Der Urlaub der ADD-Vizepräsidentin Begona Hermann mitten in der Krise nach der Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 wirft hohe Wellen: Die Opposition im Landtag spricht von einem „instinktlosen und unsensiblen“ Verhalten, das Antreten des Urlaubs sei unverständlich und unverantwortlich“, heißt es. Die ADD verteidigt inzwischen das Vorgehen, räumt aber ein: Hermann flog für zwei Wochen in die Ferne. Die Opposition sieht inzwischen ADD-Präsident Thomas Linnertz als nicht mehr haltbar im Amt, und spricht von Führungsversagen – den Urlaub hätte er niemals genehmigen dürfen.

Verwüstungen nach der Flutkatastrophe in Altenahr am 28. Juli 2021. - Foto: gik
Verwüstungen nach der Flutkatastrophe in Altenahr am 28. Juli 2021. – Foto: gik

Es war ein Paukenschlag vergangenen Freitag im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal, und es war beileibe nicht der erste: ADD-Vizepräsidentin Begona Hermann erzählte erst des Langen und Breiten dem Ausschuss, was alles an Arbeiten und Krisen so kurz nach der Flutkatastrophe zu bewältigen war – und musste dann auf Vorhalte der CDU-Vertreter einräumen: Ja, sie sei am 31. Juli 2021 in den Urlaub geflogen – mitten in der heißen Phase des Aufräumens, mitten im Chaos der Krisenbewältigung.

Zur Erinnerung: In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 hatte sich eine gigantische Flutwelle durch das Ahrtal geschoben, die ein völlig verwüstetes Tal zurückließ. Rund 9.000 Gebäude waren beschädigt, dazu fast alle Brücken im Tal, Straßen, Schienen – die gesamte Infrastruktur war hinweggerissen. Rund 40.000 Menschen verloren Hab und Gut, rund ein Dutzend Häuser oder Gebäude wurden komplett weggerissen – und 135 Menschen verloren ihr Leben in den Fluten.

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Hermann fuhr ab dem 31.7. für volle zwei Wochen in Urlaub

In dem Chaos nach der Flut, versuchten die Menschen im Tal mit der Hilfe Tausender freiwilliger Helfer, und vor allem von Landwirten und Unternehmern mit großen Maschinen, der Schuttberge und gigantischen Schlammmengen Herr zu werden. Bei der staatlichen Hilfe hakte es indes gewaltig, vergangenen Freitag hatten Vertreter der ADD im Untersuchungsausschuss einräumen müssen: Die Dienstaufsichts-Direktion des Landes Rheinland-Pfalz war für das Katastrophenmanagement überhaupt nicht gerüstet.

Begona Hermann, bis Ende 2022 Vizepräsidentin der ADD, vor dem Untersuchungsausschuss im Landtag. - Foto: gik
Begona Hermann, bis Ende 2022 Vizepräsidentin der ADD, vor dem Untersuchungsausschuss im Landtag. – Foto: gik

Der Katastrophenstab der ADD war ausgesprochen schlecht aufgestellt und hatte mit ständigen Personalwechseln zu kämpfen, die einzelnen Stabsstellen waren weitgehend unbekannt – und einen Verwaltungsstab kannte man in der ADD gleich gar nicht. Das Ergebnis: Während die Menschen im Tal ums Überleben und die Reste ihrer Existenzen kämpften, war man im Krisenstab der ADD damit beschäftigt, sich erst einmal selbst zu sortieren.

In diese Schilderungen platzte dann am späten Freitagnachmittag die Aussage der damaligen ADD-Vizepräsidentin Bergona Hermann – inzwischen pensioniert – , sie sei tatsächlich in genau dieser Zeit in Urlaub gefahren – und zwar am 31. Juli 2021. Inzwischen räumte die ADD auf Mainz&-Anfrage ein: Hermann weilte „vom 5. Juli bis zum 17. Juli sowie vom 31. Juli bis einschließlich 13. August in längerfristig geplanten und genehmigten Urlauben.“

Wefelscheid: Urlaub in Krisenphase „unverantwortlich“

Die ADD hatte am 17. Juli 2021 die Einsatzleitung im Ahrtal übernommen, nachdem der damalige Landrat Jürgen Pföhler (CDU) die Dienstaufsichtsbehörde am 17. Juli darum gebeten hatte. Hermann sollte dann den Krisenstab leiten, und tats dies eigener Aussage nach auch vom 23. bis 30. Juli. Am Morgen des 31. Juli 2021 aber melde6te sich Hermann per Email bei ihrem Chef, ADD-Präsident Thomas Linnertz – auf dem Weg zum Flughafen: Zwei Wochen verbrachte sie bei ihrer Familie in Sacramento, Kalifornien.

