Die Staatsanwaltschaft Mainz wird auch weiter nicht gegen die frühere und heutige Hausspitze der Dienstaufsicht ADD in Form von Ermittlungen vorgehen. Am Mittwoch teilte die Staatsanwaltschaft mit, man lehne die Aufnahme von Ermittlungen gegen ADD-Präsident Thomas Linnertz ab: Ein Anfangsverdacht wegen uneidlicher Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags im April 2023 sei nicht gegeben. Bereits Ende Juli hatte die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen die frühere ADD-Vize Begona Hermann wegen uneidlicher Falschaussage eingestellt. Damit haben auch objektive Falschaussagen vor dem Ausschuss keine Konsequenzen.

ADD-Präsident Thomas Linnertz bei einer Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe des Landtags. - Foto: gik
ADD-Präsident Thomas Linnertz bei einer Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe des Landtags. – Foto: gik

Anfang Mai hatte der Obmann der CDU-Landtagsfraktion, Dirk Herber, Strafanzeige gegen ADD-Präsident Thomas Linnertz gestellt. Der Grund: Herber warf Linnertz vor, dem Untersuchungsausschuss wichtige Beweggründe verschwiegen, und so gegen die Pflicht, vor dem Ausschuss „die Wahrheit zu sagen, und nichts zu verschweigen“ zu verstoßen. Eine solche Falschaussage vor einem Untersuchungsausschuss wäre strafbar, auch wenn der Zeuge nicht vereidigt wurde, und kann eine Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren nach sich ziehen.

Anlass war die letzte Zeugenvernehmung im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal am 27. April 2023: Damals hatte der Ausschuss Linnertz als letzten Zeugen geladen, denn es ging um die Frage, wer denn nun den Urlaub seiner damaligen Vizepräsidentin Begoña Hermann genehmigt hatte. Hermann hatte nur wenige Tage nach der Flutkatastrophe, am 31. Juli 2021, einen zweiwöchigen Urlaub in Kalifornien angetreten – und das, obwohl die Vizepräsidentin in der ADD Leiterin der Abteilung für Katastrophenschutz war.

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Verschwieg Linnertz dem U-Ausschuss „private Gründe“?

Trotzdem stellten Linnertz sowie Mitarbeiter der ADD es in ihren Vernehmungen vor dem Ausschuss so da, als sei Hermann mitten in der größten Krise des Bundeslandes Rheinland-Pfalz und mitten in der ersten Bewältigungsphase nach der Flutkatastrophe im Ahrtal vom 14. Juli 2021 verzíchtbar gewesen: Hermann habe keine feste Funktion im Krisenstab gehabt, die Positionen hätten besetzt, die Abteilung 2 der ADD vertreten werden können – es habe deshalb keinen Grund gegeben, Hermanns Urlaub zu widerrufen.

ADD-Präsident Thomas Linnertz am 27. April 2023 im Fernsehinterview nach Abschluss der Zeugenvernehmung vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal. - Foto: gik
ADD-Präsident Thomas Linnertz am 27. April 2023 im Fernsehinterview nach Abschluss der Zeugenvernehmung vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal. – Foto: gik

Die Frage, ob jemand in Urlaub gehen dürfe, beruhe rein „auf dienstlichen Gründen, und nicht auf dem Urlaubsort“, hatte Linnertz dazu vor dem U-Ausschuss betont, auch am 27. April. Nach der Sitzung jedoch gab der ADD-Präsident vor laufenden Fernsehkameras noch etwas anderes zu Protokoll: Es habe nämlich auch „private Gründe gegeben, die gewichtig waren, zu denen ich hier nichts sagen kann und die letztlich auch eine Rolle gespielt haben“, sagte Linnertz nun.

Damit habe der ADD-Präsident „vor laufender Kamera und vollkommen abweichend von seiner Aussage im Untersuchungsausschuss“ verraten, dass ihm die privaten Beweggründe der Vizepräsidentin „nicht nur bekannt waren, sondern seine Entscheidung beeinflusst haben“, betonte CDU-Obmann Herber – Linnertz‘ Aussage sei deshalb „in zentralen Punkten unvollständig und damit unwahr“ gewesen.

