Mit der steigenden Impfquote hat sich die Corona-Pandemie erheblich entschärft, doch vorbei ist die Pandemie noch überhaupt nicht: Forscher rechnen mit weiteren Corona-Wellen im gerade beginnenden Herbst, wenn es wieder kälter wird, man drinnen sitzt und die Infektionsneigung allgemein zunimmt. Trotzdem fordern Populisten immer lauter einen sogenannten „Freedom Day“, also das Ende aller Corona-Beschränkungsmaßnahmen – am Donnerstag taten das die Freien Wähler im Mainzer Landtag. Doch die Partei stieß auf entschiedenen Gegenwind: „Die Pandemie wird nicht beendet, indem sich jemand hier vorne hinstellt und sagt: die Pandemie ist vorbei“, betonte Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) – die Mission Virus-Besiegen sei eben noch nicht accomplished.

Der Betrieb in Restaurants und Geschäften hat sich weitgehend normalisiert. - Foto: gik
Der Betrieb in Restaurants und Geschäften hat sich weitgehend normalisiert. – Foto: gik

Tatsächlich hat sich die Coronalage in Deutschland im vergleich zum Herbst 2020 deutlich verändert: Mehr als 52,8 Millionen Menschen in Deutschland sind inzwischen vollständig immunisiert, damit sind 63,6 Prozent vollständig geimpft, 67,5 Prozent haben eine erste Impfung erhalten. Mit den steigenden Impfquoten kehrte Deutschland Stück für Stück zum normalen Leben zurück: Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen wurden erheblich gelockert, in Theatern, Restaurants und Hotels herrscht beinahe schon wieder normales Leben – wo gar „2G“ gilt, dürfen Innenräume wieder voll besetzt sein, so wie vor der Corona-Pandemie.

Im Herbst 2020 stand Deutschland vor seiner schlimmsten Welle der Corona-Pandemie, im Winter und Frühjahr 2021 starben allein rund 60.000 Menschen an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung, von den insgesamt 4,1 Millionen, die sich mit dem Virus nachweislich infizierten, leidet eine hohe Anzahl unter Spätfolgen und Long-Covid-Syndromen. Im Winter 2021 durchlitt Deutschland wochenlange Beschränkungen mit Lockdown und sogar nächtlichen Ausgangssperren – im Herbst 2021 ist davon nichts mehr in Sicht: Die Politik hat erneuten Lockdowns eine klare Absage erteilt, eine solche Maßnahme sei vor allem für Geimpfte völlig unverhältnismäßig und nicht mit den Grundrechten ein Einklang zu bringen, betonte zuletzt auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD).

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In den USA war es vor allem Ex-Präsident Donald Trump, der die Gefahren des Coronavirus leugnete - am Ende schoss ihn die Freiheitsstatue ins politische Aus. - Foto: MCV/Sascha Kopp
In den USA war es vor allem Ex-Präsident Donald Trump, der die Gefahren des Coronavirus leugnete – am Ende schoss ihn die Freiheitsstatue ins politische Aus. – Foto: MCV/Sascha Kopp

Trotzdem machen ausgerechnet jetzt Corona-Leugner, Impfgegner und rechte Populisten Stimmung gegen die noch existierenden Corona-Maßnahmen – vor allem gegen die anhaltende Maskenpflicht sowie gegen die 3G-Regel. Dabei zeigten gerade die vergangenen Wochen, dass die Pandemie keineswegs vorbei ist: Unmittelbar nach den Sommerferien schossen die Inzidenzen der Neuinfektionen just in den Bundesländern hoch, wo gerade die Schule wieder begonnen hatte: Erst NRW, dann Hessen und Rheinland-Pfalz, derzeit rollt die Nach-Ferienende-Welle gerade durch Bayern und Baden-Württemberg, wo die Schule gerade erst wieder begonnen hat.

Auch in Mainz stieg die Zahl der Neuinfektionen im Sieben-Tage-Schnitt pro 100.000 Einwohner nach den Ferien rasant an, der bisherige Höhepunkt wurde am 10. September mit einer Inzidenz von 140 erreicht – ein Wert, bei dem noch vor wenigen Monaten deutliche Einschränkungen gegriffen hätten. Danach sank die Infektions-Inzidenz wieder auf 55 am vergangenen Montag, derzeit verzeichnet das Gesundheitsamt Mainz-Bingen jedoch wieder einen leichten Anstieg auf 64,4 am Donnerstag. Mit einer Hospitalisierungs-Inzidenz von 2,0 liegt Mainz zudem auf einem Spitzenplatz in Rheinland-Pfalz, und auch der Wert von 4 bei der Anteil der Covid-19-Patienten an den Intensivbetten ist hoch. Deutschlandweit wurden am Donnerstag zudem wieder 155 Corona-Tote gemeldet – so viele wie seit drei Monaten nicht mehr.

