Das Erdbeben in der kommunalpolitischen Landschaft hat die Mainzer Kommunalpolitik tief erschüttert, das sensationell gute Abschneiden der Grünen sorgte auch für viel Frust. Noch wird im Mainzer Rathaus ausgezählt, am Montag wurden die Stimmzettel ausgewertet, auf denen Wähler kumuliert und panaschiert hatten – und zwar bei der Urnen- wie bei der Briefwahl. Das Wahlergebnis soll um 18.45 Uhr vorgelegt werden. Derweil eilen die Blicke voraus – das Abschneiden der Grünen dürfte erhebliche Konsequenzen für die Oberbürgermeisterwahl Ende Oktober haben.

Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) warb für den Bau des Bibelturms. - Foto: gik
Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) warb für den Bau des Bibelturms – die Mainzer vortierten hingegen für die Grünfläche auf dem Liebfrauenplatz. – Foto: gik

Die Grünen kamen am Sonntag bei der Europa- und Kommunalwahl einem ersten Trend zufolge auf 29,6 Prozent bei der Stadtratswahl – das war mit großem Abstand Platz eins vor CDU und SPD. „Das ist ein sehr interessanter Abend mit Blick auf die Oberbürgermeisterwahl“, sagte der Mainzer FDP-Chef David Dietz schon am Sonntagabend: „Da wird der eine oder andere jetzt nervös werden…“ Ende Oktober wählt die Landeshauptstadt Mainz einen neuen Oberbürgermeister, und nervös ist vor allem die SPD. Seit 1949 stellen die Sozialdemokraten den Oberbürgermeister von Mainz, bis vor einem Jahr war es für die SPD undenkbar, dass Amtsinhaber Michael Ebling (SPD) Probleme bei seiner anstehenden Wiederwahl bekommen könnte.

Dann aber kam das Bürgerbegehren über den Bibelturm am Gutenberg-Museum – und 77,3 Prozent der Mainzer erteilten dem Bauvorhaben eine klare Absage. Mehr noch: an dem Erweiterungsbau des Gutenberg-Museums auf dem Liebfrauenplatz entzündete sich eine Grundsatzkritik vor allem an der Politik von SPD und Grünen – mehr Grün in der Stadt und weniger Beton, das war eines der Hauptargumente der Mainzer gegen den Turm.

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Nino Haase (3. von links) bei der Unterschriftenübergabe gegen den Bibelturm an OB Michael Ebling (2. von rechts). - Foto: gik
Nino Haase (3. von links) bei der Unterschriftenübergabe gegen den Bibelturm an OB Michael Ebling (2. von rechts). – Foto: gik

Eblings Gegenspieler im Herbst ist ausgerechnet einer der Haupt-Organisatoren des Bibelturm-Entscheids, der parteilose Nino Haase. Haase tritt auch für die CDU an, die allerdings am Sonntag ersten Prognosen zufolge auch nur auf 21,6 Prozent kam. Die SPD wiederum stürzte um rund 7 Prozentpunkte ab und kam mit 20 Prozent der Stimmen nur noch auf den dritten Platz – hinter der CDU und vor allem weit hinter den Grünen. „Da hat ein Bundestrend volle Kanne durchgeschlagen“, sagte am Abend Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD), er war nicht der einzige: „Das ist ein Bundesergebnis“, sagte auch ÖDP-Chef Claudius Moseoler gegenüber Mainz&: „Die kommunalen Themen haben bei der Wahlentscheidung bei vielen Wählern offenbar keine Rolle gespielt.“

Der Frust in der Kommunalpolitik sitzt denn auch tief, viele, die sich fünf Jahre lang engagiert hatten, fühlten sich am Abend abgestraft durch einen abstrakten Bundestrend. Das sei ein Problem für die Motivation, hieß es vielfach. Es sei „schade“, dass so viele ehrenamtliche Engagierte von den Wählern „ob deren Frust an der Wahlurne abgestraft“ worden seien, schrieb DGB-Landeschef Dietmar Muscheid am Abend auf Facebook.

Wahlplakat von Tabea Rößner (Grüne) im Bundestagswahlkampf 2017. - Foto: gik
Schon im Bundestagswahlkampf 2017 setzten die Grünen mit Tabea Rößner ganz auf die Klima- und Umweltschiene, nun könnte Rößner als OB-Kandidatin der Grünen im herbst antreten. – Foto; gik

„Das ist ein Schlag ins Gesicht für viele Kommunalpolitiker“, sagte auch der Vorsitzende der Jungen Union in Rheinland-Pfalz, Jens Münster – und ein Problem für die Verjüngung der Kommunalpolitik: In Mainz etwa wurden Kandidaten allein deshalb gewählt, weil sie Grüne waren. Neue Gesichter hätten bei solchen Trends noch weniger Chancen, in die Räte einzuziehen, weil sie noch nicht so bekannt seien, warnte Münster – er plädiere für eine Entflechtung von Europawahl und Kommunalwahl.

