Es ist der Aufreger rund um die Fernsehsitzung Mainz bleibt Mainz: Lars Reichow, seit 13 Jahren immerhin fester Bestandteil der Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“, ist in diesem Jahr überraschend bei der Mutter aller Fernsehsitzungen nicht dabei. Der ausrichtende Fernsehsender, das ZDF, findet zur Begründung nur dürre Worte, Reichow selbst zeigt sich enttäuscht – und die Narrenszene ist in Aufruhr: Während die einen die Entscheidung begrüßen, weil Reichow ja „nie ein Fastnachter war“, schimpfen die anderen aus vollen Rohren: Der Kabarettist sei sicher zu kritisch gewesen fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen – mit Reichow fehle der Sendung die beste Nummer. Reichow selbst veröffentlichte seinen Redebeitrag am Donnerstag auf Youtube – unter dem Titel „Lars bleibt Lars“.
Die Debatte ist so alt, wie die Fastnacht: Wie viel Profis verträgt die Meenzer Fastnacht? Gehören Profi-Kabarettisten auf die Bühne, oder sollte die allein ehrenamtlich aktiven Fastnachtern vorbehalten sein? Und wo ist die überhaupt die Grenze – wer ist ein „echter“ Fastnachter, und darf der auch „Profi“ sein?
Die Debatte ist alt, zuletzt kochte sie 2018 hoch, als ausgerechnet die beiden Profi-Kabarettisten in der Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“ beim Publikum durchfielen. Die Akteure: Detlev Schönauer – und Lars Reichow. Für Schönauer war nach 2019 Schluss bei „Mainz bleibt Mainz“, Reichow aber machte weiter – und feierte große Erfolge in den Fastnachtssälen und in der Fernsehsitzung.
Wann ist ein Fastnachter ein Fastnachter – und wann schon Profi?
Dabei waren und sind die Grenzen zwischen den beiden Fachrichtungen schon immer fließend: Nicht wenige späteren Profi-Künstler haben ihre ersten Schritte auf Fastnachtsbühnen gemacht, und sich dort ihr Rüstzeug für die Kleinkunstbühnen der Nation geholt. Der berühmteste natürlich war einst Herbert Bonewitz, der 1975 die Narrenbretter gegen die Kabarettbühnen eintauschte. In jüngster Zeit ist der wohl bekannteste Tobias Mann, einst gefeierte Star in der Meenzer Fastnacht, heute preisdekorierter politischer Kabarettist.
Aber auch andere wechselten stets zwischen beiden Seiten: Andy Ost moderiert heute Fastnachtssitzungen im Hessischen Rundfunk und hat eine Karriere jenseits der Fastnacht gestartet, auch manchen Musiker zog es von der Fastnacht ins Profifach – allen voran Margit Sponheimer und später Oliver Mager. Der berühmteste Fastnachtschor der Welt, die Mainzer Hofsänger, sind auch jenseits der Fastnacht unterwegs und geben Konzerte in aller Welt. Dennoch gelten all diese Akteure bis heute als „echte Fastnachter“ – umgekehrt ist das indes meist nicht der Fall: Detlev Schönauer oder Lars Reichow waren erst Kabarettisten, bevor sie in der Fastnacht auftauchten – wo ihnen von Anfang an vorgehalten wurde, sie hätten als Profi-Akteure „in der Fastnacht nichts zu suchen“.
Besonders scharf scheiden sich von jeher die Gemüter an der Person Lars Reichow, dabei ist der Finther bereits seit mehr als zehn Jahren bei den Sitzungen des Gonsenheimer Carneval Vereins (GCV) aktiv. Übel genommen wird Reichow von eingefleischten Fastnachtern dreierlei: Dass er eben nicht bei jeder Sitzung auftritt, und nicht „echter“ Teil der Fastnachtsszene ist, dass sein Stil eben auch in der Fastnacht stark an seine Kabarettauftritte erinnert – und dass seine Auftritte von den Sendern per Wildcard gesetzt wird. Reichow hole sich in der Fastnacht lediglich Bekanntheitspunkte für seinen Hauptjob und nehme aber „echten Fastnachtsrednern“ den Platz weg, so die gängige Kritik.
