UPDATE& 2 — Am zweiten Wochenende nach der Flutkatastrophe an der Ahr ist das Krisengebiet von Helfern förmlich überrannt worden. Mehrere Tausend Helfer seien an die Ahr geströmt, um vor Ort mit anzupacken, berichtete das Lagezentrum auf Mainz&-Anfrage – leider verstopften die Spontanhelfer aber gleichzeitig sämtliche Straßen, so dass professionelle Helfer, Bundeswehr und Mülltransporter nicht mehr durchkommen. Für Samstagabend sind zudem weitere Unwetter an der Ahr angesagt. Die ADD bat deshalb, alle Spontanhelfer das Tal zu verlassen, und auch vorerst Zuhause zu bleiben, die Helfer-Shuttles sollten für ein paar Tage eingestellt werden, heiß es – am Sonntag erfolgte schon wieder die Kehrtwende: Die Helfer können wieder ins Gebiet, die Shuttles fahren wieder. Bei der Kommunikation läuft es weiter konfus bis chaotisch.

Unvorstellbare Zerstörungen an der Ahr nach der Flutkatastrophe. - Foto: gik
Unvorstellbare Zerstörungen an der Ahr nach der Flutkatastrophe. – Foto: gik

Die verheerende Flutwelle vom 14. Juli verursachte entlang des gesamten Ahrtals Zerstörungen in unvorstellbarem Ausmaß, entlang des gesamten Tals ist die Infrastruktur von Straßen über Strom und Wasser bis hin zu Kläranlagen fast vollständig zerstört. Die Katastrophe hat gleichzeitig eine ungeheure Hilfsbereitschaft ausgelöst, an diesem Wochenende strömten noch einmal Tausende zum Helfen an der Ahr. Mitanpacken, Keller leer räumen, Schlamm schaufeln – die privaten Helfer leisten vor Ort Unvorstellbares und unvorstellbar Wertvolles.

Doch nach wie vor gibt es kein System, diese freiwilligen Helferströme effektiv zu lenken und zu koordinieren. Zwar wurden in der vergangenen Woche mehrere Helfer-Shuttleservice-Anlaufstellen geschaffen, Großparkplätze oberhalb des Ahrtals, von denen aus Busse die Helfer zum Einsatz in die Orte fahren – so sollte eigentlich verhindert werden, dass die Helferscharen die wenigen freien Straßen und Wege verstopfen. Am Samstag kam aber auch dieses System völlig zum Erliegen, weil Tausende in das Katastrophengebiet zum Helfen strömten. Beim Lagezentrum sprach man von mehreren Tausend Menschen, SWR3 meldete 7.500 Helfer. Das Ergebnis: Ein riesiges Verkehrschaos mit stundenlangen Staus rund um das Tal. „Es war alle verstopft, es war kein Durchkommen mehr“, sagte ein Sprecher des Lagezentrums auf Mainz&-Anfrage, „keiner konnte mehr seinen Auftrag erfüllen.“

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Freiwillige Helfer leisten an der Ahr Großes, derzeit werden sie aber gebeten Zuhause zu bleiben. - Foto: gik
Freiwillige Helfer leisten an der Ahr Großes, derzeit werden sie aber gebeten Zuhause zu bleiben. – Foto: gik

Das Lagezentrum „Hochwasser Rheinland-Pfalz“ veröffentlichte deshalb am Samstagmittag bereits den dringenden Aufruf, auf die Anreise zu verzichten. Zwei Stunden später folgte dann sogar die Aufforderung, das Ahrtal wieder zu verlassen und auch „in den nächsten Tagen nicht aufzusuchen“ – dummerweise aber richtete das Krisenzentrum seine Aufforderung  an „alle anreisenden Helfer“. Daraufhin fuhren auch professionelle Helfer wie Landwirte mit ihren dringend benötigten Maschinen wieder nach Hause, wie Mainz& aus erster Hand erfuhr – und zwar durchaus verärgert.

Im Lagezentrum hieß es am Nachmittag kleinlaut, das Problem, dass durch den Aufruf auch professionelle Helfer umgedreht seien, sei „hier mehrfach aufgeschlagen“, man sei wohl „nicht differenziert genug gewesen“ in dem Aufruf. „Da müssen wir noch mal nachfassen“, hieß es weiter. Dazu kommt, dass Informationen weder an Medien noch an die Profi-Helfer vor Ort zielgerichtet herausgegeben werden. Pressemitteilungen werden weiterhin nicht breit an Redaktionen in den Medien gestreut, von Landwirten und Profi-Helfern ist zu hören: „Wir bekommen vor Ort die Informationen als letzte.“

Landwirte und andere Profis aus Bau- und Gartengewerbe leisten die Aufräumarbeiten an der Ahr. - Foto: gik
Landwirte und andere Profis aus Bau- und Gartengewerbe leisten die Aufräumarbeiten an der Ahr. – Foto: gik

So habe etwa die Bundeswehr vergangene Nacht eine Behelfsbrücke über die Ahr planmäßig abgebaut, ohne dass aber die Helfer mit Baggern und Maschinen informiert worden seien, berichtete ein Helfer gegenüber Mainz&. Das Ergebnis: „Leute wollten mit ihren Maschinen auf die andere Seit der Ahr, und fanden keine Brücke mehr vor.“ Von Seiten des Lagezentrums hieß es dazu, die Bundeswehr habe eine Behelfsbrücke abgebaut, weil dort eine größere hinkommen solle – wie das kommuniziert worden sei, wisse er nicht, sagte der Sprecher.

