Erster Akt in Sachen Kenia-Koalition in Mainz: Die Grünen haben am Freitagabend dem Koalitionsvertrag mit SPD und CDU zugestimmt – und das mit der fast größtmöglichen Mehrheit. Lediglich mit einer Gegenstimme nahmen die Grünen das gemeinsame Koalitionspapier an, und machten zugleich klar: Die Koalition mit SPD und CDU sei „kein Glaubensbekenntnis, sondern ein Arbeitsauftrag“, wie Grünen-Fraktionschef Daniel Köbler sagte. Fakt ist: Beste Freunde sind die Grünen auf einmal mit der CDU – nicht mit der SPD. Am Samstag stimmten auch SPD und CDU für das Koalitionspapier.
Am 13. November hatten Grüne, SPD und CDU die Arbeit am gemeinsamen Koalitionsvertrag beendet, an diesem Wochenende wollen sich alle drei Parteien das Plazet von ihrer jeweiligen Basis für die neue Kenia-Koalition holen. Den Anfang machten am Freitagabend die Grünen: Im Kulturheim Weisenau waren 85 Parteimitglieder zusammengekommen, um über die Ergebnisse zu beraten. Um es vorwegzunehmen: Echte Gegenwehr gegen das ungewöhnliche Bündnis gab es nicht.
Dabei war vor allem die CDU jahrelang der Lieblingsgegner der Grünen im Mainzer Stadtrat gewesen, mit Angriffen, die vielfach unter die Gürtellinie gingen, droschen die Grünen gerade in der Verkehrspolitik auf die CDU ein. Nun aber herrschte plötzlich eitel Harmonie, wenn man den Schilderungen mancher Grünen glauben durfte: „Das hat viele irritiert: die schreien sich ja gar nicht an, die gehen ja freundlich miteinander um“, sagte Grünen-Kreischefin Christin Sauer. Man duze sich inzwischen, machte den Kindern Geburtstagsgeschenke und stellte fest: „Mit der CDU kann man ja reden, wer hätte das gedacht.“
CDU und SPD warben bei den Grünen für Koalitionsvertrag
Tatsächlich waren die CDU-Chefs Ludwig Holle und Thomas Gerster sogar persönlich auf den Parteitage der Grünen gekommen, um für den gemeinsamen Vertrag zu werben – ein echtes Novum in Mainz. „Mein Verhältnis zu den Grünen war nicht immer ungetrübt“, räumte denn auch CDU-Kreischef Thomas Gerster ehrlich ein – dabei habe man schon früher Gemeinsamkeiten gehabt: 2009, als CDU und Grüne gemeinsam den Bau eines neuen Kohlekraftwerks auf der Ingelheimer Aue kippten.
Jetzt sei das „am Anfang nicht die große Liebesheirat gewesen, wir haben hart verhandelt“, sagte Gerster weiter, und zollte dem Grünen-Verhandlungsteam hohen Respekt. Dass er dafür rauschenden Applaus von den Grünen bekam, dürfte ebenfalls ein Novum gewesen sein. Aber als demokratische Parteien wolle man nun „gemeinsam diese Stadt voranbringen“, flankierte CDU-Fraktionschef Ludwig Holle – und lud die Partner-in-spe schon einmal zu einem gemeinsamen Kenia-Selfie ein.
Und so waren es eher die Sozialdemokraten, mit denen die Verhandlungen schwieriger gewesen seien, räumten die Grünen ein, und diese Distanz wurde auch bei den Vertretern der SPD sichtbar. „Seit 15 Jahren koalieren wir miteinander, wir wagen trotzdem etwas Neues“, saget SPD-Fraktionschefin Jana Schmöller: „Wir haben alle ein gemeinsames Ziel, vielleicht mit unterschiedlichen Wegen, aber wir kriegen das hin.“ Nach 15 Jahren sei es „auch einfach mal gut, neue Wege zu gehen“, stimmte auch Christin Sauer zu.
