Der Großstreik an der Mainzer Universitätsmedizin ist buchstäblich in letzter Minute abgewendet worden. In einer Vollversammlung stimmte am Mittwochabend die Mehrheit der Teamdelegierten der Gewerkschaft Verdi für eine Aussetzung des Streiks. Offenbar gelang es in letzter Minute, sich auf die von der Gewerkschaft geforderten Sollzahlen für die Besetzung von Pflegediensten und anderen Schichten in dem Großklinikum geeinigt. Details wollen Verdi und die Leitung der Mainzer Universitätsmedizin am Donnerstag bekanntgeben. Die Verhandlungen sollen zudem kommende Woche weiter gehen – an der Mainzer Uniklinik wird intensiv um bessere Bedingungen für die Pflege gerungen.

Als Problembezirk sieht die Gewerkschaft Ver.di die Mainzer Universitätsmedizin. - Foto: Plakat Ver.di
Als Problembezirk sieht die Gewerkschaft Ver.di die Mainzer Universitätsmedizin. – Foto: Plakat Ver.di

Die Gewerkschaft Ver.di will an der Mainzer Uniklinik einen Tarifvertrag „Entlastung“ durchsetzen, dabei geht es um deutlich verbesserte Arbeitsbedingungen vor allem für die Pflegekräfte auf den Stationen. Die Not ist in der Tat groß: Seit Jahren klagen Beschäftigte an der Mainzer Uniklinik über zu hohe Arbeitsbelastung im Alltag. Am Dienstag schilderten Pflegekräfte im Gesundheitsausschuss des Mainzer Landtags dramatische Fälle: Da sei der Tod einer chronisch kranke Patientin erst mit erheblichem Zeitverzug bemerkt worden – wegen Personalmangels. Und eine depressive Patientin habe einen Suizidversuch unternommen, weil sie die gestressten Pflegekräfte nicht weiter mit ihren Problemen habe belasten wollen, berichteten Pflegende im Ausschuss.

Mit rund 7.980 Beschäftigten ist die Mainzer Universitätsmedizin das größte Krankenhaus in Rheinland-Pfalz, 2018 wurden hier 70.000 stationäre und mehr als 530.000 ambulante Patientenbehandlungen durchgeführt. 1.491 Betten gibt es, rund 3.400 Studierenden werden pro Jahr ausgebildet – die Mainzer Unimedizin ist die einzige Uniklinik in Rheinland-Pfalz. Doch das Großklinikum ist seit Jahren deutlich unterfinanziert, erst kürzlich machten Chefärzte in einem Brandbrief auf die dramatisch schlechte Lage des Klinikums mit unter anderem maroden Gebäuden aufmerksam.

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2019 feierte die Universitätsmedizin ihr zehnjähriges Bestehen, und musste gleichzeitig das schlechteste Jahresergebnis ihrer Geschichte vorlegen: 2018 fuhr man mit minus 59,7 Millionen Euro ein Rekorddefizit ein – noch einmal deutlich schlechter als im Jahr 2017, als die Unimedizin ein Minus von 33,1 Millionen Euro einfuhr. Dringliche Gebäudesanierungen, eine Reihe notwendiger Rückstellungen sowie gestiegene Personal- und Materialkosten machte die Universitätsmedizin für das neue Rekordminus verantwortlich. Gleichzeiti stieg der Umsatz aus der Betriebsleistung stieg von 737,390 auf 775,525 Millionen Euro, 59,3 Millionen Drittmittel konnten eingeworben werden – es reichte alles nicht.

Die Mainzer Universitätsmedizin von oben. - Foto: gik
Der Mainzer Universitätsmedizin drohte am Donnerstag ein Großstreik, er wurde vorerst abgewendet. – Foto: gik

Vergangene Woche stand nun die dritte Verhandlungsrunde für einen speziellen Tarifvertrag an: Mit dem Tarifvertrag „Entlastung“ will die Gewerkschaft Ver.di die Arbeitsbedingungen besonders der Pflegenden in der Klinik verbessern. Ver.di fordert dafür die Festlegung von Mindestsollzahlen für alle Schichtarten und Bereiche. Wenn diese Sollzahlen unterschritten sind und damit eine zusätzliche Belastung für die Kollegen entstanden ist, soll es einen Belastungsausgleich geben.

