UPDATE& – An diesem Montag will Deutschland an allen seinen Außengrenzen wieder Kontrollen durchführen, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) beruft sich dafür auf eine Art nationale Notlage, denn eigentlich sind Kontrollen an den Binnengrenzen zwischen europäischen Staaten schon seit 1995 abgeschafft – durch das Schengen-Abkommen. Ausnahmen erlaubt das europäische Recht aber durchaus, diese Karte zieht jetzt Deutschland. Doch das gefällt nicht jedem: Die Europartei Volt wollte dagegen am Montagabend auf der Theodor-Heuss-Brücke in Mainz protestieren – am Nachmittag wurde der Demoort geändert.
Als 1995 das Schengener Abkommen in Kraft trat, war das ein Meilenstein in der Geschichte Europas: Nach Jahrhunderten von Kriegen und territorialen Nationalfights, fielen erstmals überhaupt sämtliche Binnengrenzen innerhalb der EU: Die Abschaffung der EU-Binnengrenzen schuf einen enormen Raum der Freizügigkeit und damit auch einen Wirtschaftsraum ohne territoriale Grenzen. Rund 1,7 Millionen Menschen überqueren laut EU jeden tag die Grenzen in eine europäisches Nachbarland, vor allem zum Arbeiten.
Doch seit der großen Flüchtlingswelle im Jahr 2015 gerät das System der freien Grenzen immer stärker unter Druck. Auch wegen „Sicherheitsbedenken in Zusammenhang mit Terroranschlägen und grenzüberschreitender Kriminalität“ hätten sich „verschiedene Mitgliedsstaaten“ seither immer wieder veranlasst gesehen, wieder Kontrollen an den Binnengrenzen einzuführen, heißt es bei der EU-Kommission – die das übrigens scharf rügt.
400 Mal temporäre Grenzkontrollen in der EU seit 2015
Deutschland ist also mitnichten das erste Land in Europa, das temporäre Kontrollen an seinen Grenzen wieder einführt – bei SWR Online weiß man: seit 2015 ist das mehr als 400 Mal geschehen. Grenzkontrollen müssen bei der EU-Kommission in Brüssel angemeldet werden, beantragt werden können sie zunächst für sechs Monate, danach kann es eine Verlängerung geben.
So führten seit Mai 2024 etwa die Länder Dänemark, Norwegen, Schweden und Italien temporäre Grenzkontrollen ein – und zwar wegen des Überfalls der Hamas auf Israel und dem Krieg in Gaza sowie dem Ukraine-Krieg. Ihre Begründung: Terroristische Bedrohungen durch militante Islamistengruppen, steigende Gefahr durch Antisemitismus und – im Fall von Norwegen – erhöhte Gefahr durch russische Spionage und mögliche russische Gefahren für die Norwegischen Gasexporte in die Ukraine.
Zwischen Österreich und Deutschland gibt es zudem bereits seit Längerem Grenzkontrollen, wegen einem hohen Migrationsdruck aus Richtung Türkei und Balkan. Deutschland führte zudem Mitte Juni Grenzkontrollen aus dem gleichen Grund zu den Nachbarländern Polen, Tschechien und der Schweiz ein, und begründete auch diese Kontrollen mit erhöhter Terrorgefahr, Russlands Krieg in der Ukraine und einem erhöhten Migrationsdruck.
Volt ruft zu Menschenkette gegen Grenzkontrollen in Mainz auf
An diesem Montag sollen also nun die Westgrenzen sowie die Grenze zu Dänemark folgen, Deutschland begründet das mit „einer ernsthaften Bedrohung für die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit des Landes.“ Ein Grund dafür sind die jüngsten Terrorattacken wie der Messerangriff in Solingen durch einen IS-Sympathisanten, aber auch eine im Jahr 2023 um 51 Prozent gestiegene Zahl von Asylanträgen. Rheinland-Pfalz ist von den neuen Grenzkontrollen stark betroffen, hat es doch gemeinsame Grenzen mit Frankreich, Luxemburg und Belgien. Innenministerin Faeser versprach am Wochenende, die Kontrollen würden keine langen Pendlerstaus verursachen.
UPDATE&: Doch gegen die neuen Kontrollen gibt es auch Protest: Die Europapartei Volt, die auch im Mainzer Stadtrat sitzt, ruft für Montagabend, den 16. September 2024, ab 18.00 Uhr zu einer Demo in Mainz auf. Mit einer Menschenkette auf der Brücke zwischen Rheinland-Pfalz und Hessen wollte man unter dem Motto #DontTouchMySchengen gegen die Grenzkontrollen protestieren – und dabei auch „Passierscheine nach Europa“ verteilen. Am Montagnachmittag aber musste Volt den Demoort auf Anordnung der Stadt Mainz ändern: Die Kundgebung findet jetzt auf dem Ernst-Ludwig-Platz statt.
„Grenzkontrollen untergraben das europäische Friedensprojekt, das uns seit über 70 Jahren Frieden, Freiheit und Zusammenarbeit gebracht hat“, kritisiert Volt. Die EU stehe „für Offenheit und die Freizügigkeit von Waren, Dienstleistungen und Menschen“, Grenzkontrollen stellten genau diese Errungenschaften in Frage. Die Einführung sei zudem „eine Reaktion auf den Wahlerfolg populistischer Parteien“, aber sie biete keine Lösung, sondern fördere stattdessen Abschottung und Misstrauen und führten zu einer Belastung für die europäische Wirtschaft, klagte Stefanie Ludwig, Vizechefin von Volt Rheinland-Pfalz.
Neue EU-Asylregeln kommen – aber erst Mitte 2026
Volt fordert stattdessen eine gemeinsame EU-weite Migrationspolitik mit einheitlichen Regeln für Zuwanderung und Flucht, sowie eine gerechte Verteilung von Geflüchteten auf alle Mitgliedstaaten, eine Stärkung der legalen Migration sowie mehr internationale Kooperation, um Fluchtkrisen in den Herkunftsländern präventiv zu begegnen. Tatsächlich arbeitet die EU bereits genau daran – Mitte Mai hatte der Rat der Europäischen Union die Reform der europäischen Migrations- und Asylpolitik angenommen.
Die Reform beinhaltet genau Maßnahmen zu den geforderten Schritten, der Haken: Die neuen Regeln gelten erst ab Juni 2026. Tatsache ist auch: Als Deutschland während der Fußball-EM in diesem Sommer ebenfalls temporäre Grenzkontrollen einführte, stellte die Bundespolizei an den deutschen Grenzen 9.172 unerlaubte Einreisen fest, wies 6.401 Menschen an der Grenze zurück, die keine Einreiseerlaubnis hatten – und vollstreckte 1.198 offene Haftbefehle allein zwischen dem 7. Juni und dem 19. Juli.
Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema temporäre Grenzkontrollen rund um Rheinland-Pfalz ab dem 16. September 2024 findet Ihr hier bei SWR Online.