Die Wahl gibt nun vor allem einer Partei Auftrieb, die sich mit Blick auf die OB-Wahl noch gar nicht bekannt hat: die Grünen. Die wollten bislang nicht Preis geben, wer für ihre Partei zur OB-Wahl antreten könnte – dass die Grünen einen eigenen Kandidaten aufstellen werden, gilt als offenes Geheimnis. Nun hätte ein grüner Kandidat womöglich sogar gute Chancen auf das höchste Amt von Mainz, als wahrscheinlichste Anwärterin gilt die Grünen-Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner.

„Es wird wahrscheinlich nächste Woche eine Bekanntgabe geben“, sagte Rößner am Montag auf Mainz&-Anfrage – Namen wollte sie indes nicht nennen. Rößner dementiert eine eigene Kandidatur nicht, Ambitionen werden aber auch Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne) nachgesagt. Wahlentscheidendes Thema am Sonntag sei auch vor Ort der Umgang mit dem Klimawandel gewesen, sagte Rößner, die Menschen wollten eine glaubwürdige und nachhaltige Politik. „Wir tun das mit einer großen Konsequenz“, betonte Rößner, jetzt gelte es, das Vertrauen der Menschen auch zu erfüllen.

„Es ist eine Bestätigung unseres Ansatzes, dass wir die Klimawende hier vor Ort besser umsetzen müssen“, sagte Rößner weiter. Viele Menschen wollten mit dem Fahrrad fahren, „das müssen wir sicher machen.“ Auch bei der Wärmedämmung von Häusern oder bei  Solaranlagen auf Häusern gebe es noch viele Stellschrauben. „Wir werden das Ergebnis in Ruhe bewerten und gucken, wie wir weiter machen“, sagte Rößner: „Wir müssen die Menschen mitnehmen, wir müssen den Dialog führen.“ Die Grünen hätten viele aktive Leute, die sich engagierten, „darauf kann man sich freuen“, fügte sie hinzu.

Die geplante Stelle für die Schiffsanleger und den Autoabsetzplatz vor der Mainzer Neustadt. - Foto: gik
Die Anlegestellen für Binnenschiffer vor der Mainzer Neustadt samt Autoabsetzplatz werden auch von den Grünen gewollt und verteidigt. – Foto: gik

Eine entscheidende Rolle im OB-Wahlkampf könnte die Frage der Umsetzung grüner Themen spielen – schließlich regieren die Grünen in Mainz bereits seit zehn Jahren mit. „Die Politik in Mainz ist nicht ökologisch“, sagt deshalb OB-Kandidat Haase, es seien gerade die Grünen, die eine Klärschlammverbrennungsanlage gebaut hätten und jetzt eine Mülldeponie in einem Wohngebiet und Schiffsanleger vor Häusern planten – das stehe doch einer umweltbewussten Stadtpolitik entgegen. „Das Radwegenetz hat sich nicht entwickelt, wir haben einen großen Verlust von Grünflächen“, sagte Haase auf Mainz&-Anfrage: „Da ist der Bundestrend über die kommunalpolitischen Realitäten hinweggegangen.“

Er selbst habe schon vor der Wahl „Themen besetzt wie Baum- und Grünflächenerhalt, Verkehrswende oder grünes Rheinufer“, betonte Haase, „und ich habe mit Überzeugung den Erhalt der Bäume und Grünflächen auf dem Liebfrauenplatz aktiv verteidigt.“ Wichtig sei nun, „den Menschen mitzuteilen, dass ich diese Themen als OB weiter umsetzen will: Ökologische Politik bedarf mehr als einer grünen Hülle“, sagte Haaseweiter. Das Momentum liege aktuell bei den Grünen, „aber es ist noch lange nicht Oktober“, sagte Haase: „Die Leute, die letztes Jahr für den Erhalts des Liebfrauenplatzes gestimmt haben, sind ja noch in der Stadt – und die muss man wieder erreichen.“

Info& auf Mainz&: Mehr zum Verlauf des Wahlabends und den Ergebnissen der Kommunal- und Europawahl in Mainz lest Ihr hier bei Mainz&. Zum vorläufigen amtlichen Endergebnis für Mainz geht es hier entlang.

 

 

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