Es war die mit Spannung erwartete Endabrechnung der Untersuchungen zur Frage: Wer trägt die politische Verantwortung für die vielen Versäumnisse und die 136 Toten der Flutnacht im Ahrtal? Die Debatte am Freitag im Landtag wurde eine weitgehend ehrliche, und sie wurde eine stellenweise berührende. Am Ende räumte gar die Landesregierung erstmals überhaupt „Fehler auf allen Ebenen“ ein. Doch eine Entschuldigung wird es nicht geben, weitere Entlassungen ebenfalls nicht – nun richtet sich der Blick auf die gerichtliche Aufarbeitung, denn diese Debatte ist noch nicht zu Ende: Ein Schlussstrich ist das nicht.
„Demut.“ Mehrere Sekunden lang ließ Martin Haller das Wort das Landtagsplanum in Mainz füllen, um dann fortzuführen: „Demut ist das Wort, das Gefühl, das für mich als Vorsitzender am Ende dieser nahezu drei Jahre Arbeit im Untersuchungsausschuss ‚Flutkatastrophe‘ steht. Demut vor dem, was die Menschen in dieser schrecklichen Flutkatastrophe erlitten haben. Demut auch vor dem, was in und nach der Katastrophe geleistet wurde. Die Heldentaten, die übermenschliche Kraft, der unzerstörbare Wille zu helfen und zu heilen.“
„Bericht des Ausschussvorsitzenden“ lautete der Tagesordnungspunkt an diesem Freitagmorgen im Mainzer Landtag, es hätte auch ein nüchterner, bürokratischer Bericht werden können. Doch der SPD-Abgeordnete Martin Haller, der drei Jahre lang den Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal geleitet hatte, machte daraus einen eindringlichen Rückblick auf die Arbeit des Gremiums, auf die vielen beklemmenden Zeugenaussagen, die erschütternden Erkenntnisse des Versagens und auch auf die Ereignisse der Flutnacht selbst.
Demut im Angesicht der Apokalypse, der Opfer und des Leides
Von einer „Apokalypse“ sprach Haller, von Hoffnungen und Ängsten, von Verletzlichkeit und Ohnmacht im Angesicht von Naturgewalten, aber auch von dramatischen Szenen des Verlustes und der eigenen Fehlbarkeit. „Ich denke, alle an diesem Untersuchungsausschuss Beteiligten werden das gespürt haben. Gespürt in den Momenten, in den Menschen genau hier, in diesem Raum gesessen haben und von dramatischsten Szenen erzählt haben“, sagte Haller – und erinnerte an den Feuerwehrmann, der in seinem Auto von Wassermassen eingeschlossen wurde.
Haller erinnerte an „die heldenhafte Hubschrauberbesatzung, die mit einer selbstgebauten Seilkonstruktion unter höchster Gefahr für das eigene Leben Menschen durchs Wasser ans rettende Ufer gezogen hat“. Erinnerte an Szenerien im Ahrtal, als der Ausschuss vor Ort selbst Autowracks, Öltanks und massiven Unrat sah, „der von den Wassermassen wie Spielzeug in die verwüstete Landschaft gewirbelt wurde.“ Erinnerte an die „vielen, vielen weitere Schilderungen vor diesem Ausschuss, die diejenigen, die sie gehört haben, nie wieder loslassen. Was hier und an anderen Stellen geleistet wurde, ist schlicht und ergreifend übermenschlich“, sagte Haller, und dankte ausdrücklich „den Helden in und nach der Katastrophe“ der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021.
Und Haller sprach auch über die Verantwortung der Aufklärung: „Es war teils fast mit Händen greifbar, welche große Aufgabe vor diesem Untersuchungsausschuss liegt. Welche Bedeutung diese Aufklärungsarbeit für die Menschen vor allem im Ahrtal hat.“ Er berichtete von unzähligen Emails und Briefen, die er, ebenso wie viele Ausschussmitglieder, in der Aufklärungszeit bekamen, Briefe mit Schilderungen, Briefe voller Hoffnung auf Aufklärung. „Dies war kein Untersuchungsausschuss wie jeder andere“, betonte Haller. Denn schließlich sei es „eben nicht um Geld oder Verträge, sondern um 136 Tote in unserem Bundesland und um zahllose menschliche Schicksale“ gegangen.
