Hat das Justizministerium in Rheinland-Pfalz systematisch und bundesweit die Öffentlichkeit bei der strafrechtlichen Aufarbeitung der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 getäuscht? Den Vorwurf erhebt nun der Koblenzer Rechtsanwalt Christian Hecken: „Wir können den Nachweis jetzt führen, wir haben eine neue, brisante Beweislage“, sagte Hecken in einer am späten Montagabend verbreiteten Pressemitteilung. Anlass ist ein am Donnerstag in Mainz stattfindender Gerichtsprozess gegen das Justizministerium, es geht um die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft Koblenz und um eine Prüfung der Befangenheit gegen die ermittelnden Staatsanwälte Die dürfen derweil sich selbst prüfen.

Der Leitende Oberstaatsanwalt Mario Mannweiler (links) und der Chef des LKA Rheinland-Pfalz, Mario Germano, bei der Bekanntgabe der Einstellung der Strafverfolgung zur Flutkatastrophe im Ahrtal. – Foto: gik
Der Leitende Oberstaatsanwalt Mario Mannweiler (links) und der Chef des LKA Rheinland-Pfalz, Mario Germano, bei der Bekanntgabe der Einstellung der Strafverfolgung zur Flutkatastrophe im Ahrtal. – Foto: gik

Die Staatsanwaltschaft Koblenz hatte im April 2024 die Ermittlungen in Sachen Flutkatastrophe Ahrtal ohne eine Anklageerhebung eingestellt, das sorgt bis heute für Unmut und Wut bei den Hinterbliebenen der 136 Toten, die bei der Flutkatastrophe im Ahrtal vom 14. auf den 15. Juli 2021 ums Leben kamen. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Abschlussbericht zu den Ermittlungen zur Flutkatastrophe bilanziert, eine Schuldfrage könne nicht zur Anklage gebracht werden, weil „nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ festgestellt werden könne, dass durch eine frühzeitige Warnung Menschenleben hätten gerettet werden können.

Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft sorgte für erheblichen Unmut und für Unverständnis, zahlreiche Experten haben inzwischen dargelegt, dass sie die Entscheidung für fehlerhaft und grundlegend falsch halten. Der Koblenzer Rechtsanwalt Christian Hecken vertritt inzwischen zehn Hinterbliebene, die bereits kurz nach der Entscheidung Beschwerde dagegen einlegten. Mehr noch: Hecken hatte auch an den Justizminister des Landes Rheinland-Pfalz appelliert, die Staatsanwälte anzuweisen, das Verfahren wieder aufzunehmen und sie notfalls abzulösen – der damalige Justizminister Herbert Mertin (FDP) lehnte das ab.

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Klage gegen Justizministerium wegen Untätigkeit wird verhandelt

Hecken reichte daraufhin im Juni 2024 im Namen der Hinterbliebenen Klage gegen den damaligen Minister Mertin ein – und diese Klage wird nun an diesem Donnerstag, den 13. März 2025 vor dem Verwaltungsgericht in Mainz verhandelt. Hecken hält das für höchst unglücklich: Mertin war am 21. Februar 2025 völlig überraschend gestorben, ausgerechnet an diesem Freitag findet nun der offizielle Trauer-Staatsakt für Mertin statt – nur einen Tag nach der Gerichtsverhandlung. „Es ist für uns unverständlich, warum das Justizministerium Rheinland-Pfalz keinen Aussetzungs- und Verlegungsantrag gestellt hat“, kritisierte Hecken nun.

Der im Februar 2025 verstorbene Justizminister Herbert Mertin im April 2024 nach einer Sitzung des Rechtsausschusses des Mainzer Landtags in Statements vor der Presse zu den Beschwerden gegen die Einstellung der Ermittlungen bei der Flutkatastrophe im Ahrtal. - Foto: gik
Der im Februar 2025 verstorbene Justizminister Herbert Mertin im April 2024 nach einer Sitzung des Rechtsausschusses des Mainzer Landtags in Statements vor der Presse zu den Beschwerden gegen die Einstellung der Ermittlungen bei der Flutkatastrophe im Ahrtal. – Foto: gik

Die öffentliche Hauptverhandlung vor dem Verwaltungsgericht Mainz sei bereits am 29.01.2025 anberaumt worden, der Termin für den Staatsakt sei am 06.03.2025 veröffentlicht worden. Doch eine Verlegung ist nicht in Sicht, seine Vorwürfe richteten sich nach neuesten Erkenntnissen auch mehr gegen das Justizministerium als gegen den Minister persönlich, sagte Hecken auf Mainz&-Anfrage. Die Klage vor dem Verwaltungsgericht Mainz richte sich gegen das Justizministerium Rheinland-Pfalz auf ordnungsgemäße Behandlung und Bescheidung einer Petitionsbitte.

