Wohl noch nie war eine Oberbürgermeisterwahl in Mainz so unwägbar wie bei diesem Mal: Kein Amtsinhaber, nur Herausforderer – und davon gleich sieben Stück. Die Karten werden neu gemischt in Mainz, das aber macht die Vorhersage, wer am Ende Platz nimmt auf dem Sessel des Mainzer Oberbürgermeisters, ungeheuer schwierig. Wir haben den Mainzer Publizistik-Professor Gregor Daschmann gefragt, die Fragen stellte Mainz&-Chefredakteurin Gisela Kirschstein. Seine Antworten lest Ihr hier:

Mainz&: Hallo Herr Daschmann, sagen Sie, warum ist eine Wahl-Prognose dieses Mal so schwierig?

Professor für Publizistik und Experte für Wahlkampfbeobachtung an der Uni Mainz: Gregor Daschmann. - Foto: Daschmann
Professor für Publizistik und Experte für Wahlkampfbeobachtung an der Uni Mainz: Gregor Daschmann. – Foto: Daschmann

Daschmann: Diese große Unsicherheit hat zwei Ursachen: Die OB-Wahl ist eine Personenwahl, das macht die Vorhersagbarkeit ohnehin schon etwas schwieriger. Und dann ist bei dieser Wahl die Mehrzahl der Personen ja aus vorherigen Wahlen nicht einschätzbar. Sonst hatten wir einen Amtsinhaber, der wieder angetreten ist, und einen Herausforderer, da konnte man beim amtierenden OB immer von einem Amtsbonus ausgehen. Und zudem waren da auch weniger Personen im Spiel – jetzt haben wir sieben Kandidaten.

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Mainz&: Und was hat die große Bewerberzahl für Folgen?

Daschmann: Es gibt, das kann man auch bei den Kommunalwahlen gut sehen, in Mainz im Grunde zwei politische Lager: Ein Lager links von der Mitte und ein konservatives Lager. Das Lager links der Mitte hat in Mainz traditionell einen leichten Überhang an Stimmen von etwa 52 bis 53 Prozentpunkten – aber das muss noch nichts heißen: Denn es zeichnet sich in beiden Lagern ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab, auf der einen Seite zwischen Manuela Matz (CDU) und Nino Haase (parteilos), und auf der anderen Seite zwischen Christian Viering (Grüne) und Mareike von Jungenfeld (SPD).

„Kannibalisierungseffekte“ in beiden politischen Lagern

Daschmann: Und damit kommt es in beiden Lagern zu sogenannten „Kannibalisierungseffekten“, bei denen sich die Kandidaten gegenseitig die Stimmen wegnehmen. Schon ein, zwei Prozentpunkte können den Unterschied machen, ob jemand in die Stichwahl kommt oder nicht. Und dann gibt es in jedem Lager noch jeweils einen „kleineren“ Mitbewerber: Wenn man mal vorsichtig davon ausgeht, dass in beiden Lagern Marc Engelmann (FDP) und Martin Malcherek (Linke) jeweils bei 6 bis 8 Prozentpunkten rangieren – dann kann es sein, dass einer der „Kleinen“, wenn er gut performt, den Großen im selben Lager genau diejenigen Stimmen wegnimmt, die sie für die Stichwahl brauchen.

OB-Wahl in Mainz: Wie viele Stimmen nehmen "die Kleinen" von Linken und FDP den "Großen" weg? - Foto: gik
OB-Wahl in Mainz: Wie viele Stimmen nehmen „die Kleinen“ von Linken und FDP den „Großen“ weg? – Foto: gik

Mainz&: Das heißt, wer in die Stichwahl kommt – und wir gehen mal davon aus, dass es eine geben wird – , ist völlig unwägbar?

Daschmann: Die von vielen Beobachtern gehegte Erwartung, dass wir wieder eine Stichwahl haben zwischen Rot und Grün einerseits und Schwarz-Konservativ andererseits, muss so nicht eintreffen. Die sind alle so auf Augenhöhe, dass da ein Prozentpunkt mehr oder weniger den Unterschied machen kann. So könnte es dann dazu kommen, dass Viering und von Jungenfeld – als Beispiel – jeweils 22 Prozent bekommen. Wenn dann aber Haase und Matz jeweils 23 Prozent erreichen würden, haben wir eine ganz andere Stichwahl als gedacht. Wenn also etwa der Linken-Kandidat Martin Malcherek einen guten Wahlkampf macht, kann das im Ergebnis sogar dazu führen, dass Mainz einen konservativen OB bekommt – oder umgekehrt.

