Wenn rund 600 Meedscher im Kurfürstlichen Schloss zu Mainz ausgelassen feiern, dann ist klar: Die Damen haben das Sagen. “Damensitzung” heißt von alters her in der Fastnacht, wenn Frauen unter sich bleiben, und Männer nur zur Belustigung auf der Bühne stehen. Nun lud der Karneval Club Kastel (KCK) zu seiner ersten “Meedscher Sitzung” – ist das jetzt etwas anderes? Nicht so ganz, klar wurde aber auch: Das Format kam hervorragend an – der weibliche Algorithmus in der Meenzer Fastnacht ist heutzutage selbstbewusst und trumpft auf mit modernem Programm.
“Wir mussten ja ein Jahr warten”, seufzt Sitzungspräsidentin Alina Kreuser, “umso mehr freuen wir uns, dass der Saal so voll ist: Schön, dass Ihr alle da seid!” Eigentlich hatte der Karneval Club Kastel (KCK) schon vor genau einem Jahr zur ersten “Meedscher Sitzung” geladen, doch dann brach eine Extremwetterfront mit Blitzeis über Mainz herein, und die Premiere musste buchstäblich auf Eis gelegt werden.
Vergangenen Donnerstag aber war es so weit, und obwohl es mitten unter der Woche war, konnte der KCK melden: Ausverkauft! Im Gegensatz zu vor einem Jahr, als der Kartenverkauf für Fastnachtssitzungen teils ungeheuer schleppend verlief, stellen die vereine 2025 geradezu einen Run auf alles fest, was Fastnacht ist. Selbst neue Formate sind rucki-zucki ausverkauft, und festzustellen ist auch: Frauen feiern offenbar besonders gerne Fastnacht unter sich. Sowohl die Funzelsitzungen des Mainzer Carneval Vereins (MCV) sind begehrt, wie auch die erste GCVrau – die erste Sitzung nur von Frauen des Gonsenheimer GCV.
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Meedscher Sitzung: Von Bordsteinschwälbchen und Traumprinzen
Bei den “Meedscher” vom KCK sind hingegen Männer auf der Bühne ausdrücklich erwünscht – die Frauenfahne halten die Spassmacher Company sowie Jutta Schlösser mit ihrer “Betty Berzel” hoch. Doch ansonsten müssen Männer ran – die Kapell Mainzer und wärmen den Saal gleich zu Beginn ordentlich auf, bevor als erster Höhepunkt das Ballett der Prinzengarde aufmarschiert: Die Herren in den Uniformen der Prinzengarde schwingen die Beine fast wie die Damenballetts bis zur Decke und schweben zu Major Toms “völlig losgelöst” über die Bühne – nun ja, nicht ganz so schwerelos wie vor gut zwei Wochen die Showtanzgruppen bei der 1. Rucki Zucki Dance Night des MCV.
Sehen lassen können sich die Männer von der Prinzengarde mit ihrer ausgesprochen schwungvollen Nummer aber allemal, vom Saal werden sie begeistert gefeiert, und ohne Zugabe geht es natürlich auch nicht von der Bühne. Doch die Konkurrenz ist groß: Zum Ende des Abends trumpfen die “Bordsteinschwälbchen” noch einmal so richtig auf: Die Männertanzgruppe aus Langendernbach zauberte ein ganzes Märchen rund um Traumprinzen und Schlösser auf die Bühne, die Truppe nennt sich nicht umsonst “Schautanzgruppe” – und ließ das Publikum in Mainz staunen.
Aber wer jetzt meint, eine “Meedscher Sitzung” sei etwas Altbackenes, der wurde schnell eines Besseren belehrt: “Wir sind zwei Algorithmen für eine Fastnacht, die genau auf Sie zugeschnitten ist”, verraten die beiden Herren in futuristischen Kostümen, die auf Elektro-Stehrollern einfahren. Die “Herpes House Band” sorgt seit einigen Jahren beim Gonsenheimer Carneval Verein (GCV) mit urkomischen Nonsens-Nummern für Furore, in diesem Jahr widmet sich die junge Truppe konsequenterweise den Thema “Fastnacht wie im Internet” – mit kurzen Clips von Cat Content über die notorisch wiederkehrenden “Klickerbuwe”.
