Achtung&: Dieser Artikel erschien im September 2019 auf Mainz& – aus aktuellem Anlass wiederholen wir ihn heute noch einmal. — 27 Tropennächte, wochenlange Hitzewellen, die Stadt ein Glutofen – schon ab 2030 droht Mainz genau ein solches Szenario: 30 und mehr Hitzetage von mehr als 30 Grad, nahezu eine Verdoppelung der Tropennächte – Mainz droht, ein Hitze-Hotspot zu werden. Das ist eines der Ergebnisse des Modellprojekts Klimprax, bei dem das Hessische Landesamt für Umwelt die Auswirkungen des Klimawandels für die Region Mainz-Wiesbaden berechnete.

Projektion der Tropennächte für Mainz und Wiesbaden im Modell Klimprax. - Grafik: DWD
Projektion der Tropennächte für Mainz und Wiesbaden im Modell Klimprax. – Grafik: DWD

Das Ergebnis: Weiten Teilen von Mainz und Wiesbaden drohen dauerhafte Hitzewellen, eine Abkühlung erfolgt auch nachts nicht mehr. Die Experten fordern dringend eine andere Stadtplanung: ein unbedingtes Freihalten von Frischluftschneisen, Maßnahmen wie Dachbegrünung und Kühlinseln wie Brunnen, Wasserspiele oder gar Kühlräume.

2012 startete das Hessische Landesamt für Umwelt (HLNUG) das Stadtklima-Projekt Klimprax zum Thema Städte und Klimawandel, 2014 nahm man auch die Region Mainz hinzu. Mit Hilfe des Deutschen Wetterdienstes wurden meteorologische Daten erhoben, die Kaltluftströme im Umfeld der beiden Städte erforscht und die Auswirkungen der Klimaerhitzung detailliert auf einzelne Stadtgebiete heruntergerechnet. Auch Daten zu den Einwohnerstrukturen der Stadtteile flossen ein, vor allem aber Ausmaß und Auswirkungen von Bebauung und Flächenversiegelung.

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Die Ergebnisse sind alarmierend: Wenn nichts geschieht, droht Mainz ein Anstieg der Hitzetage mit über 30 Grad schon ab 2030 von derzeit 21 pro Jahr auf 27. Die Zahl der Tropennächte mit Temperaturen von mehr als 20 Grad würde von derzeit 15 auf 27 pro Jahr hochschnellen – nahezu eine Verdoppelung. Die Innenstadt, aber auch viele Stadtteile würden sich unerträglich aufheizen, kühle Luft die Zentren kaum noch erreichen. Für die Gesundheit der Menschen werde das gravierende Auswirkungen haben, betonte der Präsident des HLNUG, Thomas Schmid, bei der Vorstellung der Ergebnisse 2019: Bei zu großer Hitze leide der Schlaf, der Körper könne sich nicht mehr richtig regenerieren.

 

Mainz wäre dabei noch mehr betroffen als Wiesbaden, das von den Taunushängen umgeben ist: In Wiesbaden, zeigten Simulationen, fließt mehr Kaltluft von den umgebenden Taunushänge in die Innenstadt, Mainz hingegen mit seiner Kessellage verfügt nur noch über wenige Luftbahnen, auf denen Kaltluft von weiter auswärts liegenden Bereichen in Richtung Innenstadt strömen kann.

Kaltluftentstehungsgebiete für Mainz und Wiesbaden, die dunkelblauen Flächen sind Kaltluftseen. - Karte: DWD
Kaltluftentstehungsgebiete für Mainz und Wiesbaden, die dunkelblauen Flächen sind Kaltluftseen. – Karte: DWD

Die wichtigsten Kaltluftentstehungsgebiete für Mainz sind dabei die Äcker und Wiesen zwischen Drais und Finthen, das Gonsbachtal sowie die großen Freiflächen zwischen Marienborn und Hechtsheim sowie Hechtsheim und Ebersheim oder auch die Laubenheimer Höhe. Von ihnen fließt die kalte Luft in der Nacht über das Gonsbachtal nach Mombach, den Wildgraben in die Innenstadt und die Hechtsheimer Senke ins Stadtgebiet – mehr dazu lest Ihr auch hier bei Mainz&.

Die detaillierte Berechnung der Herkunft und Fließwege kalter Luft erbrachte aber auch unerwartete Ergebnisse: So kommt der Kaltluftstrom aus Richtung Süden erst so richtig zwischen 2.00 Uhr und 4.00 Uhr im Mainzer Stadtgebiet an, gleichzeitig fließt die kalte Luft jetzt auch über die Draiser Senke in Richtung Mainzer Neustadt, wo er allerdings schnell versickert.

 

Der Rhein wiederum liefert zwar tagsüber Abkühlung, in diesen Nachtstunden wirkt das warme Wasser aber eher wie eine Wärmflasche in der Stadt. Die Mainzer Neustadt wiederum sowie das Rheinufer der Innenstadt bekommen just zwischen 2.00 Uhr und 4.00 Uhr eine geballte Ladung kühle Luft – von der anderen Rheinseite. Vom Wiesbadener Ostfeld führt ein breiter Strom Kaltluft nicht nur zum Rhein hinunter, sondern sogar über den Rhein bis zum Neustadtufer.