Die Petition hatten Inka und Ralph Orth, Eltern der in der Flutnacht im Ahrtal in einer Erdgeschosswohnung ums Leben gekommenen Johanna Orth, am 15.04.2024 eingereicht, mit ihr wollten sie beim Justizministerium den Austausch der Staatsanwälte im Ermittlungsverfahren zur Flutkatastrophe erreichen. Ihr Vorwurf: Die Staatsanwälte könnten befangen sein, weil sie entgegen aller rechtlichen Regeln die Geschädigten vor Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nicht an dem Verfahren beteiligt hätten.

36 Beschwerden gegen Einstellung des Verfahrens zur Flutkatastrophe

Den Hinterbliebenen als potenzielle Nebenkläger sei mehrfach Akteneinsicht verweigert worden, kritisiert Anwalt Hecken, angekündigte Stellungnahmen seien ignoriert und hinter dem Rücken der Nebenklage ein von der Nebenklage wegen Ungeeignetheit abgelehnter Gutachter erneut beauftragt worden. „Dadurch ist eine einseitige Ermittlungsarbeit der Strafverfolger zu Lasten der Geschädigten nach der Aktenlage nachgewiesen“, betont Hecken. Der Anwalt hatte eine 141 Seiten dicke Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft Koblenz eingelegt, entschieden ist über diese bis heute nicht.

Weiter bohrende Nachfragen zur Einstellung des Verfahrens in Sachen Flutkatastrophe Ahrtal: Stephan Wefelscheid von den Freien Wählern. - Foto: gik
Weiter bohrende Nachfragen zur Einstellung des Verfahrens in Sachen Flutkatastrophe Ahrtal: Stephan Wefelscheid von den Freien Wählern. – Foto: gik

Justizminister Mertin hatte noch im Januar in einer Sitzung des Rechtsausschusses des Mainzer Landtags berichtet, es seien insgesamt 36 Beschwerden gegen die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Koblenz eingelegt worden, stattgegeben wurde keinem einzigen. Der Einspruch dagegen liege seit Ende Juli 2024 der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz zur Prüfung vor, die Unterlagen umfassten knapp 15.000 Seiten, dazu kämen knapp 10.000 Seiten Sonderbände sowie diverse Datenträger.

Dazu habe der Beschwerdeführer weitere 397 Seiten Beschwerdebegründung und mehrere gutachterliche Einschätzungen vorgelegt, die Überprüfung der Unterlagen dauere an. Wann mit einem Abschluss des Verfahrens zu rechnen sei, sei aufgrund der Menge der Akten nicht zu sagen, teilte der Minister dem Ausschuss mit. Zugleich musste der Minister einräumen, dass mit der Bearbeitung lediglich ein Mitarbeiter befasst sei, Hecken hält das für deutlich zu wenig.

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Staatsanwaltschaft Koblenz überprüft nun eigene Entscheidung

Pikant ist zudem, dass die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz die neuen gutachterlichen Stellungnahmen am 7. Januar 2025 der Staatsanwaltschaft zur Prüfung zuleitete – also an genau die Staatsanwälte, die zuvor schon sämtliche Beschwerden gegen die Einstellung zurückgewiesen hatte. „Hebt die Staatsanwaltschaft dann die eigene Zurückweisung wieder auf?“, wollte der Landtagsabgeordnete Stephan Wefelscheid von den Freien Wählern im Rechtsausschuss wissen. Mertin bestätigte: Das sei „die Gelegenheit für die Staatsanwaltschaft, sich selbst noch einmal zu überprüfen“, und etwaige Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Die Strafrechtsprofessorin Ingeborg Puppe (links) im Gespräch mit Ralph Orth in Koblenz im Oktober 2024. - Foto: Tibor Schady
Die Strafrechtsprofessorin Ingeborg Puppe (links) im Gespräch mit Ralph Orth in Koblenz im Oktober 2024. – Foto: Tibor Schady

Wefelscheid kritisierte nach dem Ausschuss, wann mit einem Abschluss des Verfahrens zu rechnen sei, sei weiter völlig unklar. Dazu habe der Minister die Frage nicht beantworten können, ob ein jüngst veröffentlichter Fachaufsatz der Bonner Strafrechtsprofessorin Ingeborg Puppe der Staatsanwaltschaft ebenfalls zugeleitet worden sei – Puppe hält die Begründungen der Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Verfahrens nicht für haltbar und hat explizit eine Anklageerhebung empfohlen.

