„Der Herbst wird nicht leicht“, warnte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Freitag in Berlin vor einer neuen Corona-Herbstwelle – die rollt bereits: Die Inzidenzen in Mainz und Wiesbaden stiegen sich in den vergangenen vier Wochen um mehr als das Doppelte. Auch die Todeszahlen steigen weiter: Deutschland zählt nun 150.000 Corona-Tote. Trotzdem bleiben die Corona-Regeln zum 1. Oktober 2022 weitgehend gleich. Wichtigster Punkt: Die Maskenpflicht im Öffentlichen Nahverkehr bleibt in Rheinland-Pfalz und Hessen bestehen. Derweil mahnt Lauterbach: Die Länder müssten frühzeitig Maßnahmen gegen die Herbstwelle ergreifen – doch davon ist nichts zu sehen.
Die Corona-Herbstwelle rollt mit Wucht an: Seit dem 1. September hat sich die Zahl der Infektionen in Rheinland-Pfalz mehr als verdoppelt – das gilt auch für Mainz und den Landkreis Mainz-Bingen. Zählte die Stadt Mainz am 01. September noch eine Inzidenz von 233, so waren es am Freitag schon 536. Im Landkreis Mainz-Bingen schnellte die Inzidenz gar von 322 am 1. September auf jetzt 706,6 hoch – allein in den vergangenen sieben Tagen haben sich 1.500 Personen im Landkreis neu mit dem Corona-Virus infiziert, in Mainz waren es 1.166.
Auch landesweit schnellen die Zahlen wieder hoch: Lag die Inzidenz der Corona-Neuinfektionen in Rheinland-Pfalz am 1. September noch bei 224, so meldete das Landesuntersuchungsamt nun 584,8. Das aber ist nicht allein eine Zahl harmloser Fälle: Auch die Zahl der richtig schweren Fälle in den Krankenhäusern ist deutlich gestiegen. So meldete das Landesuntersuchungsamt am 01. September noch eine Hospitalisierungsinzidenz von 3,36 für Rheinland-Pfalz – am 29. September aber von 8,81.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mahnt denn auch: „Wir befinden uns ganz klar am Beginn einer Herbst- und Winterwelle.“ Das sei nicht nur in Deutschland der Fall, sondern auch in allen europäischen Nachbarstaaten. Fast überall sei es die Omikron-Variante BA.5 – und diese werde nicht so schnell wieder abflachen: „Der R-Wert ist mittlerweile schon bei ungefähr 1,4“, warnte Lauterbach am Freitag in Berlin, das sei ein sehr hoher R-Wert.
Damit könnten die Fallzahlen schon bald sogar wieder im vierstelligen Bereich landen – also weit über 1.000. „Wir sind am Beginn einer wichtigen, schwierigen Welle“, betonte der Gesundheitsminister, es gelte, die Welle zu bekämpfen. Trotzdem aber beendet das seit dem 1. Oktober geltende neue Infektionsschutzgesetz des Bundes faktisch eine ganze Reihe von Schutzmaßnahmen, die bisher möglich waren: Bundesweit gilt nun keine Maskenpflicht mehr in Innenräumen oder bei Veranstaltungen, wollen die Bundesländer solche Regelungen erlassen, müssen erst die Landesparlamente eine außergewöhnliche Lage beschließen.
Bundesweit gelten seit dem 01. Oktober 2022 weiter eine Maskenpflicht im Fernverkehr der Bahn, hier muss nun sogar eine FFP2-Maske getragen werden. Gleichzeitig aber kippte die Bundesregierung kurzfristig eine Maskenpflicht im Flugverkehr komplett. FFP2-Masken müssen zudem weiterhin in Arztpraxen, Krankenhäusern, Reha-Einrichtungen und stationären Pflegeeinrichtungen getragen werden, das gilt auch für Beschäftigte in ambulanten Pflegediensten.
Weitergehende Schutzmaßnahmen aber erließ der Bund nicht – den Rest müssen nun die Länder regeln. Experten hatten im Vorfeld eindringlich von einem nun entstehenden Flickenteppich an Regelungen in Deutschland gewarnt. Tatsächlich kippte das Bundesland Sachsen umgehen die Maskenpflicht im Öffentlichen Nahverkehr zum 01. Oktober – in dem östlichen Bundesland ist der Druck von Querdenkern und Maskenverweigerern besonders groß. Dabei haben längst zahlreiche Studien belegt: Gerade FFP2-Masken schützen äußerst wirksam vor einer Corona-Ansteckung, selbst wenn sie nicht korrekt getragen werden.
Maskenpflicht im ÖPNV weiter in RLP und Hessen
Rheinland-Pfalz und Hessen halten derweil an der Maskenpflicht im ÖPNV fest: Auch in der 34. Corona-Verordnung für Rheinland-Pfalz werde die Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr beibehalten, informierte Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) – erlaubt sind hier aber weiterhin FFP2-Masken und einfache OP-Masken. Ausgenommen sind nur Kinder bis einschließlich 5 Jahren und Personen, denen das Tragen einer Maske wegen einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist.
„Das Tragen einer Maske bietet im Alltag, in Situationen in denen viele Menschen auf engem Raum oder in geschlossenen Räumen aufeinandertreffen, noch immer den besten Schutz vor einer Infektion oder auch der Weitergabe von Coronaviren“, begründete Hoch die Maßnahme. Die Maskenpflicht sei deshalb für Rheinland-Pfalz „weiterhin eine zentrale Maßnahme im Umgang mit COVID-19, an der wir festhalten“, betonte der Minister.
Gleichzeitig aber gelten Maskenpflichten in geschlossenen Räumen eben nicht generell – weder in öffentlichen Gebäuden, noch bei Veranstaltungen, auch nicht mit vielen Teilnehmern auf beengtem Raum. Auch eine Testpflicht bei größeren Veranstaltungen gibt es nicht, ebenso wenig eine Begrenzung der Besucherzahlen – Rheinland-Pfalz geht ebenso locker in die neue Herbstwelle wie das Nachbarland Hessen. Auch dort teilte Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne) mit, die hessischen Corona-Regeln blieben zum 01. Oktober praktisch unverändert erhalten. Man habe aber „das Infektionsgeschehen weiterhin fest im Blick.“
Hessen ergreift derweil ebenso wenig Vorsorge-Maßnahmen gegen die neue Herbstwelle wie Rheinland-Pfalz: Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz des Bundes sind gar Maskenpflichten in Grundschulen komplett untersagt, auch Coronatests in Schulen sind gestrichen. Eltern berichten derweil in sozialen Netzwerken, dass seit dem Ende der Sommerferien neue Corona-Wellen durch die Schulen rollen – in Wiesbaden berichtete eine Mutter gar, die Hälfte der Lehrer sei mittlerweile erkrankt und falle aus. Dabei hatten Bildungspolitiker aller Richtung vehement betont, Schulschließungen werde es nicht mehr geben – es gelte, den Schulbetrieben unbedingt aufrecht zu erhalten.
Gewerkschaften und die Schülervertretung in Rheinland-Pfalz hatten frühzeitig gewarnt: Gebe es in den Schulen überhaupt keinen Schutz mehr durch Masken oder Tests, werde das zu explodierenden Corona-Ansteckungen führen – und in der Folge zu massivem Unterrichtsausfall. Das sei „eine faktische Durchseuchung“, schimpfte die Landesschülervertretung, Risiken wie Long Covid würden dabei völlig außer Acht gelassen. Gehör fanden sie keines: Die Zahl der aktuell infizierten Schüler oder Lehrer wird auf der Corona-Seite des Landes Rheinland-Pfalz inzwischen nicht mehr ausgewiesen – ebenso wenig die Zahl der geschlossenen Schulen oder Klassen.
Drohe im Herbst und Winter „durch eine drastisch erhöhte Infektionslage eine konkrete Gefahr für die Gesundheitsversorgung oder sonstige kritische Infrastruktur im Land“, könne Rheinland-Pfalz über einen entsprechenden Landesparlamentsbeschluss „weitgehendere Maßnahmen erlassen“, teilte Gesundheitsminister Hoch lediglich mit. Zu den möglichen Maßnahmen zählen eine Maskenpflicht bei Veranstaltungen im Außenbereich, wenn ein Mindestabstand von 1,5 Meter nicht eingehalten werden könne, oder Personenobergrenzen für Veranstaltungen. „Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es in Rheinland-Pfalz allerdings keine Veranlassung, diese Maßnahmen anzuordnen“, betonte Hoch.
Das Land beobachte Infektionslage in der Bevölkerung und die Lage in den rheinland-pfälzischen Kliniken sehr genau, unterstrich der Minister weiter – sprach aber trotz einer Verdoppelung lediglich von einer „leichten Zunahme der Infektionen“. Lauterbach warnte hingegen, die Lände müssten aufpassen, „dass sie bei der Entwicklung der Fallzahlen den richtigen Zeitpunkt“ zum Handeln nicht verpassten – wann die Länder aber handeln müssen oder sollen, das gibt das Infektionsschutzgesetz nicht vor.