Der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, auf der Terrasse des Mainzer Landtags. - Foto: Freie Wähler
Der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, auf der Terrasse des Mainzer Landtags. – Foto: Freie Wähler

Die Opposition registrierte diese, bisher unbekannte Enthüllung mit Fassungslosigkeit: „Dass die damalige Vizepräsidentin Begoña Hermann so kurz nach Übernahme der Einsatzleitung in den Tagen der schlimmsten Naturkatastrophe, die Rheinland-Pfalz bisher erleben musste, in den Urlaub fliegt, ist nicht nur unverständlich, sondern auch unverantwortlich“, schimpfte Stephan Wefelscheid, Obmann der Freien Wähler. Es könne ja sein, dass der Urlaub lange geplant sei, „ADD-Präsident Thomas Linnertz hätte aber eine Urlaubssperre verhängen müssen“, betonte Wefelscheid.

Das gelte schon allein deshalb, „weil es im Ahrtal erkennbar keine Verwaltungsstrukturen gab, die die schwierige Aufgabe vor Ort managen konnte“, sagte Wefelscheid weiter: „Insofern war jede helfende Hand mit Verwaltungserfahrung dringend erforderlich.“ Dazu hätten mehrfach Helfer aus anderen Bundesländern im Ausschuss von großen problemen bei der Koordinierung im Krisenstab berichtet „Wer, wenn nicht die für den Bevölkerungsschutz zuständige Vizepräsidentin der ADD, Begoña Hermann“, hätte hier zur Klärung beitragen sollen, betonte Wefelscheid: Auch für dieses Organisationsverschulden trage Linnertz die Verantwortung.

ADD: Urlaube „unter Abwägung der Situation aufrecht erhalten“

Bei der ADD betont man indes, die Urlaube seien bereits vor Beginn des Einsatzes im Ahrtal genehmigt worden, „und wurden unter Abwägung der Situation aufrechterhalten.“ Die Abwesenheit der Vizepräsidentin habe „keine nachteiligen Auswirkungen auf die Arbeit der ADD vor Ort“, gehabt, heißt es aus der Pressestelle weiter: „Die notwendigen Positionen waren zu jedem Zeitpunkt vollumfänglich besetzt.“

Gerät immer mehr unter Druck: ADD-Präsident Thomas Linnertz vergangenen Freitag vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags. - Foto: gik
Gerät immer mehr unter Druck: ADD-Präsident Thomas Linnertz vergangenen Freitag vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags. – Foto: gik

Das aber wirft Fragen auf, hatten ADD-Mitarbeiter doch berichtet, dass sämtliche leitende Mitarbeiter der ADD intensiv in die Krisenbewältigung eingebunden waren – entweder als Leiter des Verwaltungsstabes oder als sonstige Krisenmanager. Hermann selbst hatte angegeben, sie habe ADD-Präsident Linnertz „an den Wochenenden vertreten“ – tatsächlich war sie aber nur ein einziges Wochenende im Ahrtal. Wer also vertrat Linnertz, als Hermann im Urlaub weilte?

Von der ADD heißt es dazu: „Die Einsatzleitung lag grundsätzlich dauerhaft bei ADD-Präsident Thomas Linnertz. Entsprechend waren sowohl die kurzfristige Erreichbarkeit, notwendige Beratungen sowie unmittelbare Entscheidungsfindungen zu jedem Zeitpunkt sichergestellt.“ Auch an den wenigen Tagen, an denen der Präsident nicht selbst habe vor Ort sein können, „stand er in ständigem Kontakt mit den Stäben im Ahrtal sowie den politisch Verantwortlichen auf Landesebene. Bei Bedarf hätte er auch an diesen Tagen jederzeit kurzfristig vor Ort sein können.“

AfD: „Rücktritt von Linnertz unvermeidlich geboten“

Entscheidungskompetenzen seien zudem „auch auf das weitere Führungssystem aufgeteilt“ gewesen, die Leitungen der Stäbe seien „kontinuierlich mit vor Ort anwesenden Personen besetzt und im Austausch mit dem Präsidenten“ gewesen. AfD-Obmann Michael Frisch wirft hingegen der Behörde Versagen vor: Die Mitglieder der Einsatzleitung seien unzureichend geschult, die ADD auf die Krisenleitung mangelhaft vorbereitet gewesen, kritisierte Frisch. So habe es „gravierende Fehler“ bei der Koordinierung der Hilfskräfte gegeben.

Trümmerlandschaft an der Ahr bei Kreuzberg am 28. Juli 2021. - Foto: gik
Trümmerlandschaft an der Ahr bei Kreuzberg am 28. Juli 2021. – Foto: gik

Tatsächlich lästerten Helfer nach Bekanntwerden des Hermannschen Urlaubs angesichts des miserablen Krisenmanagements im Tal in den Tagen nach der Flut, man sei ohne die Vizepräsidentin im Tal ohnehin wohl besser dran gewesen. Die ADD habe nur „alles verkompliziert“, hatte etwa der Mayschoßer Bürgermeister Hubertus Kunz (CDU) geschimpft – viele seiner Kollegen sahen es ähnlich. Hermann hingegen hatte behauptet, es sei unter der Führung der ADD gelungen, den Abtransport der Müllberge „zu ermöglichen“ – noch am 28. Juli und in den Tagen danach türmten sich indes Berge von Schutt und stinkendem Müll im Tal.