Tief empfundener Dank an alle Zeugen vor dem Ausschuss
Und Haller dankte vor allem explizit „aus tiefstem Herzen allen Zeuginnen und Zeugen, die uns hier Bericht erstattet, Fragen beantwortet und Informationen geliefert haben, ohne die dieser Ausschuss niemals in der Lage gewesen wäre, seine Arbeit zu verrichten. DANKE!“ Denn der Umgang mit diesen Zeugen, die notwendige juristische Belehrung, ihre Befragung vor der so einschüchternden Kulisse im Plenarsaal des Landtags – all das sei auch für ihn als Vorsitzenden „oft keine leichte Aufgabe“ gewesen.“
Denn wahr ist auch: Gerade zu Beginn der Zeugenvernehmungen gab es regelrechte Protest gerade von Helfern in der Notlage im Ahrtal, die sich durch die Vernehmungen vor dem Ausschuss „an den Pranger gestellt“, zu Angeklagten gemacht fühlten. Erst nach ihren Protesten änderte Haller den Umgang mit den Zeugen, wurde verbal deutlich milder und einfühlsamer. „Wir haben immer versucht, den Zeugen größtmögliche Anerkennung zukommen zu lassen und keine Grenze zu überschreiten“, betonte Haller am Freitag, und fügte mit schwankender Stimme hinzu: „Mir ist es wichtig, diejenigen um Entschuldigung zu bitten, denen ich bei diesem schmalen Grad nicht gerecht geworden bin.“
47 Sitzungen, knapp 300 Stunden Tagungszeit, 226 Zeugen und 23 Sachverständige, dazu elektronische Akten in Form von mehr als einer Million Dateien mit einem Gesamtumfang von rund 560 GB und 260 Aktenbänden – der am 1. Oktober 2021 gestartete Untersuchungsausschuss war ein Mammutwerk. Am 2. August legte er seinen Abschlussbericht vor: 2.100 Seiten stark, davon 1.200 Seiten Bilanz der Aufklärungsarbeit und Hunderte Seiten Würdigung durch die politischen Parteien.
Hering: „Beispiellose, akribische Aufklärungsarbeit“
Zu Beginn der finalen Debatte über den Bericht an diesem Freitag hatte Landtagspräsident Hendrik Hering diesen Untersuchungsausschuss bereits als „beispiellos in der rheinland-pfälzischen Geschichte“ bezeichnet. Und Hering dankte ausdrücklich für „die akribische Aufklärungsarbeit. Bei aller Kontroverse, „dieser Untersuchungsausschuss hat gezeigt, wie wirksam – und auch wie erforderlich – parlamentarische Aufklärung und politische Bewertung sein kann, zumal dann, wenn Strafverfolgungsbehörden – wie hier – eine konkrete strafrechtliche Schuld nicht ermitteln können“, sagte Hering.
Solche Ausschüsse seien deshalb geeignete Instrumente, „das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wirksamkeit unserer parlamentarischen Demokratie wiederherzustellen“, betonte Hering zudem: „Sie sind deswegen nicht nur ‚das schärfste Schwert der Opposition‘, sondern auch Stützpfeiler der Demokratie, weil sie politische Verantwortlichkeit offen legen.“ Und der Parlamentspräsident mahnte auch an das U-Ausschuss-Gesetz des Landtags sei veraltet und müsse modernisiert werden.
Und so mahnte etwa auch der Ex-AfD-Obmann und heutige parteilose Abgeordnete Michael Frisch an, es sei ein Unding, dass die Protokolle der doch öffentlichen Sitzungen bis heute öffentlich nicht einsehbar sind – das habe „auch die Arbeit der Presse behindert“, deren „bohrende und aufklärerische Arbeit“ oft erst den Druck erzeugt habe, die zum Rücktritt der damaligen Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) und Innenminister Roger Lewentz (SPD) führten.