Staatsanwaltschaft: kein Verdacht auf uneidliche Falschaussage

Die Staatsanwaltschaft Mainz lehnte indes nun die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens ab: Ein Anfangsverdacht für eine falsche uneidliche Aussage sei „nicht gegeben“, teilte die Leitende Mainzer Oberstaatsanwältin Andrea Keller am Mittwoch mit. „Ein Zeuge verletzt seine Wahrheitspflicht, wenn er Tatsachen, die für den Gegenstand der Vernehmung erheblich sind, falsch wiedergibt oder – sofern sie mit der Beweisfrage für ihn erkennbar im Zusammenhang stehen – verschweigt“, heißt es in der Pressemitteilung weiter. Linnertz habe in der Sitzung aber gar nicht im Zusammenhang zu diesem Thema Auskunft gegeben, sondern lediglich Fragen der Abgeordneten beantwortet.

Die frühere ADD-Vizepräsidentin Begona Hermann bei ihrer Vernehmung vor dem U-Ausschuss zur Flutkatastrophe. - Foto: gik
Die frühere ADD-Vizepräsidentin Begona Hermann bei ihrer Vernehmung vor dem U-Ausschuss zur Flutkatastrophe. – Foto: gik

Nach der Urlaubsverordnung des Landes Rheinland-Pfalz könne ein bewilligter Urlaub aber nur aus zwingenden dienstlichen Gründen widerrufen werden können – und genau das habe Linnertz in seiner Aussage auch erläutert. So habe Linnertz dargelegt, „dass eine Anwesenheit der Vizepräsidentin aufgrund der bestehenden Organisationsstruktur nicht zwingend erforderlich, und dieser Aspekt maßgeblich für die Entscheidung war, den Urlaub nicht zu widerrufen“, betont die Staatsanwaltschaft weiter. Die Frage, ob es weitere private Gründe für die Entscheidung gegeben habe, sei deshalb nicht erheblich für die Entscheidung gewesen

Linnertz habe „mithin keine Umstände verschwiegen, die seiner Aussage eine grundlegend andere Bedeutung geben könnten“, befand die Staatsanwaltschaft. Dass er nichts habe verschweigen wollen, zeige zudem die Tatsache, dass Linnertz die „privaten Gründe“ ja unmittelbar nach seiner Vernehmung öffentlich gemacht habe – er habe sie also gar nicht verschweigen wollen. Das allerdings berücksichtigt nicht die Tatsache, dass Linnertz das Vorliegen privater Gründe erst nach mehrmaligem hartnäckigen Nachfragen der Journalisten einräumte – von freiwilligem Öffentlich-Machen konnte dabei keine Rede sein. Zudem wusste Linnertz genau, dass der U-Ausschuss soeben seine Zeugenbefragung beendet hatte – und dass eine Wiederaufnahme höchst unwahrscheinlich war.

Fingierte Dienstreise Hermanns bis heute nicht aufgeklärt

Zudem hatte schon im Mai der Obmann der AfD-Fraktion, Michael Frisch, kritisiert, Linnertz habe dem Ausschuss „für ihn entscheidungsrelevante Motive trotz entsprechender Fragen verschwiegen“ – das erfülle sehr wohl den Tatbestand einer uneidlichen Falschaussage. Linnertz hatte in der Tat nicht nur davon gesprochen, dass es irgendwelche private Gründe gegeben habe – sondern er hatte sie als „gewichtig“ und damit als wichtigen Teil der Entscheidungsfindung bezeichnet. Dadurch, dass Linnertz diese Aussage aber dem Ausschuss vorenthalten habe, habe er sich auch jeglicher Nachfragen durch den Ausschuss entzogen, kritisierte Frisch.

Innenminister Michael Ebling (SPD) hatte im Februar überraschend ein Dienstaufsichtsverfahren gegen Hermann eingeleitet. - Foto: gik
Innenminister Michael Ebling (SPD) hatte im Februar überraschend ein Dienstaufsichtsverfahren gegen Hermann eingeleitet. – Foto: gik

Zudem dürfte die Frage, wie wichtig private oder eben dienstliche Motivationen für den Kalifornien-Urlaub Hermanns gewesen waren, durchaus eine wichtige Rolle spielen: Das Mainzer Innenministerium wirft Hermann schließlich bis heute „Vortäuschen einer Dienstreise“ vor,schließlich bis heute „Vortäuschen einer Dienstreise“ vor, weil Hermann für ihre Einreise in die USA einen Antrag auf Sonder-Dienstreise stellte – ohne den sie in Zeiten der Corona-Pandemie gar nicht in die USA hätte einreisen können. Der Antrag wurde zudem auf Briefpapier der ADD gedruckt, und von einem leitenden Mitarbeiter der ADD unterzeichnet – formal trat Hermann damit eine Dienstreise an.