Kaltluftströme für Mainz zwischen 2.00 Uhr und 4.00 Uhr morgens nach dem Modell Klimprax. - Karte: DWD
Die lila Linien markieren die Kaltluftströme für Mainz zwischen 2.00 Uhr und 4.00 Uhr morgens nach dem Modell Klimprax. – Karte: DWD

Genau auf dem Ostfeld, will jedoch die Stadt Wiesbaden einen neuen Stadtteil bauen, für die Mainzer Innenstadt könnte das fatale Konsequenzen haben. Der Wiesbadener Umweltdezernent Andreas Kowol (Grüne) räumte bei der Vorstellung der Klimprax-Ergebnisse ein, dass beim Ostfeld eine genau Abwägung nötig sei: Wiesbaden prüfe derzeit, ob die Klimarelevanz auf der einen, aber eben auch der Bedarf nach mehr Wohnraum im großen Umfang in Einklang gebracht werden könnten, sagte Kowol: „Es gibt sehr belastbare Hinweise, dass man das in Einklang bringen kann.“

Bislang hätten es Klimaargumente in der Stadtplanung schwer gehabt, sagte Schmid, Argumente wie Kaltuftschneisen seien schnell mal vom Tisch gewischt worden. Mit Klimprax gebe es jetzt nicht nur für Mainz und Wiesbaden „klare Faktoren: wenn du das so entscheidest, hat das diese Konsequenz“, sagte Schmid: „Man kann jetzt nicht einfach mehr drüber weggehen und sagen, wir machen es trotzdem.“ Klimprax nämlich lieferte Rechenmodelle, die für jede Stadt anwendbar sind, Hessen und Rheinland-Pfalz wollen nun ihren Kommunen dabei helfen, klimarelevante Daten in ihre Stadtplanung einfließen zu lassen.

 

„Man muss künftig besonders gut überlegen, wie man neue Wohnquartiere gestaltet“, betonte die hessische Umweltministerin Priska Hinz (Grüne). Der Druck für mehr Wohnraum gerade im Rhein-Main-Gebiet sei hoch, doch Neubauten und Nachverdichtung müssten angesichts der Klimadaten gut überlegt sein. Kaltluftschneisen von Bebauung frei zu halten, sei von zentraler Bedeutung, sonst drohten die Städte zu Hitzehotspots zu werden.

Freiluftduschen im tschechischen Znaim - Foto Thomas Lippert
Luftbefeuchter und Freiluftdusche in einem sind diese Wassersprüher im tschechischen Znaim – sie helfen gegen Hitze in der Stadt. – Foto: Thomas Lippert

Hauptgrund ist vor allem die steigende Versiegelung der Böden: Messungen in Frankfurt zeigten, dass über zubetonierten Flächen die Temperatur gefühlt noch einmal um vier Grad ansteigt. Schatten durch Bäume kann die gefühlte Temperatur hingegen sogar senken. Hinz forderte deshalb ein Umdenken in der Stadtplanung: Zusätzliches Grün in Innenhöfen, Entsiegelung von Flächen, Fassadenbegrünung und Dachbegrünung müssten feste Elemente der Stadtplanung werden. „Wir müssen Abkühlungsmöglichkeiten schaffen“, betonte Hinz, dazu gehörten auch Springbrunnen oder renaturierte Bäche. Künftig könnten aber auch klimatisierte „Kühlräume“ in den Städten nötig werden.

Die größte Sorge bereiten den Planern nämlich Senioren: Sie wohnen besonders häufig in der Stadt, leiden aber auch besonders unter der Hitze. 40.000 Hitzetote gab es in Europa im Supersommer 2003, die meisten davon Senioren. Schon jetzt wohnen 75 Prozent aller Deutschen in städtischen Regionen, genau hier aber, warnten die Klimprax-Experten, sei vielfach die drohende Dramatik noch gar nicht erkannt.

 

„Bisher sind wir mit dem Argument ‚kalte Luft‘ nicht durchgedrungen“, sagte auch die Mainzer Umweltdezernentin Katrin Eder (Grüne) – im Konflikt zwischen Verkehrsachsen, Wohnraum und dem Bau von Kitas zogen Klimaargumente „immer noch den Kürzeren.“ Mit Klimprax habe man nun „Instrumente in der Hand, die uns sagen, wie wichtig das ist.“

Grüne Oase in Wiesbaden am Dernschen Gelände. - Foto: gik
Mehr grüne Oasen für die Städte und mehr Wasser helfen gegen Hitzestau in den Innenstädten – hier das Dernsche Gelände in Wiesbaden. – Foto: gik

Kowol kündigte an, Wiesbaden werde sich nun intensiv mit Fragen der Dach- und Fassadenbegrünung beschäftigen, denkbar seien aber auch Maßnahmen wie eine Aufforstung der Auenwälder. Gewisse Projekte der Nachverdichtung müssten in Frage gestellt und über Entsiegelung von Flächen nachgedacht werden.

Hinz betonte, Hessen habe gerade ein Programm gestartet, bei dem die Haus- und Hofbegrünung und Entsiegelung auch bei Privaten mit bis zu 90 Prozent finanziert werden könne. „Wir brauchen Strategien für die Klimawandelanpassung“, betonte die Ministerin, „denn der Klimawandel ist im Gang.“

Info& auf Mainz&: Dieser Artikel wurde am 2. September 2019 veröffentlicht, als in Wiesbaden die Ergebnisse von Klimprax öffentlich vorgestellt wurden. Mehr zum Projekt Klimprax – Stadtklima Mainz und Wiesbaden findet Ihr hier beim hessischen Landesumweltamt, auch die detaillierten Ergebnisse sowie die Vorträge von der Vorstellung Anfang September. Die Stadt Mainz hat inzwischen auch den Klimanotstand ausgerufen, die drohenden dramatischen Folgen für Mainz waren teil einer Expertenanhörung – mehr dazu hier bei Mainz&.