Zwei Tage vor der Oberbürgermeisterwahl in Mainz meldet sich der Naturschutzverband BUND mit deutlicher Kritik an der städtischen Politik zu Wort: „Wir sprechen uns gegen die Neuentwicklung von weiteren Gewerbegebieten in Mainz und seinem Umland aus“, heißt es in einer Pressemitteilung des Verbandes. Der BUND warne „vor der ständigen Neuinanspruchnahme von den landschaftsprägenden landwirtschaftlichen Flächen und Biotopen.“ Das trifft vor allem das geplante Biotechnologie-Campus an der Saarstraße: Hier wollen SPD, Grüne und FDP ein neues Gewerbeareal von 50 Hektar auf Äckern entwickeln.
Im November 2022 hatte Bürgermeister Günter Beck (Grüne) als kommissarisches Stadtoberhaupt die Pläne für einen weitreichenden Biotechnologie-Campus an der Saarstraße im Mainzer Westen vorgestellt: Rund 17 Hektar Ackerflächen sollen hier auf einem Erweiterungsgelände neben den Mainzer Hochschulen schnell zu Flächen für Biotechnologie-Firmen entwickelt werden.
Die Stadt hofft nach dem Riesenerfolg des Mainzer Unternehmens Biontech in der Corona-Pandemie auf die Ansiedlung weiterer Firmen. Man wolle das Momentum nutzen, betonte Beck, Ähnliches hatte zuvor auch der bis zum 13. Oktober 2022 amtierende Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) gesagt. Tatsächlich besteht in der Biotechnologie-Landschaft ein hohes Interesse an Neugründungen und Firmenentwicklungen, aktuell suchen mehrere Neugründungen händeringend Büro – und vor allem Laborflächen.
Scharfe Kritik an Versiegelung für Biotech-Campus am Europakreisel
Doch die Entwicklung und vor allem Versiegelung eines riesigen Geländes auf den Ackerflächen am Europakreisel stößt auf massive Kritik – denn die Ampel-Koalition der Stadt plant hier eine Gewerbefläche mit insgesamt 50 Hektar Fläche. Unverbaute Böden seien hochgradig wertvoll und bildeten „die Grundlage für Ernährung, Trinkwasser, CO2-Speicher, Frischluftentstehung, Abkühlung und als Raum für Erholung“, betonte nun Jochen Kramer, Projektleiter des BUND-Projekts „Boden schätze(n) – Flächen schützen!“. Alles das könne ein Gewerbegebiet nicht leisten.
Der BUND spricht sich nun explizit gegen die Neuentwicklung von weiteren Gewerbegebieten in Mainz und seinem Umland aus und kritisiert die Vernichtung weiterer Landwirtschaftsflächen. Tatsächlich sind gerade die Ackerflächen zwischen Bretzenheim und dem Lerchenberg eines der wichtigsten Kaltluftentstehungsgebiete für die Mainzer Innenstadt. Von dem „Kaltluftsee“ auf den Ackerflächen fließt die Frischluft via Saarstraße, aber vor allem über das Zahlbachtal in die Innenstadt und sorgt dort für die dringend notwendig Abkühlung bei Nacht.
Der BUND fordert deshalb: „Bei der Endlichkeit der zur Verfügung stehenden Flächen, sollten insbesondere Gewerbeflächen vorrangig in bereits vorhandenen Gewerbegebieten genutzt werden, die mit verlassenen Standorten und Brachflächen reichlich Entwicklungsmöglichkeiten bieten.“ es sei die planerische Aufgabe der Kommunen „die gegebenen Potentiale zu nutzen und nicht immer neue Flächen im unbebauten Raum in Anspruch zu nehmen.“ Zudem müsse das Land verbindliche Obergrenzen für das Ausweisen von Gewerbeflächen beschließen, fordert der Umweltverband.
OB-Kandidaten von Grünen und SPD für das Biotech-Campus
Die Kritik zwei Tage vor der Oberbürgermeisterwahl in Mainz ist pikant, sind es doch ausgerechnet SPD und Grüne, die für das Biotechnologie-Campus am Europakreisel eintreten. So hatte der Grünen-Kandidat Christian Viering im Wahlkampf zwar von einem „Ende des Wachstums“ gesprochen, das aber nur auf den Wohnungsbau bezogen: Das Biotech-Campus würde Viering weiter verfolgen. Im Mainz-O-Mat schreibt der Grünen-Kandidat dazu: „Einige landwirtschaftliche Flächen könnten z.B. in Biotopflächen umgewandelt werden und so einen Beitrag zur Artenvielfalt leisten.“
Auch SPD-Kandidatin Mareike von Jungenfeld steht für das Gewerbegebiet am Europakreisel: „Ich stehe zur Weiterentwicklung unserer Stadt zu einem international sichtbaren Biotechnologiestandort“, sagt die SPD-Kandidatin, zum Schutz von Ackerflächen schreibt sie lediglich, man müsse mit diesen Flächen „verantwortungsvoll umgehen“. Auch FDP-Kandidat Marc Engelmann sowie die CDU-Kandidatin Manuela Matz, aktuell Wirtschaftsdezernentin der Stadt, sprechen sich für das Campus an der Saarstraße aus.
Kritisch äußerten sich im Wahlkampf vor allem zwei OB-Kandidaten: Linken-Kandidat Martin Malcherek fordert, andere Gelände als Standort für den Campus zu prüfen, den auch er für wichtig hält. „Wir sind immer davon ausgegangen, dass die Felder an der Saarstraße einer der wichtigsten Kaltluft-Entstehungsgebiete für die Mainzer Innenstadt sind“, betonte Malcherek im Mainz&-Interview – das habe genau so lange gegolten, bis SPD und Grüne einen Platz für das Biotechnologie-Gelände gesucht und dort gefunden hätten, kritisiert er.
Bündnis von Organisationen gegen Biotech-Campus an der Saarstraße
Auch der parteilose Kandidat Nino Haase sieht die 50-Hektar-Fläche entlang der Saarstraße kritisch: „Wenn wir jetzt das Momentum mitnehmen wollen, ist das eigentlich keine Lösung“, sagte Haase im Mainz&-Interview, eine neue Entwicklung dort würde sieben bis acht Jahre dauern, und damit eigentlich zu lange. Es gebe weitere Potenzialflächen, womöglich auch auf dem weitgehend brachliegenden Messegelände in Mainz-Hechtsheim.
Der BUND ist zudem nicht die einzige Umweltorganisation, die Kritik an der Versiegelung der Flächen an der Saarstraße übt: Bereits Mitte November 2022 hatte sich ein ganzes Bündnis von Umweltorganisationen gegen das geplante Biotech-Areal auf den Feldern ausgesprochen – darunter Mainz Zero, der Arbeitskreis Umwelt Mombach, das Bündnis Stadtklima Mainz-Wiesbaden, die Nachhaltigkeitsinitiative Bretzenheim sowie die Organisationen „Parents For Future Mainz“ und „Workers For Future“.
Info& auf Mainz&: Mehr zur OB-Wahl in Mainz sowie alle Interviews mit den sechs Kandidaten zur OB-Wahl findet Ihr hier in unserem großen Mainz&-Wahldossier. Den Mainz-O-Mat findet Ihr hier im Internet, wer ihn nicht komplett durchspielen will, kann auch einfach zur Ergebnisseite mit den Antworten aller Kandidaten springen. Warum ein sogenanntes Klima-Ranking der Scientists for Future als unwissenschaftlich und tendenziös kritisiert wird, könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen: