Mehr als drei Millionen Rheinland-Pfälzer sind gegen das Coronavirus geimpft, davon sind allerdings nur 79 Prozent der Bevölkerung im Land einmal, 75,6 Prozent zweimal und 61,8 Prozent drei Mal. Die Impfkampagne in Deutschland ist praktisch komplett zum Stillstand gekommen, die Zahl der Ungeimpfte hat sich bereits seit Monaten nicht mehr verändert. Eine Studie im Auftrag des Mainzer Gesundheitsministerium stellte nun fest: 87 Prozent der Ungeimpften werden wohl auch in Zukunft nicht mehr zu erreichen sei – ihre Entscheidung wird von Verschwörungsnarrativen beeinflusst.

Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit dem Coronavirus - Quelle: EUvsDisinfo
Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit dem Coronavirus – Quelle: EUvsDisinfo

Anfang des Jahres hatte das Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit eine Studie in Auftrag gegeben, die den Motiven von Impfverweigerern nachspüren sollte. Im Zeitraum zwischen März und Mai 2022 wurden über 8.600 Menschgen befragt, die Ergebnisse kommen nun vor dem Hintergrund einer massiven Corona-Sommerwelle: „Wir
sehen aktuell steigende Inzidenzen und eine steigende Anzahl an Menschen, die in den Krankenhäusern behandelt werden müssen“, sagte der Impf-Koordinator des Landes, Staatssekretär Daniel Stich. Hinzu kämen krankheitsbedingte Ausfälle beim Pflegepersonal.

„Unser Ziel bleibt, gerade vulnerable Gruppen zu schützen, und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern“, betonte Stich. Je höher die Impfquote sei, umso besser komme das Land durch kommenden Corona-Wellen. „Auch mit Blick auf den Herbst
beschäftigen wir uns daher mit der Frage, wie wir bei Bedarf Menschen wieder dazu
bewegen können, sich impfen zu lassen“, sagte Stich. Um schwere Verläufe zu verhindern, sei das Impfen immer noch das Mittel der Wahl.

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Doch das Erreichen von Impfverweigerern ist offenbar kaum noch möglich, ergab eine Studie, die das Land beim Institut Pollytix Strategic Research in Auftrag gab – die Ergebnisse sind ernüchternd: „87 Prozent der nicht aus medizinischen Gründen Ungeimpften werden von Verschwörungsnarrativen beeinflusst und sind daher überwiegend nicht für eine Impfkampagne erreichbar“, sagte Pollytix-Geschäftsführerin Jana Faus am Dienstag in Mainz. Leidglich 13 Prozent seien unter Umständen noch für Argumente erreichbar.

Grafik: Verschwörungsnähe von Menschen ohne Corona-Impfung. - Grafik: Pollytix
Grafik: Verschwörungsnähe von Menschen ohne Corona-Impfung. – Grafik: Pollytix

Die Studie habe gezeigt, dass die Entscheidung gegen eine Corona Schutzimpfung mehrheitlich durch fehlendes Vertrauen in Politik, Medien, Institutionen und Gesellschaft geleitet werde, erklärte Faus weiter: Entscheidend seien nicht Alter, Wohnort oder Geschlecht, sondern eher fehlendes Vertrauen in staatliche Institutionen. Da würden Politik und Politiker mit dem Agieren totalitärer Regime verglichen, Justiz und Polizei als verlängerter Arm der Politik gesehen, Medien Manipulation und Steuerung durch die Politik unterstellt.

„Überrepräsentiert sind AFD Wähler, Nichtwähler, Menschen mit osteuropäischem Migrationshintergrund und Bürger mit niedrigem Einkommen“, sagte Faus weiter. In diesen Gruppen gelte Ungeimpft-Sein „als Zeichen eigener Widerstandsfähigkeit und ist damit identitätsstiftend.“ Die Wahrnehmung eigener Stärke führe wiederum zu einer Herabsetzung und einer bewussten Abgrenzung gegenüber geimpften Menschen. 35 Prozent dieser Menschen habe teilweise einen Verschwörungshintergrund, das entspreche zwischen 72.000 und 156.000 Menschen in Rheinland-Pfalz.

 

52 Prozent der Ungeimpften aber hätten eine starke Verschwörungsnähe, so die Studie weiter, das entspreche 107.000 bis 232.000 Menschen in Rheinland-Pfalz. Sie seien für Argumente und Kampagnen auch nicht mehr erreichbar, bilanziert die Studie weiter. Lediglich eine Minderheit von 13 Prozent der Ungeimpften sieht die Studie noch als erreichbar an, hier gebe es keine Verschwörungsnähe, dafür aber erhebliche Ängste vor der Impfung. 27.000 bis 58.000 Personen ordnet die Studie dieser Gruppe zu.