Wirbt weiter nachdrücklich fürs Impfen und lehnt einen "Freedom Day" ab: Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD). - Foto: RLP.de
Wirbt weiter nachdrücklich fürs Impfen und lehnt einen „Freedom Day“ ab: Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD). – Foto: RLP.de

„Das Coronavirus ist weiterhin sehr präsent“, mahnte denn auch Gesundheitsminister Hoch am Donnerstag im Mainzer Landtag, es gebe weiter eine erhebliche Zahl von Corona-Neuinfektionen. Vor allem aber kämpften viele Patienten noch immer „über Wochen hinweg auf den Intensivstationen mit dem Tod – und zwar auch junge Menschen“, betonte der Minister. Er verstehe ja, dass es für viele Geimpfte „lästig sei“, überall den Impfpass vorzuzeigen oder noch immer eine Maske zu tragen, „aber seien wir mal ehrlich: mehr als lästig ist es für Geimpfte nicht mehr“, sagte Hoch: „Für Geimpfte ist die Freiheit längst schon wieder Normalität in Rheinland-Pfalz.“

Trotzdem forderte die Freien Wähler drei Tage vor der Bundestagswahl medienwirksam einen „Freedom Day“: Die Corona-Lage habe sich deutlich verändert, spätestens im Oktober habe es ein Impfangebot für jeden in Deutschland gegeben, argumentierte der Parlamentarische Geschäftsführer der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid: Jetzt sei Zeit für einen „Stichtag der Freiheit“ mit dem Ende aller Corona-Maßnahmen – und das schon im Oktober. Eine sogenannter „Freedom Day“ wie in Großbritannien sei „ein Schritt des Mutes und der Vernunft“, argumentierte Wefelscheid, das Land müsse „mit dem Virus leben“ lernen – „wir müssen wegkommen von der German Angst.“

Noch sind die Masken in Innenräumen Vorschrift, im Freien jedoch nicht mehr. - Foto: KSK
Noch sind die Masken in Innenräumen Vorschrift, im Freien jedoch nicht mehr. – Foto: KSK

Zustimmung gab es dafür indes nur von der AfD, die gleich die Wirksamkeit aller Corona-Maßnahmen in Frage stellt – von den übrigen Fraktionen ernteten die Freien Wähler indes nur Kopfschütteln. Der „Freedom Day“ in Großbritannien habe zu einem erneuten Anstieg der Corona-Inzidenzen und der schweren Verläufe geführt, erinnerte die SPD-Abgeordnete Katrin Anklam-Trapp die Freien Wähler. 1,6 Millionen Engländer hätten danach in Quarantäne gemusst, einschließlich des Premiers und seines gesamten Kabinetts – das sei kein gutes Vorbild. „Fakt ist: ein Freedom Day beendet nicht die Covid-19-Pandemie, weder national noch international“, betonte sie.

Mit dem Begriff „Freiheit“ operierten die Freien Wähler mit der „unterschwelligen Botschaft einer Unfreiheit und einer Gängelung“, warf ihnen gar der CDU-Gesundheitsexperte und Arzt Christoph Gensch vor. Das suggeriere, dass die Corona-Maßnahmen in Deutschland zu restriktiv gewesen seien, dass die Bevölkerung „eingesperrt“, die Wirtschaft zu sehr belastet worden sei: „Die Antwort lautet auf alle diese Fragen: Nein“, betonte Gensch. Deutschland sei vielmehr im internationalen Vergleich deutlich besser durch die Pandemie gekommen als viele andere Länder: Auch wenn es auch in Deutschland rund 93.000 Todesfälle gab, die Sterberate sei hier halb so hoch gewesen wie in Großbritannien. „Wir haben laut Robert-Koch-Institut 38.000 Todesfälle verhindert“, betonte Gensch, und mahnte: „Lassen sie uns diese Erfolge nicht durch Aktionismus auf den letzten Metern verspielen.“

