Menschen mit Migrationshintergrund erkranken häufiger schwer an Covid-19, und sie lassen sich seltener Impfen, das bestätigen Experten aus vom Mainzer Gesundheitsamt und vom Malteser Hilfsdienst in Rheinland-Pfalz. Vorbehalte gebe es viele: Falschinformationen, gezielt gestreute Fakenews, Verschwörungstheorien – oder einfach fehlende seriöse Informationen. Dagegen ging nun das Gesundheitsamt Mainz-Bingen in die Offensive: Auf Informationsabenden wurde intensiv über das Thema Corona-Impfungen aufgeklärt: welche Impfstoffe gibt es, wie sicher sind sie, und was passiert beim Impfen – und wie gefährlich ist das Coronavirus wirklich. Gerade jetzt, wo die neue Virus-Variante Delta auf dem Vormarsch ist, bietet das Impfen die beste Sicherheit gegen eine neue Coronawelle.

Warteschlange vor dem C&A in Mainz an Tag 1 der Ladenöffnung nach dem Winter-Lockdown 2021. - Foto: gik
Warteschlange vor dem C&A in Mainz an Tag 1 der Ladenöffnung nach dem Winter-Lockdown 2021. – Foto: gik

Sind Migranten und Flüchtlinge Treiber der Pandemie, lösten sie gar Infektionswellen aus, etwa durch Feiern oder das Missachten von Corona-Regeln? Tatsache ist: Gerade zu Beginn der zweiten Corona-Welle machten große Familienfeste und Hochzeiten von Menschen mit Migrationshintergrund Schlagzeilen, weil sie zu Corona-Hotspots wurden – so, wie die marokkanische Hochzeit, die Ende August 2020 einen Corona-Infektionsherd in Wiesbaden verursachte. „Es gab eben doch viele, die sich zu Geburtstagsfeiern getroffen haben, in einem Raum, die es nicht ernst nehmen, keine Masken tragen“, sagt Behrouz Asadi, Leiter des Migrationsbüros des Malteser Hilfsdienstes in Rheinland-Pfalz: „Die argumentieren, ich bin ein junger Mensch, für mich ist es doch nicht gefährlich – da fehlt oft das Bewusstsein.“

Tatsächlich waren Menschen mit Migrationshintergrund in der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020 eher weniger von Infektionen mit dem Coronavirus betroffen, die erste große Welle ging damals eher von bessergestellten Menschen aus, analysierte das Robert-Koch-Institut (RKI) – es waren die Reisenden, die Geschäftsleute und die Skifahrer, die den Ausbruch der ersten Corona-Welle im März 2020 in Deutschland verursachten, und die damals von ihr auch besonders getroffen waren.

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Informationsabend zum Thema Impfen für Menschen mit Migrationshintergrund in Nieder-Olm. - Foto: gik
Informationsabend zum Thema Impfen für Menschen mit Migrationshintergrund in Nieder-Olm. – Foto: gik

Das änderte sich deutlich mit der zweiten Corona-Welle im Herbst 2020: „Während der zweiten Infektionswelle im Herbst und Winter 2020/2021 stieg die COVID-19-Sterblichkeit in Deutschland stark an und erreichte im Dezember und Januar einen Höchststand“, heißt es in einer Analyse des RKI, besonders betroffen dieses Mal aber: Menschen aus sozial benachteiligten Regionen. Dort sei der Anstieg der COVID-19-Todesfälle in der zweiten Welle am höchsten gewesen, Menschen aus sozial stark benachteiligten Regionen hatten ein rund 50 bis 70 Prozent höheres Risiko, an Covid-19 zu sterben, als Menschen anderer Regionen. Der Grund: enge Wohnverhältnisse, hohe Bevölkerungsdichte und Jobs, die nicht im Homeoffice erledigt werden können.

„Ja, es ist so: Menschen mit Migrationshintergrund erkranken häufiger und auch häufiger schwer an Covid-19“, sagte Dietmar Hoffmann, Leiter des Gesundheitsamtes Mainz-Bingen. Statistiken gibt es in Deutschland – im Gegensatz zu anderen Ländern nicht -, erkennen lasse sich das aber an den Namen auf den Intensivstationen, auch erfahre das Gesundheitsamt den Hintergrund bei Anrufen. Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund insbesondere an schwerkranken Covid-19-Patienten „liegt in unserer Region bei etwa 60 Prozent“, sagt Hoffmann. Dafür gebe es „ganz viele Gründe, und das hat nichts mit Rassismus oder Diskriminierung zu tun“, betont er.

