Der Satz des Tages stammte von Rolf Mützenich, seines Zeichens SPD-Fraktionschef im Deutschen Bundestag: Friedrich Merz habe mit dem gemeinsamen Abstimmen mit der AfD „das Tor zur Hölle“ geöffnet. Auch von „Schuld“ war vielfach die Rede, Robert Habeck, immerhin Vizekanzler von den Grünen, forderte gar „eine Umkehr“ nach dem „Sündenfall“. Echt jetzt? Hölle, Verdammnis und Sündenfall beherrschen seither im Wahlkampf zur Bundestagswahl von SPD und Grünen aus die Debatte – wer so redet, will der noch Demokratie oder Kompromiss? Oder „ex cathedra“ bestimmen? Eine „Mainz& politisch“-Kolumne über die Macht der Sprache und die Frage: Ist Friedrich Merz wirklich gescheitert?

Entsetzen bei FDP-Fraktionschef Christian Dürr. - Screenshot via WELT
Entsetzen bei FDP-Fraktionschef Christian Dürr. – Screenshot via WELT

Das Bild des Freitags war eigentlich das, wie Christian Dürr vor den Kameras stand. Fassungslos, erschüttert, den Tränen nah – so stand der Fraktionschef der FDP im Deutschen Bundestag, nach drei Stunden intensivstem Ringen, und versuchte zu erklären, warum das wichtigste Gut der Demokratie gerade krachend gescheitert war: der Kompromiss. Was Dürr so erschütterte war nicht, dass Friedrich Merz einen Gesetzentwurf für eine schärfere Migrationspolitik eingebracht hatte. Es war auch nicht die Tatsache, dass womöglich die AfD einem Gesetz zustimmen würde, das die Opposition eingebracht hatte – das passiert nämlich andauernd.

Was den FDP-Mann so erschütterte war, dass er gerade drei Stunden lang gegen eine Mauer gelaufen war. Nicht etwa die Brandmauer zur AfD, sondern die pure, überhebliche Verweigerungshaltung von SPD und Grünen, sich auch nur einen Millimeter auf die Union zuzubewegen. Irgendeinen Kompromiss in Sachen Migrationspolitik zuzulassen. Stattdessen warf man höchst wohlfeil CDU-Chef Friedrich Merz „Erpressung“ vor, weil der auf seinen Inhalten bestand – o Wunder.

- Werbung -
Werben auf Mainz&

„Die SPD will den „Antifa“ Wahlkampf“

Die FDP hatte an jenem Freitagmorgen im Bundestag versucht, den Gesetzentwurf der CDU vom Tisch zu bekommen – ohne dass eine weitere Abstimmung mit der AfD erfolgen würde. Die Inhalte: weitgehend konsensfähig. In dem Gesetzentwurf standen Forderungen, denen bereits die Ministerpräsidentenkonferenz zugestimmt hatte. Inhalte, die selbst der SPD-Kanzler wollte. Inhalte, die die Deutsche Polizeigewerkschaft dringend forderte. Dennoch rannte Dürr gegen eine Mauer, und alle politischen Beobachter in Berlin waren sich einig. Die Blockade ging von SPD und Grünen aus.

Hölle im Deutschen Bundestag? - Foto: Deutscher Budnestag
Hölle im Deutschen Bundestag? – Foto: Deutscher Budnestag

Dürr wollte verhindern, dass zum zweiten Mal binnen zwei Tagen ein Antrag oder Gesetz eine Mehrheit im Deutschen Bundestag mit den Stimmen der AfD bekam. Der FDP-Fraktionschef hatte dabei durchaus auch eigene Interessen im Sinn: Ein Gutteil seiner eigenen Leute drohte, von der Fahne zu gehen. Tatsächlich erschienen am Ende 16 FDP-Abgeordnete gar nicht zur Stimmabgabe, fünf enthielten sich, zwei stimmten mit Nein.  Also tat die FDP, was im Parlamentarismus Gang und Gäbe ist: sie suchte nach Konsens. Nach Kompromissen. Schlug hier eine Lösung vor, warb dort dafür.