Impfen made in Mainz als "Freedom"-Spritze: Der Motivwagen des MCV in der Fastnachtskampagne 2021. - Foto: MCV/Sascha Kopp
Impfen made in Mainz als „Freedom“-Spritze: Der Motivwagen des MCV in der Fastnachtskampagne 2021. – Foto: MCV/Sascha Kopp

Die Freien Wähler operierten mit einem „gefährlichen Freiheitsbegriff“, kritisierte auch der Mainzer Grünen-Abgeordnete Daniel Köbler: „Ich finde es gefährlich, wenn eine demokratische Partei suggeriert, wir wären nicht eine freiheitliche Republik.“ Ihm sei auch nicht klar, was die Freien Wähler überhaupt wollten, „alle Freiheiten weg – davon haben sie gar nicht gesprochen“, „3G“ befürworte die Partei ja sogar, unterstrich Köbler, und argwöhnte: „Ein paar Tage vor der Wahl musste der blanke Populismus in die Überschrift“, wer das ernsthaft wolle, müsse der Bevölkerung dann aber auch sagen: In Großbritannien sei es derzeit „viermal so wahrscheinlich an Corona zu versterben, wie bei uns.“

Selbst FDP-Fraktionschef Philipp Fernis, dessen Parteichef Christian Lindner sonst auch gerne den Freiheitskämpfer auch in Sachen Corona-Maßnahmen gibt, mahnte, das Ende der Pandemie lasse sich „nicht an einem willkürlichen Datum festmachen.“ Die Gesamtimmunität in Deutschland reiche derzeit eben noch nicht für einen Schutz der Bevölkerung aus, betonte Fernis, auch die Sorgen der Eltern, deren Kinder noch nicht geimpft werden könnten, müssten ernst genommen werden. Es gelte noch immer dafür zu sorgen, dass das Gesundheitssystem durch eine neue Welle nicht überlastet werde, betonte der Liberale.

Nicht jeder kann sich impfen lassen, darunter Kranke und kleine Kinder. - Foto: Biontech
Nicht jeder kann sich impfen lassen, darunter Kranke und kleine Kinder. – Foto: Biontech

Es gebe auch immer noch Menschen, die sich noch nicht impfen lassen könnten, unterstrich auch Minister Hoch, bei anderen wirke die Impfung nicht so gut, etwa wegen Vorerkrankungen. „Und das ist nicht eine diffuse ‚German Angst‘, sondern eine reale Gefahr und Erwartung an den Staat, sie zu schützen“, unterstrich Hoch. Es gehe nun auch darum, diese Menschen solidarisch mit zu schützen. „Ihr Weg ist der Weg der Ellbogenfreiheit, und das ist nicht meiner“, betonte Hoch.

Ja, es werde einen Tag geben, „an dem wir mit dem Virus leben wie mit allen anderen Krankheiten auch“, unterstrich er, aber der müsse sich an Fakten orientieren. Und schließlich gelte: Beendet werde die Pandemie, wenn genügend Menschen geimpft seien. „Wenn wir noch 8,5 Prozentpunkte bei den Impfungen drauflegen, können wir uns mehr zutrauen“, betonte Hoch: „Wir kommen einem Leben, wie wir es vor Corona kannten, Schritt für Schritt näher.“

„Tatsächlich ‚Mission Accomplished‘, sind wir so weit?“, fragte auch Arzt Gensch ironisch in die Runde, sei das Virus wirklich besiegt, oder „ist das nur ein Wunsch, der politisch gerade in Mode ist?“ Ein steiler Anstieg der Infektionszahlen böte immer noch Risiken, betonte der Mediziner, „auch die Kinder und Jugendlichen wollen wir ja nicht komplett durchseuchen.“ Die Pandemie, sagte er dann noch, werde nicht mit „Pomp und Getöse“ beendet, sondern wohl eher leise ausklingen: „Dann drehen wir uns irgendwann ganz unspektakulär um“, sagte Gensch, „und sagen: war’s das? Ja, das war’s – wir haben auch das geschafft.“

Info& auf Mainz&: Mehr zum neuen Corona-Warnampel-System in Rheinland-Pfalz mit „2Gplus“-Regel findet Ihr hier bei Mainz&, die Geschichte der Corona-Welle nach den Sommerferien, vor allem auch an Schulen, könnt Ihr hier noch einmal nachlesen. Was genau die Medizin unter „Long Covid“ versteht, und wie gefährlich das ist, lest Ihr hier bei Mainz&.

 

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