Unter den Beschäftigten hatte die Gewerkschaft damit großen Rückhalt: Am Dienstag übergaben Bedienstete der Unimedizin im Landtag eine Petition mit den Fotos von 1.273 Beschäftigten, zwei Drittel der pflegenden Kollegen forderten damit den Tarifvertrag „Entlastung“, „um unseren professionellen Ansprüchen und unserer Gesundheit gerecht zu werden.“ Man fordere bessere Bedingungen für die Beschäftigten, um „eine menschenwürdige und sichere Versorgung für unsere Patienten zu gewährleisten. Mehr von uns ist besser für alle!“ Die Gewerkschaft verband ihre Forderungen in dieser Woche aber schließlich auch mit einem Ultimatum: Bewege sich die Uniklinik nicht, werde am Donnerstag ab 6.00 Uhr zum  Streik aufgerufen.

Damit drohte der Mainzer Universitätsmedizin ein Ausstand in nie dagewesener Größe: 31 Stationen wären geschlossen worden, 837 von 1.491 Betten sollten leer bleiben – das wären mehr als 56 Prozent der belegbaren Betten gewesen. Bereits in den vergangenen Tagen wurden Patienten verlegt und Operationen verschoben, lediglich Not-Operationen hätten noch stattfinden sollen.

Krankenpfleger Stefan Heyde bei einer Demo "Pflege in Not". - Foto: privat
Seit Jahren wehren sich Pflegekräfte gegen die schlechten Arbeitsbedingungen ihres Berufes, wie hier bei einer Verdi-Demo. Foto: privat

Bei der Mainzer Universitätsmedizin wehrt man sich unterdessen gegen die Forderungen und wirft Ver.di vor, auf „blanke Eskalation“ zu setzen. Das von Ver.di propagierte Modell der Sollzahlen sei an anderen Unikliniken bereits gescheitert und habe dort zur Schließung von Stationen geführt – mit Folgen für Arbeitsplatzverluste und für die Patientenversorgung. „Im ersten Moment klingt es einfach, was Verhandlungsführer Frank Hutmacher den Mitarbeitern der Universitätsmedizin über Flugblätter und Aktionen als sinnhafte Lösung glauben machen möchte“, kritisierte der verhandlungsführer für die Unimedizin, Christian Elsner: Urlaubstage und Bettenschließungen für jeden „überlasteten“ Dienst klängen gut, die zusätzlichen Urlaubstage brächten aber nicht die erhoffte Erholung für die Mitarbeiter, sondern erzeugten große Unzufriedenheit.

Wegen des dann wieder entstehenden Personalmangels hätten nämlich an anderen Kliniken Betten geschlossen werden müssen, das seien aber zumeist dringend benötigte Betten für schwerkranke Patienten, warnte Elsner, und die Mainzer Unimedizin sei oft die letzte Behandlungsmöglichkeit für viele Patienten. Durch die Schließungen würden dann aber auch ungewollt Arbeitsplätze anderer Berufsgruppen wegfallen wie etwa Ambulanzen, Therapieberufe oder Transportdienste. „An anderen Uniklinik-Standorten in anderen Bundesländern ist Ver.di schon mit seinem Modell ins Trudeln geraten“, kritisierte Elsner: „Was Ver.di da fordert, ist nicht nur falsch, sondern gegen deren eigentliche Philosophie.“

