100 Tage nach dem verheerenden Brand des Flüchtlingslagers Moria gehen die Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos einem düsteren Weihnachten entgegen. Im neuen Lager Kara Tepe gebe es kein Licht, keine Heizmöglichkeiten und kaum Duschen, berichtete Behrouz Asadi, Leiter des Migrationsbüros der Malteser in Rheinland-Pfalz, gegenüber Mainz&: „Die Situation ist noch viel schlimmer geworden.“ Überflutete Zelte bei Regen, eine Rattenplage – und kaum medizinische Versorgung im Lager: Hilfsorganisationen, aber auch 243 Bundestagsabgeordnete fordern in einem „Weihnachtsappell“ nun mehr Hilfe für die Flüchtlinge. Asadi will mehr tun: ein kleiner Shuttlebus soll ganz konkret auf Lesbos bei der Fahrt zum Arzt helfen.

Das ausgebrannte Flüchtlingslager Moria auf Lesbos. - Foto: Trabert
Das ausgebrannte Flüchtlingslager Moria auf Lesbos. – Foto: Trabert

In der Nacht zum 9. September brannte das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos, binnen zweier Nächte wurden die Behausungen völlig zerstört, bis zu 14.000 Flüchtlinge obdachlos. Moria galt schon vor dem Brand als Symbol für das Scheitern der europäischen Flüchtlingspolitik in der Ägäis: Das Abkommen mit der Türkei zum Zurückhalten von Flüchtlingen in Richtung Europa wurde immer löchriger, die Zahl der Flüchtlinge, die es auf die griechische Insel Lesbos schafften, wuchs wieder an.

Auf Lesbos erwartete die Gestrandeten jedoch eine harte Abschreckungspolitik, die Lebensumstände in Moria galten schon lange als menschenunwürdig – dann kam der verheerende Brand, und die griechische Regierung ließ die Flüchtlinge erst einmal Tage und Wochen im Freien kampieren. Erst vor wenigen Wochen wurde das neue Lager Kara Tepe fertig – Helfer zeigen sich seither fassungslos von den Zuständen: Das auf einer zugigen Klippe erbaute Lager besitzt praktische keine Infrastruktur, die Zelte wurden auf offenem Boden errichtet – bei Regen stehen die Zelte unter Wasser.

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Als Ersatz für Moria wurde das Lager Kara Tepe gebaut - an einem der zugigsten Orte der Insel, sagen Experten. - Foto: Asadi
Als Ersatz für Moria wurde das Lager Kara Tepe gebaut – an einem der zugigsten Orte der Insel, sagen Experten. – Foto: Asadi

„Die Situation ist noch viel schlimmer geworden“, berichtete nun Behrouz Asadi, Leiter des Migrationsbüros der Malteser in Rheinland-Pfalz, gegenüber Mainz&: „Wenn Regen ist, ist Überschwemmung“, Europaletten sollten nun als Bodenersatz dienen, die Menschen schliefen mit Plastikplanen als Unterlage darauf. „Es gibt Ratten, die greifen die Leute an“, berichtet Asadi, das hatten in den vergangenen Tagen auch mehrfach Hilfsorganisationen berichtet: Kinder, die im Schlaf von Ratten angenagt worden seien, kaum Hygienemöglichkeiten. „Es gibt momentan kein Licht, keine Heizmöglichkeiten, nur einen Trakt, wo Frauen mit Kindern zeitweise duschen können – Männer aber nicht“, berichtet Asadi.

7.000 Menschen lebten derzeit im neuen Lager Kara Tepe, „das ist keine akzeptable Unterbringung“, kritisiert Asadi: „Für mich ist das eine eklatante Menschenrechtsverletzung.“ Die Zelte in Kara Tepe böten keinen ausreichenden Schutz vor den eisigen Winden und der Luftfeuchtigkeit an der Meeresfront im Winter, „die Menschen sind unerbittlich den Wetterbedingungen ausgesetzt, ohne dass sie einen Moment des Komforts haben können.“ Durch die schrecklichen Zustände seien noch mehr Menschen krank geworden, „die Kinder sind vor allem kaputt“, sagt Asadi, und fragt: „Müssen die Menschen wirklich so Opfer werden? Muss man sie wirklich so abschrecken? Was ist das für ein Europa?“

Weihnachtsappell - Foto: Asadi
Weihnachtsappell – Foto: Asadi

Zu Weihnachten gibt es deshalb nun einen Weihnachtsappell für eine humanitäre Aufnahme von Flüchtlingen aus Lesbos, dem sich immer mehr Organisationen anschließen. „Kein Weihnachten für Moria“ wurde von 245 Bundestagsabgeordneten gestartet, die aus allen Parteien kommen. Sie fordern nun die Bundesregierung auf, sich in der EU verstärkt für eine Lösung einzusetzen – aber auch, in Deutschland die Aufnahme von Flüchtlingen vorantreiben. 200 Kommunen bundesweit hätten sich bereit erklärt, zusätzlich zu vereinbarten Kontingenten Schutzsuchende aufzunehmen, der Bund müsse sie aber auch lassen, fordern die Parlamentarier.