Vor dem U-Ausschuss hatte Hermann diese Details samt und sonders verschwiegen, die Staatsanwaltschaft Mainz hatte im März dieses Jahres Ermittlungen gegen Hermann wegen uneidlicher Falschaussage eingeleitet – und sie prompt wieder eingestellt. Auch hier mochte die Staatsanwaltschaft „keinen hinreichenden Tatverdacht wegen uneidlicher Falschaussage“ sehen, dabei hatte Hermann bei ihrer Vernehmung vor dem Ausschuss nur von einer familiär bedingten Urlaubsreise gesprochen – die Details mit Dienstreise-Visum aber verschwiegen.

Staatsanwaltschaft: Aussagen zur Anwesenheit im Krisenstab beurteilt

Die Staatsanwaltschaft beruft sich indes bei ihrer Ablehnung auf einen anderen Teil von Hermanns Aussage: AfD-Obmann Frisch hatte nämlich Ende Februar eine Strafanzeige gegen Hermann auf den Weg gebracht – aber weil die frühere ADD-Vize „den Ausschuss über ihre Anwesenheit in der Einsatzleitung in Ahrweiler offensichtlich belogen“ habe, wie Frisch zur Begründung angab. Hermann hatte vor dem Ausschuss nämlich angegeben, sie sei vom 23. bis zum 30. Juli 2021 „auf jeden Fall“ im Ahrtal im Einsatz gewesen, im Nachhinein hatte sich das aber als falsch herausgestellt. Hermann war lediglich vier Tage vor Ort.

AfD-Obmann Michael Frisch (links) mit einem Mitarbeiter. - Foto: gik
AfD-Obmann Michael Frisch (links) mit einem Mitarbeiter. – Foto: gik

Doch die Staatsanwaltschaft wertete das als „Irrtum“:  Der objektive Widerspruch habe sich zwar erhärtet, Hermann sei sich aber zum Zeitpunkt ihrer Aussage nicht bewusst gewesen, „dass ihre Angaben objektiv falsch waren, oder sie die Unrichtigkeit ihrer Aussage aus Gleichgültigkeit in Kauf nahm.“ Hermann habe sich bei ihrer Aussage auf Notizen gestützt, die unvollständig gewesen seien – und zudem im Nachhinein ihren Fehler eingestanden und korrigiert.

Frisch sagte dazu auf Mainz&-Anfrage: „Ich kann die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nicht nachvollziehen, und halte die Begründung für wenig plausibel.“ Hermann habe im Ausschuss ausdrücklich gesagt, sie sei „sicher bis zum 30. Juli in Ahrweiler“ gewesen. „Ich kann mit nicht vorstellen, dass sie keine Erinnerung hat, wo sie vor ihrem Urlaub war“, betonte Frisch. Hermann habe ja auch erst einmal versucht, dem Ausschuss klar zu machen, sie sei eine Woche später in Urlaub geflogen – erst auf Nachfrage der habe sie sich korrigieren müssen.

Frisch: „Zwei Tage zusätzliche Anwesenheit vorgetäuscht“

„Ich glaube, sie hat versucht, zwei Tage zusätzliche Anwesenheit in der Einsatzleitung vorzutäuschen, damit sie nicht ganz so schlecht dastand“, sagte Frisch weiter. Wahrscheinlich habe Hermann „an den beiden Tagen in Trier ihren Urlaub geplant, Koffer gepackt und alles vorbereitet“, argwöhnte er. Die Einstellung des Verfahrens halte er deshalb für eine falsche Entscheidung, „das hat ein Geschmäckle“, fügte er hinzu.

