Als vor einem Jahr Protokoll-Altmeister Erhard Grom den Staffelstab niederlegte, fragten sich wohl viele: Wie wird das werden? Ein Jahr danach zeigt der Gonsenheimer Carneval Verein: die Zukunft der Fastnacht ist wahrlich weiblich. Selten hat es wohl in einer  regulären Fastnachtssitzung so viel Frauenpower auf der Bühne gegeben. Und die sind endlich auch zuständig für beißende Politik-Kritik, dazu gibt’s viel Schwung und närrischen Nonsens mit Papageien, Märchenerzählern und modernen Algorithmen. Der Zauber der Mainzer Fastnacht – hier

Sängerin Laura Heinz im Fokus der Kamera: Die "Seveneleven" des GCV wurde live ins Netz gestreamed. - Foto: gik
Sängerin Laura Heinz im Fokus der Kamera: Die „Seveneleven“ des GCV wurde live ins Netz gestreamed. – Foto: gik

„Wer braucht schon das World Wide Web?“ fragt Laura Heinz gleich zu Beginn der Sitzung: „Wir haben einen Ort, wo sich jeder kennt – wir treffen uns bei Weck, Worscht, Woi!“ Damit ist der Ton für die Sitzung des Gonsenheimer Carneval-Vereins gesetzt: Man geht auf närrische Kneipentour, und bei der herrschen Miteinander und Toleranz. „An Fassenacht in Mainz am Rhein, kannst du Hexe oder Clown sein“, spricht die Protokollerin Chrissy Grom: „Sei, was Du willst, s‘ ist einerlei, Hauptsach‘ ist, Du hast Spaß dabei. Denn ein Zauber wirkt die Fassenacht, ein Zauber, der uns mutig macht: Neues unbeschwert zu wagen.“

Ja, der Zauber der Fastnacht, er entfaltet sich an diesem Abend wieder einmal mit voller Macht. Gut gelaunt und mit herrlich viel närrischem Nonsens geht es höchst schwungvoll durch den Abend – tatsächlich ist dies die „Seveneleven“-Sitzung des GCV, und bei der sind vier Stunden komprimierte Sitzungsfreude angesagt, ohne Pause, dafür mit Livestream ins Netz. Das hohe Tempo tut der Sitzung gut, die Pause vermisst man eigentlich gar nicht – überhaupt geht der Trend in der Mainzer Fastnacht generell zu „kurz & knackig“ anstatt sechsstündigem Sitzungsmarathon.

- Werbung -
Werben auf Mainz&

Frauenpower in der Bütt: Grandioser Einstand der Protokollerin Grom

„Do I have Yout attention“ fragen da die Harlekine vom GCV Ballett, und man kann nur sagen: Bei so viel peppiger Tanzperformance mit wunderschönen Kostümen – in jedem Fall. Da ist es bereits 20.00 Uhr, und die erste Stunde der Sitzung vorbei – und auf der Bühne haben bislang nur Frauen gestanden. Denn auf Laura Heinz folgte Christina Grom als erste Protokollerin bei einem der großen Mainzer Fastnachtsvereine. Dass die Tochter Vater Erhard Grom im Amt beerben würde, war 2024 angekündigt worden, die ganz andere Frage war: Wie würde es werden?

Christina Grom spielt in ihrer ersten Saison als Protokollerin beim GCV gleich groß auf: Chapeau! - Foto: gik
Christina Grom spielt in ihrer ersten Saison als Protokollerin beim GCV gleich groß auf: Chapeau! – Foto: gik

Die Kurzfassung lautet: grandios. Christina Grom teilt so gekonnt und mit schwungvollen Reimen in alle Himmelsrichtungen aus, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. „Den Olaf gibts, nur merkt’s man nicht“, konstatiert die Protokollerin trocken, und zu FDP-Chef Christian Lindner heißt es geradezu prophetisch „Mit drei Prozent schickt bundesweit, das Volk ihn dann in Elternzeit“ – das war zwei Wochen vor der Bundestagswahl.

Auch Wieder-US-Präsident Donald Trump bekommt ein glasklares Urteil: Machtmissbrauch, Missachtung des Umweltschutzes, schamlose Beleidigungen und Behinderung der Wissenschaft, zählt die Dame vom Protokoll auf, und bilanziert: „Charakter: äußerst zweifelhaft. Der Trump, der ist ein Krimineller. Doch seinen Wählern, wie fatal, ist das gerade scheißegal.“ Ob Putin, Musk, die Hamas oder Ungarns Präsident Viktor Orban: Wo immer die Narrenbeobachterin Hass, Ausgrenzung, Gewalt und Krieg findet, wird das angeprangert, und dann erinnert sie an die Geschichten vom Opa, der einst von der Zerstörung des Goldenen Mainz vor 80 Jahren erzählte – eine Zerstörung, die Folge von Hass und übelster Menschenfeindlichkeit war.