Und erst sah es tatsächlich so aus, als würden SPD und Grüne zustimmen – inhaltlich wäre da was gegangen. Doch dann packte offenbar jemand die Pfeife aus, und die Peitsche gleich mit: „Die SPD hat gerade die Verhandlungen platzen lassen“, twittert der gewöhnlich sehr gut unterrichtete Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der WELT: „Die SPD will den Antifa-Wahlkampf.“ Christian Dürr stand vor einem Scherbenhaufen, angerichtet von Sozialdemokraten und Grüne.

Mützenich und die „Tore zur Hölle“: Verdammnis und Umkehr

Wenig später lieferte niemand anderes als SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich im Parlamentsrund den Beweis: Erst ätzte Mützenich über Dürr, der solle doch mal lieber seiner Rede lauschen anstatt in der Lobby Pressestatements zu geben – dass Dürr verzweifelt versuchte, das Scheitern der Gespräche zu erklären, war dem SPD-Fraktionschef egal. Stattdessen wetterte Mützenich vom Rednerpult des Bundestages, als wäre er ein puritanischer Eiferer auf einer Kanzel: „Wir können die Tore zur Hölle noch schließen!“ Wenn, ja wenn sich Friedrich Merz besinne – und „umkehre“.

Vorstellung von der Hölle und ihrem Fürst Luzifer im Mittelalter. Quelle: Terra X via Wikipedia
Vorstellung von der Hölle und ihrem Fürst Luzifer im Mittelalter. Quelle: Terra X via Wikipedia

Hölle? Umkehr? Die beobachtende Journalistin rieb sich verwundert die Augen: Was, bitteschön, redete der SPD-Fraktionschef denn da?!? Sind politische Meinungen und Haltungen im Deutschen Bundestag jetzt auf einmal eine Frage von Hölle und Verdammnis? Das letzte Mal, dass Mächtige auch in der Politik den Menschen mit der Hölle drohten, war in der Zeit von Luther und der nachfolgenden Renaissance, den Glaubenskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts: Die Kirche, die sich verzweifelt gegen jede Reform und jede Selbstkritik verwahrte, fuhr Hölle, Verdammnis und Fegefeuer auf.

Wer es wagte anderer Meinung zu sein, war ein abtrünniger Ketzer – und auf die wartete der Scheiterhaufen. Auch die Ketzer wurden übrigens „zur Umkehr“ gemahnt, zum Abschwören Ihrer ketzerischen Thesen – ganz so, wie Mützenich es am Freitag im Plenarsaal voller Pathos tat. Seither hatte sich Europa eigentlich auf den Pfad der Aufklärung begeben, hatte dem Argument und der Vernunft Vorrang eingeräumt vor Moralkeulen und Höllenverdammnis. Bis heute.

Werbung

 

Moral, Selbstgefälligkeit, Reformunfähigkeit – woran erinnert das?

Was Rolf Mützenich da im Bundestag auspackte, ließ einen tiefen Blick in die politische Seele der SPD zu: Moral und Selbstgerechtigkeit – aber kein bisschen Selbstkritik. Genau so zieht die SPD mit ihrem Kanzler Olaf Scholz durch den Wahlkampf, als hätte sie nicht die vergangenen drei Jahre regiert – und das Land in einen beispiellosen Abwärtsstrudel gerissen. Nach den unbestrittenen Anfangserfolgen beim Ausbruch des Ukraine-Krieges und in der Energiekrise, geht es seitdem: nur noch abwärts.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich bei seiner Rede im deutschen Bundestag. - Screenshot: gik
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich bei seiner Rede im deutschen Bundestag. – Screenshot: gik

Die Wirtschaft steuert gerade in ihr drittes Jahr der Rezession in Folge – das gab es seit dem zweiten Weltkrieg noch nie. Die Energiepreise: Auf Rekordhoch. Transformationsprojekte wie E-Mobilität: krachend gescheitert – und die Automobilindustrie in einen nicht absehbaren Strudel gerissen. Eine strukturierte Migrationspolitik mit dringend notwendiger Entlastung der Kommunen: verweigert. Die AfD, die bei der Wahl 2021 noch bei rund 10 Prozent lag, gestärkt – die in Teilen rechtsextreme Partei dürfte sich nach nur drei Jahren Ampel auf mehr als 20 Prozent verdoppeln.