Grüne: „Wollen CDU-Sünde auf den Gutenbergplatz heilen“
Die Grünen machten danach klar: an Selbstbewusstsein mangelt es ihnen nicht. „Wir geben die Richtung vor, und wir halten den Kurs, auch wenn es mal rauer wird“, sagte Grünen-Kreischef Jonas König: „Wir haben gut verhandelt, wir haben geliefert, und wir haben verdammt viel vor.“ Mainz werde in Zukunft grüner, „wir entsiegeln Flächen“, schwärmte König: „Wir begrünen das Rheinufer und beginnen mit dem Gutenbergplatz – wir machen diese CDU-Sünde wieder heil.“
Dabei erinnerten die Grünen an das „Kettensäge-Massaker“, mit dem 1998 der damalige CDU-Bürgermeister Norbert Schüler 17 Platanen auf dem Gutenbergplatz fällen ließ. Nun betonten die Grünen, man wolle mit Entsiegelung und mit dem Pflanzen von Bäumen ausgerechnet dort beginnen und „eine grüne Lunge schaffen“ – dass die eigenen grünen Dezernentinnen jahrelang Betonwüsten auf diversen Mainzer Plätzen mit gebaut haben, das blieb unerwähnt. Stattdessen zählte König als Erfolg auf, dass nun der zweite Mainzer Grüngürtel kommen soll – und dass die Grünen eine Ausweitung des Verkehrsmixes auf 80 Prozent Anteil für ÖPNV, Rad und Fußverkehr kommen soll.
Die amtierende Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger machte derweil deutlich, sie habe die Verhandlungen „nicht immer so supi“ gefunden, und gedenke auch nicht, mit den CDU-Partner künftig „ein Weinchen trinken gehen zu wollen.“ Man habe aber „gemerkt, dass wir lösungsorienteirt miteinander reden können“, sagte Steinkrüger weiter – und schließlich „sind wir nicht angetreten, gemeinsam auf Klassenfahrt zu gehen sondern gemeinsam die Stadt zu regieren.“ Und da komme es weniger darauf an, was im Koalitionsvertrag stehe, „gemessen werden wir daran, was wir nach fünf Jahren umgesetzt haben“, fügte sie hinzu.
Grüne: „Was im Vertrag nicht drinsteht, kommt auch nicht“
Die Grünen betonten denn auch, was an Themen im Koalitionsvertrag nicht drin stehe, „das kommt auch nicht“: „Lücken in diesem Vertrag heißt, in den nächsten fünf Jahren wird es dazu keine Zustimmung der Grünen geben“, betonte Sauer, bei „manchen Dingen ist es eben gut, dass es so bleibt, wie es ist“ – zum Beispiel bei einer Nicht-Ausweisung neuer Gewerbeflächen, brüstete sie sich. Auch Gunther Heinisch vom Verhandlungsteam tröstete die Versammlung: „Da stand früher auch manches nicht drin, Tempo 30 zum Beispiel“, dennoch hätten die Grünen damals „das Momentum“ des drohenden Dieselfahrverbotes genutzt, um Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen durchzusetzen – bis heute ist das höchst umstritten.
„Das ist erst einmal nur ein Koalitionsvertrag, das ist erstmal nur Papier“, betonte auch Grünen-Fraktionschef Daniel Köbler, und schlug auch gleich einen weiteren Pflock ein: „Es wird mit den Grünen keine Zustimmung zum sechsspurigen Ausbau der A643 geben, Punkt, Aus“, rief er. Der sechsspurige Ausbau ist vom Bund seit Jahren verfügt, die CDU stand stets hinter dem Ausbau der Autobahn, die in der Verlängerung der sechsspurigen Schiersteiner Brücke steht – Im Koalitionsvertrag kommt der Ausbau gar nicht vor.