Verneigung vor der freien Presse und ihrer Arbeit
Überhaupt würdigten Redner verschiedenster Seiten ausdrücklich auch die Berichterstattung von Journalisten über den U-Ausschuss – das führte sogar zu Beifall für die Pressevertreter auf der Tribüne, ein Novum. Gerade bei diesem U-Ausschuss „ist die Rolle der freien Presse eine sehr wertvolle und besondere gewesen“, sie habe „eine unglaubliche Arbeit verrichtet“, betonte Haller: „Die Überstundenkonten so manches Redakteurs und mancher Korrespondentin dürften wahrscheinlich noch heute aus allen Nähten platzen.“
Ohne die Berichte der Presse jedoch „wäre so vieles von dem, was hier erarbeitet und aufgedeckt wurde, niemals so breit und gut verständlich an die große Öffentlichkeit gelangt“, dankte Haller: „Das war und ist generell ein wichtiger Dienst an unserer Demokratie.“ Mehr aber noch;: Die Berichterstattung habe immer wider „diesem Ausschuss wichtige Anhaltspunkte für die richtigen Fragen und Untersuchungen gegeben“, räumte Haller auch ein: „Es waren Aussagen in diesem Ausschuss, die zum Ausgangspunkt für ihre Berichterstattung wurden. Und es waren Ergebnisse und Erkenntnisse aus diesem Ausschuss, die durch ihre Arbeit an eine breite Öffentlichkeit gelangt sind, damit sich die Menschen draußen ein eigenes Bild machen konnten.“
Aber hat der U-Ausschuss denn nun, wie Hering meinte, Antworten auf die offenen Fragen seit der Flutnacht gegeben? Haller selbst skizzierte diese Fragen in seiner Rede: „Wie konnte es soweit kommen? Warum mussten die Auswirkungen so drastisch sein? Welche Entscheidungen – oder deren Ausbleiben – haben in der Nacht die Lage negativ beeinflusst? Und als Arbeitsauftrag für diesen Untersuchungsausschuss ganz konkret: Wer trägt eine politische Verantwortung dafür?“
„Unser Fazit lautet nicht: Der Landrat trägt die alleinige Schuld“
Haller selbst zog diese Bilanz: „Dieser Ausschuss hat, das sage ich als Vorsitzender sehr offen, sicher nicht alle Erwartungen erfüllt. Das konnte er auch gar nicht“, bekannte Haller: „Aber, das sage ich genau so offen, er hat alles versucht, mit enormem Einsatz aller Beteiligten, mit viel Akribie und unzähligen Stunden Engagements, seiner Verantwortung gerecht zu werden – mit Fleiß und mit Demut. Wir werden mit diesem Ausschuss und seinen Ergebnissen keine Wunden heilen können – aber ich hoffe, dass wir zur Linderung beitragen.“
Die Antworten der verschiedenen Fraktionen viel erwartungsgemäß unterschiedlich aus, erwartungsgemäß lasteten gerade die Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP dem Ahrweiler Ex-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) den Hauptteil der Schuld am Versagen bei Warnungen und Rettungsbemühungen an. SPD-Obmann Nico Steinbach sprach denn auch von „einer verantwortlichen Schlüsselstellung“, einem „gigantischen Anteil“ des Landrats, der geradezu als „Systemsprenger“ gewirkt habe.
Und doch musste selbst Steinbach einräumen: „Unser Fazit lautet nicht: Der Landrat trägt die alleinige Schuld, unser Fazit lautet auch nicht: alle anderen haben alles richtig gemacht.“ Doch welche Verantwortung die Landesregierung trug – das sagte Steinbach nicht, stattdessen verbreitete er weiter das unhaltbare Narrativ es habe in der Flutnacht „kein realistisches Lagebild“ gegeben, ein Schwerpunkt im Kreis Ahrweiler habe sich „nicht erkennen lassen“, ja, das Ausmaß der Katastrophe sei „für die Landesregierung nicht abzusehen gewesen.“
Herber: „Mäntel des Schweigens, des Vertuschens, des Schönredens“
„Über 1.200 Seiten Beweisaufnahme sprechen eine ganz andere, klare Sprache als die Mehrheitsmeinung der Ampel-Fraktionen uns weismachen will“, hatte deshalb zuvor schon der CDU-Obmann im Ausschuss, Dirk Herber gewarnt: „Jeder kann es lesen, jeder kann es erkennen, jeder kann es mit Händen greifen, dass die Ampelmehrheit auf eine populistische Art und Weise selbst klar belegbare Fakten ausblendet.“ Die frühe Vorgabe der Landesregierung von dem „unklaren Lagebild“ sei „zur Ermittlungs-Maxime der Ampelkoalition“ geworden, „Hauptakteure des Versagens“ würden bis heute „von einem politischen Schutzschirm gedeckt, der zur Verteidigung der Landesregierung und der ehemaligen Ministerpräsidentin Marie Luise Dreyer aufgespannt wurde“, kritisierte Herbert.