Grandioser Narreneinstand: „Die Frau vom Hähnchengrill“ Allegra Bob

„Das darf nie wieder geschehen“, mahnt die Protokollerin: „Wir Menschen in Mainz am Rhein, werden nie vergessen, Mensch zu sein!“ Da gibt es Standing Ovations und tobenden Applaus im Saal, mitten im Vortrag. Und die endet mit einem Wunsch: „Ich wünsche mir, dass es gelingt, und dieser Funke überspringt, im Alltag Neues zu probier’n, und mutig mal was zu riskieren. Und uns erinnert dann und wann, dass durch Mut ein Traum wahr werden kann.“ Da erhebt sich der Saal und singt „Oh, wie ist das schön“, und feiert die Protokollerin, die durch ihren Mut wahrlich einen Traum hat wahr werden lassen: „Es ist Zeit für Frauenpower in der Bütt.“

Tolles, spritziges Harlekin-Ballett. - Foto: gik
Tolles, spritziges Harlekin-Ballett. – Foto: gik

Und damit bleibt Christina Grom, nicht allein: Gleich im Anschluss betritt nämlich ein weiteres närrisches Naturtalent die Bütt: Allegra Bob gelingt ein kleines närrisches Meisterstück. Sie erweckt nämlich „die Frau vom Hähnchengrill in Drais“ zum Leben, und wildert damit nicht nur in männlichem Kultterritorium – Eingeweihte haben natürlich den Bezug zum Schierschen Kultsong sofort erkannt – sie macht auch die Frau hinter dem Tresen sichtbar und schenkt dabei den Herren vom Mainzer Fastnachtsolymp kräftig einen ein.

Der erste Mann, der dann auf die Bühne darf, ist der „Wirbel Willi“, und Maurice Müller spart bei seiner närrischen Runde auch nicht mit Spitzen gegen Nachtwächter, Hofsänger und allerlei anderes Mannsvolk. Zum großen Highlight wird dann später noch der jüngste Narrenstreich von Kati Greule, aus dem Hause Emrich: Ihre Polit-Kita ist wirklich feinste Narrenkunst, hält der Politik gnadenlos den Spiegel vor und lässt im Saal kein Auge trocken.

Närrische Vögel mit Wiesbadener Migrationshintergrund

„Alle sind hier gleich“, rocken „Voll auf die 11“ gut gelaunt. Nur die Mainzer sind natürlich ein wenig gleicher, zumindest beim Humor: Die zwei echten Meenzer Sittiche leiden schwer darunter, dass sie einen Wiesbadener Migrationshintergrund haben, und klagen: „Wir sind in Meenz geboren, aber die Leute kennen uns nicht als Meenzer an!“

Verrückte Vögel: Martin Heininger und Christian Schier als "Sittiche" mit Wiesbadener Migrationshintergrund. - Foto: gik
Verrückte Vögel: Martin Heininger und Christian Schier als „Sittiche“ mit Wiesbadener Migrationshintergrund. – Foto: gik

Verrückte Vögel waren Christian Schier und Martin Heininger ja schon immer, jetzt bringen sie das einfach auf die Bühne – und dabei gelingt ihnen eine wunderbar närrisch-kuriose Nummer, die den Spagat schafft, gleichzeitig der Gesellschaft rechts und links des Rheins den Spiegel vorzuhalten, und dabei noch das sperrige Thema Migranten und Herkunft zu verarbeiten. Kein Wunder, dass das Komikerduo am Freitagabend auch den Schlussvortrag in der Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“ halten wird.

Das passt auch deshalb gut, weil die beiden auch gleich noch das heutige Fastnachtsmotto und die aus früheren Zeiten aufspießen: Wer weiß schon noch, dass man s9ich 1957 mit den zwei Wörtern „Kimmste aaach?!“ (Kauf Hochdeutsch: „Kommst Du auch?“) beschied, oder 1964 gar zum unglaublich kreativen „Meenzer Fassenacht – wie gehabt“ griff. „Wenn ich mir was wünschen könnte, dann dass jeder Mensch da bleiben könnte, wo er sich wohl fühlt und Freunde hat“, sagt der Schier noch: „Wenn jeder Mensch so wär wie wir Meenzer“, ja dann wäre die Welt wohl ein besserer Ort.

„Die Welt hätt’s nicht so schwer, wenn jeder wie en Meenzer wär“

Denn die Mainzer Fastnachts-Formel à la Heininger und Schier lautet schlicht: „Wir gehen nicht nach dem Aussehen, sind ja alle verkleidet, wenn er kloa ist, kann er mitmache, und wenn er ein Arsch ist, kann er uns mal.“ – „Die Welt hätt’s nicht so schwer, wenn jeder mehr wie en Meenzer wär“, konstatieren auch die Brüder Dobbelbock. Die haben neben ihrer mi5treißenden Musik auch ein märchenhaftes Bilderrätselt dabei, das sich etwas kurios durch Hänsel und Gretel in der Panikzone und einen Froschkönig bei „Bares für rares“ kalauert. Und die Moral von der Geschicht‘? „Ihr müsst nur‘ Heile Gänsje singe, denn hinterm Märchenwald geht’s weiter.“ Da wird natürlich „Alles wieder gut“.