Die aktuellen zusätzlichen Forderungen von Ver.di würden das Unternehmen erheblich belasten, warnt die Uniklinik weiter. Schließlich habe man gerade erst im Sommer 2019 den höchsten Tarifabschluss der Region im Bereich der Pflege abgeschlossen, trotz finanziell angespannter Lage. Der neue Tarifvertrag sehe für die Pflege am Bett monatliche Zulagen im Gegenwert von einem 14. Monatsgehalt sowie eine Tarifsteigerung bis 2020 um sieben Prozent vor. „Wenn nun zusätzliche Freizeitausgleiche und in der Konsequenz Bettenschließungen drohen, würde dies in der Folge für die Universitätsmedizin erhebliche Kapazitätseinbußen für die Behandlung von Patienten auch mit komplexen und schweren Erkrankungen bedeuten“, so die Klinik weiter. Damit verbunden wären erhebliche Umsatzverluste, die die angespannte finanzielle Lage noch zusätzlich belasten würden.

Die Mainzer Universitätsmedizin gilt als strukturell unterfinanziert. Foto: Unimedizin
Die Mainzer Universitätsmedizin gilt als strukturell unterfinanziert und schreibt seit Jahren tiefrote Zahlen. – Foto: Unimedizin

Die CDU-Opposition im Land spricht denn auch bereits seit Jahren von einer strukturellen Unterfinanzierung der Mainzer Universitätsmedizin und macht dafür die Landesregierung verantwortlich: „Seit Jahren mangelt es an finanzieller Unterstützung durch die Landesregierung“, sagte CDU-Generalsekretär Gerd Schreiner erst Anfang November wieder: „Das Land lässt die Mainzer Unimedizin am ausgestreckten Arm verhungern.“ Schreiner hatte schon im Sommer 2018 einen Vier-Punkte-Plan zur Rettung der Uniklinik vorgeschlagen. Danach müsse das Land die Unimedizin nach hessischem Vorbild  entschulden, die jährlichen Investitionsmittel deutlich erhöhen und zugleich mehr Geld für Forschung und Lehre geben. Es brauche einen rückwirkenden Inflationsausgleich, denn seit den 1990er Jahren seien die Mittel der Unimedizin für Personalausgaben kaum noch gestiegen.

„Die dramatische Gesamtsituation des Flaggschiffs der rheinland-pfälzischen Krankenhauslandschaft ist einzig der jahrzehntelangen Untätigkeit der Landesregierung geschuldet“, kritisierte Schreiner nun. Hätte die Regierung die seit den 90er Jahren erfolgten Preissteigerungen mit passgenauen Erhöhungen der Landesleistungen ausgeglichen, „würde die Klinik heute schwarze Zahlen schreiben“, unterstrich er. Die Folge sind Defizite und Sanierungsstau in Millionenhöhe, nun kämen auch noch große Probleme in der Pflege hinzu – „hier müssen endlich funktionierende Konzepte her“, forderte er. Die CDU beantragte deshalb eine Sondersitzung der Ausschüsse für Wissenschaft und Gesundheit im Mainzer Landtag, man wolle „wissen, wie die Landesregierung Abhilfe schaffen will.“

An der Mainzer Unimedizin wird derweil erst einmal weiter verhandelt: Klinikum und Ver.di hatten sich ohnehin zum Verhandlungsauftakt auf einen Terminplan geeinigt, der bis zum 19. Dezember durchdekliniert war. Die Uniklinik hatte appelliert, diesen Zeitplan erst einmal abzuarbeiten. Man sei auf dem Weg, weitere Entlastungen für die Mitarbeiter umzusetzen, so werde seit Jahresbeginn jede qualifizierte Pflegekraft, die sich bewerbe, eingestellt. Die Verhandlungen für den Tarifvertrag „Entlastung“ sollen nun am 03. Dezember weitergehen.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Defizit und den Finanzierungsproblemen der Mainzer Universitätsmedizin hatten wir 2017 ausführlich aufgeschrieben, den Artikel dazu findet Ihr hier bei Mainz&. Informationen zur Mainzer Universitätsmedizin, auch aktuelle in Sachen Streik, gibt es hier im Internet.

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