Wenn der Sitzungspräsident Narren in Eiseskälte begrüßt und auch solche, die sich weit aus dem Fenster lehnen, nur damit sie einen Hauch Fastnacht erhaschen können – dann weiß man: Mainz vermisst das bunte Narrentreiben wirklich sehr. Also werden die Mainzer Narren kreativ, und so lud der Karneval Club Kastel (KCK) zu einem echten Novum: der ersten „Fenstersitzung“ von Mainz. Die Bühne zu Füßen des Hyatt-Hotels, die Gäste mehrheitlich in den Hotelzimmern – es wurde dennoch ein wunderbarer Narrenabend mit ganz eigenem Flair. Scharfe Narrenkritik gab’s aber auch, im Fokus vor allem: der neue Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Querdenker und vor allem die katholische Kirche.

Narrenschau vor großer Kulisse: Vor dem Mainzer Hyatt feierte der KCK die erste Fenstersitzung. - Foto: gik
Narrenschau vor großer Kulisse: Vor dem Mainzer Hyatt feierte der KCK die erste Fenstersitzung. – Foto: gik

Was macht man, wenn man 75-jährigen Geburtstag hat, aber eine nervige Pandemie die Party verhindert? Nun, man packt die Gäste einfach in gemütliche Hotelzimmer – und stellt die Bühne vor die Tür. Genau das machte nun der Karneval Club Kastel (KCK), einer der vier ehrwürdigen großen Fastnachtsvereine in der Narrenhochburg Mainz. „75 Jahre Mainz, Fastnacht pur von rechts des Rheins“, grüßte Sitzungspräsident Bardo Frosch am frühen Samstagabend von der kleinen Bühne, die auf der Restaurant-Terrasse des Mainzer Hyatts errichtet worden war.

Um die Bühne herum gab es eine Steh-Zone mit Getränkestand und Grill, rund 50 Gäste standen hier tapfer in zunehmender Eiseskälte fünf Stunden im Dienste der Fastnacht durch. „Wir sind die wahren Narren, die der Kälte trotzen“, versicherte Frosch dem Auditorium, das denn auch hauptsächlich für die Stimmung zuständig war. Der Rest der Gäste nämlich vergnügte sich hoch droben auf allen Ebenen, denn die Hotelzimmer des Hyatt waren zu Logen für die Narrensitzung geworden. „Das gab’s noch nie“, staunte Frosch, und begrüßte all die, die „an der Fensterbrüstung lehnen, weil sie sich so nach Fastnacht sehnen.“

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Eröffnung mit Einmarsch in der Open-Air-Narhalla: Start in die KCK-Fenstersitzung. - Foto: gik
Eröffnung mit Einmarsch in der Open-Air-Narhalla: Start in die KCK-Fenstersitzung. – Foto: gik

Und dann ging’s los mit fetzigen Fastnachtsliedern und einem Einmarsch im Außen-Bereich, der gleich mal einen Hauch von Rosenmontag kreierte, bis 23.00 Uhr servierte der KCK dann eine Sitzung voller Schwung und bissiger Narretei. Gleich zu Beginn hatte Protokoller Bardo Frosch alle Hände voll zu tun: Corona-Pandemie, Ampel-Koalition und Unions-Absturz, die Mutter der Nation in Rente, der Neue im Kanzleramt unsichtbar – „manchmal fehlt’s an Dampf, vielleicht hilft da ne Prise Hanf“, reimte der Fastnachter ironisch.