Dietmar Hoffmann, Chef des Gesundheitsamtes Mainz-Bingen, und Behrouz Asadi, Leiter Migrationsdienst bei den Maltesern beim Infoabend Impfen. - Foto: gik
Dietmar Hoffmann, Chef des Gesundheitsamtes Mainz-Bingen, und Behrouz Asadi, Leiter Migrationsdienst bei den Maltesern beim Infoabend Impfen. – Foto: gik

Hoffmann steht in der Eckes-Halle in Nieder-Olm, es ist Dienstagabend, und es ist einer der ersten heißen Sommertage, trotzdem sind rund 20 Personen in die Halle gekommen. Da ist ein junger Mann aus Afghanistan, der seit Dezember 2015 hier lebt, da ist der Syrische Journalist Ahmad Yassawi mit seiner Frau, aber auch Mitarbeiter von Flüchtlings-Hilfsorganisationen. Sie sind gekommen, um den neuesten Stand zum Thema Corona-Impfungen zu hören, weil sie sich impfen lassen wollen, weil sie Zweifel haben, oder einfach weil sie Multiplikatoren sind, wie der junge Physiotherapeut, der 2016 aus dem Irak nach Deutschland kam. „Viele meiner Kollegen wollten sich gar nicht impfen lassen“, sagt der junge Mann, gerade einmal drei von sieben wollten die Impfung. „Für uns Fachleute in Gesundheitsbereich ist das peinlich“, findet er. Es kursierten viele Verschwörungsmythen.

„Es gibt viele negative Informationen“, weiß auch Asadi. Gerüchte, der Corona-Impfstoff mache unfruchtbar – was nicht stimmt -, Verschwörungstheorien über implantierte Chips, gezielt gestreute Falschinformationen über den Biontech-Impfstoff, und durchaus auch religiöse Vorbehalte. Im Ramadan hätten viele Muslime geglaubt, „wenn wir geimpft werden, dann kommt etwas Fremdes in unserer Körper, da mussten wir gegensteuern“, sagt Asadi. Klar machen, wie wichtig die Impfung ist, dass sie schützt, dass sie hilfreich ist, gerade auch für die Gruppe der Migranten und Flüchtlinge, darum geht es an diesem Abend. „Wir wollen den Leuten Informationen anbieten, wie wichtig es ist, dass man sich impfen lässt“, sagt Asadi, der gemeinsam mit Hoffmann die Infoabende ins Leben rief.

Gut besucht war der Infoabend zum Thema Impfen für Migranten in Nieder-Olm. - Foto: gik
Gut besucht war der Infoabend zum Thema Impfen für Migranten in Nieder-Olm. – Foto: gik

„Wir wollen gegen die vielen falschen Behauptungen und unsinnigen Gerüchte angehen“, betont auch Hoffmann, und macht eines unmissverständlich klar: Das Coronavirus ist gefährlich, und es ist gekommen um zu bleiben. „Covid-19 ist nicht mehr auszurotten“, betont Hoffmann mit ruhiger Stimme, „jeder, der sich jetzt nicht impfen lässt, wird es bekommen, irgendwann wird man sich anstecken.“ Menschen mit Migrationshintergrund hätten inzwischen ein höheres Risiko sich zu infizieren und vor allem schwer zu erkranken. Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund insbesondere an schwerkranken Covid-19-Patienten „liegt in unserer Region bei etwa 60 Prozent“, sagt Hoffmann.

Dafür gebe es „ganz viele Gründe, und das hat nichts mit Rassismus oder Diskriminierung zu tun“, betont er. Viele der Migranten hätten einfache Jobs, Pakete austragen oder an der Supermarktkasse arbeiten, „diese Menschen haben ein höheres Risiko sich zu infizieren“, sagt Hoffmann klar, auch kämen oft enge Wohnverhältnisse als Risiko hinzu. In Mainzer Flüchtlingsunterkünften lebten 250 bis 300 Menschen zusammen – ein Infektionsrisiko. In vielen türkischen Haushalten lebten mehrere Generationen zusammen, die Großeltern könnten nicht einfach isoliert werden – ein Problem. „Das entspricht genau unserer Erfahrung“, sagt Hoffmann.

Die Flüchtlingsunterkunft im Mainzer Allianzhaus musste über Wochen abgeriegelt werden. - Foto: gik
Die Flüchtlingsunterkunft im Mainzer Allianzhaus musste über Wochen abgeriegelt werden. – Foto: gik

Auch in Mainz kam es mehrfach zu großen Corona-Infektionswellen in Flüchtlingsunterkünften, fast alle Einrichtungen waren irgendwann betroffen, am bekanntesten war der Ausbruch im Allianzhaus, das wochenlang abgeriegelt werden musste, zuletzt traf es im Mai 2021 noch eine Flüchtlingsunterkunft im Hartenberg-Münchfeld. Doch die Impfkampagne kam in den Heimen nicht in Gang: Das Land Rheinland-Pfalz wollte in den Heimen gezielt den Impfstoff von Johnson & Johnson einsetzen, weil der nur einmal verimpft werden muss, doch dessen Auslieferung verzögerte sich wochenlang. Dazu kommt eine weit verbreitete Impfskepsis unter den Flüchtlingen: Ende Mai hatte eine Umfrage der Nachrichtenagentur epd ergeben, die Impfkampagne stoße in Flüchtlingsunterkünften bundesweit auf große Skepsis, besonders niedrig sei die Quote in Rheinland-Pfalz: Hier hätten lediglich 30 Prozent der impffähigen Flüchtlinge impfen lassen.