Der vom Präsidenten genehmigte Urlaub der Vizepräsidentin mitten in der heißen Phase der Katastrophenbewältigung sei „ein unverzeihlicher Fehler“ gewesen, schimpfte Frisch: „Es kann nicht sein, dass sich eine führende Mitarbeiterin der einsatzleitenden Behörde Erholung gönnt, während tausende ehrenamtlicher Unterstützer Tag und Nacht bis zur völligen Erschöpfung für die Opfer kämpfen.“ Die politische Verantwortung für all dies liege beim ADD-Präsidenten – „der Rücktritt von Herrn Linnertz ist daher unvermeidlich geboten.“

CDU: Verhalten der ADD „instinktlos und unsensibel“

Auch bei der CDU lässt man kein gutes Haar mehr an dem ADD-Präsidenten und erhöht den Druck auf die Landesregierung: Dessen Verhalten in den Folgetagen und -wochen nach der Flutkatastrophe sei „instinktlos und unsensibel“, schimpfte CDU-Obmann Dirk Herber: „Führungspersonal ist Verantwortungspersonal – bei solch einer Katastrophe darf die stellvertretende Leiterin der Landeskatastrophenschutzbehörde nicht im Urlaub die Füße hochlegen, während im Ahrtal die Menschen in Schlamm, Geröll und Chaos untergehen.“ Zudem habe Hermann offensichtlich versucht, ihr Verhalten und ihren Urlaub zu verschweigen – in ihrem Eingangsstatement vor dem Ausschuss hatte sie ihre Abreise mit keinem Wort erwähnt.

CDU-Obmann Dirk Herber: Kein gutes Haar am Agieren der ADD-Spitze. - Foto: gik
CDU-Obmann Dirk Herber: Kein gutes Haar am Agieren der ADD-Spitze. – Foto: gik

Viele Helfer hätten ihren Urlaub aber genau dafür genutzt, um im Tal zu helfen, oder seien dafür sogar aus dem Urlaub zurückgekommen, betonte Herber weiter. Präsident Linnertz wiederum habe offensichtlich „das Ausmaß der Katastrophe nicht erkannt und völlig falsch eingeschätzt.“ Herbers Fazit: „Bis heute muss sich die Landesregierung, muss sich Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), den Vorwurf gefallen lassen, das Ahrtal im Stich gelassen zu haben“ – das sei „Führungsschwäche auf allen Ebenen“.

„Statt die komplette ADD-Führungsmannschaft im Tal bzw. für das Tal zusammenzuziehen, fährt die zweite Frau im Haus in Urlaub“, kritisierte Herber: „Das hat Herr Linnertz zu verantworten.“ Der sei deshalb an der ADD-Spitze nicht länger haltbar, betonte Herber: „Der ADD-Präsident verfügt längst nicht mehr über die nötige Integrität, sein Amt weiter ausführen zu können.“

Gutachten zur Führungsfähigkeit der ADD, Dreyer erneut geladen

Das Agieren der ADD ist im Übrigen nun auch Thema eines Gutachtens: Dominic Gißler, Professor für Professur für Führung im Bevölkerungsschutz an der Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin, soll im Auftrag des Untersuchungsausschuss begutachten, ob der Krisenstab der ADD in der Katastrophenlage überhaupt funktionieren konnte. Gißler war am Freitag zu Gast im Untersuchungsausschuss, sein Gutachten soll am 24. März im Ausschuss vorgestellt werden – dann ist auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) noch einmal zur Aussage geladen.

Der Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal pausiert bis zum 24. März 2023. - Foto: gik
Der Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal pausiert bis zum 24. März 2023. – Foto: gik

Es könnte die letzte Sitzung des im Oktober 2021 einberufenen Untersuchungsausschusses sein – danach ziehen sich die Mitglieder zurück, um die Beweisaufnahme einzuordnen und die Abschlussberichte zu verfassen. Wahrscheinlich ist, dass es nicht zu einem einzigen Bericht kommt, sondern dass die Oppositionsfraktionen Minderheitsvoten verfassen – die in ihrer Würdigung deutlich von der der regierenden Ampel-Fraktionen abweichen. SPD, Grüne und vor allem FDP zeichneten sich im Ausschuss nicht durch großes Aufklärungsinteresse aus – vor allem Grüne und FDP stellten nur sehr selten überhaupt Fragen. Bis zum 24. März pausiert der Ausschuss nun erst einmal – wenn sich nicht neue Anhaltspunkte für eine weitere Sitzung finden.

Info& auf Mainz&: Unseren ausführlichen Bericht zu den Aussagen der ADD-Spitzenkräfte vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal lest Ihr hier auf Mainz&. Das gesamte Mainz&-Dossier zur Flutkatastrophe und seiner Aufarbeitung findet Ihr hier.

Flutkatastrophe Ahrtal: ADD-Vizepräsidentin Hermann machte Urlaub mitten in der Krisenzeit – Versagen beim Krisenmanagement