Quer durch die Corona-Dummheit arbeitet sich Frosch, eilt vorbei am misslungenen Brexit-Clown Boris Johnson, den er einfach in den Tower steckt – „England wär‘ frei, der Brexit vorbei“ -, wendet sich mit Grausen von der Kirche und verneigt sich vor Karl Lauterbach. Wahrlich, es sind randvolle Politik-Bücher, die der Protokoller-Narr da abzuarbeiten hat. Und er wäre kein echter Narr in alter Mainzer Tradition, wenn er nicht auch der Gesellschaft Respekt und echte Freiheit ins Stammbuch schreiben würde: „Wenn Querdenker Rechtsradikale mit Drohungen, Gewalt, Randale, den Frieden hier im Land gefährden“, schimpft Frosch: „Die Sippe ist fürs Land ne Last, gehört bestraft und in den Knast!“

Rechnet als "Quertreiber" mit den "Querdenkern" ab: Alexander Leber. - Foto: gik
Rechnet als „Quertreiber“ mit den „Querdenkern“ ab: Alexander Leber. – Foto: gik

Lange Ovationen belohnen den Narren für sein freies Wort. „Ein Dank vom Fenster und im Haus – Bardo Frosch, Tusch und Applaus“, verabschiedet ihn Daniel Vetter, der als Ersatz-Sitzungspräsident ebenfalls eine gute Figur macht. Mit Querdenkern und Demokratiefeinden sind die Kasteler Narren aber noch lange nicht fertig: Alexander Leber widmet ihnen als „Quertreiber“ gleich einen ganzen Vortrag, und demonstriert direkt mal, was man alles angeblich nicht mehr sagen darf: „Dollbohrer, Spitzklicker, Greebarsch,“, schimpft Leber fröhlich auf Meenzerisch, „heut‘ nicht möglich – nur Schiffsschaukelbremser, des deerfste noch sage.“

Die „Alternativen Bänkelsänger“ waren ohnehin immer schon politisch, nun widmen sie sich Corona-ausgeruht und in gereimter Hochform wunderbar bissig Lokführerstreik und Bundestagswahl-Debakeln. Und auch Wolfgang Heitz und Claus Eckert schreiben den selbst ernannten „staatlich Verfolgten“ ins Stammbuch: „Doch muss man als Querdenker wissen: nicht Ihr – WIR sind das Volk!“ Aber auch mit der Kirche gehen die Bänkelsänger scharf ins Gericht: „Die Bischöfe, die Päpste, sie lügen uns glatt ins Gesicht“, singen die beiden: „Oh heiliger Sankt Pädophilius, wir wissen wir brauchen sie nicht!“

Großes Narren-Kino: "Hotte & Pit". - Foto: gik
Großes Narren-Kino: „Hotte & Pit“. – Foto: gik

Der Umgang der katholischen Kirche mit den Missbrauchs-Skandalen, er treibt die KCK-Aktiven wahrlich um: „Wer Missbrauchstäter schamlos deckt, der verliert bei uns jeden Respekt“, schimpfen Hansi und Christian Greb in Richtung des „scheinheiligen Kardinal“ Rainer Maria Wolki. Als Max und Moritz kommen die beiden daher, und nehmen ganz wie die Lausbuben von einst kein Blatt vor den Mund: „Nimm deine Bischofsmütze und geh'“, empfehlen sie Woelki unumwunden: „Und nimm, das wär geschickt, den Papst Benedikt gleich mit!“

Für den puren Kokolores ist beim KCK das Kult-Duo „Hotte und Pit“ zuständig, und Horst Siegholt und Pit Karg werfen mit ihren urkomischen Nonsens-Dialogen wahre Lachsalven ins Publikum. „Das ist e Lokal?“, fragt Hotte mit ungläubigem Blick auf das Freiluft-Areal vor der Bühne: „Bissche zugig… sparen Sie Heizkosten?“ So geht es weiter mit Komik auf Höchst-Niveau, wie es weiland das legendäre Kölner Colonia-Duett nicht besser konnte – kein Wunder, dass der KCK die beiden auch für ihren unermüdlichen Streaming-Einsatz während der Corona-Pandemie zu Ehrenkomiteetern ernennt.