Die Schnorreswackler als "Blumenbeet" unterwegs - hier schon bei "Mainz bleibt Mainz". - Foto: gik
Die Schnorreswackler als „Blumenbeet“ unterwegs – hier schon bei „Mainz bleibt Mainz“. – Foto: gik

„Wir singen Lieder über Themen, die die Leute wirklich bewegen“, behauptet die Herpes House Band und nimmt gnadenlos moderne Algorithmen samt Cat Content, überflüssige Fakten und Schlagergedudel aufs Korn. Besonders grandios: Der „besorgte Bürger“, der sich über Felipe aus Mexiko beschwert. „Und was hat er dann gemacht? Sechs Kinder, ganz genau“, schimpft der – natürlich geht es um den berühmten Fastnachtshit „Olé Fiesta“.

Fastnachts“riten“ nehmen auch die Schnorreswackler aufs Korn: Die kommen dieses Jahr als Blumenbeet daher und singen „verdammt, ich pflück dich, ich pflück dich nicht“, bevor sie die Härten eines Blumenbeets am Rosenmontag anschaulich schildern… Wer sich danach noch jemals in die Rabatten auf dem Schillerplatz übergibt, sollte vielleicht damit rechnen, dass das zurückschlägt. Immerhin tanzen die Blumen dann wieder fröhlich um den Fastnachtsbrunnen – auch die mitreißende neue Hymne der Schnorreswackler ist am Freitagabend bei „Mainz bleibt Mainz“ zu sehen.

Thomas Becker als „Schweitzergarde“ mit viel Wortwitz

„Mainz, die einzige Stadt in Europa, die noch gute Laune hat“, konstatiert denn auch Lars Reichow, der dann allerdings kräftig vom Leder zieht, und bei seinen Tiraden gegen Trump, Alice Weidel und „Södipussi“ auch nicht mit kräftigen Beleidigungen spart. Gefeiert wird er dennoch mit Standing Ovations und Lobgesängen, das liegt vor allem daran, dass Reichow klare Haltung bezieht für Freiheit, Demokratie und Frieden in der Welt. „Du bist der Mann, der Haltung zeigt, der unbequeme Dinge ausspricht, damit bist du für echte Demokraten ein großes Vorbild“, sagt denn auch Sitzungspräsident Sebastian Grom,. der gewohnt souverän durch die Sitzung führt.

Thomas Becker als brilliante "Schweitzergarde". - Foto: gik
Thomas Becker als brilliante „Schweitzergarde“. – Foto: gik

Wie man Mächtigen die Leviten liest, und dabei ganz ohne haltlose Beschimpfungen auskommt, zeigt hingegen Thomas Becker: Er steht in diesem Jahr als „Schweitzergarde“ auf der Bühne, und das „t“ ist dabei kein Schreibfehler, sondern eine Anspielung auf den neuen Ministerpräsidenten Alexander Schweitzer. Dessen politische Unterstützer werden schon lange intern „Schweitzergarde“ genannt, dieser Vertreter allerdings verteidigt nicht nur, sondern geißelt auch mit viel Wortwitz die Irrungen der Politik – egal, ob Wärmepumpen-Robert oder Fischers Fritze, der rechte Fische fischt…

„Liebe Politiker, wir sind Narren, aber keine Idioten“, mahnt Becker, und vergisst auch das neue Grundsteuer-Drama, Dubai-Scholodadenfarce und Gendersternchen nicht. „Es macht schon einen Unterschied, ob du von der Leiter oder der Leiterin gefallen bist“, konstatiert Becker, und seufzt: „Hätten sich viele Teslakäufer auch nicht träumen lassen, dass sie mal
Rechtsextreme mitfinanzieren.“ Da wird der Politikvortrag zum echten Gardemaß, und der Redner mit Ovationen gefeiert, wenn er schließt: „Gibt’s auf der Welt auch Hass und Groll, Meenz bleibt Humor- und hoffnungsvoll.“

Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, außer: Schade, dass der SWR Becker aus der Sendung kippte. Vielleicht klappt’s dafür ja nächstes Jahr mit der ersten weiblichen Protokollerin bei „Mainz bleibt Mainz“ auf der Fernsehbühne. Das Finale beim GCV leitete schon mal die musikalische Neuentdeckung der Kampagne ein – natürlich eine Frau. Und Laura Müller singt am Freitag auch bei „Mainz bleibt Mainz“. Frauenpower halt.

Info& auf Mainz&: Mehr Fotos gibt’s morgen, versprochen! Mehr zur Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“ in ihrem 70. Jubeljahr lest Ihr hier bei Mainz&.