Lauterbach: Welle wird von alleine nicht enden
Lauterbach forderte die Länder auf, die gerade beginnende Herbstwelle auch zu bekämpfen. Die Frage sei, „wann die Ländern mit ihren Maßnahmen einsteigen und versuchen, die Welle einzubremsen und abzuflachen“, sagte Lauterbach – dabei nannte er das generelle Maskentragen in Innenräumen als ein Beispiel sowie Maßnahmen in Schulen als ein anderes. Experten hatten im Vorfeld deutlich kritisiert, dass genau hier das Infektionsschutzgesetz des Bundes keinerlei Hilfe oder Handhabe liefert.
Selbst die Bundesländer hatten einen stringenteren Maßnahmenkasten angemahnt – alle Änderungen waren aber am Widerstand der FDP im Bund gescheitert. Das deutsche Infektionsschutzgesetz erlaube mehr Maßnahmen als die meisten Regeln der europäischen Nachbarn, betonte Lauterbach und unterstrich: „Ich bin sicher, dass das richtig ist , denn die Welle, die wir jetzt bekommen, wird zeigen, dass wir diese Maßnahmen auch benötigen: Diese Welle wird sich von alleine nicht so schnell begrenzen.“
Lauterbach: „Große Impflücke bei ü60“ mit vierter Impfung
Von Seiten des Bundes soll die neue Herbstwelle durch eine neue Impfkampagne bekämpft werden – der Bundesminister verwies dabei auf die neuen Corona-Impfstoffe, die sowohl an die Variante BA.1, als auch an BA.,5 angepasst wurden. „Wir haben deutlich mehr Impfstoff, als derzeit verimpft wird“, sagte Lauterbach. Pro Tag würden zurzeit rund 60.000 Menschen geimpft, das sei weitaus weniger, als eigentlich benötigt werde.
„Wir haben große Impflücken bei den über 60-Jährigen“, warnte Lauterbach, hier fehle bei mehr als 75 Prozent die vierte Impfung. Spätestens in zwei Wochen werde der Bund eine neue Impf-Kampagne auch in innovativer Form starten, kündigte Lauterbach an – das solle die Impfkampagne deutlich beschleunigen.,
Lauterbach will zudem die Gabe des Medikaments Paxlovid, das vor allem zur Vorbeugung gegen schwere Verläufe helfen soll, weiter vorantreiben. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe Paxlovid genommen, berichtete Lauterbach – Scholz war nach seiner Israelreise positiv auf das Coronavirus getestet worden, zeigte aber während seiner Quarantäne kaum Krankheitssymptome – womöglich wegen der Paxlovid-Einnahme.
Neuer Pandemiemonitor soll Datenlage verbessern
Zudem soll nun endlich die Datenbasis in Sachen Corona in Deutschland deutlich besser werden – vergangenen Freitag startete Lauterbach eine erste Testversion des neuen Pandemie-Monitors, der über die Homepage des Robert-Koch-Instituts zu finden ist. Das sei „ein ganz wichtiger Schritt nach vorn“, betonte Lauterbach, der Radar soll vor allem bessere Daten zur Corona-Lage in Krankenhäusern und Arztpraxen liefern. Auch die Messstellen für das neue Abwasser-Corona-Monitoring sollen hier in Zukunft einfließen – Rheinland-Pfalz hatte jüngst angekündigt, ein eigenes solches Messsystem zu starten.
„Der Herbst wird nicht leicht werden“, betonte Lauterbach, und warnte: „Wenn wir die Welle nicht begrenzen, werden wir in ein paar Wochen Probleme haben bei der kritischen Infrastruktur, beim Pflegepersonal, bei ärztlichem Personal oder Polizisten.“ Dann könne sich auch eine fatale Lücke bei den belegbaren Klinikbetten aufbauen – weil gleichzeitig Personal krank sei, aber mehr Patienten in die Kliniken kämen.
Eine gute Nachricht hatte der Minister aber auch: Es zeichne aber derzeit keine neue Corona-Variante ab, die die schweren Verläufe der Delta-Variante mit der Immunflucht der Omikron-Variante BA.5 kombiniere. Gleichzeitig entwickelten sich aber derzeit neue Varianten wie etwa BQ1.1 – und die wiesen „eine vollständige Immunflucht auf“, sagte Lauterbach weiter. Das würde bedeuten: Die Corona-Impfung würde erheblich weniger wirken. Gerade vor diesem Hintergrund werde die vierte Wirkung besonders wichtig: Sie reduziere die Gefahr des Todes bei Älteren über 60 um 90 Prozent.
Info& auf Mainz&: Die ganze Pressekonferenz von Karl Lauterbach könnt Ihr zum Beispiel hier auf Facebook ansehen. Mehr zu den Regeln des neuen Infektionsschutzgesetzes des Bundes lest Ihr hier bei Mainz&. Wie gut selbst schlecht sitzende FFP2-Masken gegen Corona helfen, haben wir hier bei Mainz& berichtet: