Das Erbeben bei den Freien Wählern geht weiter: Nach dem Bruch der Landtagsfraktion, tritt nun auch der Landesvorstand zurück, und zwar nahezu komplett. Landeschef Stephan Wefelscheid zieht damit die Konsequenzen aus dem Machtkampf in der Partei, und will zum Jahresende seinen Vorsitz niederlegen. Mit ihm treten Stellvertreter, Schatzmeister und eine Beisitzerin zurück – der Generalsekretär der Partei zeigte sich ahnungslos. Offenbar steckt hinter dem Machtkampf auch ein grundlegender Streit um die Ausrichtung der Landespartei der Freien Wähler: Der Partei droht womöglich ein gravierender Rechtsruck.

Die alte Landtagsfraktion der Freien Wähler, noch mit Fraktionschef Joachim Streit (Mitte). - Foto: Freie Wähler
Die alte Landtagsfraktion der Freien Wähler, noch mit Fraktionschef Joachim Streit (Mitte). – Foto: Freie Wähler

Am Montag war die Landtagsfraktion der Freien Wähler nach heftigem Streit um die Fraktionsführung implodiert: Mit Herbert Drumm und Bernhard Alscher erklärten gleich zwei Landtagsabgeordnete der Freien Wähler ihren Austritt aus der Fraktion – damit verlieren die Freien Wähler zum 6. Oktober 2024 ihren Fraktionsstatus im Landtag. Das hat massive Konsequenzen: Die Freien Wähler verlieren Rede- und Abstimmungsrechte sowie erhebliche Gelder – die zehn Mitarbeiter der Fraktion werden wohl arbeitslos.

Eskaliert war bereits am Samstag auf dem Landesparteitag in Kordel ein Machtkampf um die Ausrichtung der Landespartei der Freien Wähler sowie der Fraktion: Der bisherige Fraktionschef Joachim Streit war im Juni ins Europaparlament in Brüssel gewählt worden, hatte aber noch vor seinem Abgang dafür gesorgt, dass nicht Landeschef Stephan Wefelscheid, sondern stattdessen der unbekannte Helge Schwab zum Fraktionschef gewählt worden war. Höchst ungewöhnlich dabei: Streit wählte seinen Nachfolger noch schnell mit, bevor er den Landtag verließ, seine Stimme gab dabei den Ausschlag.

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Rücktritt Wefelscheid: Freie Wähler verlieren strategischen Kopf

Nicht nur das stieß Streit-Nachfolger im Landtag, Bernhard Alscher, übel auf: Gemeinsam mit Drumm kritisierte er das Arbeitsklima unter dem neuen Fraktionschef Schwab als unhaltbar, es gehe nur noch um Macht und Egoismen – die Sacharbeit der Freien Wähler bleibe komplett auf der Strecke. Zudem lobten beide die Arbeit Wefelscheids ausdrücklich, der aber äußerte sich weder am Montag noch am Dienstag zu den Zerwürfnissen und dem Auseinanderbrechen der Fraktion.

Noch-Landeschef Stephan Wefelscheid mit einem Selfie am 19. September von der Terrasse des Mainzer Landtags. - Foto: Wefelscheid
Noch-Landeschef Stephan Wefelscheid mit einem Selfie am 19. September von der Terrasse des Mainzer Landtags. – Foto: Wefelscheid

Am Dienstag dann aber der nächste Paukenschlag: In einem Brief an die Partei kündigte Wefelscheid seinen Rücktritt vom Landesvorsitz an, und zwar zum 31.12.2024. Damit verlieren die Freien Wähler ihren strategischen Kopf, den Macher ihrer erfolgreichen Wahlkämpfe sowie den Leistungsträger, der die Partei im Land und im Landtag erfolgreich nach vorne brachte. Es war Wefelscheid, der als parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion und vor allem auch als Obmann im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal den Freien Wählern binnen kürzester Zeit hohen Respekt im Landtag erarbeitete. Seine Zukunft in der Fraktion dürfte nun ebenfalls fraglich sein.

Und Wefelscheid ist nicht allein mit seinem Rückzug: Auch Landesvize Herbert Drumm, Landesschatzmeister Marco Degen sowie Beisitzerin Kathrin Laymann erklärten ebenfalls die Niederlegung ihrer Landesvorstandsämter zum Jahresende. Man habe „gemeinsam mit vereinten Kräften viel erreicht“, heißt es in dem Schreiben an die Partei, das Mainz& vorliegt: „Wir haben der Partei gerne gedient und bedanken uns für das langjährig entgegengebrachte Vertrauen, halten aber nun diesen zukunftsorientierten Schritt für notwendig.“

Rücktritt mit „neuer inhaltlicher Ausrichtung“ begründet: Rechtsruck?

Denn begründet werden die Rücktritte mit einer inhaltlichen Entwicklung der Partei: Der Landesparteitag von Kordel habe „gezeigt, dass neue Ausrichtungen das Bild der Partei prägen“, heißt es in dem Brief weiter. Dies solle sich auch in den Vorbereitungen der anstehenden Bundestags- und Landtagswahl niederschlagen, deshalb mache man den Weg frei für neues Personal. Das könne auch laut Satzung im Januar 2025 gewählt werden, „der verbliebene Vorstand möge entscheiden, ob er es uns gleichtut, sodass der Vorstand im Januar 2025 insgesamt neu gewählt werden kann, oder ob die vakanten Positionen nachgewählt werden“, heißt es zudem.