Das große Aufklärungs-Versprechen der Regierung und ihrer Fraktionen „erschöpft sich selbst heute noch alleinig im ausgestreckten Zeigefinger auf den damaligen Landrat des Landkreises Ahrweiler und seine auch für uns ohne Zweifel belegte und unentschuldbare Verantwortung-Verweigerung“, kritisierte Herbert: „Das ist alles. Mehr kam von den regierungstragenden Fraktionen nicht. ‚Gehen sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen!“ Man habe sich „aus Parteiräson dazu entschieden, die Mäntel des Schweigens, des Vertuschens und des Schönredens über die Hintergründe einer Katastrophe zu werfen.“
Dass Steinbach das als „postfaktisch“, und als „nur hart an der Grenze zur Unwahrheit“ zurückwies, war ein echter Tiefpunkt in der Debatte – und warf ein umso helleres Licht auf Herbers Kritik von der „fehlenden Einsicht, trotz aller offensichtlicher, aller individueller und aller politischer Fehler.“ Und Herber mahnte auch: „Die stille Hoffnung, die Öffentlichkeit werde den schönen und gefühlsbetonten Worten Glauben schenken, hat sich ins Gegenteil verkehrt. Man wird Ihren Worten nicht mehr glauben können, man wird Ihnen nicht mehr vertrauen können.“
Wefelscheid: Spiegel und Manz hätten aktiv Warnen müssen
Und gerade der Grünen-Obmann Carl-Bernhard von Heusinger spulte erneut die Ansicht vom alleinschuldigen Landrat ab, von der angeblich überhaupt nicht vorhersehbaren Flutwelle, von angeblich nicht-existenten Sturzflutprognosen für die Ahr. „Die Pegelwarnungen lagen über den ganzen Abend vor, konnten aber wegen fehlender Planung nicht ausreichend bewertet werden“, behauptete von Heusinger allen Ernstes – und verlor kein einziges Wort über nicht erfolgte Warnungen der Bevölkerung gerade auch durch das grün-geführte Umweltministerium.
Die Rolle und das Versagen dieses Hauses samt seines bis heute amtierenden Staatssekretärs Erwin Manz sezierte denn auch in aller Deutlichkeit noch einmal der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid. Die Extremwetterlage sei sehr wohl vorhergesehen worden, „es wäre die Pflicht der damaligen Ministerin Anne Spiegel und von Staatssekretär Erwin Manz gewesen, klare und effektive Warnmeldungen herauszugeben“, bilanzierte Wefelscheid. Ihnen habe das Wissen vorgelegen, sie hätten alle Bereiche für das Kommende sensibilisieren, das Kabinett umfassend aufklären, in der Flutnacht selbst eine treibende Rolle spielen müssen.
„Ministerin Anne Spiegel verletzte ihre Pflicht, umfassend und den vorliegenden Prognosen und Pegelständen entsprechend zu warnen und sich als in dieser Phase Hauptverantwortliche aktiv in das Geschehen einzubringen“, betonte Wefelscheid: „Sie hätte DAS Gesicht der Krise sein müssen – denn geführt wird von oben, insbesondere in Krisenzeiten. Und aus Wissen folgt Verantwortung.“
Menschliches Versagen für unterbliebene Warnungen wesentlich
Und der sei auch Manz in keinster Weise nachgekommen, rügte Wefelscheid: Weder habe er Informationen seiner Verantwortung entsprechend weitergeleitet, noch aktiv und umfassend vor der Katastrophe gewarnt. Er habe die dramatischen Schilderungen der damaligen Bürgermeisterin Cornelia Weigand nicht an die Landesspitze weitergeleitet, noch umfassend Alarm geschlagen – „zusammenfassend war sein Lösungsansatz: Abwarten statt Handeln“, konstatierte Wefelscheid: „Hätte Staatssekretär Erwin Manz die Lage hingegen richtig eingeschätzt und seine Regierungskollegen darüber aufgeklärt, wäre die Bewältigung der Flutnacht sicher anders verlaufen.“