„Auch ist zu hoffen, dass die Generalstaatsanwaltschaft schnellstmöglich immerhin 1,5 Mitarbeiter zur Verfügung stellt, um dieses so wichtige Beschwerdeverfahren möglichst zeitnah einer Entscheidung zu bringen“, forderte Wefelscheid im Januar: „Ich erwarte, dass die Beschwerdeverfahren mit der gebotenen Dringlichkeit bearbeitet und zeitnah zum Abschluss gebracht werden. Die Angehörigen warten auf Antworten.“

Anwalt: Justizministerium blieb untätig, Öffentlichkeit getäuscht

Doch von Dringlichkeit ist laut Hecken wenig zu sehen: In Spanien sei nach der Flutkatastrophe in Valencia im Oktober 2024 bereits nach 4,5 Monaten gegen die Verantwortlichen Anklage erhoben worden, berichtete der Anwalt jetzt: In Deutschland werde hingegen „nach mehr als 3,5 Jahren die strafrechtliche Aufarbeitung durch befangene Staatsanwälte und durch skandalträchtige Untätigkeit und Täuschungsmanöver des zuständigen Justizministeriums torpediert.“

Wehren sich auch im Namen vieler weiterer Hinterbliebener gegen die Nicht-Anklage in Sachen Flutkatastrophe Ahrtal: Die Eltern Ralph und Inka Orth mit einem Bild ihrer verstorbenen Tochter Johanna. - Foto: gik
Wehren sich auch im Namen vieler weiterer Hinterbliebener gegen die Nicht-Anklage in Sachen Flutkatastrophe Ahrtal: Die Eltern Ralph und Inka Orth mit einem Bild ihrer verstorbenen Tochter Johanna. – Foto: gik

Heckens Kritik: Der Justizminister sei in der Sache der Ermittlungen und der Beschwerden gegen die Einstellung untätig geblieben, und auch der Anspruch auf ordnungsgemäße Behandlung und Bescheidung der Petitionsbitte sei „entgegen eindeutigen öffentlichen Verlautbarungen vom Justizministerium bis heute nicht erfüllt worden.“ Es sei völlig unklar, ob Justizminister Mertin Beschwerden und Petition überhaupt geprüft habe, der Minister sei aber geradezu verpflichtet einzugreifen, wenn es Hinweise gebe, dass die Staatsanwaltschaft befangen sei oder nicht korrekt arbeite.

Ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz – wie das Justizministerium argumentiere – sei das selbstverständlich nicht, betont Hecken: Die Staatsanwaltschaften in Deutschland seien eben nicht unabhängig, sondern weisungsgebunden und unterlägen der Aufsicht des Justizministeriums. Gerade wenn Recht verletzt werde, müsse der Minister sogar eingreifen, hatte Hecken bereits im Oktober 2024 argumentiert. Nun wirft er dem Justizministerium sogar vor, im Zuge dieser Verfahren die Öffentlichkeit systematisch getäuscht zu haben.

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Anwalt: Neue Beweislage, „erschütternde Details“

„Nach neuester erschütternder Sachlage und nach neuester brisanter Beweislage ist bei der strafrechtlichen Aufarbeitung der Flutkatastrophe 2021 ein dringender Tatverdacht gegen hohe Verantwortungsträger des Landes Rheinland-Pfalz zu erheben“, teilte Hecken am späten Montagabend schriftlich mit. Nach der neuen Beweislage habe das Justizministerium sowohl die Öffentlichkeit und das Gericht getäuscht, die Staatsanwaltschaft Koblenz aber den Generalstaatsanwalt – und zwar explizit auch bei der der Prüfung der Befangenheit der eingesetzten Staatsanwälte.

Der Koblenzer Rechtsanwalt Christian hecken vertritt inzwischen 10 Hinterbliebene von Opfern, die bei der Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 ums Leben kamen. - Foto: gik
Der Koblenzer Rechtsanwalt Christian hecken vertritt inzwischen 10 Hinterbliebene von Opfern, die bei der Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 ums Leben kamen. – Foto: gik

Was genau das für Beweise sind, und worauf sie sich beziehen, will Hecken im Vorfeld nicht sagen – er will seine Beweise am 13. März in der Hauptverhandlung vor dem Verwaltungsgericht Mainz vorlegen. Die neuen Beweismittel verstärkten aber die Befürchtung, dass die Staatsanwälte befangen gewesen sein könnten, heißt es weiter, „die genauen Details und Nachweise sind erschütternd“, versichert Hecken. Die Täuschung der Öffentlichkeit sei zudem keine Lappalie: „Sie führte dazu, dass in großen Teilen Deutschlands keine kritische Berichterstattung erfolgte, und Hinterbliebene aus Berlin und Düsseldorf keine Beschwerde einlegten“, kritisiert Hecken.

Da das Justizministerium derzeit nicht mit einem Justizminister besetzt sei, forderte Hecken zudem erneut Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) dazu auf, umgehend eine „sofortige und gewissenhafte Prüfung der Befangenheit der eingesetzten Staatsanwälte“ zu veranlassen. Bislang hatte auch Schweitzer jedes Eingreifen strikt abgelehnt.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Kampf der Eltern Orth um Gerechtigkeit für ihre Tochter sowie die insgesamt 136 Toten durch die Flutkatastrophe im Ahrtal sowie zur Kritik der Gutachter an der Staatsanwaltschaft lest Ihr hier bei Mainz&.

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