Ein Grund dafür: Unter den Flüchtlingen halte sich hartnäckig das Gerücht, wer geimpft werde, werde schneller abgeschoben, berichtet Asadi, und betont: „Das ist Quatsch, das hat nichts mit der Realität zu tun.“ Seit März 2020 liefen Abschiebungen etwa nach Afghanistan, alle zwei Wochen, alles junge Afghanen, „kein einziger von denen war geimpft“, betont Asadi. Beim Land Rheinland-Pfalz heißt es, in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes seien bisher fast 600 Impfungen durchgeführt worden. Es werde „mit umfassenden Informationen intensive Überzeugungsarbeit geleistet, um eine möglichst hohe Impfbereitschaft zu erreichen“, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums gegenüber Mainz&.

Flyer mit Informationen zum Schutz vor Corona-Infektionen der Bundesregierung. - Foto: gik
Flyer mit Informationen zum Schutz vor Corona-Infektionen der Bundesregierung. – Foto: gik

Auch seien die Informationen zur Corona-Pandemie und zum Impfen in sieben Fremdsprachen übersetzt worden, es stünden Plakate mit Piktogrammen zur Verfügung, Informationen würden fortlaufend in Social-Media-Kanälen veröffentlicht, meist in Englisch, Französisch und Türkisch, teilte das Ministerium auf Anfrage weiter mit. Informationen gebe es genug, findet auch Asadi, aber „wir hatten die Impfungen nicht für das mobile Team“, sagt er. So seien derzeit erst wenige Flüchtlinge geimpft – trotz des hohen Ansteckungsrisikos. „Das Impfen geht bei uns jetzt erst los in den Flüchtlingsunterkünften“, sagt auch Hoffmann, er rechne fest damit, dass die Impfbereitschaft steigen werde.

Und dann erklärt er, wie genau die Impfung funktioniert, welche Impfstoffe es gibt und wie sie wirken. Er sei nach der Impfung krank geworden, berichtet der junge Afghane. „Wunderbar“, freut sich Hoffmann, „das ist genau gewünscht.“ Dass die Impfstoffe sicher sind, trotz kürzester Entwicklungszeit, erklärt Hoffmann, und warum Nebenwirkungen nicht schlimm sind. „Es gibt keine Krankheit, die so intensiv untersucht worden ist, weltweit“, sagt Hoffmann, „die Lernkurve ist immens.“ Einen Fall ernsthaft gefährdender Reaktionen auf einen der Impfstoffe habe es in Mainz noch nicht gegeben.

„Es gibt derzeit keine schweren Erkrankungen nach einer Impfung“, betont Hoffmann, „das würde man erkennen bei so vielen Millionen Impfungen – aber wissen Sie, was Covid für schwere Folgen hat?“ Und dann berichtet der Gesundheitsexperte von schweren Folgen wie dem Long Covid-Syndrom, und wie gefährlich das Coronavirus ist. „Bei 0,02 Prozent der Geimpften sind die Nebenwirkung schwerer, aber 7 Prozent der Covid-19-Erkrankten müssen ins Krankenhaus“, sagt Hoffmann „aber an Covid hat man eine 2,7-prozentige Chance zu sterben.“ Viele Menschen hätten Angst vor den Nebenwirkungen, trotz der geringen Zahlen, „aber keiner von ihnen würde in einen Zug steigen oder in ein Flugzeug, das mit einer Chance von 2,7 Prozent abstürzen würde“, betont Hoffmann, „das würde keiner von ihnen machen.“

Gut zwei Stunden nehmen sich die Experten Zeit, alle Fragen zu beantworten, stehen auch hinterher noch geduldig jedem Rede und Antwort. „Wenn Bedarf besteht, könnten wir so einen Abend auch in Arabisch oder Türkisch anbieten“, sagt Asadi, „wenn eine Gemeinde Interesse hat, kommen wir – an Informationen darf es nicht scheitern.“ Die einzige Lösung sei ohnehin die Nachahmung, sagt er noch: „Dass die Leute sehen, mein Nachbar hat sich impfen lassen – und es ist nichts Schlimmes passiert.“

Info& auf Mainz&: Noch mehr Hintergrundinformationen zum Thema Corona-Pandemie und Migration findet Ihr hier beim Mediendienst Integration im Internet, eine Analyse zum Thema soziale Unterschiede in der Covid-19-Sterblichkeit während der zweiten Corona-Infektionswelle in Deutschland findet Ihr hier beim RKI im Netz. In Rheinland-Pfalz gibt es Informationen zum Coronavirus in sieben Sprachen von Türkisch bis Russisch, Polnisch und Farsi hier im Internet, ausführliche Informationen zum Thema Impfen findet man außerdem hier bei der Bundesregierung in fünf Fremdsprachen.

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