Der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, im U-Ausschuss des Landtags. - Foto: gik
Der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, im U-Ausschuss des Landtags. – Foto: gik

Kritik hagelte es aber auch von den Freien Wählern: „Ich kann die Einschätzung der Staatsanwaltschaft nicht nachvollziehen“, sagte der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, die Begründung sei „wenig überzeugend.“ Er habe erhebliche Zweifel, „dass man sich als Vizepräsidentin der ADD nach der schlimmsten Flutkatastrophe, die Rheinland-Pfalz jemals gesehen hat, trotz Notizen nicht mehr daran erinnern kann, wo man sich in den Tagen nach der Flut und Übernahme der Einsatzleitung aufgehalten hat“, kritisierte Wefelscheid: Viele andere Zeugen hätten „genau sagen können, wann sie wo waren und was sie gemacht haben – und die waren keine Führungskräfte der ADD.“

„Sollte man aber über diese Brücke gehen, dass Frau Hermann wirklich nicht mehr wusste, wo sie in den Tagen nach der Flut war, würde dies einmal mehr zeigen, dass die ADD mit der Aufgabe völlig überfordert war“, bilanzierte Wefelscheid weiter: „Wenn man als Führungskraft gefordert ist, dann weiß man, wo man war und was man gemacht hat, und fährt bestimmt nicht in den Urlaub!“

Linnertz: „Dann ist es ja kein Steuergeld mehr…“

Dazu kommt: Das Innenministerium führt weiter ein Disziplinarverfahren gegen Hermann, das bis heute nicht abgeschlossen ist – und beantwortet seither keinerlei Fragen mehr zu den Vorgängen. Die Umstände der Urlaubsreise sind aber ungeklärt, vor allem die Frage, wie Hermann mit ein Sondervisa in die USA beantrage und damit auch einreisen konnte, obwohl sie angeblich eine rein private Reise nach Sacramento absolvierte.

Landwirt Markus Wipperfürth in der SWR-Reportage "Hetzer, Helfer, Held". - Screenshot: gik
Landwirt Markus Wipperfürth in der SWR-Reportage „Hetzer, Helfer, Held“. – Screenshot: gik

Und auch ADD-Präsident Linnertz steht weiter heftig in der Kritik: Mitte Juli hatte ihm CDU-Landeschef Christian Baldauf ein äußerst „zweifelhaftes Rechtsverständnis“  in Bezug auf den Umgang mit Steuergeldern attestiert. Hintergrund war die SWR-Reportage „Betrifft: Helfer, Hetzer, Held“, in der es maßgeblich um die Frage von Hetzkampagnen gegen unbequeme Helfer nach der Ahrflut ging, insbesondere gegen den Pulheimer Landwirt Markus Wipperfürth.

In dem Film ging es auch um die Verwendung von Steuergeldern, die in Millionenhöhe vom Land an die Frankfurter Eventmanagerin Missy Motown für Dienstleistungen im Ahrtal geflossen waren. Linnertz hatte dazu in dem Film im Interview gesagt: In der Tat seien Motowns Dienstleistungen mit Steuergeldern bezahlt worden – „aber danach ist es ja kein Steuergeld mehr“, also könne ein Unternehmer damit machen, was er wolle.

Baldauf zeigte sich entsetzt: „Der Chef der wichtigsten Mittelbehörde in Rheinland-Pfalz sollte sich schämen, derart sorglos über den Umgang mit Steuergeld vor Kameras zu plaudern“, schimpfte er: „Ich frage mich, wie gründlich die ADD eigentlich überprüft, ob Steuergeld ordnungsgemäß verwendet wird.“ Es sei niemals reine Angelegenheit eines Unternehmens, was es mit dem Geld der Bürger anstelle, betonte Baldauf, und kritisierte: „Wie lange will Linnertz sein unprofessionelles Treiben an der Spitze der ADD eigentlich noch fortsetzen?“

Info& auf Mainz&: Mehr zu dem Themenkomplex Flutkatastrophe Ahrtal, Untersuchungsausschuss sowie Hass und Hetze gegen Ahrtal-Helfer findet Ihr ausführlich hier in unserem großen Mainz&-Dossier zur Flutkatastrophe im Ahrtal. Eine Bilanz der Arbeit des Untersuchungsausschusses findet Ihr zudem hier:

Buch „Flutkatastrophe Ahrtal – Chronik eines Staatsversagens“ arbeitet politisches Versagen in der Flutnacht auf