Wie konfus die Kommunikation läuft, zeigte auch ein Beispiel am späten Nachmittag des Samstag: Er sei seit Dienstag als freiwilliger Helfer im Ahrtal gewesen und stets mit dem Helfer-Shuttle von Grafschaft ins Tal gefahren, berichtete ein Helfer auf der Facebookseite des Lagezentrums, was ihn wundere: „Warum ist es eigentlich nicht möglich gewesen, die Straßen zu sperren, und nur die rein zu lassen die offizielle Helfer sind, oder eben mit dem Shuttle kommen?“ Daraufhin antwortet das Lagezentrum: „Wie wird ein Helfer denn offiziell?“ Man sei „froh über jeden gut organisierten Shuttle, der entsteht. Dennoch viel zu tun.“ Am Tag 10 nach der Flutkatastrophe ist damit offenbar nicht einmal im zentralen Lagezentrum eine klare Vorstellung vorhanden, welche Helfer vor Ort sind und wer als „offiziell“ gelten kann – und wer nicht.

Wetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes für Samstag, den 24. Juli 2021. - Screenshot: gik
Wetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes für Samstag, den 24. Juli 2021. – Screenshot: gik

Derweil wächst die Nervosität an der Ahr bei jedem Blick zum Himmel. Bereits am Samstag begann es in dem Katastrophengebiet zu nieseln, für den Abend aber drohen erneut schwere Unwetter. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) warnte am Samstag in einem Video vor aufziehenden schweren Gewittern aus dem Südwesten, die lokal Hagel und Sturmböen sowie Starkregen mit bis zu 40 Liter pro Quadratmeter bringen können – zum Vergleich: In der Katastrophennacht waren es mindestens 200 Liter pro Quadratmeter. Das Problem dabei: Die Böden sind nach wie vor von Wasser gesättigt, damit muss damit gerechnet werden, dass neue Wassermengen sofort und ziemlich ungebremst abfließen – und sich erneut in Flüssen und Tälern anstauen.

Örtlich könnten deshalb bis zu 75 Liter Regen pro Quadratmeter zusammenkommen, heißt es beim DWD weiter – das Problem dabei: Wo genau, ist wieder einmal unklar. An der Ahr geht das Lagezentrum bislang nicht von einem weiteren großen Hochwasser aus, es könnten aber erneut Keller volllaufen, heißt es bislang. „Aufgrund der starken Niederschläge, der zerstörten Infrastruktur und der extrem unübersichtlichen Verkehrssituation fordern wir alle anreisenden Helferinnen und Helfer auf, das Krisengebiet Ahr in den nächsten Tagen nicht aufzusuchen“, hieß es dann, freiwillige Helfer sollten den Bereich „möglichst zeitnah verlassen.“

Profiunternehmen entsorgen derzeit die Schuttberge im Ahrtal, mit "Müllabfuhr" hat das nur wenig zu tun. - Foto: gik
Profiunternehmen entsorgen derzeit die Schuttberge im Ahrtal, mit „Müllabfuhr“ hat das nur wenig zu tun. – Foto: gik

Gegen 17.30 Uhr folgte gar eine „Allgemeinverfügung“, die für den Bereich des Katastrophengebiets Ahrtal jeglichen Individualverkehr untersagt, und zwar für die Bereiche Dernau, Rech und Bad Neuenahr-Ahrweiler am Sonntag wie am Montag. Anwohner, die „Müllabfuhr“ und offizielle Einsatzkräfte seien aber ausgenommen, hieß es weiter – mit „Müllabfuhr“ sind offenbar die Hunderten von schweren Maschinen und Transporter gemeint, die derzeit unter Hochdruck daran arbeiten, die riesigen Schuttberge im Ahrtal schnellstmöglich zu beseitigen.

Das Problem: Von diesen Schutthaufen geht zunehmend Gestank und eine echte Gesundheitsgefahr aus, hier verbreiten sich zunehmend Keime und Bakterien, die Berge ziehen Ungeziefer wie Ratten an – im Tal steigt die Seuchengefahr. Bereits am Freitag warnten die Behörden vor sich ausbreitenden Infektionskrankheiten wie Durchfallerkrankungen, aber auch Cholera und Diphterie könnten sich ausbreiten, wenn nicht schnell gehandelt wird.

