Die Mainzer Sprache enthält ja ein paar ganz besondere Worte, eines davon: „Utschebebbes“. Das steht für so viel wie „jemand, der von woanders herkommt“, ein Auswärtiger also, und genau diese „Auswärtigen“ stellt die „Unsichtbare Römergarde“ in dieser Fastnacht ins Zentrum ihrer Kampagne. Am Dienstagabend lädt sie zum Ordensempfang, die Orden erinnern an ganz besondere „Utschebebbes“ und damit an ein fast vergessenes Stück Mainzer Geschichte. Und „Auswärtige“ ist die Garde jetzt quasi selbst: Das Ordensquartiert wurde gerade auf die rechte Rheinseite in die Kasteler Reduit verlegt, rein technisch gesehen also: nach Wiesbaden.

Es war am 8. Dezember 1918, als die Franzosen in Mainz einrückten. Über der Stadt wehte die Trikolore, das linksrheinische Rheinland wurde für die nächsten 12 Jahre eine französische Besatzungszone – Folge des für die Deutschen verlorenen Ersten Weltkriegs. Es war beileibe nicht das erste Mal, dass französische Truppen die strategisch wichtige Festungsstadt Mainz besetzten: Immer wieder waren die linken Rheinlande von den Franzosen erobert worden, nicht zuletzt unter Napoleon – damals entstand die kurzlebige Mainzer Republik.
Die Besetzung von Mainz durch die Franzosen ab 1918 war denn auch bereits die fünfte ihrer Art, die Deutschen klagten dieses mal aber über „ekelhaftes Revanchegeschrei“ der Franzosen, die mit harten Reparationen auf den Überfall durch ihre deutschen Nachbarn reagierten. „Die ersten Jahre waren die härtesten“, heißt es bei Regionalgeschichte.net: Die Wohnungsnot war riesig, trotzdem beschlagnahmten die Franzosen Wohnungen für sich in großem Umfang. Massenhaft wurden Soldaten bei Mainzer Bürgern einquartiert, die Ernährungslage war schlecht, Krankheiten wie die Tuberkulose grassierten – und Mainz hatte die höchste Arbeitslosenzahl im französisch besetzten Gebiet.

„Schwarze Schmach“: Welle von Rassismus gegen Schwarzafrikaner
Die Mainzer reagierten mit Feindseligkeit, und die traf besonders eine Personengruppe: unter den französischen Truppen waren viele Soldaten aus den französischen Kolonien in Afrika, insbesondere aus Senegal, Marokko und Algerien. Und diesen Schwarzafrikanern schwappte eine Welle hasserfüllten Rassismus entgegen: „Unter dem Schlagwort der ‚Schwarzen Schmach‘ rief deren Präsenz in der deutschen Öffentlichkeit eine besondere Empörung hervor“, heißt es etwa bei Wikipedia.

Schwarzafrikanischen Soldaten wurde ein gesteigerter Sexualtrieb unterstellt, Karikaturen zeigten etwa einen braunschwarzen Gorilla mit französischer Uniformmütze, der eine weiße Frau fortschleppt – der „Neger“ als Vergewaltiger war ein typisches rassistisches Sujet. Doch ganz so einhellig kann die Ablehnung der dunkelhäutigen Soldaten nicht gewesen sein: Die Mainzer Frauen waren offenbar durchaus angetan von den exotischen Fremden.
„Von den Behörden wurden damals insgesamt 385 schwarze Besatzungskinder erfasst“, heißt es bei Wikipedia, die Gesamtzahl werde in der neueren Forschung aber eher auf 500 bis 800 geschätzt. Sie wurden als „Rheinlandbastarde“ oder „schwarze Schmach“ diskriminiert, weil sie eine weiße Mutter, aber eben einen schwarzen Vater hatten, ab 1937 seien viele von ihnen „unter strengster Geheimhaltung illegal zwangssterilisiert worden“, berichtet das Lexikon.
„Unsichtbare Römergarde“ erinnert an afrikanische Utschebebbes
„Die Mainzer kamen teilweise sehr gut mit ihren ‚Utschebebbes‘ aus“, weiß0 Christian Vahl, Präsident der „Unsichtbaren Römergarde“ zu berichten: „Deren Nachfahren gehören zu Mainz wie die Fastnacht – und sind eigentlich nur zu erkennen, wenn sie selbst stolz darauf hinweisen.“ Der Begriff komme schon bei Carl Zuckmayer vor, der in seinem „Fröhlichen Weinberg“ von den „Hutschebebbes“ schreibe. „Zur Erklärung wird vermutet, die Garnisonen Oudjidda und Sidi bel Abbes könnten über missverstandenes Hören und Entstellung in der Wiedergabe Udschebebbes gebildet haben“, berichtet Vahl weiter.