Reichow beim ZDF überraschend nicht bei „Mainz bleibt Mainz“
Dennoch gehörte Reichow für viele Fernsehzuschauer in den letzten Jahren als wichtiger Bestandteil zu „Mainz bleibt Mainz“ – gerade wegen seiner scharfen Politikkritik, die ganz besonders die AfD traf. Reichow sei „der letzte“ intellektuelle Redner mit brillanter Schärfe, schwärmen viele Fans. „Ich gucke die Sendung nur wegen ihm“, ist eine vielfach geäußerte Haltung in den sozialen Netzwerken. Doch in diesem Jahr entschied das ZDF überraschend: Reichow ist bei „Mainz bleibt Mainz“ nicht dabei.
Prompt brach ein veritabler Shitstorm los: Reichow sei der Politik wohl „nicht genehm“, sein Vortrag zu kritisch und viel zu deutlich gegen Rechts – das habe doch „irgendwer“ verhindert?! Das ZDF selbst begründet seine Entscheidung lediglich in dürren Worten: „Die Zusammenstellung des Programms variiert von Saison zu Saison“, teilte der Lerchenberger Sender auf Anfrage allen Medienvertretern gleichlautend mit: „Es gab dieses Jahr eine große Auswahl an politischen Vorträgen, die es alle verdient gehabt hätten.“
Erhard Grom mit seinem letzten Protokoll, Florian Sitte, der neue Till des MCC, die politische Premiere von Thomas Becker und Peter Gottron und eine fulminante Moguntia von Johannes Bersch „hatten letztendlich die Nase vorn“, so das ZDF weiter. Mehr gibt es vom Sender auf dem Lerchenberg nicht, Nachfragen werden nicht beantwortet – Einzelheiten zur Reichow-Entscheidung ebenso wenig.
Reichow: „Hätte gerne mein Schwert gegen die AfD geschwungen“
Der Kabarettist selbst zeigt sich tief enttäuscht: „Ich bin sehr traurig darüber, dass ich mit meinem Vortrag, den das ZDF in der finalen Version nie gesehen hat, nicht in der Fernsehsitzung dabei sein kann“, antwortete Reichow auf Mainz&-Anfrage, und schreibt in seinem Statement weiter: „Ich hätte gerne das Publikum zum Lachen gebracht und mein Schwert gegen die AfD, gegen den russischen Angriffskrieg und für eine bedingungslose Unterstützung der Ukraine geschwungen.“ Er wünsche seinen Freunden und Kollegen „den allergrößten Erfolg“ und „verneige mich vor Ehrhard Grom, der ein wundervoller Protokoller war.“
Doch dann zieht Reichow selbst eine Linie zu seinen Schimpftiraden gegen die AfD, bei denen er im Vorjahr regelrecht zu Fäkalsprache gegriffen hatte – viele, gerade auch in der Mainzer Fastnachtsszene, hatten das als unpassend empfunden: Politische Kritik an Fastnacht sei essentiell, der Fastnachtsnarr aber übe seine Kritik mit dem Florett, nicht mit dem Holzhammer – was Reichow sich geleistet habe, sei völlig daneben. Eine Anzeige gegen Reichow von Seiten der AfD war allerdings ergebnislos verlaufen.
