissing auf, von der vorgesehenen „6+2“-Variante Abstand zu nehmen, und die umweltschonender 4+2-Variante zu verwirklichen. „Wir müssen uns den Herausforderungen des Klimawandels stellen, und dazu zählt auch, dass lebenswerter Stadtraum erhalten und nicht versiegelt wird“, betonte Haase – dafür brauche es auch eine Neubewertung bestehender Projekte.
„Die Schiersteiner Brücke ist ja noch nicht fertig“
Bei der Autobahn GmbH hält man indes an den Ausbauplänen fest – auch trotz kritischer Nachfragen der EU-Kommission. „Wir müssen im Rahmen des Planfeststellungsbeschlusses eine Ausnahmegenehmigung für Eingriffe in die hochwertigen Flächen erwirken“, sagte der Chef der Autobahn GmbH West, Ulrich Neurodt, gegenüber Mainz& – dieser Prozess laufe derzeit noch. Es habe einen Fragenkatalog der EU samt Rückfragen gegeben, „das geht im Moment noch ein bisschen hin und her“, räumte Neurodt ein. Wann die EU eine Entscheidung fälle, sei noch unklar, erst danach aber könne das Planfeststellungsverfahren abgeschlossen werden.
In einem ersten Schritt werde die Vorlandbrücke zwischen der neuen Schiersteiner Rheinbrücke und dem Lennebergwald nun noch mal ertüchtigt werden müssen, das werde ab 2024 und bis 2025 geschehen, sagte Neurodt weiter. Erst 2024 wird zudem der neue, zusätzliche Radweg freigegeben, der unterhalb der neuen Rheinbrücke „aufgehängt“ wurde, und künftig auch endlich wieder einen Zugang zur Rettbergsaue auf dem Landweg ermöglichen wird. Das könne erst dann geschehen, wenn das Baufeld unterhalb der Schiersteiner Brücke nicht mehr für den Bau benötigt werde.
„Die Brücke ist ja noch nicht ganz fertig“, verriet Neurodt im Mainz&-Gespräch: Fertig sei sie oben drauf für den verkehr, doch unterhalb gebe es noch weitere Arbeiten. „Heute ist nicht das Ende der Bautätigkeit an der Brücke“, betonte der Chef. Unterstützung kam von der Mainzer FDP: Es sei doch „offensichtlich, dass wir einen leistungsfähigen Autobahnring brauchen, ohne ein Nadelöhr auf der A643 oder permanent gesperrter Tunnel“, sagte Sprecher Marc Engelmann.
An dem Samstag vor der Freigabe habe man doch „mit eigenen Augen sehen können, wie der innerstädtische Verkehr aussieht, wenn es auf der Autobahn um die Stadt hakt: Der totale Kollaps war die Folge.“ Sperrungen und Probleme auf dem Autobahnring bedeuteten automatisch mehr Ausweichverkehr in die Mainzer Innenstadt. „All jene, die für weniger Autos in der Innenstadt kämpfen, sollten sich über eine neue Schiersteiner Brücke und 6-spurige A643 freuen“, betonte Engelmann: „Das hält die Autos von der Innenstadt weg.“
Info& auf Mainz&: Mehr zu den Argumenten der Umweltschützer und Ausbaugegner in Sachen A643 sowie dem Protest von Seiten der Stadt Mainz könnt Ihr hier auf Mainz& nachlesen.