Mit Kommentar& – Die Hindenburgstraße in der Mainzer Neustadt ist seit dem 1. April Fahrradstraße – für die meisten Mainzer kam das völlig überraschend. Damit ist die letzte Erschließungsstraße in das Herz der Mainzer Neustadt nun eine Vorrangstraße für Fahrräder, alle anderen Verkehrsträger sind dort nun „zu Gast“ – auch die Busse. Bei der Stadt Mainz argumentiert man, damit sei „eine Hauptachse attraktiver für Radfahrende“ geworden, der Umweltverbund werde gefördert. Bei der Mainzer CDU kritisiert man indes, die neue Fahrradstraße löse keine Konflikte – und ignoriere völlig die Debatte um den Straßenbahnausbau in der Mainzer Neustadt. Auch die Freien Wähler sprechen von „Dilettantismus“. Mainz& kommentiert: Ein Piktogramm macht noch keine Verkehrswende.
Überraschung im April: Die Hindenburgstraße in der Mainzer Neustadt ist nun eine „Fahrradstraße“, das hat Folgen für alle anderen Verkehrsträger: Autos, aber auch Busse oder Motorräder sind nun in der Straße nur noch „zu Gast“ – Fahrräder haben hier nun Vorrang vor allen anderen Verkehrsmitteln. Sie dürfen nebeneinander fahren, alle anderen Fahrzeuge müssen sich dem Radverkehr unterordnen. Die Straßen befahren dürfen Autos nur noch, wenn sie hier ein Anliegen haben, der Straßenraum werde „eindeutig und übersichtlich markiert, sodass auch in den Kreuzungspunkten die gegenseitige Wahrnehmbarkeit verbessert wird“, teilte die Stadt Mainz mit.
Die Maßnahme diene der Stärkung des Radverkehrs in Mainz, damit sei „eine Hauptachse attraktiver für Radfahrende“ geworden, sagte die Mainzer Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne). Schon heute werde ein Viertel aller Wege innerhalb des Mainzer Stadtgebietes mit dem Rad zurückgelegt, das gelte insbesondere für die Mainzer Neustadt, wo das Rad ein wichtiges Fortbewegungs- und Transportmittel sei. „Um den wachsenden Bedürfnissen des Radverkehrsanteils am städtischen Verkehr gerecht zu werden, ist es notwendig, das Angebot an direkten und sicheren Radrouten weiterhin zu fördern“, betonte Steinkrüger.
CDU: „Völlig planlose Verkehrspolitik“
Der Hindenburgstraße komme dabei „eine zentrale Funktion zu“, denn mit ihrem Hauptrouten-Charakter verbinde sie Neu- und Altstadt und habe „eine bedeutende Verteilfunktion innerhalb der Neustadt.“ Doch genau das stößt bei der CDU-Opposition auf Kritik: „Die Entscheidung, aus der Hindenburgstraße eine Fahrradstraße zu machen, zeugt von einer völlig planlosen Verkehrspolitik in Mainz“, kritisierte CDU-Kreisvorsitzender Thomas Gerster. Es sei „überhaupt nicht nachvollziehbar“, dass die Stadt Mainz einen solchen Schritt gehe, obwohl noch immer darüber diskutiert werde, eine Straßenbahn durch diese Straße fahren zu lassen.
Tatsächlich ist die Hindenburgstraße eine von drei möglichen Trassen, die in der Debatte für den Bau eines Straßenbahnrings durch die Mainzer Neustadt sind. Eine Entscheidung soll in den kommenden Monaten getroffen werden, die CDU spricht deshalb von „einem Blindflug“ der grünen Verkehrsdezernentin. „Es ist offensichtlich, dass Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) den motorisierten Individualverkehr in unserer Stadt systematisch benachteiligen will“, schimpfte Gerster, diese Maßnahme aber gehe zulasten aller Verkehrsteilnehmer.
Im Fall einer Straßenbahntrasse durch die Hindenburgstraße nehme die Verwaltung „billigend in Kauf, dass durch diesen Irrsinn Radfahrerinnen und Radfahrer zu Schaden kommen“, kritisierte Gerster weiter. Darüber hinaus würden wieder einmal „verkehrspolitische Entscheidungen über die Köpfe der Menschen hinweg getroffen“ und „ein sachlicher politischer Diskurs verhindert“, schimpfte der Mainzer CDU-Chef weiter: Die Maßnahme sei nicht im Verkehrsausschuss vorgestellt worden.
Hindenburgstraße als Fahrradstraße bereits 2021 beschlossen
Die Grünen konterten umgehend: „Sowohl im Verkehrsausschuss als auch im Stadtrat hat die CDU, und mit ihr auch ihr Vorsitzender Thomas Gerster, der Einrichtung mehrerer Fahrradstraßen zugestimmt“, kritisierte Grünen-Verkehrsexperte David Nierhoff: „Jetzt tut die CDU in der Öffentlichkeit so, als habe sie damit nichts zu tun.“ Tatsächlich war das Vorhaben Hindenburgstraße als Fahrradstraße im Verkehrsausschuss sowie im Mainzer Stadtrat besprochen und beschlossen worden – allerdings schon im Februar 2021.