Doch Mützenich zelebrierte nicht etwa Demut, breitete nicht etwa Argumente oder gar politische Programme aus – oh nein: Wer „die Hölle“ heraufbeschwören muss, dem fehlt jegliche argumentative Überzeugungskraft. Der setzt sich auf ein Ross der moralischen Überheblichkeit, das schlicht keinen Raum mehr lässt für Kompromiss oder auch nur Reden. Wozu auch – wo ich bin ist ja die gerechte Sache, nicht wahr?

Moralischer Kompass der Grünen: Wir sind „die Guten“

Flankiert wird das durch Grüne, die exakt den gleichen moralischen Kompass zelebrieren: „Wir sind die Guten“, wirbt Robert Habeck gerade allen Ernstes auf seinen Plakaten im Wahlkampf. Aber: wenn man selbst „die Guten“ ist – was ist dann der Rest? Richtig: die Bösen. Der Abgrund. Diejenigen, die „gerettet“ werden müssen, weil sie ja „fehl“ gehen. Am Dienstagabend mahnte Robert Habeck in der Talkshow bei Markus Lanz allen Ernstes Friedrich Merz „zur Umkehr“. Das ist das Vokabular religiöser Eiferer: Tue Buße! Bereue! Die Hölle lässt grüßen.

Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck bei seinem Auftritt in Mainz: Wir sind "die Guten". - Foto: gik
Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck bei seinem Auftritt in Mainz: Wir sind „die Guten“. – Foto: gik

Es war das historische Verdienst der Demokratie, sich über genau diesen moralischen Rigorismus zu erheben, ja: ihn abzuschaffen. Die Basis für die Demokratie ist die Philosophie des Abendlandes, allen voran der antiken Griechen: Sie machten vor, wie Abwägen, Debattieren, rhetorisches Ringen geht, die Römer übernahmen es in ihrer Republik, in ihrem Senat. „Diskurs“ ist nicht umsonst ein lateinisches Wort. In dem hohen Hause der Römer wurde mit vehementen Wortgefechten gerungen um den richtigen Weg, zwischen Cicero und Kollegen gab es kunstvolle Schmähreden und Wortgefechte – aber eines gab es nicht: Hölle und Verdammnis waren nicht nur unter der Würde der Römer, sie waren schlicht keine Kategorie der argumentativen Auseinandersetzung.

Aus gutem Grund: Kategorien von „Hölle“ und „Verdammnis“ kennen nur Schwarz oder Weiß, oben oder unten – die „Gerechten“ im „Himmel“ oder die „Verdammten“ auf dem Weg zur Hölle. Das ist das Gegenteil von Diskurs – das setzt die eigene Haltung absolut als richtig, wahr und einzig legitimen Weg. Das ist das Gegenteil dessen, was Demokratie tut: Kompromisse zu suchen und aufeinander zuzugehen. Das Gesicht von Christian Dürr sprach Bände: pure Fassungslosigkeit, ja: Entsetzen, sprach aus seinem Blick.

Lila Karte und Moralkeule statt Argument und Debatte

Es war Volker Bouffier, immerhin ein CDU-Mann und bekannt als „Schwarzer Sheriff“, der 2013 den legendären Satz sagte: „Jetzt stellen wir uns mal vor, der andere könnte auch Recht haben.“ Es war der Beginn eines Aufeinander-Zugehens, das zur ersten schwarz-grünen Koalition in einem Bundesland führte – und zu einer stabilen, von Respekt füreinander geprägten Regierung. „Seit heute Nacht sagen wir ‚Volker‘ und ‚Tarek‘ zueinander“, berichtete der Grüne Tarek Al-Wazir damals, noch immer ein wenig erstaunt.