Und auch die Untätigkeit der Dienstaufsicht ADD in der Flutnacht, sich aktiv Informationen aus dem Ahrtal einzuholen, und rechtzeitig Maßnahmen zur Evakuierung von Menschen einzuleiten, geißelte Wefelscheid scharf: „In den Tagen vor, während und nach der Flutkatastrophe ist es zu einem Versagen von staatlichen Strukturen im weiteren Sinne gekommen“, lautete sein Fazit: „Es bleibt festzuhalten: Menschen hätten gerettet werden können. menschliches Versagen hat für unterbliebene Warnungen und nicht erfolgte Evakuierungen eine wesentliche Rolle gespielt.“
Dass Wefelscheid allerdings meinte, Ministerpräsidentin Dreyer habe wohl von der Dramatik in der Flutnacht „wirklich nichts gewusst“ – dem widersprach die CDU: Sie hatte schon in ihrem Sondervotum betont, man glaube eben doch, dass die Landesregierung bereits am frühen Abend von eingestürzten Häusern in Schuld wusste – und mithin vom ganzen Ausmaß der Katastrophe. „Wir konnten nie vollständig klären, was in dieser Nacht wirklich passiert ist“, sagte Herber deshalb am Freitag auch: „Wir können und wollen nicht glauben, dass Sie sich mit dem vorhandenen Wissen in den schlimmsten Stunden schlafen gelegt haben. Wer will in so einem Land leben?“
Fernis: Dimension einer nie dagewesenen Flut im Ahrtal erkennbar
Und es war FDP-Obmann Philipp Fernis, der einen Riss in der Argumentation der Ampelkoalition erkennen ließ. „Menschenleben hätten gerettet werden können, das ist eine tragische Erkenntnis“, sagte Fernis offen: Durch eine rechtzeitige Warnung hätten sich mehr Menschen vor der herannahenden Katastrophe und der Wucht der Natur in Sicherheit bringen können – denn „dass sich eine nie dagewesene Katastrophe anbahnte, diese Informationen lagen spätestens am Nachmittag des 14. Juli vor“, konstatierte der Liberale: „Es war erkennbar, dass Wasser einer nie dagewesenen Dimension durchs Ahrtal fließt.“
Auch Fernis machte als Allein-Schuldigen den Landrat und dessen mangelhafte Aufstellung des Landkreises in Sachen Katastrophenschutz aus, und räumte doch ein: „Die zentrale, erschütternde Erkenntnis für mich ist: die Informationen waren da, es ist nur nicht gelungen, sie so zusammenzutragen“, dass Menschenleben rechtzeitig gerettet wurden. So etwas dürfe sich niemals wiederholen, genau dafür müsse die Politik jetzt Sorge tragen – und tue es mit der Neuaufstellung des Katastrophenschutzes. Es sei „das gemeinsame Versprechen an die Menschen: dass wir gemeinsam alles in unserer Macht stehende tun werden, damit so etwas nie wieder passiert – dann wird der Landtag seiner Verantwortung gerecht“, bilanzierte Fernis.
Offenbar hatte die Ampel-Koalition im Vorfeld der Debatte beschlossen, ihre bisherige Linie der Komplettverweigerung in Sachen Fehlerkultur deutlich zu ändern, und erstmals Fehler auch von Seiten des Landes einzuräumen. „Dass alles fehlerfrei lief, kann und will niemand behaupten“, sagte am Ende der Debatte Innenminister Michael Ebling (SPD), wies aber zugleich zurück: Um „Staatsversagen“ habe es sich dabei nicht gehandelt. Dabei hatten genau das im U-Ausschuss Gutachter dem Land bescheinigt: Der Staat, so ihre Analyse, habe in seiner vornehmsten Aufgabe versagt, nämlich das Leben der ihm anvertrauten Menschen zu retten.