Unter dem Titel „Einrichtung weiterer Fahrradstraßen im Mainzer Stadtgebiet“ wurden hier gleich fünf Trassen als Fahrradstraßen vorgeschlagen: Die Trasse Karcherweg – Ebersheimer Weg in Hechtsheim, die Achse Ritterstraße – Am Rosengarten in der Oberstadt, die Kurt-Schumacher-Straße, der Hartmühlenweg im Gonsbachtal, sowie eben die Hindenburgstraße samt Moltkestraße. Den Vorschlag hatte im November 2020 die damalige Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne) dem Stadtvorstand unterbreitet – mehr als zwei Jahre später wurde die Fahrradstraße in der Hindenburgstraße nun überraschend umgesetzt.
Der Stadtrat habe mit seinem Beschluss am 10. Februar 2021 „ein eindeutiges und klares Signal im Sinne der Bedeutung der Hindenburgstraße für den Radverkehr“ gesetzt, sagte Steinkrüger nun. Die Ausweisung weiterer Fahrradstraßen sei „eine wichtige und zukunftsweisende Lösung“, die positive Effekte für Gesundheit, Klimaschutz und Lebensqualität in der Stadt habe. Einen Widerspruch zu den Überlegungen des Straßenbahnausbaus in der Neustadt sehe sie nicht.
Reger Busverkehr in der neuen Fahrradstraße, 20.000 Anlieger-PKWs
Auch Neustadt-Ortsvorsteher Christopher Hand (Grüne) betonte, es sei noch keine Entscheidung über eine Trassenvariante für die Straßenbahn in der Neustadt gefallen. „Es wäre kurzsichtig, den Radfahrern die Fahrradstraße bis zum Bau des Innenstadtrings vorzuenthalten“, argumentierte Hand. Und auch Nierhoff klagte, die Erstellung eines Gesamtverkehrskonzepts „würde Jahre in Anspruch nehmen“ – solange könne man nicht warten.
„Die Idee einer Fahrradstraße durch die Neustadt ist ja nicht verkehrt“, sagte Gerster nun auf Mainz&-Anfrage – und genau deshalb habe die CDU auch damals zugestimmt, dass die Hindenburgstraße „irgendwann“ eine Fahrradstraße werde. „Aber wir haben auch gesagt, diese Entscheidung solle zurückgehalten werden, bis die Entscheidung über die Straßenbahntrasse gefallen ist“, betonte Gerster. Jetzt habe die Stadt „vollendete Tatsachen geschaffen, bevor wir ein Gesamtkonzept haben – das ist in dem Fall falsch, weil die Konflikte nicht beseitigt werden.“
Tatsächlich ist die Hindenburgstraße neben der Boppstraße die einzige Zufahrt, die ins Herz der Mainzer Neustadt führt – wo rund 20.000 Autos von Anliegern gemeldet sind. Die meisten Straßen werden entweder von der Boppstraße aus, oder von der Hindenburgstraße aus für die Anwohner zur Zufahrt erschlossen, Durchfahrtsverkehr gibt es hier ohnehin nicht – dafür aber einen regen Busverkehr. „Die wichtigste Buslinie durch die Mainzer Neustadt wird unnötig blockiert“, kritisiert denn auch Christian Weiskopf, Vorsitzender der Freien Wähler in Mainz: „Daraus wird ein Stopp and Go für den ÖPNV, das ist für die Umwelt richtig schlecht.“
Freie Wähler: „Dilettantismus muss aufhören“
„Der Dilettantismus beim Verkehr in Mainz muss aufhören“, schimpfte Weiskopf weiter: Solange es kein Gesamtkonzept gebe, habe er „für die Flickschusterei kein Verständnis.“ Mainz mache sich „ohne Not eine wichtige Verkehrsachse der Mainzer Neustadt dicht“, kritisierte er weiter: „Es muss eine Verkehrswende her – aber bitte mit Sinn und Verstand!“ Das Ziel müsse doch sein, wie der ÖPNV besser werden, und wie Fahrräder besser vorankommen könnten. „Hier wurde wieder ohne Information einfach etwas gemacht, was am Ende zu Lasten der Umwelt geht und des ÖPNV – und was die Geduld des Mainzer Bürgers ohne Not und ohne Konzept strapaziert“, fügte er hinzu.
Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema Innenstadtring für die Straßenbahn und die Debatte um die Trassen durch die Mainzer Neustadt lest Ihr hier bei Mainz&.