Im Bundestag zog die grüne Außenministerin Annalena Baerbock allen ernstes die Feminismus-Karte, als ihr ein sehr ernster und persönlicher Fragesteller aus Reihen der Union Unwahrheiten aufzeigte. „Wenn Männer nicht mehr weiter wissen, bezichtigen sie Frauen der Lüge“, sprach Frau Baerbock – man könnte auch sagen: Wenn grüne Außenministerinnen nicht mehr weiter wissen, ziehen sie das, was früher mal „Lila Karte“ hieß. Und im Foyer sprach dann noch die rheinland-pfälzische Grünen-Bundestagsabgeordnete Misbah Khan mit großen Augen in die SWR-Kamera, sie sei zutiefst erschreckt von diesem Tag – weil „eine Partei wie die FDP nach Rechts rutscht.“

So weit sind wir also: Konsenssuche, das Ringen um eine gemeinsame Lösung – das ist also „nach Rechts rutschen“? Das ist es immer dann, wenn die angebotene Lösung Grünen und SPD nicht in den Kram passt – genau so funktioniert die Tabuisierung einer Meinung, die mir nicht genehm ist. Die Moralisierung einer Auseinandersetzung ist das Ende des Diskurses: Ich habe Recht, Du Unrecht – und wenn Du widersprichst, bist Du ein Nazi. Und schmorst – natürlich –  in der Hölle. Was macht es aber mit einer Demokratie, wenn man seine eigene Haltungen absolut stellt?

Angriffe auf CDU und FDP: „Wir sind ja jetzt alle Nazis“

„Wir sind ja jetzt alle Nazis“, sagte an jenem Freitag ein Christdemokrat am Telefon. Es klang sarkastisch, aber auch ein ganzes Stück weit fassungslos: SPD und Grüne drücken dieser Republik gerade ein Narrativ, eine Sichtweise mit Alleindeutungsanspruch auf: Ich gut, Du Nazi. Das vielleicht Erschreckendste dabei: Hunderttausende folgen diesem Narrativ, getriggert allein durch das Wort „Nazi“ – und meist bar jeder Kenntnis der Fakten.

FDP-Plakat in Mainz, beschmiert mit dem Wort "Nazi". - Foto: privat
FDP-Plakat in Mainz, beschmiert mit dem Wort „Nazi“. – Foto: privat

Das ist ein wohl einmaliger Tabubruch in der bundesdeutschen Republik: Eine hoch seriöse, zutiefst demokratische Partei, die seit Jahrzehnten dieses Land regiert hat – deutlich länger als Sozialdemokraten -, ja, die zum demokratische Fundament dieser Republik gehört, wird vom politischen Gegner pauschal (!) als „Nazis“ verunglimpft. Mit Folgen: Die verbale Brandstiftung mündete in beschmierten CDU-Geschäftsstellen, in gestürmten Bürgerbüros – und in den Morddrohungen gegen eine ganz gewöhnliche Angestellte in einem CDU-Büro. Nicht im aufgeheizten Berlin, sondern in Mainz, in der angeblich so toleranten Provinz, wurde ihr gedroht: „Wir stechen Dich ab.“ Ihr „Verbrechen“: Für die CDU zu arbeiten. Für „Nazis“.

„Wir sind heute an unserem Wahlkampfstand als Nazis beschimpft worden“, berichtete eine ganz normale CDU-Kommunalpolitikerin aus Grevenbroich am Samstag auf Facebook – zutiefst erschüttert: „Das verletzt mich tief“, schrieb die Frau weiter: „Wir setzen uns tagtäglich für Frieden, Freiheit, Respekt und Demokratie ein, wir sind keine Nazis, sondern kämpfen für eine bessere Zukunft in unserem Land. Wir sind und bleiben Demokraten.“ Auch in Mainz wurden Politiker beschimpft und angespuckt, Plakate mit der großen Aufschrift „NAZI“ beschmiert – übrigens auch Plakate der FDP und ihres Direktkandidaten David Dietz.