Parteiloser Kandidat trifft auf Akzeptanzverlust der Parteien

Mainz&: Wie attraktiv ist denn ein parteiloser Kandidat?

Daschmann: Ein Parteiloser ist immer attraktiv für Wähler, weil einen moderaten, parteilosen Kandidaten zu wählen bedeutet: Das ist ein Hauch von Protestwahl, ohne aber eine Radikalisierung dabei in Kauf nehmen zu müssen. Ein parteiloser Kandidat kann deshalb für viele Wähler attraktiv sein. Wir haben ja in vielen Bereichen einen Akzeptanzverlust der Parteien, und je höher die Unzufriedenheit mit Parteien, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Leute einen Parteilosen wählen.

Wer wird am Ende Oberbürgermeister von Mainz? Selten war eine Wahl so spannend - und so unwägbar. - Fotos: gik
Wer wird am Ende Oberbürgermeister von Mainz? Selten war eine Wahl so spannend – und so unwägbar. – Fotos: gik

Mainz&: Nehmen Sie eine Wechselstimmung in Mainz wahr, so nach rund 70 Jahren SPD-Stadtoberhaupt?

Daschmann: Ich nehme wahr, dass Rot-Grün in Mainz polarisiert – es gibt nicht nur Befürworter, sondern auch entschiedene Gegner.

Mainz&: Wie wichtig ist die Bekanntheit eines Kandidaten oder einer Kandidatin?

Daschmann: Für wenig bekannte Kandidaten war es schon immer schwierig, zu punkten. Wir haben im kommunalen Bereich ja auch nicht solche medialen Plattformen wie das Fernsehen, das suggeriert, man bekomme einen Eindruck von einer Person. Diese Fernsehpräsenz geht im Kommunalen ja gegen Null. Die Menschen kennen gerade bei Kommunalwahlen kaum die Gesichter, das ist ein Riesenproblem. Social Media geben heute die Möglichkeit, dies ein Stück weit zu ändern. Wer also einen erfolgreichen Podcast, einen Instagramkanal oder Facebookauftritt hat, der erhöht seine Chancen in jedem Fall.

Taktische Wahl oder doch Parteien-Präferenz

Mainz&: Wir bekommen mit, dass viele Wähler einfach ihre Haltung zu Parteien auf der Bundesebene auf die kommunale Ebene übertragen – passiert das auch bei einer OB-Wahl?

Daschmann: Ja, selbstverständlich, diese Übertragung von der Bundesebene findet statt, weil das Image und die Vorstellung von den Parteien immer mitschwingt. Auch, wenn die OB-Wahl eine Personenwahl ist, ist sie nicht unabhängig davon. Wenn die Wähler die Personen im Kommunalen nicht kennen, dann greifen sie zu dem Strohhalm der Partei.

Gibt es noch eine Art Amtsbonus bei dieser Wahl? Die Damen im OB-Feld: Manuela Matz (CDU) und Mareike von Jungenfeld (SPD). - Foto: gik
Gibt es noch eine Art Amtsbonus bei dieser Wahl? Die Damen im OB-Feld: Manuela Matz (CDU) und Mareike von Jungenfeld (SPD). – Foto: gik

Und dann gibt es auch noch die Wähler, die taktisch wählen und mit ihrer Stimme beeinflussen wollen, wer in die Stichwahl kommt und wer nicht. Da kann es für einen Kandidaten ein Vorteil sein, wenn man schon einmal eine Wahl bestritten hat – und die Wähler daher wissen: Der ist für soundsoviel Prozent der Stimmen gut. Dann ist die Neigung, so jemanden erneut zu wählen, vielleicht größer – und würde sich höchstens dann ändern, wenn ein anderer, überzeugenderer Kandidat auftritt.

Mainz&: Herr Daschmann, wir danken für das Gespräch!

Info& auf Mainz&: Alles rund um die OB-Wahl in Mainz mit dem ersten Wahlgang am 12. Februar 2023, findet Ihr hier in unserem Mainz&-Wahldossier.