Traumkulisse: Die KCK Fenstersitzung aus luftiger Hotel-Höhe gesehen. - Foto: gik
Traumkulisse: Die KCK Fenstersitzung aus luftiger Hotel-Höhe gesehen. – Foto: gik

Und weil es wahrlich sehr „zugig“ zugeht in der Open-Air-Fast-Nacht werden die musikalischen Einlagen von Stefan Persch über Thorsten Ranzenberger bis hin zu den den Kapell Mainzern, den Altrheinstromern und den „Hübsche Bübsche“ umso dankbarer angenommen. Oben an den Fenstern wird derweil geschwoft und gewunken, die Akustik von unten ist oben einwandfrei zu hören – nur umgekehrt gilt das leider nicht: „Ich hätte gedacht, dass man mehr Reaktionen des Publikums hier unten mitbekommt“, sagte im Nachgang KCK-Präsident Dirk Loomans nachdenklich. Macht nix: Die 50 Gäste vor der Bühne machen das spielend wett – zwischendurch gibt’s dann eben schnell mal eine Polonaise vor der Bühne, schließlich sind hier alle geimpft, geboostert, genesen und getestet.

Zum Höhepunkt wird aber fraglos der neueste Streich der „Moguntia“: Johannes Bersch präsentiert seine neue Paradefigur in Höchstform und setzt seine Spitzen so gekonnt, dass sie immer mehr an den legendären „Boten vom Bundestag“ erinnern – närrisches Glatteis inklusive. „Ich kriege gerade ein ganz aktuelles Fax“, lästert die „Moguntia“, darauf stehen schlechte Nachrichten für Schüler: „Kein einziger Abgeordneter im Bundestag hat offenbar einen Herstellern von Luftfiltern in der Verwandtschaft…“

Grandios: Johannes Bersch als "Moguntia". - Foto: gik
Grandios: Johannes Bersch als „Moguntia“. – Foto: gik

Angela Merkel ist in Ruhestand, und Nachfolger Olaf Scholz guckt in die Röhre – in die Gas-Röhre natürlich, denn wir haben ja „einen Altkanzler, der ist vorwiegend alt“, konstatiert Bersch: „Er hantiert gerne mit Russen-Gas, das ist ein gefährlicher Zündstoff, deshalb vermeidet er sogar jeden Funken Anstand.“ Bei Bersch ist jeder Satz eine Spitze, das trifft die CDU und ihr „lang anhaltendes Tief Armin“ genauso wie „Max und Murks“ im Münchner Bischofsamt wie den Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD), der jetzt Dank Biontech-Millionen wortwörtlich im „Goldenen Mainz“ sitzt: Der kauft jetzt Wiesbaden und macht es zum Stadtpark von Mainz, „aber Ebling will noch sehr viele andere nützliche Dinge kaufen“, sagt Bersch: „Einen neuen Stadtrat..“

„Du best so bleed, da ist alles schon zu spät“, singt schließlich noch Ramon Chorman, und erntet jede Menge „Auauau“s und „Uiuiui“s mit seiner Corona-Abrechnung: „Seit 104 Wochen sagen die beim RKI jeden Montag: bei Corona, da stimmen die Zahlen nicht“, sagt Chorman: „Ich hab mir überlegt, ich geb‘ jetzt meine Steuererklärung immer montags ab…“ Kurzweilig, mit viel Schwung und vor großartiger Kulisse, so feiern sich die Narren von rechts des Rheins links des Rheins in die Nacht, und wenn dann noch die Eisbären Bühne, Platz und Hotel rocken, dann wird der Wunsch des Protokollers jetzt schon wahr: „Auf! Feiert goldig Fassenacht!“

Info& auf Mainz&: Von der KCK-Fenstersitzung gibt es auch zwei Videos, zum Einmarsch und vom Ballett, Ihr findet sie hier auf unserer Mainz&-Facebookseite. Der KCK feiert auch direkt noch weiter: Am Fastnachtssamstag mit der Närrischen Online Weinprobe „KCK-NOW“ – mehr dazu hier bei Mainz&. Und natürlich haben wir auch dieses Mal eine Foto-Galerie – wenn nicht alle dabei sind, seht es uns nach, bitte…