„Merz Kann es nicht“: Was genau, eigentlich?

Was Worte anrichten können, weiß diese Republik seit den Exzessen der Nationalsozialisten ganz genau, „Worte wie Gift und Drogen“, hieß im Januar 2017 eine Ausstellung in Mainz, die von der Verharmlosung durch Worte erzählte, und davon, wie die Sprache der Nationalsozialisten den Weg bereitete zu Verfolgung, Tod und Vernichtung. „Sie nannten ihn einen Juden“, schrieb Max Frisch in „Andorra“ Wie kann es sein, dass ausgerechnete die SPD, die den Kampf gegen den Faschismus zu ihrer DNA rechnet, die Partei eines Willy Brandts jetzt „Hölle und Verdammnis“ predigt?

Startseite bei Spiegel Online nach der Abstimmung im Bundestag. - Screenshot: gik
Startseite bei Spiegel Online nach der Abstimmung im Bundestag. – Screenshot: gik

Und wie kann es sein, dass ihre Vertreter dafür tosende Ovationen bekommen – und Hunderttausende diesen Worten auf die Straße folgen? Sie auf Plakate schreiben, sie im Winde schwenken? Auch in Mainz fand am Samstag wieder eine „Demonstration gegen Rechts“ statt, auch hier wurden dabei wieder gegen Friedrich Merz protestiert, als hätte die CDU die Menschenrechte gekippt.

Bundesweit titelten die Meiden am Tag nach der Freitagsdebatte: „Merz gescheitert“. Auf der Startseite von „Spiegel online“ prangte gar über Stunden die Headline „Er kann es nicht.“ Und die Beobachterin fragte sich verwirrt: Was genau, eigentlich? Die Antwort blieb der Artikel schuldig, das Geraune verdichtete sich schließlich zum apodiktischen Urteil: Merz kann nicht Kanzler. Hatte schließlich ja schon „Mutti“ gesagt, von den Medien beflissentlich aufgenommen und weithin kolportiert.

Ist Friedrich Merz eigentlich schon Kanzler? Und wo war Olaf Scholz?

Aber was genau, „konnte“ Friedrich Merz da am Freitag eigentlich nicht? Dass er keinen Konsens hinbekommen hat, haben wir schon geklärt – und an wem das wohl maßgeblich lag. Nur: Wessen Aufgabe wäre es denn eigentlich gewesen, einen Konsens herbeizuführen? Wer regiert eigentlich in diesem Land – und wer hielt bis vor Kurzem die Mehrheit? Offenbar muss man die Republik noch einmal daran erinnern: die CDU ist es NICHT.

CDU-Kanzlerkandidat Friedrich merz bei einer Rede. - Foto: CDU, Tobias Koch
CDU-Kanzlerkandidat Friedrich merz bei einer Rede. – Foto: CDU, Tobias Koch

In einer geradezu beispiellosen Umkehrung der realen Verhältnisse kommentierte und diskutierte diese Republik – als wäre Friedrich Merz längst Kanzler. Aber der CDU-Chef ist immer noch in der Opposition, die CDU hält keine Mehrheit im Parlament. Bringt eine Opposition einen eigenen Gesetzentwurf in ein Parlament ein, weiß sie genau, dass dieser scheitern wird – genau das passiert jeden Tag in dieser Republik, hundertfach, es ist normal, ja: ein Teil der Demokratie. Das „Scheitern“ ist systemimmanent – sonst wäre die Opposition ja die Regierung.