Ebling betonte nun, er schaue „mit Dankbarkeit und Respekt“ auf die Ergebnisse des Ausschusses, die Landesregierung werde gerade im Bereich Bevölkerungsschutz aus dieser Katastrophe lernen und den Schutz verbessern. „Schafft es dieser Bericht, dass die Welt danach ein bisschen besser wird“, fragte Ebling rhetorisch: „Ich will dieser Frage ein klares Ja sagen.“
Verneigung vor Helden der Flutnacht und tiefer Dank an Helfer
Ganz still wurde es schließlich im Plenumsrund, als ganz zum Schluss Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) ans Pult trat: „Ich weiß, dass jede Debatte über die Flut Wunden wieder aufreißen, aber wir stehen an Ihrer Seite und wir bleiben an Ihrer Seite§, versicherte er den Menschen im Ahrtal: „Ich will Ihnen versichern: Keine und keiner wird vergessen, meine Gedanken sind heute bei Ihnen.“ Er „verneige“ sich auch vor den Heldentaten der gesamten Blaulichtfamilie, sagte Schweitzer – und dankte erstmals auch ausdrücklich den Tausenden Helfern im Ahrtal, die nach der Flut Aufräumen halfen: „Viele sind gekommen, viele sind geblieben – Ihnen gebührt mein tiefer Dank.“
„Diese Aufarbeitung war wichtig“, betonte Schweitzer zudem, der Bericht helfe, das besser zu verstehen, was geschehen sei, um sich für kommende Extremereignisse besser zu wappnen. Und dann räumte Schweitzer erstmals von höchster Stelle des Landes ein: „Keine Ebene kann von sich sagen, es sind keine Fehler gemacht worden, auch auf Ebene der Landesregierung sind Fehler gemacht worden.“ Doch ein „Entschuldigung dafür“, auch nur ein „es tut mir Leid“ – das kam auch dem neuen Ministerpräsidentin nicht über die Lippen.
„Ich trage Verantwortung dafür dass diese Landesregierung aus den Fehlern lernt, das schulde ich den Menschen im Ahrtal“, sagte Schweitzer stattdessen, und betonte: „Niemand in der Politik hat das Recht, einen Schlussstrich zu ziehen – das können wenn überhaupt nur die Betroffenen, die Menschen selbst machen.“
Schlussdebatte ist kein Schlussstrich: Staatsanwaltschaft im Fokus
Und tatsächlich ist auch die Schlussdebatte über den Ausschuss kein Schlussstrich in Sachen Aufarbeitung: Die Auseinandersetzung über den Beschluss der Staatsanwaltschaft Koblenz, keine Anklage in Sachen Ahrflut zu erheben, ist nicht beendet. Der Koblenzer Anwalt Christian Hecken geht weiter im Auftrag mehrerer Hinterbliebener von Ahrtal-Opfern gegen die Einstellung vor, juristisch und mit Öffentlichkeitsarbeit.
Kommenden Mittwoch will Hecken auf einer Pressekonferenz in Koblenz Sachverständige präsentieren, die Fehleinschätzungen der Staatsanwaltschaft belegen sollen. Im April 2024 hatte der Leitende Oberstaatsanwalt Mario Mannweiler in seiner Einstellungs-Begründung behauptet, es sei nicht nachzuweisen, dass “mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit” Menschenleben hätten gerettet werden können, wenn Verantwortliche anders gehandelt hätten – Warnungen seien „weitgehend deklamatorischer Natur“, durch die “keine Menschenleben gerettet werden”, behauptete Mannweiler.
Und auch die heutige Ahrweiler Landrätin Cornelia Weigand (parteilos) sprach sich nach Ende der Plenumssitzung eine juristische Aufarbeitung der Schuldfrage: „Wir hätten gerne eine tatsächliche Verhandlung gehabt“, sagte Weigand am Freitag vor Journalisten. Dabei gehe es weniger um eine Verurteilung von Schuldigen, „sondern um die Chance, in der Öffentlichkeit aufzuarbeiten, was war“, betonte die Landrätin: „Die entsprechenden Vernehmungen zu führen, die Diskussion zu führen, und das noch einmal neutraler – das würde vielen Menschen einfach gut tun. Das ist etwas, was vielen gefehlt hat, was vielen sehr, sehr wichtig ist.“
Denn eine öffentliche Verhandlung böte die Chance der Verarbeitung: „Es würde vielleicht ein wenig helfen, mit Manchem im Alltag doch etwas besser umgehen zu können“, sagte Weigand, „wieder zu Kraft zu kommen, wieder schlafen zu können – und wieder ein Vertrauen in die Menschheit, in den Katastrophenschutz und in den Alltag zu bekommen.“
Info& auf Mainz&: Unseren ausführlichen Bericht zum Abschlussbericht der Flutkatstrophe im Ahrtal lest Ihr hier auf Mainz&.