An Pfingsten ist für normalerweise die Mainzer Zitadelle der Anziehungspunkt von mehreren zehntausend Menschen. Es wird gelacht, gefeiert, abgetanzt und diskutiert – nicht so in diesem Jahr: Im Jahr zwei der Corona-Pandemie lag eine irgendwie unwirkliche Ruhe über dem Festivalgelände. Zwei Bühnen auf der großen Festivalwiese, drei Pavillons – das wars. Und doch fand das Open Ohr Festival 2021 statt, mit intensiven Debatten, cooler Musik und sogar dem traditionellen Platzregen, all das kam digital per Livestream zu den Zuschauern ins Haus. Das Thema: Familienbande und Familienbilder – Mainz& hat sich am ersten Festivaltag auf der Zitadelle vor Ort umgeschaut.

Das Mainzer Open Ohr 2021 fand zwar auf der Mainzer Zitadelle, aber ohne Zuschauer statt. - Foto: gik
Das Mainzer Open Ohr 2021 fand zwar auf der Mainzer Zitadelle, aber ohne Zuschauer statt. – Foto: gik

„Wo ist der Nudelsalat?!“ Die Frage schallt über das Open Ohr, aber Ach: Sie schallt nur durch digitale Zeit und Raum. Es ist Samstagnachmittag, und die große Wiese vor der Hauptbühne ist praktisch menschenleer. 20, vielleicht 30 Personen tummeln sich zwischen den drei Pavillons, zwei Bühnen bevölkern die große Wiese, wo sich sonst Tausende drängen. Es ist Open Ohr, aber die Festivalgemeinde sitzt samt Nudelsalat zu Hause – vor dem Livestream.

„Wir sind so froh, dass wir hier sein können“, sagt Laura Kaluza, und strahlt: „Bei der Musik hatte ich schon das Gefühl – es ist doch Festival.“ Stell Dir vor, es ist Open Ohr Festival, und niemand geht hin – was 45 Jahre lang wie ein echter Witz geklungen hätte, in diesem Jahr wurde es wahr: Das 47. Open Ohr Festival fand ohne Zuschauer vor Ort statt. Kein Bierstand, an dem man sich trifft und klönt, keine bunten Marktstände zum Stöbern.

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Das Festival-Setup 2021: Zwei Bühnen, drei Pavillons, viel Technik und sehr viel leere Wiese. - Foto: gik
Das Festival-Setup 2021: Zwei Bühnen, drei Pavillons, viel Technik und sehr viel leere Wiese. – Foto: gik

„Wir haben uns letztes Jahr nicht gesehen, und wollten diesen Zustand auf keinen Fall wiederholen“, sagte Sozialdezernent Eckart Lensch (SPD) zur Eröffnung „dieses außergewöhnlichen Festivals“ 2021 – das „Sehen“ allerdings beschränkte sich in diesem Jahr nur auf eine Richtung: Per Livestream kam das Open Ohr 2021 in die Wohnzimmer der Zuschauer, die konnten anderthalb Tage lang Musik, Podien und Kabarett live erleben –  einander sehen und treffen, das ging Corona-bedingt auch 2021 nicht. „Das ist für uns auch eine Premiere, ein Sprung ins kalte Wasser“, sagt Linda Artz von der Freien Projektgruppe, „sonst hat man eine gewisse Routine, dieses Jahr ist alles neu.“

„Es ist ein riesiger Aufwand“, sagt Laura Kaluza, der Technikaufwand ist in diesem Jahr außergewöhnlich. Ein eigener Breitbandanschluss musste her, für den Livestream wurde eine Extra-Technikfirma engagiert, zusätzlich zum Bühnenteam. Zwei Kameras waren an der Podien-Bühne fest installiert, davor überträgt eine fest installierte Kamera unter einem Pavillon das Geschehen auf der Bühne, eine bewegliche Kamera wird von einer Kamerafrau vor der Bühne entlang geführt – von Filmstudenten, die das Festival unterstützen.

Professionelle Kameratechnik brachte den Livestream von der Zitadelle ins Netz. - Foto: gik
Professionelle Kameratechnik brachte den Livestream von der Zitadelle ins Netz. – Foto: gik

„Wir haben auch eine Drohne, die kann nur im Moment wegen des Windes nicht fliegen“, berichtet Julia Bräunig von der Freien Projektgruppe. In der Tat: Am Samstag rauscht der Wind über das Gelände der Zitadelle oberhalb der Mainzer Altstadt, als wollte er irgendwas aus den Angeln heben. Er braust in den Mikrofonen und versucht, Pavillons aus den Angeln zu heben. „Wir können Sonne, wir können Regen, wir können Wind“, sagt Moderatorin Antje Diller-Wolf, und gesteht: „So viele Wetterlagen in einer Diskussion, habe ich noch nicht erlebt.“

Auf der Bühne geht es um „Bunte Banden“, Familienbanden ist das Thema des 47. Open Ohr Festivals. Auf der Bühne erzählt die Juristin Eva-Maria Vogt gerade, wie sie lange Jahre als Frau und Mutter mit einem schwedischen Mann betrachtet wurde: „Es ist ein defizitorientierter Blick auf mich: wie, Du hast keinen Partner zuhause“, berichtet Vogt, die als juristische Referentin beim Landesbeauftragten der Evangelischen Kirchen in Rheinland-Pfalz tätig ist.

Familie – das ist in Deutschland noch immer viel zu oft fest geheftet an Papa, Mama, Kinder, nur wer dieses Bild erfüllt, gilt als „vollständige Familie“ – genau solche Familienbilder zu hinterfragen, das ist das Ziel des Open Ohr 2021. Im Februar war Vogt eine der Teilnehmerinnen des Bürgerdialogs mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Situation der Familien in der Corona-Pandemie, vorgestellt wurde sie als „alleinerziehende Mutter“ – dabei hat Vogt durchaus einen Mann, nur lebt der eben in Schweden.

Eröffnungspodium zum Thema Familienbande mit Eva-Maria Vogt (2. von rechts) und Moderatorin Antje Diller-Wolf. - Foto: gik
Eröffnungspodium zum Thema Familienbande mit Eva-Maria Vogt (2. von rechts) und Moderatorin Antje Diller-Wolf. – Foto: gik

Familie würde in Deutschland noch viel zu sehr „Eltern-zentriert“ gedacht, kritisiert Vogt, anstatt Familie von den Kindern her zu denken. „Was das Gesellschaftliche angeht, hängen wir oft noch hinterher“, sagt sie. Einfachere Regeln wünscht sie sich, das Kindergeld etwa sei viel zu kompliziert gestaltet. Um Elternzeit und Vätermonate geht es in der Debatte, um selbstbestimmte Familienplanung als Menschenrecht, aber auch um Überforderung von Eltern in der Corona-Pandemie durch Homeschooling und Lockdown.

Die Debatte ist typisch Open Ohr, die Zuschauer können im Livestream mitdiskutieren, und doch fehlt es, das „richtige“ Festival-Feeling. 1.000 Zuschauer hatten sich die Organisatoren gewünscht, damit das Festival sich finanziell tragen könnte, am Samstagnachmittag schalteten sich lediglich rund 450 in den Livestream ein. „Das mit dem Live-Feeling, das ist schon schade“, sagt Linda noch, „wir freuen auf nächstes Jahr, wenn alle wieder hier sein dürfen.“

Info& auf Mainz&: Wir hätten gerne auch über die Musik vom Open Ohr berichtet, über weitere Podien, über das Feeling am Livestream – allein: Es wurde uns verwehrt. Trotz Ticketkauf und richtigem Passwort ließ uns die Technik am Samstagabend nicht in den Livestream eintreten, alle Hilferufe an das Open Ohr-Team sowie an die Technik-Hotline blieben ungehört – nach 40 Minuten Wartezeit haben wir aufgegeben. Wir hatten zu dem Zeitpunkt ohnehin die wichtigsten Punkte schon verpasst. Und im Gegensatz zu anderen Medien, wurde Mainz& auch kein Presszugang für den Sonntag zur Verfügung gestellt. Wir können deshalb werde über das Erlebnis am Livestream, noch über ein Fazit des Festivals berichten – unsere Reportage ist Ergebnis eines Besuches vor Ort am Samstagnachmittag auf dem Festivalgelände. Unseren Vorbericht zum 47. Open Ohr mit mehr Infos zum Festivalthema findet Ihr hier bei Mainz&.

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