Dennoch bringen Oppositionspolitiker landauf, landab ständig eigene Anträge und sogar Gesetze in die Parlamente ein – sie wollen damit zeigen, welche Lösungen sie für ein Thema zu bieten haben. Was sie tun werden, wenn sie bei der nächsten Wahl gewinnen sollten. Zu fordern, dass doch bitte nicht zu machen – wäre das Ende des Parlamentarismus. Im Grunde also werfen die Kommentatoren Merz genau das vor, was er eben NICHT getan hat: eine Koalition mit AfD und vielleicht noch BSW aktiv (!) zu schmieden, um eine Mehrheit für sein Gesetz zu finden.

Ein ganzes Parlament gezwungen, Farbe zu bekennen

Friedrich Merz wollte ganz offensichtlich der Republik zeigen, was er an Lösungen nach den Anschlägen von Magdeburg und Aschaffenburg zu bieten hat. Dass er ein Fanal wie Aschaffenburg mit dem Mord an einem zweijährige Kind eben nicht einfach so schulterzuckend verstreichen lassen wollte. Merz wollt zeigen, dass er bereit ist zu Handeln, Entschlossenheit demonstrieren, Lösungen vorlegen. Man muss die Lösungen nicht mögen, auch nicht den Mann, der sie vorlegt – aber nichts daran ist demokratiefeindlich oder gar rechtsextrem.

Die tief stehende Sonne beleuchtet den Plenarsaal. Blick auf den Bundestagsadler. Blick ins Plenum. - Foto: Bundestag
Die tief stehende Sonne beleuchtet den Plenarsaal. Blick auf den Bundestagsadler. Blick ins Plenum. – Foto: Bundestag

Friedrich Merz hat Politiker, ja, ein ganzes Parlament, das seit Jahren nur lamentiert, Betroffenheit verströmt, aber sich als unfähig zu entschlossenem Handeln

entpuppte, gezwungen, Farbe zu bekennen. SPD und Grüne haben darauf mit einer hämischen Totalblockade reagiert – samt moralischem Himmel-Hölle-Getöse. Und jetzt noch einmal die Frage: Inwiefern ist Friedrich Merz eigentlich gescheitert? Warum genau soll das zeigen, dass „er nicht Kanzler kann“?

Ist Friedrich Merz wirklich „gescheitert“ – oder hat er nicht vielleicht – wie die bedröppelten Gesichter der AfD-Granden nahelegten – einer Partei den Wind aus den Segeln genommen, die das Thema Migration bislang im Alleingang kaperte? Und die – man muss daran erinnern – ansonsten den Gesetzentwurf der CDU im Alleingang ins Parlament eingebracht hätte – damit die CDU gezwungen gewesen wäre, gegen ihre eigenen Beschlüsse zu stimmen. Womit Friedrich Merz vollends düpiert dagestanden hätte.

Werbung

 

Merz in den Umfragen deutlich gestärkt, Bevölkerung fasziniert

Und entgegen aller Unkenrufe der Medien stellte sich diese Woche heraus: In den Umfragen legte die CDU tendenziell eher zu, als zu verlieren – und Friedrich Merz‘ persönliche Kompetenzwerte stiegen deutlich. Die Bevölkerung reagierte – nanu? – so ganz anders als die vorgefasste Meinung Berliner Kommentatoren, die in einem geradezu manipulativen Bericht von ZDF heute vom CDU-Parteitag am Montag gipfelte: Statt dem lauten Jubel zu Merz Rede zeigte der Beitrag CDU-ler mit verschränkten Armen und abweisenden Mienen.

Und in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke häuften sich Posts wie dieser: „Zuletzt in den 70ern so gespannt Parlament geguckt“, schrieb da Wettermann Kachelmann auf X, zahlreiche Follower stimmten begeistert zu: Man müsse eigentlich dringend arbeiten, klebe aber am Fernseher – es sei ja soooo spannend! Man fühlte sich an die Debatten zwischen Willy Brandt und Reiner Barzel 1972 erinnert, so wie Kachelmann auch: „…und immer gehofft, dass der Abgeordnete Wehner das Wort bekommt.“