Ein junges Pärchen auf einer Demo von Corona-Impfgegnern in Mainz 2020. - Foto: gik
Ein junges Pärchen auf einer Demo von Corona-Impfgegnern in Mainz 2020. – Foto: gik

Darunter seien meist Eltern oder junge Frauen und Menschen aus städtischen Wohnorten,  die sich womöglich mit Hilfe von unabhängigen Langzeitstudien in verständlicher Sprache, individuellen Beratungsangeboten oder einer ergebnisoffenen, neutralen Impfkampagne von einer Corona-Impfung überzeugen ließen, so Faus weiter. 76 Prozent hätten nämlich Sorge vor Impfschäden, 61 Pr0ozent glaubten, die Corona-Impfung sei gefährlicher als die Infektion selbst.

91 Prozent dieser Personengruppe glaube dabei, dass der Corona-Impfstoff nicht ausreichend erforscht sei, 35 Prozent würden eine Impfung in Erwägung ziehen – wenn es denn aus ihrer Sicht unabhängige Langzeitstuden über die Impfstoffe gäbe. Viele junge Frauen glauben zudem, die Impfung führe zu Unfruchtbarkeit – ein Verdacht, der vor allem zu Beginn der Impfungen aufkam, seither aber durch zahlreiche Studien und praktische Zahlen umfassend widerlegt wurde. Ein weiteres Problem: 59 Prozent der Impfverweigerer glaubten, dass sie mit ihrer Unterschrift auf dem Impf-Merkblatt selbst für Impfschäden haften – auch das stimmt nicht.

 

Die Studie sieht denn auch genau hier Ansatzpunkte für eine umfassendere Aufklärungskampagne: eine Datenbank mit allen Studien rund um das Coronavirus, die Impfung und Erkrankungen wie etwa Long Covid könnte helfen – sofern sie in verständlicher Sprache für Laien ausgespielt werde. Individuelle Beratungsangebote könnten zudem helfen, dass Patienten das Gefühl bekommen ihre Sorgen werden Ernst genommen. Gleichzeitig könnten hier auch Fehlannahmen aufgeklärt werden.

Gerade zu Beginn der Corona-Impfkampagne war Massenabfertigung statt Beratung Standard - hier eine Schlange vor dem Mainzer Impfzentrum. - Foto: privat
Gerade zu Beginn der Corona-Impfkampagne war Massenabfertigung statt Beratung Standard – hier eine Schlange vor dem Mainzer Impfzentrum. – Foto: privat

Verantwortungsübernahme und Haftungsfragen bei Impfschäden müssten zudem klarer kommuniziert werden, empfiehlt die Studie, und weist darauf hin: 24 Prozent der Ungeimpften „würden eine Impfung in Erwägung ziehen, wenn es ein Beratungsgespräch gäbe, nach dem man sich selbst frei entscheiden kann.“ Eine Impfkampagne müsse deshalb diese selbstbestimmte, freiwillige Entscheidung deutlich stärker hervorheben, eine einfache „Lass dich impfen“-Kampagne sei unzureichend.

„Um noch gezielter für die Schutzimpfung zu werben, müssen wir verstehen, warum Menschen so vehement und abseits aller Fakten und Vernunft gegen das Impfen agieren“, sagte Stich. Mit der nun vorliegenden Studie erschließe sich besser die Motivation der Ungeimpften, aber auch neue Wege, um Menschen weiterhin für eine Impfung zu gewinnen. „Wir werden akzeptieren müssen, dass es einen Teil von Menschen gibt, die
wir nicht erreichen und noch weniger überzeugen können“, räumte Stich ein. Umso engagierter wolle man sich „um jene bemühen, die sich von Unwahrheiten haben täuschen lassen.“

Für den Herbst werde die Verfügbarkeit Omikron-angepasster Impfstoffe erwartet, sagte Stich weiter. Er rechne zwar mit einer hohen Impfbereitschaft in der Bevölkerung – „aber auch mit Mythen, Legenden und Unwahrheiten, die aus dem Kreis der  Verschwörungstheorie und der Impfgegner verbreitet werden.“ Politik und Verfassungsschutz hatten bereits im Mai 2020 gewarnt, Extremisten und fremde Nachrichtendienste wollten die Corona-Krise ausnutzen, um die Gesellschaft zu polarisieren und zu destabilisieren – und benutzten dafür Falschmeldungen und Verschwörungstheorien. Eine gewichtige Rolle spiele dabei Russland – mehr dazu könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen.

Info& auf Mainz&: Die ganze Präsentation zur Studie über Ungeimpfte in Rheinland-Pfalz könnt Ihr Euch hier im Internet herunterladen. Mehr Zahlen, Daten und Fakten zur Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland sowie zum Stand der Corona-Impfungen findet Ihr hier bei ZDFheute.