Algorithmen zur Fastnacht mit Cat Content und Herpes House Band
“Was den Leuten gefällt, das kriegen sie wieder und wieder präsentiert”, erklärt der Algorithmus, und leitet über zum “Vortrag wie im Internet: emotional, polarisierend. – und vollkommen ohne Fakten.” Bühne frei für einen besorgten Bürger, der sich doch nur Sorgen macht und “gar nicht Rechts ist, aber…” Die Sorgen gelten prompt der Überfremdung der Mainzer Fastnacht, denn schließlich kam da einst ein Philippe aus Mexiko nach Mainz am schönen Rhein. “Und was hat er hier gemacht? Er tanzte völlig ungeniert”, klagt der “besorgte Bürger”, und “was hat er dann gemacht? Sechs Kinder, ganz genau!”
Die urkomische Persiflage stellt mal eben das legendäre “Olé Fiesta” der Mainzer Hofsänger ebenso auf den Kopf, wie alle Überfremdungsphantasien, und bricht so natürlich eine Lanze für die immer schon bunte und tolerante Mainzer Fastnacht. “An Rosenmontag hab ich dir mein Herz geschenkt”, singen “Handkäs und sei Mussig” nicht ohne Grund – wer weiß schon, wie viele “Fremde” an diesem Tag zu echten Meenzern wurden oder solche zeugten…
Die junge Band hatte natürlich auch ihren Siegerhit vom SSC Song Contest von der Fee in der Nacht dabei, da rockte das Schloss und die Meedscher tanzen. Überhaupt wird Musik in dieser Kampagne offenbar groß geschrieben in Mainz, erst Recht bei den moderneren, kürzeren Formaten. Und so bringen kurz danach auch “Dobbelbock” mit Schoppe und “Ohne Dich” das Schloss zum Toben, erst Recht, wenn die beiden Brüder Bockius ihren Alltime-Hit “Alles wieder gut” zu einem Meer aus Handylichtern performen.
Trendforscher, närrische Brautschau und “Koa Geländer”
Aber natürlich fährt der KCK auch auf, was seine eigene Aktivenschar hergibt: Jens Baumgärtner hat sich erneut als “Apotheker” schlau gemacht, und blättert genieß0erisch in der Apothekenumschau, da lauscht der Saal mucksmäuschenstill. Für Lachsalven hingegen sorgen – natürlich – Hotte & Pit, das Blödel-Duo des KCK, das passenderweise zum Meedscherabend auf Brautschau geht, und urkomisch über Schenkel und junges Gemüse beim Discounter fachsimpelt.
“Statistisch gesehen werden die Leute immer verklemmter”, seufzt der “Trendforscher”, wobei er das Publikum im Saal wahrlich nicht gemeint haben kann. Johannes Bersch widmet sich jenseits seiner “Moguntia” als Trendforscher dem modernen Leben, und sinniert über Fitnesswahn und Indoor-Hemden und über die Schwierigkeit, heute noch Märchen zu erzählen – die böse Hexe kriegt heute Essen auf Rädern, und die sieben Geißlein sind wegen Massentierhaltung verboten. “Heute muss immer alles ‘anners’ sein”, seufzt der Trendforscher, “dabei gibt es doch auch Sachen, die einfach schee so sind, wie sie sind – wie unser Goldig Meenzer Fassenacht!”
Braucht es also im Jahr 2025 noch eine eigene Sitzung für die “Meedscher”? “Ich wollte das, denn ich wollte keine Damensitzung, sondern etwas Jüngeres, Moderneres”, sagte KCK-Programmchef Werner Böttner im Gespräch mit Mainz&. Damit könne man als Verein “noch einmal ein anderes Publikum ansprechen” – der Erfolg der Premiere gab dem KCK Recht. “Und wir haben das jüngste Komitee der ganzen Fastnacht”, sagte Böttner stolz – natürlich alles junge Damen rund um die souveräne Sitzungspräsidentin Alina.
Da machte es auch nix, dass die Premiere gut eine halbe Stunde länger wurde als geplant – im Finale mit Altrheinstromern, Stefan Pe5rsch und Nadine Meurer wurde noch einmal ebenso ausgiebig gefeiert, wie auf der Nachsitzung in den Katakomben.
Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema neue Formate in der Mainzer Fastnacht lest Ihr hier auf Mainz&, mehr zum Thema Frauen in der Fastnacht gibt es hier bei uns. Und natürlich darf unsere Fotogalerie nicht fehlen – leider wegen Terminüberschneidungen an dem Abend etwas eingeschränkt, sorry!