Dem Appell haben sich inzwischen auch die christlichen Kirchen angeschlossen, auch Asadi fordert deutlich mehr Hilfe für die Gestrandeten auf Lesbos. „Wir sind in der Lage gewesen, 2015 so viele Menschen aufzunehmen“, sagt er, die Lebensumstände der Menschen dort jetzt, „gerade an Weihnachten ist das ein Dorn im Auge für Menschenrechte.“ Die Entscheidung Europas, die Flüchtlinge nach dem Brand auf Lesbos zu lassen und in neue Lager zu verfrachten, sei falsch gewesen, betont Asadi, das zeige sich doch jetzt: „Es ist jetzt Zeit zu handeln, Europa! Evakuieren, jetzt!“

Und so sieht Kara Tepe im Dezember 2020 aktuell aus: Wasser, Schlamm, offene Zelte, kein Strom, keine Infrastruktur. - Foto: Asadi
Und so sieht Kara Tepe im Dezember 2020 aktuell aus: Wasser, Schlamm, offene Zelte, kein Strom, keine Infrastruktur. – Foto: Asadi

Doch der langjährige Flüchtlingskoordinator der Malteser will nicht nur appellieren, sondern auch konkret helfen: „Ich habe einen Kleinbus organisiert, der die Menschen von Kara Tepe in Richtung des alten Lagers Moria bringen soll“, berichtet Asadi – dort stehe das Krankenhaus von „Ärzte ohne Grenzen“. Derzeit müssten die Menschen, die zum Arzt wollten, entweder dorthin oder in das städtische Krankenhaus laufen, zu Fuß, fünf bis sechs Kilometer weit. „Dieser Bus soll als mobiler Shuttlebus kostenlos für die Leute sein“, sagt Asadi, der kleine Neunsitzer könne eine enorme Hilfe bedeuten.

„Das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber es ist das, was ich machen kann“, sagt Asadi. Im neuen Jahr wolle er den Bus selbst nach Lesbos bringen und dort abliefern, wenn irgend möglich. Schon Anfang Oktober war Asadi nach Lesbos gereist, hatte gemeinsam mit der früheren SPD-Landtagsabgeordneten Ulla Brede-Hoffmann einen Transport mit Hilfsgütern auf die Insel gebracht, darunter 25.000 Masken, Medikamente, Decken und andere Hilfsmittel. „Solche Lager wie Moria, wie Kara Tepe, das ist eine der fatalsten Entscheidungen Europas“, sagt Asadi: „Wir müssen handeln, wir können die Leute doch nicht einfach im Stich lassen.“

Nicht menschenwürdig: Lebensbedingungen im Dezember 2020 im Flüchtlingslager Kara Tepe auf Lesbos. - Foto: Asadi
Nicht menschenwürdig: Lebensbedingungen im Dezember 2020 im Flüchtlingslager Kara Tepe auf Lesbos. – Foto: Asadi

Derweil kommt auch die Hilfsorganisation des Mainzer Arztes Gerhard Trabert für behinderte Flüchtlinge auf Lesbos immer stärker ins Rollen: Ende November war es Trabert gelungen, den jungen querschnittsgelähmten Syrer Abdulkarim und seinen Freund Wael aus Lesbos nach Rheinland-Pfalz zu holen, nun sollen nach Möglichkeit weitere folgen: Inzwischen gebe es eine Liste von betroffenen behinderten Flüchtlingen und ihren Angehörigen auf Lesbos die man den politisch verantwortlichen Entscheidungsträgern auf Bundes- und auf Landesebene zur Verfügung stelle, um so eine Aufnahme dieser Menschen in Deutschland noch bis zum Jahresende in die Wege geleitet werden könne, teilte Traberts Verein Armut & Gesundheit nun mit.

Zudem sammelt der Verein nun verstärkt Gelder, um damit Hilfsmittel wie Gehhilfen, Prothesen oder Rollstühle für die Betroffenen vor Ort zu finanzieren. Dabei arbeite Armut & Gesundheit mit der Initiative „The earth medicine“ der chilenischen Physiotherapeutin Fabiola Velasquez zusammen, die aktuell die einzige Person auf Lesbos sei, die physiotherapeutisch mit geflüchteten behinderten Menschen arbeitet. Ende November sei es „das erste Mal gewesen, dass Deutschland aus humanitären Gründen gehandicapte Menschen außerhalb des Kontingents aufgenommen hat“, sagte Trabert damals gegenüber Mainz&. Das vorläufige Happy End für Abdulkarim und Wael damals aber dürfe „nicht das Ende sein, das muss der Anfang sein“, fügte Trabert hinzu.

Info& auf Mainz&: Mehr über die Geschichte von Abdulkarim und Wael erfahrt Ihr hier bei Mainz&, mehr Informationen zu dem Projekt Unterstützung für gehandicapte Menschen auf Lesbos findet Ihr hier beim Verein Armut & Gesundheit. Mehr zu den Zuständen auf Lesbos, die verbrannte Erde von Moria und die Hilfsaktion der Malteser Anfang Oktober lest Ihr hier bei Mainz&.

 

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