Die nostalgische Erinnerung gilt den großen, heute legendären Redeschlachten im Deutschen Bundestag zu Bonn, als zwischen den Kontrahenten die Fetzen flogen und um die Zukunft und die Haltung der Republik gerungen wurde. Offenbar ist die Sehnsucht nach echten Wortschlachten im Bundestag groß – sie gelten nicht umsonst als „Sternstunden der Demokratie“. Weil in ihnen Argumente und Ansätze ausgelotet werden, weil um Lösungen gerungen wird, weil Unterschiede sichtbar werden – etwas, was diese Republik in den Merkel-Jahren völlig verloren hatte. Aber die Debatte ist das Lebenselixier der Demokratie, ihre die Lebensader wieder geöffnet, hat indes genau der, den sie dafür jetzt jagen: Friedrich Merz.

Die breite Zustimmung aus der Bevölkerung spielte medial indes kaum eine Rolle: Bereits am Freitagabend wurde Merz bei einem Auftritt in Erfurt stürmisch gefeiert. Von „Jubel und Applaus“ der rund 700 Zuhörer im Saal, berichteten etwa FAZ und NTV. Vor der Tür: Rund 1500 Demonstranten. Die Schlagzeilen: „1.500 Menschen protestieren gegen Merz.“ Nicht etwa: Merz erntet nach Auftritt im Bundestag Jubel und Zustimmung. „Merz ist nicht gefallen, er hat Stärke und Charakter bewiesen“, kommentierte ein User in den sozialen Medien: „Ihm ist im Gegensatz zu vielen Abgeordneten des Bundestags die Sicherheit der Bürger nicht völlig egal.“

Vater von ermordeter Ann-Marie bei Lanz: „Handelt endlich“

Es war am Donnerstagabend, als bei Markus Lanz in der Talkshow Michael Kyrath saß. Seine Tochter Ann-Marie wurde im Januar 2023 von einem palästinensischen Flüchtling mit einem Messer ermordet, als sie in einem Regionalzug saß. Die 17 Jahre alte Schülerin aus Elmshorn war in Begleitung ihres 19 Jahre alten Freundes Danny, beide sterben unter den wütenden Messerstichen von Ibrahim A., der inzwischen dafür verurteilt wurde. Was Ann-Maries Vater Michael Kyrath sagte, war dies:

Er sei in Kontakt mit „mehr als 300 (!) Elternpaaren, die ihre Kinder auf dieselbe Art und Weise verloren hätten. „Was uns alle eint: Es ist immer dasselbe Täterprofil. Es ist immer dasselbe Tatwerkzeug. Es ist nahezu derselbe Tathergang. Es sind nahezu dieselben Tatmotive. Und es sind am Ende einer Tat dieselben Floskeln, die wir seit Jahren hören: Die Versprechungen der Politiker, ja, wir machen. Wir tun, wir sprechen drüber. Geschehen ist überhaupt gar nichts. Es wird hier nur diskutiert und um irgendwelches ‚Anzünden von Deutschland‘ gesprochen. Es geht hier um Menschenleben, es geht hier um Kinderleben. Fangt endlich an, unserer Kinder zu schützen!“

Laut einer INSA-Umfrage im Auftrag der BILD am Donnerstag konnten sich nach der Abstimmung vom Mittwoch 20 Prozent der AfD-Anhänger vorstellen – CDU zu wählen. „Insgesamt zeigt die Umfrage einen Trend, nach dem Friedrich Merz bei Wählern rechts der Mitte an Sympathie dazugewann, bei Wählern links der Mitte hingegen verlor“, schreibt die Berliner Zeitung dazu. „Das mit dem ‚zu Fall bringen'“ von Friedrich Merz, schrieb am Ende noch einer auf X, „ist wohl eher eine Fehleinschätzung. Wait and see. We listened and we vote.“

Info& auf Mainz&: Die sehr sehenswerte Folge von „Markus Lanz“ vom 30. Januar 2025 findet Ihr hier im Internet. Mehr zum Thema Brandmauer, Nazikeulen und dem Versuch, die CDU in den Parlamenten einzumauern, lest Ihr hier bei Mainz&.