Das Bündnis mit SPD und CDU sei „die einzige ernsthafte Option für eine stabile Mehrheit“ im Stadtrat gewesen, warb auch Landtagsabgeordneter Fabian Ehmann, und Kreischef König betonte: „Mit diesem Vertrag wollen wir in unruhigen Zeiten Stabilität geben und zeigen, dass unsere Demokratie funktioniert.“ Gegenwehr gab es so gut wie keine, nur ein Mitglied kündigte an, für ihn gehe das gar nicht zusammen: Wer CDU gewählt habe, bekomme jetzt grüne Politik, wer Grüne gewählt habe, CDU-Politik – „da geht einfach etwas zusammen, was nicht zusammengehört“, kritisierte der Mann: „Das ist für eine demokratische Willensbildung einfach nicht gut.“
Grüne stimmen mit nur einer Gegenstimme für Papier
Am Ende gab es denn auch genau eine Gegenstimme, aber dafür überwältigende Zustimmung der Grünen zu Kenia-Koalitionspapier. Lediglich ein weiteres Parteimitglied mahnte, die Grünen-Spitze habe sich zuletzt „mit sich selbst beschäftigt“ – auf den Bürger gehe man so gut wie gar nicht mehr zu, „das habe ich vermisst.“ Auf große Resonanz stieß das nicht, ein Antrag, mit dem einige ältere Grüne die Parteispitze zu mehr Rückkopplung auf Parteitagen zwingen wollte, wurde abgeschmettert.
„Wir wollen die Verantwortung übernehmen, und wir machen nicht den Lindner“, betonte Köbler, „Chaos und Brüche“ gäben Populisten viel mehr Auftrieb. „Die Bürger brauchen eine politisch-soziale Sicherheit und ich glaube, die könne wir vermitteln“, betonte der Fraktionschef: „Die beste Antwort gegen demokratiefeindliche und extremistische Politik von rechts ist gute Politik – und ich glaube, dass wir das hinkriegen.“ Ohnehin gehe die Arbeit ja jetzt erst richtig los, entscheidend sei die Arbeit im Stadtrat. „So ein Koalitionsvertrag“, sagte Köbler noch, „das ist doch kein Glaubensbekenntnis, das ist ein Arbeitsauftrag.“
Eine Überraschung hatten Sauer und König zum Schluss auch noch im Gepäck: Sauer kündigte an, das Kreisvorsitzendenduo werde seine Ämter nach der Bundestagswahl im Februar 2025 vorzeitig niederlegen – und fügte zur Begründung an: „Weil es gute Tradition ist, Partei und Ämter zu trennen.“ Welches Personal in der neuen Koalition künftig Ämter und Funktionen besetzen soll – das blieb auch an diesem Abend offen.
SPD und CDU: Ja zur Koalition, Freie Wähler werben für Alternative
UPDATE&: Am Samstag stimmte dann auch die Mainzer SPD für den Koalitionsvertrag, die Sozialdemokraten votierten einstimmig für den Vertrag. So harmonisch wurde es bei der CDU nicht – nach Debatten auf dem Parteitag am Samstagnachmittag stimmten 82 Prozent der CDU-Mitglieder für „Ja“ und damit für die Koalition mit Grünen und SPD. Vor dem Parteitag hatten die Freien Wähler offensiv für eine Alternative geworben: Mainz könne „mehr als eine Grundsteuererhöhung, die nur Öl in den erhitzten Wohnungsmarkt gießt“, hieß es in einem Flyer – deshalb brauche es eine Koalition aus CDU, SPD, FDP und Freien Wählern.“
Das grün-geführte Finanzdezernat plan eine Anhebung der Grundsteuer in Mainz auf satte 600 Prozent, die Stadt würde damit rund 20 Millionen Euro mehr einnehmen als derzeit – und das Versprechen der „Aufkommensneutralität“ im Zuge der Grundsteuerreform vollständig brechen. Das Vorhaben ist stark umstritten, denn es würde Mieten und Wohnen in Mainz weiter verteuern. Eine Petition sammelt derzeit Unterschriften gegen die Anhebung, die kommenden Mittwoch auch Thema im Mainzer Stadtrat sein wird.
Info& auf Mainz&: Da Mainz& leider gerade von einem Virus erwischt wurde, konnten wir leider von den Parteitagen von SPD und CDU nicht direkt berichten – und leider heilten es beide Parteien auch nicht für nötig, Pressemitteilungen zu versenden – trotz Anfrage. Stattdessen kommuniziert man lieber über „Selfies“ in den sozialen Netzwerken – die Intransparenz geht also weiter, mehr dazu hier bei Mainz&. Was genau Grüne, SPD und CDU in den Koalitionsvertrag geschrieben haben – und was nicht – das lest Ihr ausführlich hier bei Mainz&.