Mahnung von Landeschef Stephan Wefelscheid zum Landesparteitag der Freien Wähler am Samstag in Kordel: Warnung vor Spaltung. - Grafik: Freie Wähler
Mahnung von Landeschef Stephan Wefelscheid zum Landesparteitag der Freien Wähler am Samstag in Kordel: Warnung vor Spaltung. – Grafik: Freie Wähler

Damit spitzt sich offenbar die Auseinandersetzung darüber zu, ob die Freien Wähler einen eher liberalen Kurs einschlagen wollen – oder weit ins konservativ-rechte Lager rücken. Bereits im Vorfeld des Landesparteitags in Kordel hatte ein Antrag für Aufruhr gesorgt, der von vielen als queer-feindlich interpretiert worden war, weil er sich gegen das Hissen von Regenbogenflaggen vor öffentlichen Gebäuden, aber zunächst sogar auch gegen die Verwendung der Bezeichnung „divers“ in öffentlichen Papieren richtete – dabei war die Einführung des Geschlechterneutrums „divers“ vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich verfügt worden.

Doch das war nicht der einzige Vorfall: Im Februar hatten bereits ausgerechnet die vier Mitglieder der Landtagsfraktion in Mainz gegen einen Antrag auf dem Bundesparteitag gestimmt, mit dem sich die Freien Wähler klar von der AfD abgrenzten – der Antragsteller hieß Stephan Wefelscheid. Die vier Landtagsmitglieder außer Wefelscheid und Streit mochten aber eine Unvereinbarkeitserklärung mit der AfD nicht mittragen – rücken die Freien Wähler nun in die Nähe der rechtsextremen Partei?

Freie Wähler vor Zerreißprobe: Wohin steuert die Partei?

Wefelscheid sieht seit Kordel nun offenbar die Unterstützung für seine Linie einer liberalen Richtung der Freien Wähler nicht mehr gegeben. In Kordel hatte Wefelscheid noch dafür geworben, die Freien Wähler könnten „die Leerstelle im Parteiensystem, die eine Ampel-FDP hinterlässt füllen“ und „mit mehr Mut zu den liberalen Grundsätzen“ in einem Jahr sogar zweistellige Werte bei den Wählern erzielen. „Ein Richtungsstreit wirft uns zurück“, hatte Wefelscheid noch gewarnt. Den Menschen im Land machten gesellschaftliche Zerrissenheit und stärker werdende Grabenkämpfe Sorgen, genau deswegen brauche es eine Partei, „die den Kompass auf Mitte, auf Einigung“ halte.

Der Generalsekretär der Freien Wähler, Christian Zöpfchen: Ahnungslos vor Rücktritt des Landesvorstands. - Foto: Freie Wähler
Der Generalsekretär der Freien Wähler, Christian Zöpfchen: Ahnungslos vor Rücktritt des Landesvorstands. – Foto: Freie Wähler

Dass Wefelscheid nun zurücktritt, zeigt: Er sieht nicht mehr genug Unterstützung für diesen Kurs. Dass ihm gleich drei Vorstandsmitglieder folgen, zeigt jedoch auch: Wefelscheid steht mit seiner Linie keineswegs allein da – den Freien Wählern droht nun eine Zerreißprobe. Am Mittwoch wollen die vier Vorstandsmitglieder auf einer Pressekonferenz in Mainz ihre Gründe erläutern.

 

Der Generalsekretär der Freien Wähler, Christian Zöpfchen, zeigte sich derweil ahnungslos: Die Rücktrittserklärungen seien „für mich überraschend gekommen“, teilte Zöpfchen am Nachmittag mit: „Jeder von ihnen hat sich durch seine Arbeit, insbesondere Stephan Wefelscheid im parlamentarischen Rahmen und dort vor allem im Untersuchungsausschuss, Anerkennung erworben. In den letzten Jahren haben wir in unseren jeweiligen Funktionen innerhalb der Partei sehr gut zusammengewirkt.“

Zöpfchen: „Klares Bild großer Mehrheiten“

Es sei jedoch „bedauerlich, dass sich persönliche Differenzen und unterschiedliche Vorstellungen über die weitere Zusammenarbeit entwickelt haben, die letztlich zu dieser Entscheidung führten“, sagte Zöpfchen weiter. Er „respektiere die subjektive Ansicht“, dass es angeblich neue Ausrichtungen in der Partei gebe, er teile das jedoch nicht. „Auch viele Mitglieder der Parteibasis, mit denen ich gesprochen habe, sehen dies anders“, sagte Zöpfchen. Allerdings hatte sich der Generalsekretär auch von der Kritik an dem Antrag zur Diversität überrascht gezeigt und behauptet, es gebe keine queer-feindliche Strömung bei den Freien Wählern.

Die Abstimmungen auf dem Landesparteitag in Kordel zur Programmatik hätten indes „ein klares Bild großer Mehrheiten gezeichnet“, räumte Zöpfchen zugleich ein. Die wesentlichen Abstimmungen seien „trotz Spannungen“ geordnet und mit klarem Mandat verlaufen, der Fokus der Partei liege „weiterhin darauf, gemeinsam sachorientierte Lösungen für die realen Probleme der Menschen zu erarbeiten.“ Zöpfchens Fazit: „Jetzt ist die Zeit, um die Weichen für eine personelle Neugestaltung zu stellen.“

Info& auf Mainz&: Eine ausführliche Analyse zum Machtkampf bei den Freien Wählern, den Hintergründen und den Personalstreitigkeiten lest Ihr hier bei Mainz&.