Reichow selbst sagte nun: „Es täte mir wahnsinnig leid, wenn der Eindruck entstünde, dass mich das ZDF wegen meiner klaren Haltung gegenüber der AfD als ‚unhandlich‘ oder unbequem empfunden hätte. Dies wäre Wasser auf die Mühlen derer, die mich zum Schweigen bringen wollen.“ Das ZDF wollte sich dazu auf Nachfrage nicht äußern, Reichow selbst betont: „Der Kampf geht weiter: Unser Land ist kein Spielplatz mehr für Faschisten. Und unsere wunderbare Fastnacht in Mainz ist und bleibt ein Fest für Demokraten!“
Fernsehsitzung in diesem Jahr „Meenzerisch“ wie lange nicht mehr
Des Rätsels Lösung könnte denn auch schlicht in drei Dingen liegen: einem gewissen zeitlichen Ablauf, der Einstellung des ZDF zur Meenzer Fastnacht – und der Qualität von Reichows Vortrag. Seit Jahren stellt das ZDF meist im Gegensatz zum SWR die deutlich traditionellere Sitzung auf die Fernsehbretter, und setzt dabei vorwiegend auf tief-meenzerische Redner. Kokolores-Redner wie der „Hobbes“ in den vergangenen Jahren oder in diesem Jahr „Polizist“ Alexander Leber sind solche Figuren, aber auch Traditions-Aushängeschilder der Mainzer Fastnacht wie der „Till“.
Und so kann man auch die Begründung des ZDF in diesem Jahr lesen: Man hat schlicht auf eine „echt Meenzerische Sitzung“ gesetzt, die mit einer ganzen Explosion Mainzer Redner und Figuren daherkommt – und in diesem Jahr richtig viel Original-Fastnachtsschwung aus den Sälen ins Fernsehen transportiert.
Lars Reichow fiel mit seiner eher kabarettistischen Vortragsart da offenbar einfach aus dem dramaturgischen Rahmen. Der Erfolg gibt dem ZDF übrigens Recht: Die Einschaltquoten der ZDF-Sendung sind gerade mit traditionellerem Programm stets deutlich höher als im SWR, der gerne mal auf Neuerungen und Modernes setzt.
„Lars bleibt Lars“: Reichow stellt Vortrag auf Youtube
Dazu ergaben Recherchen von Mainz&: Reichow trat mit seinem Vortrag beim GCV nur zwei Mal auf, und das im Abstand von zwei Wochen. Wenn der Kabarettist nun klagt, die Fernsehmacher hätten „die finale Fassung gar nicht gehört“, könnte eine einfache Tatsache die Erklärung sein: Die Fernsehredakteure waren offenbar beim ersten Auftritt von Reichow zu Gast, der aber Augenzeugenberichten zufolge bei Weitem nicht so gut gewesen sein soll. Zu Hochform sei Reichow erst vergangenes Wochenende aufgelaufen, berichten Sitzungsbesucher – da war die Entscheidung für das Programm aber wohl bei den ZDF-Verantwortlichen schon gefallen.
Reichow selbst veröffentlichte seinen Vortrag am Donnerstagabend auf Youtube – unter dem Titel „Lars bleibt Lars“ ist er in einer Aufzeichnung der Koblenzer Rhein-Zeitung zu sehen. Reichows eigenem furiosen Auftritt bei „Mainz bleibt Mainz“ 2023 hält der Vortrag in diesem Jahr indes nicht Stand – die Konkurrenz in Mainz in Sachen politische Vorträge ist erheblich gestiegen – und Breitseiten gegen die AfD sind kein Alleinstellungsmerkmal Reichows.
Im Gegenteil: Die politischen Akteure der diesjährigen Fernsehsitzungen finden eigentlich durchweg deutlich schärfere Worte, um AfD und neuen Faschismus zu geißeln und die Demokratie und Meinungsfreiheit zu verteidigen. Ob Reichow nun besser war, ob er der Sendung fehlt oder eher geschadet hätte – das kann sich nun jeder selbst hier auf Youtube ansehen.
Info& auf Mainz&: Wie die Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz 2024“ wird, könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen. Mehr zum Thema Profis in der Fastnacht lest Ihr auch noch einmal hier bei Mainz&.