Eine derbere Version setze die Bezeichnung in Zusammenhang mit dem Umstand, dass die Soldaten beschnitten waren, was „am Bibbes utscht.“ Das hätten dann wohl am ehesten die Mainzer und Rheingauer „Bebbcher“ – also Mädchen – wissen können, merkt Vahl süffisant an – wenn sie nämlich mit den Utschebebbes „Fisimatenten“ machten, also Blödsinn, Unsinn, Faxen oder noch andere handgreifliche Dinge.
Genau an diese „Utschebebbes“ und ihre Geschichte erinnert nun die „Unsichtbare Römergarde“ in ihrer Kampagne: „Ob Meenzer oder Utschebebbes, Fastnacht ist für jeden ebbes“, lautet das aktuelle Motto der Garde, die sich die Erinnerung an das Römische Erbe von Mainz auf die Fahnen geschrieben hat. Und auch der aktuelle Kampagnenorden erinnert an die Soldaten von damals. Am 30. Juni 1930 zogen die französischen Truppen auch aus der „Mainzer Zone“ ab, die Freude war so groß, dass am 20. Juli 1930 auf dem Mainzer Schillerplatz ein „Befreiungsdenkmal“ eingeweiht wurde.
Befreiungsdenkmal in Mainz: „Die Erwachende“ auf dem Schillerplatz
Die fast vier Meter hohe Figur aus Granit des Frankfurter Künstlers Benno Elkan zeigte „eine kniende Frau mit entblößtem Oberkörper, die den Kopf nach links neigte und den rechten Arm über den Kopf hielt“, beschreibt Wikipedia: „Elkan nannte die Figur ‚Die Erwachende'“. Wilhelm Leuschner, Innenminister des Volksstaates Hessen, zu dem Mainz damals gehörte, hatte das Denkmal gestiftet, zur Einweihung kam sogar Reichspräsident Paul von Hindenburg. Ihr Standort: Mitten auf dem Schillerplatz – dort, wo heute der Fastnachtsbrunnen steht.

Denn Elkans Skulptur stieß durchaus auf Kritik, „die Barbusigkeit der Frauenfigur erregte im katholischen Mainz Anstoß“, weiß Vahl zu berichten: Die Kirche verlegte wegen der Figur gar im Juni 1931 ihre Fronleichnamsprozession, die eigentlich stets über den Schillerplatz geführt hatte. Dem „Befreiungsdenkmal“ war keine lange Verweildauer beschieden: Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Volksstaat Hessen am 6. März 1933 und am 7. März 1933 im Rathaus Mainz „bildete sich eine Koalition zwischen den katholischen und den nationalsozialistischen Gegnern des Denkmals“, berichtet Wikipedia – auch weil der Künstler jüdischer Herkunft war.
Das Denkmal wurde zunächst beschmiert, dann versuchte man vergeblich, es vom Sockel zu stürzen. Schließlich beauftragte der kommissarische Oberbürgermeister Philipp Wilhelm Jung eine Abrissfirma, die das Denkmal am 25. März 1933 zerschlug und beseitigte. An seiner Stelle erhebt sich seit 1967 der Mainzer Fastnachtsbrunnen, das Wort „Utschebebbes“ sei derweil in Rheinhessen und Teilen von Hessen „zu einem Kosewort geworden“, sagt Vahl. Und auf dem Schillerplatz erinnert heute eine Informationstafel an das Befreiungsdenkmal und an die Utschebebbes.

Ordensempfang der Unsichtbaren Römergarde in der Reduit in Kastel

Die „Unsichtbare Römergarde“ ist derweil selbst ein Stück weit „Utschebebbes“ geworden: Ende 2024 verlegte die Garde ihr Gardehauptquartier in die Reduit in Mainz-Kastel – und damit auf die rechte Rheinseite. Technisch gesehen gehört die seit dem Zweiten Weltkrieg zu Wiesbaden, und doch bewegt sich die Garde hier auf heimischem Territorium: Die Reduit gehört bis heute der Stadt Mainz. Zudem liegt das neue Gardehauptquartier Tür an Tür mit dem „Museum Castellum“, und das hat eine große Ausstellung zur römischen Geschichte zu bieten.
Der Ordensempfang schlägt deshalb gleich mehrere Brücken und Verbindungen, zum Neuanfang rechts des Rheins gehört zudem auch ein Personalwechsel: Nach elf Jahren gibt Präsident Christian Vahl die Präsidentenrolle ab – an Kathrin Dohle, die Sitzungspräsidentin der Unsichtbaren Römergarde. Gefeiert wird am Dienstagabend in den Räumen der Jocus-Garde – die Räume der Römergarde waren zu klein.
Info& auf Mainz&: Mehr zur Entstehung und Mission der Unsichtbaren Römergarde – und natürlich, warum sie unsichtbar ist – lest Ihr hier bei Mainz&.