Kommentar& auf Mainz&: Bremse für Busse, blöd fürs Rad
Soso, die neue Fahrradstraße in der Mainzer Neustadt macht also ein wichtige Wegeachse für den Radverkehr „attraktiver und sicherer“ – echt jetzt? Wenn ein 20-Tonnen-Bus einem im Nacken hängt, während man über die Hindenburgstraße gondelt – das soll ein Gewinn an Sicherheit und Attraktivität sein? Die Verfasserin dieser Zeilen hat selbst 14 Jahre in der Mainzer Neustadt gewohnt, genau in dieser Gegend. Ist leidenschaftlich Rad gefahren, genau auf dieser Achse. Genau in Richtung Innenstadt.
Aber die Hindenburgstraße habe ich dabei gerade auf dem Weg in Richtung Innenstadt tunlichst gemieden – vor allem der Linienbusse wegen. Viel angenehmer und bequemer war doch die Route entlang der Leibnizstraße: Übersichtlicher und vor allem meist komplett leerer Straßenraum, kaum Konflikte mit parkenden Pkws, da diese senkrecht zur Straße parken – und vor allem: Keine Busse. Frau konnte in der Mitte der Straße fahren, völlig ungestört, dann ein schneller Schlenker durch die Adam-Karillon-Straße – und schon stand frau an der Kreuzung zur Kaiserstraße.
Warum, in aller Welt, muss dafür nun die Hindenburgstraße zur Fahrradstraße werden? Leibnizstraße rechts, Forsterstraße links – die gesamte Mainzer Neustadt ist bereits komplett verkehrsberuhigt, ein Paradies für Radfahrer! Die Hindenburgstraße ist indes zusammen mit der Boppstraße die allerletzte Zufahrt für Autos in die Seitenstraßen der Mainzer Neustadt – wo immerhin rund 28.000 Menschen und 20.000 Pkw zuhause sind.
Busse: Dauerstau Rheinachse, chronisch unzuverlässig
Klar, das kann man natürlich ignorieren, die Bedürfnisse der Neustadt-Anwohner komplett ignorieren. Nur: Wird das einen einzigen Neustädter dazu bringen sein Auto abzuschaffen? Wichtiger noch: Wird es auch nur einen einzigen Fahrradfahrer sicherer machen? Die Antwort lautet: Nein. Denn an dem jetzigen Verkehrsaufkommen ändert sich durch die neue Fahrradstraße gerade einmal: gar nichts. Vor allem nicht an dem Aufkommen der Busse, die in dichtem Takt durch die Straße rauschen.
Die Busse aber bremst man durch die neue Straße fröhlich weiter aus – sie dürfen jetzt hinter bummelnden Radfahrern herzuckeln, egal, was der Fahrplan sagt. Schon jetzt klagen die meisten Busnutzer in Mainz über chronisch unpünktliche und unzuverlässige Busse, gilt der ÖONV als viel zu langsam, um eine attraktive Alternative zu sein. Und was macht das Mainzer Verkehrsdezernat?
Erst führt man Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen ein, dann legt man die Rheinachse monatelang durch Mega-Baustellen lahm und produziert einen einzigen Verkehrsstau (samt Abgasen übrigens) – und jetzt bremst man die Busse auch noch in der Hindenburgstraße aus. Glückwunsch, Mainz. So geht attraktiver ÖPNV – gerade nicht.
Ein Piktogramm auf der Straße ist keine Verkehrswende
In Mainz denken sie immer noch, Fahrräder auf die Straße zu schubsen, sei eine Verkehrswende und total toll für die Radler – dabei ist diese Denkschule aus den 1980er Jahren längst überholt: Alle Experten und Radverbände fordern längst eigene Trassen für Radfahrer, und zwar getrennt vom übrigen Verkehr. Die Niederlande machen es seit Langem mustergültig vor, viele deutsche Städte längst nach – nur in Mainz pinselt man immer noch lieber Piktogramme auf Straßen, und überlässt die Radfahrer im Kampf um den knappen Straßenraum sich selbst. Sollen sie doch sehen, wie sie klar kommen.
Dabei bekommt Mainz Jahr um Jahr genau dafür eine Ohrfeige nach der anderen: Im ADFC-Fahrradklimaindex rutscht Mainz seit Jahren immer weiter ab. Die Hauptgründe: schlechte Radwege, ein miserables Sicherheitsgefühl der Radfahrer in Mainz und erhebliche Konflikte mit Autofahrern. Fast 80 Prozent der Teilnehmer kritisieren, sie würden von Autos auf der Fahrbahn bedrängt, rund 75 Prozent geben regelmäßig an, sie fühlten sich beim Fahrradfahren nicht sicher – und fordern sichere Trassen für Radfahrer, jenseits des Autoverkehrs. Lernt man im Mainzer Verkehrsdezernat daraus?
Och nö. Jetzt haben wir neue Piktogramme auf einer Busroute – das hilft weder Radfahrern noch dem ÖPNV.