Berge von Trümmern füllen die Straßen im Ahrtal, von ihnen gehen nun konkrete Seuchengefahren aus. - Foto: gik
Berge von Trümmern füllen die Straßen im Ahrtal, von ihnen gehen nun konkrete Seuchengefahren aus. – Foto: gik

Das Wasser der Ahr ist hochgradig mit Schweröl, Benzin und anderen Giftstoffen kontaminiert, das gleich gilt für den Schlamm der Überflutung – Wasser wie Schlamm bergen ebenfalls Infektionsgefahren. Das gilt auch für den omnipräsenten Staub: Auch in dem feinen Staub des getrockneten Schlamms seien „die Schadstoffe gebunden, die in der Ahr waren“, heißt es im Lagezentrum: „Man sollte vermeiden, den Staub einzuatmen.“ Den Helfern werde deshalb dringend empfohlen, Schutzmasken zu tragen, gerade beim Ausräumen von Kellern, sowie sich mit Gummistiefeln und Handschuhen zu schützen. Mehr zu den steigenden Gesundheitsgefahren lest Ihr hier bei Mainz&.

Die oberste Priorität gilt deshalb nun der Entsorgung der Schuttberge: Am Sonntag sowie am Montag würden „mehrere Entsorgungsunternehmen – unterstützt von örtlichen Landwirten mit deren landwirtschaftlichen Fahrzeugen – in einer konzentrierten Aktion die Müllberge auf die Deponien fahren“, kündigte das Lagezentrum weiter an. Gleichzeitig gibt es aber noch diverse Orte an der oberen Ahr, in denen noch gar nicht aufgeräumt wurde, Schlamm noch die Straßen bedeckt, und Häuser voller Schutt und Trümmer sind.

Trotzdem sehen die Behörden derzeit keine andere Möglichkeit, als die freiwilligen Spontanhelfer dazu zu bitten, zuhause zu bleiben: „Es ist ein Einsatzgebiet, das nicht sauber ist, die Lage ist hygienisch sehr kritisch“, sagte Einsatzleiter Heinz Wolschendorf in einer Pressekonferenz am Samstagmittag. Alle Helfer vor Ort müssten eigentlich umgehend mit Impfungen gegen Tetanus und Hepathitis A und B versorgt werden. Wer hier helfen wolle müsse sich „genau überlegen, was sie machen“, betonte Wolschendorf: „Es ist nicht ungefährlich.“

Aktuell habe man im Katastrophengebiet der Ahr rund 7.500 Helfer im Einsatz, dazu kämen rund 2000 Feuerwehrkräfte, 1000 Sanitäter sowie 2.500 Helfer des THW und je 1000 Kräfte von Bundeswehr und Polizei. Die Bundeswehr habe in den vergangenen Stunden rund 145 Tonnen Hilfsgüter in die Region gefahren, darunter Trinkwasser, Sanitätsmaterial und anderes. Die Vizepräsidentin der Dienstaufsicht ADD, Begona Herman, derzeit Leiterin des Krisenstabs, kündigte auf derselben Pressekonferenz den Stopp für die Shuttle-Helfer an.

„Es ist eine ganz fantastische Angelegenheit, wie stark hier gerade im Krisengebiet Ahr die Menschen helfen“, sagte Herman, „aber das würden wir jetzt gerne für ein paar Tage aussetzen wollen.“ Man brauche jetzt die Straßen für eine „konzentrierte Abfallabfuhraktion“, um die ungeheuren Schuttmengen gezielt abtransportieren zu können. „Danach können wir wieder darüber sprechen, wie wir die Helfer wieder in die Hilfsregionen hinein bringen können“, sagte Herman weiter.

UPDATE&: Am Sonntag dann erfolgte die erneute Kehrtwende. Nach massiver Kritik an dem Stopp der Helfer-Shuttle hieß es am Sonntagnachmittag auf einmal lakonisch auf der Facebookseite des Lagezentrums: „Die Helfer kommen wieder in das Einsatzgebiet“, die Shuttle fahren wieder und  bringen die Helfer ins Schadensgebiet.“ Die Fahrten würden auch in den kommenden Tagen fortgeführt, heißt es, und weiter: Entgegen aller Kritik „ermutigen wir weiter die Helfer, uns zu unterstützten.“

Info& auf Mainz&: Wir haben den Text mit zusätzlichen Informationen zu dem vorläufigen Stopp der Helfer-Shuttles aus der Pressekonferenz am Nachmittag ergänzt. Mehr zu der völlig zerstörten Infrastruktur im Ahrtal sowie der steigenden Seuchengefahr lest Ihr hier bei Mainz&. Die Meldungen des offiziellen „Lagezentrum Hochwasser“ findet Ihr hier auf Facebook. Das ganze, neueste Warnvideo des Deutschen Wetterdienstes findet Ihr hier im Internet beim DWD.

 

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